Protocol of the Session on December 3, 2008

Dann können Sie gleich erklären, wie es sein kann, dass die Vorreiter der Sozialpolitik, die sich hier gerne das Robin-Hood-Mäntelchen umwerfen, auf Bundesebene genau solche Dinge sabotieren. Ich finde, das ist wirklich nicht hinnehmbar.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen ist unser Antrag brandaktuell. Wir fordern Sie auf, auf Bundesebene dafür zu sorgen, dass es nun nicht im Vermittlungsausschuss zu einem Verschiebebahnhof kommt, sondern die Leis

tungen für die Kinder nach Hartz IV sofort auch auf Kinder in der Sekundarstufe II ausgeweitet werden.

Einmal mehr erweist sich, dass die Regelsätze für Kinder und Jugendliche eigenständig und nach eigenständigem Bedarf ermittelt werden müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch das darf keine Minute länger herausgeschoben werden. Das ist die Herausforderung. Es geht nicht darum, einfach vom Bedarf Erwachsener etwas abzuziehen, weil Menschen noch etwas kleiner sind. Sie haben durch das Heranwachsen, bei der Bildung und bei der Kultur ganz besondere eigene Bedarfe. Wir erleben immer wieder, wie unzulänglich das derzeitige System ist und woran es scheitert.

Es muss sich sehr viel an der Geisteshaltung derjenigen ändern, die in Verantwortung stehen und die Bildungsgänge für Jugendliche eigentlich anders organisieren und aufschließen müssten, damit auch benachteiligte Kinder und Jugendliche in diesem Land gleiche Chancen haben. Ich finde es beschämend, dass wir hier überhaupt darüber debattieren müssen

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

und dass auf Bundesebene wieder einmal Entscheidungen in den Vermittlungsausschuss verschoben werden. Machen Sie Schluss mit dem Verschiebebahnhof. Herr Minister Laumann, Sie werden uns gleich erklären, wo Ihre Initiativen ansetzen werden, um das schnellstmöglich zu regeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Tenhumberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bildung ist der Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg. Sie ermöglicht Orientierung und bestimmt Lebenswege. In unserem Bildungssystem muss jeder Mensch ungeachtet seiner Herkunft nach seiner Begabung gefördert und gefordert werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe der Familie und der Gesellschaft.

Die größte Zahl der Familien wird ihrem Erziehungsauftrag gerecht und kann eigenverantwortlich ihren Kindern die gewünschten Bildungschancen eröffnen. Es ist aber auch festzustellen, dass eine zunehmende Zahl von Familien unter anderem aus armutsgefährdeten Schichten oder mit Zuwanderungsgeschichte nicht mehr in der Lage ist, ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag im notwendigen Umfang zu erfüllen.

Es muss Aufgabe von Politik und Gesellschaft sein, mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung zu realisieren und damit auch den benachteiligten Kindern

und Jugendlichen die Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen. Gerade diese Kinder und Jugendlichen müssen unsere Gesellschaft als offen, gerecht und chancenreich erleben. Sie benötigen die eigene Erfahrung, dass Bildung, Leistung und Fleiß Garanten für den gesellschaftlichen Aufstieg sind.

Unsere Gesellschaft verspielt angesichts der demografischen Entwicklung ihre Zukunftsfähigkeit, wenn sie sich nicht in besonderer Weise dieser Personengruppe annimmt. Sie verliert nicht nur Wohlstand; sie verliert ihren Anspruch auf eine offene und solidarische Gesellschaft.

(Britta Altenkamp [SPD]: Genau!)

Unsere Gesellschaft braucht Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien ebenso als Leistungsträger wie Kinder aus bürgerlichen Schichten. Bildung für alle ist die nachhaltigste Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat zur Verbesserung der Verhältnisse von Kindern und Jugendlichen mehrere ab dem 1. Januar 2009 geltende Maßnahmen eingeleitet, die zu einer Entlastung in Höhe von mehr als 2 Milliarden € führen. Das ist eine gute Botschaft für die Familien in unserem Land.

Unter anderem soll ein Schulbedarfspaket eingeführt werden, bei dem Kindern aus Familien, die Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II beziehen, für den Erwerb von Unterrichtsmaterialien eine jährliche Unterstützung von 100 € bewilligt werden soll. Die Bundesregierung greift damit eine Forderung der Länder auf, den besonderen Lernmittelbedarf von Schülerinnen und Schülern im Leistungssystem von SGB II und XII zu berücksichtigen. Das tun wir in Nordrhein-Westfalen in besonderer Weise. Das ist gut so.

Der Bundesrat hat den Bundestag am 7. November diesen Jahres darüber hinaus mit den Stimmen aller Länder aufgefordert, die vorgesehene Mittelbewilligung auf Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II zu erweitern, sodass die Unterstützung auf dem Weg zum Fachabitur und zum Abitur gesichert ist. Der Ausschluss dieser Schülerinnen und Schüler wäre nach meiner Auffassung sachlich nicht gerechtfertigt.

