Erstens. Anders als Sie stellen wir das Schulsystem mit seinen Schulformen nicht in Frage, sondern wir bekennen uns dazu. Ihr Krieg um Schulformen ist nicht der unsere. Uns geht es um Kinder und nicht um Strukturen.
Zweitens. Natürlich stehen wir zum Schulgesetz und damit auch zur Gesamtschule und ihrer Oberstufe. Für diese gelten im Übrigen natürlich die gleichen Rahmenbedingungen des Schulgesetzes wie für Gymnasien.
Drittens. Da es keine Diffamierungskampagne gegeben hat, können wir nicht, wie von Ihnen gewünscht, darauf verzichten – so, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern.
Mit dem letzten Hinweis möchte ich Sie an die Einschätzung von Gabriele Behler erinnern, die 2005 den Schwenk der Grünen zur konsequenten Reideologisierung
und die Tatsache beklagte, dass Sie die Schulstrukturfrage zum Dreh- und Angelpunkt aller künftigen Bildungsreformen machen.
An die SPD gerichtet sagte sie im Übrigen, dass die offensichtlichen Probleme der Gesamtschulen, die trotz guter Bedingungen unbefriedigende Ergebnisse sowohl bei der Leistungshöhe als auch bei der
Chancengerechtigkeit haben, von ihr, also der SPD, immer wieder geleugnet werden. Das ist offensichtlich auch heute noch der Fall. – Ich danke Ihnen für das Zuhören.
Vielen Dank, Herr Kollege Hachen. – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Frau Kollegin Schäfer das Wort. Bitte schön, Frau Schäfer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte gern erst einmal den Gästen im Plenarsaal erklären, was das eigentliche Thema der Debatte ist. Ich glaube, das ist durch den Redebeitrag von Herrn Hachen ein bisschen verwischt worden.
Es geht um Folgendes: Es geht um die Auswertung des Zentralabiturs und darum, dass in diesem Jahr die Durchschnittsnoten beim Zentralabitur bei den Gymnasiasten bei 2,59 lagen und bei den Gesamtschülern bei 2,87. Im Ergebnis ist das also eine Differenz von 0,28 Punkten. Das ist das, worüber wir hier heute reden.
Deswegen ist es umso verwerflicher, dass die Schulministerin dieses Landes vor 30 Tagen eine Schulform in Nordrhein-Westfalen in unglaublicher Weise diffamiert hat.
Ich zitiere aus dem Sprechzettel der verspäteten Schuljahrespressekonferenz vom 19. August dieses Jahres. Darin stehen folgende Sätze:
Die Fakten belegen jetzt: Anstatt den Schülerinnen und Schülern neue Chancen zu eröffnen, schaffen es die Gesamtschulen bislang nicht, ihre Schülerinnen und Schüler auf ein vergleichbares Leistungsniveau zu bringen wie die Gymnasien.
Ich erinnere noch einmal an die Differenz von 0,28 Punkten. Aber der Satz, der dann kommt, schlägt dem Fass den Boden aus. „Ich“, sagt die Schulministerin dieses Landes, „kann das häufig vorgebrachte Argument einer schwierigeren Sozialstruktur der Schüler an den Gesamtschulen nicht mehr hören.“ Gleichzeitig erfand sie auch noch das „Abitur light“ an unseren Gesamtschulen.
Alle, die in diesem Raum sitzen und die Debatte verfolgt haben, erinnern sich, dass das nichts anderes als ein schäbiges Ablenkungsmanöver von den eigenen Schwächen war.
Herr Hachen, pikanterweise hat Herr Witzel auch noch darauf hingewiesen, dass die CDU in den Petersberger Beschlüssen aus dem Jahr 2001 – andere hat die Partei noch nicht gefasst – diese Forderung ebenfalls erhoben hat. Nur hat sie sie bisher noch nicht öffentlich wiederholt.
Frau Ministerin, ich sage Ihnen an dieser Stelle: Sie haben in mehrfacher Hinsicht verantwortungslos gehandelt.
