Sie versuchen auf allen Wegen, über Tarnorganisationen, Nachhilfeunterricht – wir kennen das alles – Menschen anzusprechen und sich Zugang zu verschaffen. Aber – das sage ich hier ganz klar für meine Fraktion – für das Erkennen der Strategien und dieser Ziele von Scientology und für das Wissen über ihre Strukturen, wie sie arbeiten, über ihre Aktivitäten und vor allen Dingen für eine gesellschaftliche Antwort auf diese beschriebenen Machenschaften brauchen wir aus meiner Sicht eben keinen Verfassungsschutz.
Hier liegt einer der Gründe für einen eigenen Entschließungsantrag meiner Fraktion. Denn leider ist der Tenor des ursprünglichen SPD-Antrages, Herr Kuschke, der sich sehr stark auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz fokussiert hat, nicht wesentlich verändert worden. Dann hätten wir, denke ich, auch zueinander gefunden.
Ich möchte in Erinnerung rufen: Grundsätzlich wehrt sich ein Rechtsstaat nach seinem Selbstverständnis gegen Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische rechtsstaatliche Verfassung mit einem öffentlichen staatlichen Handeln. Das ist die Stärke eines Rechtsstaats. Das zeichnet ihn aus.
Deswegen ist er nicht machtlos. Die Strafverfolgungsbehörden unterliegen dabei dem Legalitätsprinzip und umfassender Kontrolle. Der Verfassungsschutz soll in einem kleinen, engen Rahmen, wenn wirklich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht ist, mit dem Opportunitätsprinzip – das ist kein Rechtsstaatsprinzip – im Geheimen arbeiten. Es sind geheimdienstliche Instrumente. Bei Nachrichtendiensten ist naturgemäß eine rechtsstaatliche Kontrolle nur sehr eingeschränkt möglich.
Ich frage mich – das ist das Konstrukt unseres Rechtsstaats; das sollte man sich bei dem schnellen Ruf nach dem Verfassungsschutz ruhig noch einmal in Erinnerung rufen –, mit welchen Instrumenten wir welche Gefahren in unserer Gesellschaft bekämpfen. Da frage ich mich, ob der Ruf nach dem Verfassungsschutz bei einer Sektenfrage wirklich zielführend ist. Wir meinen nicht. Wir brauchen ihn erstens nicht, um herauszubekommen, mit welchen miesen und menschenverachtenden Machenschaften Scientology ihr Unwesen treibt, und wir brauchen ihn vor allen Dingen nicht, um wirksame Gegenstrategien zu entwickeln.
Herr Kruse, im Innenausschuss haben Sie bei der Beratung des SPD-Antrages ausdrücklich meine Auffassung geteilt, dass wir diesen Antrag nicht brauchen.
Hier liegt der zweite Grund für einen eigenen Entschließungsantrag. Der Antrag von CDU, SPD und FDP ist bei den Forderungen in Bezug auf Aufklärung und Prävention aus meiner Sicht mehr als dürftig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was steht denn in den Forderungen? Es soll eine Informationsbroschüre für Betriebe und Schulen erstellt werden; ansonsten soll der Verfassungsschutz es richten. Das kann es aus meiner Sicht nicht sein. Wir müssen weit umfangreichere Maßnahmen beschließen, wenn wir wirklich wirksam handeln wollen.
Ich zähle auf, was dazugehört. Neben Information und Aufklärung – über deren Notwendigkeit wir uns doch alle einig sind – brauchen wir für die Betroffenen wirklich bedarfsgerechte Hilfe. Ein Ausstieg aus den Fängen von Scientologen – sprechen Sie mit Betroffenen; wir haben das getan – ist sehr schwer. Ohne Hilfe ist das kaum zu bewerkstelligen. Die Menschen sind hoch verschuldet, stehen in Abhängigkeiten psychischer sowie wirtschaftlicher Art und werden bedroht. Ihnen muss geholfen werden.
Hier kann beispielsweise eine niedrigschwellige Hotline eine erste Anlaufstelle sein. Anschließend brauchen die Betroffenen weitere konkrete Hilfen. Sie müssen weitervermittelt werden.
Außerdem sind unsere Organe der Rechtspflege zu sensibilisieren. Bevor wir nach Verfassungsschutz, Geheimdienst, V-Leuten und weiteren Instrumenten rufen, sollten wir uns zunächst einmal die Frage stellen, ob auch alle rechtlichen Möglichkeiten der Strafverfolgung zum Schutz der Menschen genutzt werden, und zwar sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Vielen Dank. – Frau Kollegin Düker, Sie haben gesagt, unser Antrag enthalte relativ wenige Ideen. In Ihrem Antrag steht allerdings nur, dass die Landesregierung ein Konzept entwickeln möge. Damit bieten Sie uns als Alternative deutlich weniger Ideen an, als wir sie hier präsentiert haben. – Das ist Frage eins.
