Protocol of the Session on October 24, 2008

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Luckey. – Als nächster Redner spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Jäger. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stellt die rechtliche und politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland dar. Es ist die Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Freiheit, Sicherheit, Rechtstaatlichkeit sind die Grundpfeiler der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb sind Änderungen des Grundgesetzes sorgfältig zu prüfen und mit der erforderlichen Ruhe durchzuführen.

Die katastrophalen Erfahrungen mit Kompetenzüberschreitungen offizieller, aber auch paramilitärischer Einheiten von Reichswehr, Freikorps und Parteimilizen in der Weimarer Republik haben zum Ende mit dazu beigetragen, dass die erste Demokratie auf deutschem Boden beendet wurde. Herr Luckey, diesen Grundgedanken aufrechtzuerhalten, ist nicht kleinkariert.

(Beifall von der SPD)

Im Gegenteil: Auch in der NS-Diktatur haben Wehrmacht, SA und SS, Gestapo und Polizei dazu beigetragen, dass sich rechtstaatliche Ordnung miteinander vermischt hat. Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes hatten deshalb genug Anlass, Herr Luckey, alle Exekutivorgane strikt voneinander zu trennen.

Mehr noch: Nach 60 Jahren kann man sagen: Deutschland besitzt eine wehrhafte Demokratie. Der

Beschluss eines militärischen Einsatzes der Bundeswehr im Inneren wäre nie notwendig gewesen und soll auch zukünftig nie notwendig sein.

(Beifall von der SPD)

Aber das Thema „Bundeswehr im Inneren“ taucht ja bei der Union als permanentes Déjà-vu oder wie Nessie immer wieder auf, wird in die politische Debatte gezerrt, ohne dabei wirklich die sicherheitspolitische Lage in Deutschland zugrunde zu legen.

Ich darf daran erinnern, dass schon zu Zeiten von Kanzler Kiesinger die CDU gefordert hat, dass die Bundeswehr bewaffnet gegen Demonstranten und Streikende vorgehen solle. 1993 forderte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble die Bundeswehr nach Belieben für das gesamte Spektrum traditioneller Polizei- und Bundesgrenzschutzarbeit einzusetzen. Übrigens hat Herr Schäuble das 1993 in trauter Eintracht mit Jürgen Rüttgers getan, der seinerzeit als Fraktionsgeschäftsführer forderte, dass die Bundeswehr im Inneren als eine Art Sicherheitsreserve zu verstehen sei, auf die zurückgegriffen werden könne.

Anscheinend ist der Saulus Rüttgers zum Paulus geworden; das ist auch gut so in dieser Frage. Es lässt sich auch deshalb nicht anders erklären, dass er in dieser Debatte ziemlich abgetaucht ist und endlich seinem Sportminister Wolf zu einem erfolgreichen Auftritt verhilft.

(Beifall von Sören Link [SPD])

Meine Damen und Herren, die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland hat sich auch angesichts der aktuellen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus bewährt. Aber trotz aller unterschiedlicher Weltlagen sind die Argumente von CDU und CSU seit über 40 Jahren dieselben. Dabei spielt die reale Bedrohungslage oder die tatsächlichen Fähigkeiten der Bundeswehr in der Regel keine Rolle. Ich nenne das Beispiel Objektschutz: Während zunehmend Bundeswehrkasernen und militärische Liegenschaften von privaten Wachdiensten bewacht werden, fordert die Union die Bewachung von Bahnhöfen, Atomanlagen und anderem durch die Bundeswehr ein.

Ein anderes Beispiel: Während in Deutschland 2006 ein rauschendes Fußballfest und Deutschland der Welt sein begeisterungsfähiges und friedliches Gesicht gezeigt hat, grummelte der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, dass eigentlich die Bundeswehr vor den Stadien Spalier stehen sollte.

