Protocol of the Session on January 29, 2009

Sie als Sozialminister und der zuständige Familienminister sagen aber: Kein Bedarf, das machen wir nicht, das war einmal ein rot-grünes Modell, und weil Rot-Grün dran steht, ist es unter Schwarz-Gelb nicht mehr notwendig. – Das ist zynisch, und das ist verantwortungslos.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das Zynischste daran ist: Dieser Ministerpräsident, der bei der Debatte nicht da ist, der immer in die Fußstapfen von Johannes Rau treten will,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das wird ihm nie gelingen!)

der überall versucht, den Eindruck zu erwecken, er hätte so etwas Präsidiales an sich, dieser Ministerpräsident hat als Nachfolger von Johannes Rau die Schirmherrschaft des Projektes „Gemeinsam gegen Kälte“ übernommen. Er ist ein Schirmherr. Mit einem Schirmherrn verbindet man, dass er sich für die Menschen einsetzt.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Er hat es aber zugelassen, dass das Programm auf null gesetzt wird. Er hat den Schirm in die Ecke gelegt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Er hat die Menschen im Regen stehen lassen. Er hat es noch nicht einmal mehr notwendig, dem Verein auf seine Zuschrift hin zu antworten. Das ist nicht nur verantwortungslos. Ich finde, es enttarnt. Es zeigt einfach, wie das sozialpolitische Geplänkel

nach außen ist und wie das wahre Gesicht nach innen ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Denn den Zustand einer politischen Partei und einer Gesellschaft kann man daran messen, wie sie mit den Menschen umgehen, von denen sie nichts zu erwarten haben. Die Wohnungslosen werden zu einem großen Teil nicht wählen. Da gibt es keine Lobby, die großartig und stark ist. Das sind die Menschen, für die man sich wirklich einsetzen muss.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Minister Armin Laschet: Tun wir doch!)

Dafür haben Sie als Sozialminister die Möglichkeiten. Da geht das Kompliment an Herrn Laumann: Da trauen wir Ihnen, Herr Minister Laumann, mehr zu als Ihrem Kollegen, weil Sie mit der Klientel mehr zu tun haben und eher in der Denkstruktur drin sind, während Ihr Kollege nur noch die Abwicklung im Kopf hat und nicht mehr die Hilfe und Unterstützung für diese Menschen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Johannes Remmel [GRÜNE]: Genau so ist es!)

Ich will aber in der Kürze der Zeit noch sagen – meine Redezeit ist gleich abgelaufen –, dass es noch mehr Bereiche gibt.

Minister Laumann, Menschen mit Behinderungen: Es gibt viele Punkte, bei denen Sie auch da schöne Worte, schöne Sachen, schöne Ideen vorstellen. Allein: Die Handlungen fehlen.

Ein Punkt, an dem man gucken muss, was Sie tun, ist: Wie findet Normalität für Menschen mit Behinderungen statt? Wie findet wirkliche Integration vom Kindergarten, von der Schule bis später ins Berufsleben hinein statt? Die Frage ist nicht nur: Wie können wir irgendwo Werkstätten und separate Systeme schaffen?

Im Moment ist es in Nordrhein-Westfalen so, dass Kommunen in der Haushaltssicherung nicht ausbilden dürfen. Wir haben das Problem in der Kommune Oberhausen ganz deutlich. Wir haben es aber auch in anderen Kommunen deutlich. Da gibt es Menschen mit Behinderungen, die einen Ausbildungsplatz wollen. Da gibt es auch Kommunen, die bereit wären auszubilden. Aber sie dürfen nicht, weil sie in der Haushaltssicherung einem Ausbildungsstopp unterliegen. Da müssen Sie als Sozialminister für eine Regelung sorgen, damit Jugendliche mit Behinderungen trotz prekärer finanzieller Situation der Kommunen einen Ausbildungsplatz in Kommunen bekommen können.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Neue Wohnformen im Alter: auch ein wichtiger Bereich. Sie sagen, mit dem Wohn- und Teilhabegesetz ist das Ganze geregelt. Nein, das Wohn- und

Teilhabegesetz schreckt für Normalität eher ab als dass es Sicherheit gibt.