Frage zwei: Sie haben selber von einem Psychokonzern gesprochen und festgestellt – da gebe ich Ihnen in Teilen auch recht –, dass wir Scientology und seine Machenschaften kennen und daher den Verfassungsschutz nicht bräuchten. Es geht aber darum, dass Scientology sich auch immer wieder neue Dinge einfallen lässt. Der Verfassungsschutz wird uns sicherlich sehr bei der Entwicklung entsprechender Maßnahmen helfen. Unsere Aufgabe
wird es sein, die Ergebnisse aus den Verfassungsschutzberichten dann politisch umzusetzen. – Würden Sie mir da recht geben?
In Punkt 1 würde ich Ihnen deswegen nicht recht geben, weil wir ausführlich beschrieben haben – ich zähle es ja gerade auf –, was aus unserer Sicht in ein Konzept gehört. Das ist beispielsweise eine bedarfsgerechte Hilfe für den Ausstieg, die in Ihrem Antrag völlig fehlt.
Es ist die Sensibilisierung unserer Rechtspflege, die für die Strafverfolgung zuständig ist. Das fehlt in Ihrem Antrag ebenfalls.
Außerdem fehlen in Ihrem Antrag Aussagen zur Finanzierung. Wir haben in unserem Antrag auch die Frage – Sie haben es ja angesprochen – der bisherigen Finanzierung der Sektenberatungsstelle Sekten-Info NRW in Höhe von 158.000 € problematisiert. Das ist die gesamte Beratung, die in unserem Land mit 18 Millionen Einwohnern angeboten wird. Wenn wir ein solches Konzept haben wollen, müssen auch Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um den Menschen zu helfen, sie zu beraten und ihnen herauszuhelfen.
Das sind die von uns genau beschriebenen Bestandteile des Konzeptes, die in Ihrem Antrag fehlen. Dort bleibt es unklar und unkonkret.
Damit komme ich zu Punkt zwei Ihrer Frage. Wir haben – auch das haben Sie in Ihrem Beitrag angesprochen – das Informations- und Dokumentationszentrum für Sekten/Psychokulte. Wenn man die Veröffentlichungen auf der Internetseite dieses Zentrums liest, sieht man, dass es nicht den Verfassungsschutz braucht, um die Strategien offenzulegen, die Scientology anwendet. Wir wissen, dass sie erst versucht haben, in den Betrieben Fuß zu fassen. Diese Strategie hat nicht gegriffen. Daraufhin haben sie sich mehr auf die Schulen oder sogar auf die Kindergärten konzentriert. All dies ist im Verlauf der Jahre dokumentiert worden – allein durch öffentlich zugängliche Quellen und durch die von Ihnen auch genannten Strukturen.
Daher brauchen wir in einer offenen Gesellschaft den Geheimdienst nicht, um solcher Bedrohungssituationen wie durch eine Sekte Herr zu werden. Dafür haben wir im Bereich der Rechtspflege und auch im Bereich der Prävention ausreichend Strukturen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, dann muss man in einem solchen Antrag aber auch Farbe bekennen und erklären, dass man das Geld zum Ausbau dieser Strukturen in die Hand nimmt. Das fehlt bei Ihnen.
Auch wenn meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich noch eine letzte Anmerkung machen, Frau Präsidentin. In diesem Parlament sollte auch einmal deutlich hinterfragt werden, wie glaubwürdig unsere Appelle und Warnungen sind, wenn gleichzeitig der bekennende Scientologe Tom Cruise, mit Lobeshymnen von Frank Schirrmacher von der „FAZ“ bedacht, in Düsseldorf vor einem Millionenpublikum den Bambi entgegennimmt oder, wie erst kürzlich auf den bunten Seiten zu lesen war, in Köln die amerikanische Schauspielerin und Scientologin Goldie Hawn von Ute Ohoven bei der UNESCOBenefizgala empfangen wird. Wir sollten einmal hinterfragen, ob diese Maßnahmen nicht falsche Botschaften in die Gesellschaft tragen.
Auch das gehört zur Ehrlichkeit dieser Debatte. Man kann nicht auf der einen Seite nach dem Verfassungsschutz rufen und auf der anderen Seite Charity-Galas mit Scientologen geben. Das passt nicht zusammen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDPLandtagsfraktion hat sich schon vor längerer Zeit ausführlich mit dem Phänomen Scientology befasst. Auch haben wir in der ersten Jahreshälfte 2008 unter Leitung unseres Fraktionsvorsitzenden Gerhard Papke ein sehr umfangreiches Gespräch geführt.