Sie haben die Durchführung des Zentralabiturs persönlich zu verantworten. Aber Sie diskreditieren gleichzeitig die vorliegenden Ergebnisse.
Mit Ihrem Ausdruck „Abitur light“ verantworten Sie persönlich die Schädigung des Rufs all derer, die sich in den Gesamtschulen für das Abitur angestrengt haben und sich jetzt um Studien- und Ausbildungsplätze bemühen.
Am schwersten wiegen für mich aber der Leichtsinn und die Unkenntnis, mit der Sie eine solche Aussage in Ihrem Sprechzettel belassen. Ich vermute, man hat Ihnen auch irgendeinmal die Veröffentlichung zu den zentralen Lernstandserhebungen vorgelegt, die in Ihrem Bildungsportal steht.
Für unsere Gäste: Zentrale Lernstandserhebungen sind Vergleichsarbeiten, die man in Klasse 3 und in den Klassen 8 oder 9 an allen Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen schreibt, die man auswertet und deren Ergebnisse man dann vergleicht, ähnlich wie bei den zentralen Prüfungen.
Den Schulen ermöglichen die Lernstandserhebungen darüber hinaus eine Standortbestimmung. Es werden landesweite Vergleichswerte ermittelt. Damit können die Schulen sich mit den Ergebnissen vergleichen, die in NRW insgesamt oder in Schulen mit ähnlichen Standortvoraussetzungen erreicht werden. Eine solche schulübergreifende Einordnung der Ergebnisse hilft den Schulen, den Erfolg ihrer pädagogischen Arbeit besser einzuschätzen.
die Merkmale, die von den unterrichtenden Lehrkräften nicht beeinflusst und verändert werden können, wie beispielsweise der Sprachhintergrund der Kinder, das Bildungsniveau der Eltern oder die sozialen Verhältnisse der Familien.
Das ist Ihre eigene Aussage zu Vergleichswerten bei zentralen Lernstandserhebungen in NordrheinWestfalen. So haben Sie es auch 2008 formuliert. Frau Ministerin Sommer, wie passt dann Ihr Satz „Ich kann das häufig vorgebrachte Argument einer schwierigeren Sozialstruktur an den Gesamtschulen nicht mehr hören“ dazu?
In beiden Fällen, bei den Lernstandserhebungen und beim Zentralabitur, handelt es sich um die gleiche Schülerklientel. Einmal ist der Sozialraum von Bedeutung, ein paar Monate später ist alles nur Gerede. „Gerede“ – Ihr eigenes Wort.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU, der letztes Mal offensichtlich in eine der Ministerin entgleitende Debatte eingreifen musste, hat uns vorgeworfen, von „Sozialabschlägen“ zu sprechen. Das ist heute noch einmal gekommen. Frau Ministerin, können Sie uns bitte hier und heute erklären, wann der Sozialraum für eine Leistungsbewertung von Bedeutung ist und wann nicht? Könnten Sie das bitte auch Herrn Stahl erklären?
Fest steht eines: Sie haben mit Ihrer gezielten Diffamierungskampagne gegen die Gesamtschulen eine Welle der Empörung im Land NordrheinWestfalen ausgelöst.
Ihre persönlichen Aktivitäten und das, was Sie sagen, entfalten nach und nach einen bildungspolitischen Tsunami in NRW. Fassungslosigkeit, Erschütterung und Chaos bleiben zurück.
Ich habe Sie am 28. August von dieser Stelle aus aufgefordert, eine eindeutige Aussage zur Zukunft der Oberstufen an den Gesamtschulen zu machen. Bis zum heutigen Tag haben Sie nichts dazu gesagt. Ich erwarte nicht, dass die Koalitionsfraktionen dem Antrag der Grünen zustimmen werden, ich erwarte allerdings von der Ministerin eine eindeutige Aussage zum Sozialraum, zu den Sozialabschlägen – ja oder nein – und auch zur Zukunft der Oberstufe.
Am Ende meiner Rede im ersten Block kann ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen: Herr Witzel, Sie zitieren ja gerne Frau Behler.