Meine Damen und Herren, das offenbart eines: Ihnen in der Union geht es letztendlich nicht um eine tatsächliche Gefährdung. Sie haben ein anderes Staatsverständnis zur Trennung der Exekutiven in Deutschland, ein Verständnis, das weder die Verfasser des Grundgesetzes noch wir teilen.

(Beifall von Svenja Schulze [SPD])

Die unterschiedlichen Aufgaben von Bundeswehr und Polizei in Deutschland müssen auch in Zukunft bestehen bleiben. Die Bundeswehr hat im Rahmen der Amtshilfe schon in der Vergangenheit der Polizei und dem Katastrophenschutz immer dann ohne militärische Mittel zur Verfügung gestanden, wenn es darum ging, Hab, Gut und Menschenleben zu retten. Eine solche Unterstützung lässt das Grundgesetz schon heute zu.

Allerdings in Zeiten eines global planenden und agierenden Terrorismus sind Szenarien denkbar, in denen die Polizei mit logistischen und technischen Mitteln an ihre Grenzen stößt. In seltenen Ausnahmefällen – das ist unsere Auffassung –, in Ausnahmefällen, in denen die Polizei mit ihren Mitteln allein die drohende Gefahr nicht abwehren kann, wäre es denkbar, die Amtshilfe der Bundeswehr auch mit militärischen Mitteln zu erlauben.

Ich nenne ein Beispiel für eine solche notwendige und denkbare Gefahrenabwehr, das auch in den Medien diskutiert worden ist: Terroristen bringen in der Deutschen Bucht einen Öltanker in ihre Gewalt und öffnen die Abflussventile. Das ist ein Szenario, in dem die Polizei alleine nicht über die technischen Möglichkeiten verfügt, um einer solchen Gefahr umfassend begegnen zu können. Bisher ist in solchen Fällen eine Amtshilfe der Bundeswehr mit militärischen Mitteln, etwa durch die Marine, nicht erlaubt. Es macht aber keinen Sinn, alle Polizeien in der Bundesrepublik Deutschland für diese seltenen Ausnahmefälle technisch aufzurüsten. Deshalb ist aus unserer Sicht eine Amtshilfe der Bundeswehr dann vorstellbar, wenn allein der Bundeswehr die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, um eine solche Gefahr abzuwehren.

Das gerade zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2006 besagt ja eindeutig, dass für eine solche Inanspruchnahme eine Amtshilfe verfassungsrechtliche Regelungen zu beschließen sind. Aber die aktuellen Überlegungen auf Bundesebene zur Änderung des Art. 35 des Grundgesetzes sehen über diese seltenen Ausnahmefälle, die durchaus diskussionswürdig sind, weitere Möglichkeiten zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren vor. Das lehnt die SPD-NRW-Fraktion eindeutig ab.

Zum Schluss möchte ich auf den Titel des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen eingehen, der lautet: „Die Bundeswehr soll draußen bleiben!“ Ich finde diesen Titel, um es vorsichtig zu formulieren, unglücklich formuliert.

(Beifall von SPD und Peter Brakelmann [CDU])

Ich möchte für die SPD-Fraktion feststellen: Die Bundeswehr in Deutschland steht mitten in der Gesellschaft. Sie ist eine Armee, die weltweit ihren Einsatz für Frieden, Freiheit und Demokratie leistet, Frau Düker, in der Wehrpflichtige, Zeitsoldaten und

Berufssoldaten dienen und in der Töchter und Söhne von uns aus allen gesellschaftlichen Kreisen arbeiten.

Um es deutlich zu sagen, Frau Düker: An einem Tag, wo in Zweibrücken eine Beisetzung von zwei Soldaten stattfindet, die in Afghanistan ums Leben gekommen sind, sollten wir feststellen, und zwar gemeinsam – davon bin ich überzeugt –, dass die Bundeswehr in Deutschland Bestandteil einer wehrhaften Demokratie und Bestandteil dieser Gesellschaft ist, und zwar mittendrin und nicht außen vor.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Jäger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Düker?