Dabei wurde noch einmal deutlich, dass es wirklich Anhaltspunkte dafür gibt, dass die ScientologyOrganisation auch in Nordrhein-Westfalen verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Dies ergibt sich aus einer Vielzahl von Quellen.
Wesentliche Grund- und Menschenrechte wie zum Beispiel die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung sollen außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. Ferner soll eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen entstehen. Das ist verfassungsfeindlich und rechtfertigt die – höchstrichterlich bestätigte – Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Scientology versucht, Macht über die Menschen zu gewinnen und seine Anhänger psychisch und finanziell abhängig zu machen. Das macht sie so gefährlich.
Scientology hat in Berlin eine neue Zentrale errichtet und operiert mittlerweile verstärkt aus dem Verborgenen, um Aktivitäten und wahre Absichten zu verschleiern. Dies erfordert eine erhöhte Wachsamkeit sowie ein Entgegenwirken aller demokratischen
Parteien. Die FDP begrüßt deshalb die Urteile und die weitere Beobachtung der ScientologyOrganisation in Nordrhein-Westfalen als richtig und wichtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Scientology Deutschland, die im Vorfeld der heutigen Beratung an die Büros der Fraktionsvorsitzenden hier im Landtag mit der Behauptung herangetreten ist, in dem Antrag würden unrichtige Vorwürfe erhoben, sage ich: Die Vorwürfe von kompetenten Sektenexperten werden nach Auffassung der FDP durch zahlreiche Belege untermauert. Ich konzentriere mich auf drei Punkte.
Erstens: Scientology versucht in NordrheinWestfalen, über Nachhilfeinstitute Zugang zu Kindern und Jugendlichen zu erlangen. Das haben wir schon gehört. Nach Aussagen von Sektenexperten gibt es neben zwei offiziellen Niederlassungen der Scientology Church und des Celebrity Center in Düsseldorf Nachhilfeschulen in Oelde, Lichtenau, Essen, Münster und Overath sowie Tarnorganisationen wie die „Jugend für Menschenrechte“.
„Lernen mit Spaß“ und „Einzelunterricht“ – so wird im Ruhrgebiet auf harmlosen Flyern für Schülernachhilfe geworben. Nichts deutet darauf hin, dass sich hinter diesem Angebot die Scientology-Sekte verbirgt.
Einem Reporter eines großen Kölner Fernsehsenders ist es gelungen, sich unerkannt in eine dieser Nachhilfeschulen einzuschleusen. Dabei deckte er auf, dass die Sekte nicht davor zurückschreckt, Schülern bereits nach kürzester Zeit ein Auditing anzubieten. So wurde dem als Gymnasiast getarnten Reporter bereits nach drei Nachhilfestunden das Auditing, eine Art Psychotherapie der Scientologen, angeboten. Auch Bücher von Scientology-Gründer Ron Hubbard wurden dem vermeintlichen Schüler verkauft.
Zweitens: Auch für den Vorwurf, dass es in NRW Unternehmen geben soll, die von Scientologen geführt werden und Mitarbeiter und Auszubildende gezielt mit Anwerbeversuchen am Arbeitsplatz ansprechen, gibt es Belege. So habe ich jüngst von zwei Mädchen erfahren, die in einem Betrieb in NRW eine Ausbildung machen und sich massiven Anwerbeversuchen für Scientology durch ihren Chef ausgesetzt sahen. Auch hier wurde die Lektüre von Ron-Hobbard-Büchern erwartet. Ein Mädchen brach nach einem Jahr die Ausbildung ab, was sich nun negativ in ihrem Lebenslauf auswirkt.
In anderen Unternehmen sollen Gehaltserhöhungen und Beförderungen von Scientology-Zuspruch abhängig gemacht und Verweigerer massiv gemobbt werden. Die IHK muss Hinweisen auf Unterwanderung und Beeinflussung von Wirtschaftsunternehmen durch die Scientology-Organisation mit allem Nachdruck nachgehen. Wenn Mitarbeiter oder Auszubildende unzulässig bedrängt werden, so muss
Drittens: die Überwachung von Mitgliedern durch einen eigenen Geheimdienst sowie die Einstufung und Behandlung von Kritikern und Gegnern der Scientology als „unterdrückerische Personen“. Da bekommt unser Landtagskollege Dr. Stefan Romberg Material von Scientology-Unterorganisationen, in dem der Berufsstand der Psychiater auf ungeheuerliche Weise verunglimpft wird.
Mir reichen bereits diese ausgewählten Beispiele. Wer verschleiert über Schülernachhilfe und andere Angebote versucht, besonders Kinder und deren Eltern zu beeinflussen, gehört durch die zuständigen Stellen beobachtet. Eine moderne Gesellschaft darf verfassungsfeindliche Bestrebungen und Verstöße gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht tolerieren.