(Norbert Killewald [SPD]: So ist das!)

Gerade Leistungsempfänger nach SGB II und SGB XII, die einen höheren Bildungsabschluss anstreben, sollten angesichts der Diskussion über die soziale Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems gegenüber anderen Schülerinnen und Schülern nicht finanziell benachteiligt werden. Diese Empfehlung wurde von Nordrhein-Westfalen voll mitgetragen und findet die uneingeschränkte Unterstützung der CDU-Fraktion.

(Beifall von der CDU)

Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der die Landesregierung dazu auffordert, sich bei der Bundesregierung für die Aufhebung der Beschränkung bis zur Klasse 10 einzusetzen, ist die Landesregierung nachgekommen.

Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen werden sich auch weiterhin für die Verbesserung von Bildungschancen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen einsetzen. Dies geschieht insbesondere auf Bundesebene. Anscheinend ist es dringend nötig, dass sich die Länder auch dort einbringen.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist damit bereits durch Vollzug abgearbeitet worden und muss als erledigt betrachtet werden.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nein, ist nicht wahr!)

Die Empfehlung ist ausgesprochen worden, Frau Beer.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nein!)

Falls Sie ihn aufrechterhalten, müssen wir ihn leider ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Killewald das Wort.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Tenhumberg, ich weiß nicht, ob es an Euch/Ihnen vorübergegangen ist: Gestern Abend hat tatsächlich ein Gremium getagt. Es hat tatsächlich das abgelehnt, was der Bundesrat – wie von Dir eben beschrieben – gefordert hat, nämlich dieses Paket auf die Oberstufe auszuweiten. Das ist Tatsache. Insofern ist der Antrag hier und heute eigentlich gerade passend, weil die Landesregierung dieses Thema in den kommenden Tagen noch einmal im Bundesrat aufs Tapet bringen kann.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen und von der Landesregierung, deshalb werbe ich für den gemeinsamen Versuch, es auf den Weg zu bringen, dass auch Oberstufenschüler oder Schüler oberhalb der 10. Klasse in diesen Genuss kommen können.

Bis gestern haben wir gehofft. Tatsache ist: Wir Sozialdemokraten wollen das Schulbedarfspaket für bedürftige Kinder und Jugendliche von der ersten Klasse bis zum Abitur. Dieser Ansatz ist auch in der Anhörung des Deutschen Bundestages einhellig von allen Sachverständigen begrüßt worden.

Wir setzen auf Chancengleichheit in der Bildung und auf wirksame Beiträge im Kampf gegen Kinder

armut. Ich habe den Kollegen Tenhumberg so verstanden, als ob wir in dieser Hinsicht auf einer Linie wären.

Leider ist das Vorhaben gestern gescheitert, wie ich schon berichtet habe. Die Vertreter der Union hätten der Verlängerung des Schulbedarfspakets bis zum Abitur nur dann zugestimmt, wenn im Gegenzug steuerliche Privilegien für Arbeitgeber und Selbstständige ausgeweitet worden wären.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist nicht wahr!)

Das stimmt wohl. – Ich habe aus entsprechenden Unterlagen vorgelesen, die gestern Abend vorlagen. Ich kann noch mehr vorlesen, Herr Minister. Darin heißt es, die von Ihren Kolleginnen und Kollegen geforderte Änderung des Einkommensteuergesetzes hätte dazu geführt, dass Selbstständige in Zukunft die Kosten für Internatsaufenthalte und teure Privatschulen für Kinder bis zum 14. Lebensjahr in unbegrenzter Höhe steuerlich hätten absetzen können.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das ist Gerechtig- keit! Ja, ja!)

Herr Minister Laumann, ich glaube nicht, dass das Ihrem Denken und Handeln entspricht. Deshalb möchte ich dafür werben, dass Sie sich in der kommenden Sitzung des Bundesrates für eine Nachverhandlung einsetzen, Herr Minister.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich habe den Kollegen Tenhumberg so verstanden, als ob wir inhaltlich nicht auseinanderliegen. Deshalb wäre es im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien, dass wir in den nächsten Tagen – uns werden nur Tage bleiben, um dies noch zu verändern – das Schulbedarfspaket auf die Klassen jenseits der 10. Klasse ausweiten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Killewald. – Für die Fraktion der FDP spricht nun Frau Kollegin Pieper-von Heiden.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Beer, Sie haben Glück gehabt, dass Sie die Kurve gekriegt haben. Bis gestern Abend habe ich mich wirklich gefragt: Warum ziehen Sie diesen Antrag nicht zurück? Warum bekommen Sie nicht mehr mit, was in dieser Republik passiert?

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])