Bitte schön, Frau Kollegin Düker.

Herr Kollege Jäger, danke für die Rückfragemöglichkeit. Auf Ihre letzte Bemerkung gehe ich nicht ein. Wir kennen Sie als jemanden, der rhetorisch in seinen Überschriften und Wortbeiträgen überaus politisch korrekt daherkommt. Von daher kommt diese Kritik gerade von Ihnen sehr gut. Aber das nur als Nebenbemerkung.

Sie haben gerade von den Beispielen gesprochen, die die SPD eigentlich im Blick hatte, als sich der Koalitionsausschuss auf diese Formulierung verständigt hat, und Sie haben die Marine genannt. In der Pressekonferenz der Bundesregierung am 6. Oktober bestätigte aber ein Sprecher der Bundesregierung etwas, wozu ich Sie fragen möchte, ob Sie persönlich das auch so sehen. Frage eines Journalisten: „Kann die Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls im Zweifel als Abwehr eines mutmaßlichen Terrorangriffs aus der Luft ausgelegt werden?“ Dazu sagte die Regierung: „Darum geht es.“ Der Journalist dazu: „Bisher hörten wir immer, es ginge vor allem um die Marine.“ Daraufhin sagte die Regierung wieder, dass es sich um einen Luftangriff handele.

Frau Kollegin Düker, ich darf Sie darauf hinweisen, …

Sehen Sie dies als Beispiel dafür an, dass es mit dieser Grundgesetzmöglichkeit im Falle eines Angriffes aus der Luft infrage kommt, dann ein Flugzeug abzuschießen? Ist das auch für Sie ein Beispiel?

Frau Düker, als Erstes vielen Dank für Ihr Lob, was meine politische Correctness angeht. Aus Ihrem Mund ist das fast schon ein Ritterschlag.

Es ist nicht an mir, irgendwelche Journalistenfragen zu bewerten, sondern es geht darum, dass die NRW-Landtagsfraktion sehr dankbar dafür ist, dass die Bundestagsfraktion das Vorhaben, das im Koalitionsausschuss so beschlossen wurde, nicht umsetzt. Ich habe skizziert, wo wir gemeinsam der Auffassung sind, dass es eine Erweiterung der Amtshilfe für die Bundeswehr in ganz besonderen Ausnahmefällen geben muss. Ob dies im Rahmen der jetzigen Regelung des Artikel 35 möglich ist oder nicht und ob dazu eine Grundgesetzänderung erforderlich ist oder nicht, müssen wir in Ruhe und in dem notwendigen Umfang beraten. Wenn eine solche Grundgesetzänderung notwendig sein sollte, dann stehen wir dafür auch zur Verfügung.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Jäger. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Engel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition in Berlin hat sich am 5. Oktober im Koalitionsausschuss auf einen Einsatz der Bundeswehr im Innern geeinigt. Die SPD geht inzwischen auf Distanz; das haben wir hier gehört. Es soll Artikel 35 Grundgesetz geändert werden. Und es soll die Amtshilfe der Bundeswehr „zur Abwendung außergewöhnlicher Notfälle auch“ – das ist das Entscheidende und zugleich Unglaubliche – „mit militärischen Mitteln“ ermöglicht werden.

Stellen Sie sich vor, mitten in Deutschland dichten Bundeswehrsoldaten mit Sandsäcken ein Leck in einem durch Hochwasser gefährdeten Deich ab. Sie unterstützen das Technische Hilfswerk und die Feuerwehr, bewaffnet mit Hacke und Spaten. Genau das kennen wir. Es geht um den Schutz der Bürger und um die Hilfe für die Bürger mit zivilen Mitteln vor einer besonderen Naturgefahr. Das ist natürlich zulässig nach Artikel 35 Grundgesetz – aber generell nur dann, wenn das betroffene Bundesland diese Hilfe ausdrücklich anfordert.