Haushaltsnahe Dienstleistungen: Auch da wollen Sie nicht ran. Da wollen Sie Menschen nicht in die Normalität eines Arbeitslebens holen. Wir haben Ihnen Anträge vorgelegt. Wir haben Ihnen Konzepte vorgelegt. Ich bedaure es zutiefst, dass Sie nicht den Schritt in die richtige Richtung gehen.

Aber ich wäre froh, wenn es wenigstens ein Ergebnis – auch wenn ich von Ihnen sonst nichts erwarte – dieser Haushaltsdebatten wäre, dass Sie hinsichtlich der Wohnungslosen, des Wohnungslosenprogramms und hinsichtlich „Gemeinsam gegen Kälte“ einen Weg finden. Uns wäre es lieber bei Minister Laumann. Wenn es bei Minister Laschet wäre, könnte ich aber auch damit leben. Die Hauptsache ist: Sie nehmen Geld in die Hand und machen diesen fatalen Fehler Ihrer Koalitionsfraktionen und Ihrer Regierung rückgängig.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein zentraler Punkt der Sozialpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen bleibt auch im Haushaltsjahr 2009 die Politik für Menschen, die mit Handicaps durchs Leben gehen müssen. Wir sind die erste Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die mit dem Programm „Teilhabe für alle“ quer über die Ressorts versucht, Schritt für Schritt, aber nachhaltig die Lebensbedingungen von behinderten Menschen zu verbessern.

(Günter Garbrecht [SPD]: Das ist Ge- schichtsklitterung, Herr Kollege!)

Die Landesregierung wendet auch für dieses Programm rund 188 Millionen € auf. Natürlich finden sich diese Mittel nicht alle im Sozialhaushalt. Denn die Lebenswelt eines behinderten Menschen ist nun einmal nicht nur die Lebenswelt, für die das Arbeitsministerium, das Sozialministerium zuständig ist. Der behinderte Mensch muss wohnen. Der behinderte Mensch ist Verkehrsteilnehmer. Der behinderte Mensch braucht innere Sicherheit. So ist es eine Aufgabe – wie es sich für Integration gehört – quer durch alle Ressorts der Landesregierung.

Frau Gebhard, Sie haben kritisiert, wir täten zu wenig für barrierefreien Wohnraum. Ich möchte nur sagen, dass im Haushalt des Wohnungsbauministers für barrierefreies Wohnen rund 60 Millionen € zur Verfügung stehen. Diese Mittel stehen eben nicht in meinem Haushalt, sondern gehören in den Haushalt des Wohnungsbauministers. Von daher

glaube ich, dass wir uns hier sehr wohl sehen lassen können.

Ich möchte auf einen weiteren Punkt in diesem Haushalt hinweisen, der im Bereich der Integration von Menschen mit Handicaps in den Arbeitsmarkt neue Impulse in Nordrhein-Westfalen setzen wird, nämlich auf unser Programm „Über Integrationswerkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt“, mit dem wir in der nächsten Zeit 1.000 zusätzliche Arbeitsplätze nicht in Behindertenwerkstätten, sondern am ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen schaffen.

Ich habe heute in der Haushaltsdebatte bewusst gesagt: In der nächsten Zeit. Denn ob es in Zeiten dieser Krise alles so schnell geht, wie wir uns das vorgestellt haben, das weiß ich nicht. Aber wir werden beharrlich dranbleiben. Nur das Aufbauen von Integrationsunternehmen ist in einer wirtschaftlich schwierigen Lage auf jeden Fall auch ein bisschen schwieriger als in wirtschaftlich guten Zeiten. Das muss ich zugeben; das kann man nicht mit der Brechstange zurechtbiegen, aber wir werden weiter daran arbeiten.

Ich glaube, dass wir damit auch einen ganz konkreten Ansatz für Menschen verfolgen, die sonst keine Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt haben werden.

Wir haben mit dem Wohn- und Teilhabegesetz neue Akzente für die Menschen, die in stationären Einrichtungen leben müssen – etwa in Alten- oder Behinderteneinrichtungen –, gesetzt. Ich bin sehr stolz darauf, dass in relativ kurzer Zeit in NordrheinWestfalen Drei- und Vierbettzimmer in unseren Behinderteneinrichtungen der Vergangenheit angehören werden. Darum haben Sie sich im Übrigen überhaupt nicht gekümmert.