Stellen Sie sich vor, bewaffnete Soldaten rücken mit militärischen Geräten wie Kampfhubschraubern in eine Region mitten in Deutschland ein, stellen mobile Flugabwehrraketen auf und riegeln einzelne Gebäude oder Gebiete unter Androhung oder Einsatz von Waffengewalt ab, weil nach Ansicht des Bundesinnenministers eine Terrorgefahr droht, er die Mittel der Landespolizei nicht für ausreichend ansieht und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren deshalb im Eilfall für notwendig erachtet. Genau das

kennen wir nicht und das wollen wir auch nicht kennenlernen.

(Beifall von der FDP)

Es ist eben ein riesengroßer Unterschied, ob die Bundeswehr im Inneren mit Sandsäcken, Hacke und Spaten oder mit Gewehren und anderen militärischen Geräten bewaffnet zum Einsatz kommt. Sollen bald Soldaten nach Terroristen fahnden, also mit Polizeiaufgaben betraut werden? Soll bald nicht mehr das polizeiliche Sondereinsatzkommando SEK, sondern das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr KSK zentral aus Berlin zur Verhaftung mutmaßlicher Terroristen eingesetzt werden, die sonst zum Beispiel auch auf dem Balkan oder in Afghanistan in kriegsähnlichen Situationen der sogenannten asymmetrischen Bedrohung ihren gefährlichen Dienst für die Freiheit tun? Sollen wirklich Bundeswehrsoldaten auf deutschem Boden auch gegen deutsche Bürger mit Waffengewalt vorgehen dürfen? – Nein, das verbietet sich von selbst.

Ich kann nur staunen, wie in Berlin aus unserer Geschichte gewachsene essenzielle Verfassungsgrundsätze achtlos über Bord geworfen werden sollen. Die deutsche Geschichte hat eindringlich gezeigt, wie gefährlich eine Vermischung von polizeilichen und militärischen Aufgaben ist. Was meinen Sie, was ein solches Bild in Menschen erzeugt, die zum Beispiel noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben?

Zitat: „Das Grundgesetz indes entstand nicht aus abstrakten Prinzipien, sondern aus einer tiefgreifenden historischen Erfahrung heraus“ – nämlich der fatalen Rolle, „die das preußisch-deutsche Militär hierzulande von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1945 gespielt hat.“ Eine Rolle, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass „eine klare Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben fehlte“ – wie der Historiker Wolfram Bette feststellt, nachzulesen in „Die Zeit“ vom 5. Juni 2003.

Ein weiteres Zitat: Die damals getroffene Entscheidung, dass die Bundeswehr ausschließlich der Verteidigung dienen sollte, ist eine der vier Grundentscheidungen, die bei der Planung und dem Aufbau der Bundeswehr getroffen sind. – So der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a. D. Ulrich de Maizière, der als einer der geistigen Väter des Leitbilds des Staatsbürgers in Uniform gilt, in einem Interview zum 50-jährigen Bestehen der Bundeswehr im Jahre 2005.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat eine klar und gut funktionierende föderale Sicherheitsarchitektur. Das BKAGesetz ist schon der erste Angriff auf diese Struktur. Darüber haben wir hier wiederholt beraten.

(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])

Die Kompetenz zur Gefahrenabwehr bei Terrorgefahr soll das Bundeskriminalamt erhalten und selbst entscheiden, wann es die Lage übernimmt.

Nun will Berlin auch noch die zentrale Macht, die Bundeswehr, im Inneren zur Terrorabwehr einsetzen können. Während Bundesinnenminister Schäuble sogar eine Neudefinition des „Kriegsfalls“ angestrebt hatte, um die Bundeswehr im Terrorfall grundsätzlich im Inneren einsetzen zu können, hat man sich nun aufgrund der massiven Proteste auf eine sogenannte Amtshilfelösung geeinigt. Das ist immer noch schlecht.