Was ist das eigentlich für eine Politik, alle möglichen Standards hier im Landtag herbeizureden, aber auf der anderen Seite für Menschen, die 30, 40 Jahre als behinderte Menschen in einer Einrichtung leben müssen, noch nicht einmal ein Einzelzimmer vorzusehen? Auch damit macht die jetzige Landesregierung in relativ kurzen Übergangsfristen endgültig Schluss.

Natürlich gehört zu meiner Arbeit in der Sozialpolitik auch – beginnend mit diesem Haushaltsjahr – die Frage: Können wir auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Armut von Kindern, deren Lebenschancen nicht so gut sind wie die vieler anderer Kinder, erbringen?

Wir werden uns in den nächsten Monaten im Ministerium auch darüber Gedanken machen, wie wir in unserem Land etwa in der Frage des Mittagessens für Kinder in Ganztagseinrichtungen fortfahren wollen. Wir müssen das auswerten, was wir durch den Fonds an Erfahrungen gesammelt haben, und dann in aller Ruhe schauen, wie wir dieses mit Blick auf die veränderte Betreuungsstruktur für kleine Kinder

in unserem Land angemessen weiterentwickeln können.

Aber auch das will ich Schritt für Schritt machen. Ich bleibe dabei: Hier ist in allererster Linie eigentlich der Bund in der Verantwortung. Wir brauchen für diese Kinder einen am Kinderbedarf orientierten Bedarfssatz im SGB II. Deswegen freue ich mich auch über das Urteil des Bundessozialgerichtes. Aber trotzdem können wir nicht sagen: Jetzt wartet die drei, vier Jahre ab, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Wir haben eine ganz konkrete Situation. Ich bin Pragmatiker genug, um zu wissen, dass wir uns dieser vernünftig stellen und Lösungen hierfür suchen müssen,

(Beifall von CDU, GRÜNEN und Christian Lindner [FDP])

ohne – das sage ich dazu – auf die Klärung er Grundsatzfrage zu verzichten. Ich bleibe dabei: So wie wir in der Systematik des SGB II denken, muss man an der Fragestellung weiterarbeiten.

Auch die Berichte, die wir in dieser Woche in der Zeitung über die Integration von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen gelesen haben, machen sehr deutlich, dass wir uns, wenn wir eine gute Zukunft haben wollen, um die Kinder, die nicht aus den wohlbehüteten Elternhäusern kommen, entschieden kümmern müssen.

Herr Minister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Garbrecht?

Nein, jetzt nicht. Ich möchte das gerne im Zusammenhang vortragen.

Wenn wir dieses vor Augen haben, ist dies nicht nur eine Debatte ums Geld, es ist auch eine Frage von Verantwortung der Eltern für ihre Kinder, von Verantwortung der Gesellschaft und der Nachbarschaften für den Nachwuchs in unserem Land.

Natürlich ist im Gesundheitsbereich meines Haushalts die Sorge um unsere Krankenhäuser auch 2009 eine wichtige politische Aufgabe. Krankenhäuser sind nach meiner festen Überzeugung neben unseren Schulen in der Wahrnehmung der Bevölkerung die wichtigsten öffentlichen Einrichtungen.

Hier kommt es zunächst einmal darauf an, dass die Krankenhäuser für ihre medizinischen Leistungen auch in Nordrhein-Westfalen ein angemessenes Entgelt über die Krankenkassen bekommen. Ich bleibe dabei: Der im Krankenhausfinanzierungsgesetz enthaltene Korridor, der in Berlin beschlossen worden ist, wonach die nordrhein-westfälischen Krankenhäuser auf Dauer den niedrigsten Basisfallwert in ganz Deutschland haben werden, ist bei

gleich hohen Krankenkassenbeiträgen eine Ungeheuerlichkeit und eine Zumutung für das nordrheinwestfälische Gesundheitssystem.

(Beifall von der CDU)

Deswegen werde ich dem Kabinett in der übernächsten Woche vorschlagen, dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, wie der Bund es verabschiedet hat, im Bundesrat nicht zuzustimmen. Ich bereite zurzeit im Haus eine Verfassungsklage in dieser Frage vor, und ich werde das Kabinett auch bitten, mir die Möglichkeit zu geben, vor das Verfassungsgericht zu ziehen, damit diese Ungleichbehandlung in Deutschland nicht Bestandteil der Gesundheitspolitik von Ulla Schmidt in Zukunft und auf Ewigkeit bleiben kann.