Protocol of the Session on September 14, 2020

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das stimmt!)

Wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest: Wir haben heute auch in der Erwiderung der Opposition wenig Neues gehört. Vieles von dem, was Sie, Herr Birkner, heute gesagt haben

(Helge Limburg [GRÜNE]: Es ist aber auch nicht alles erledigt, Herr Kollege Toepffer!)

- Kollege Limburg, das kann ich Ihnen zeigen -, ist bereits in den letzten Debatten gesagt worden.

So muss man sich in der Tat eine Frage stellen; Herr Birkner, da gebe ich Ihnen recht.

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

- Herr Limburg, ich war ganz versöhnlich.

Ich gebe Ihnen ja recht, wir müssen weiter über Corona sprechen. Da sind ganz viele Fragen offen. Und wir müssen auch einen Weg finden, wie wir das hier ständig thematisieren. Die Frage ist nur, ob Regierungserklärungen in ständiger Folge hierfür das Richtige ist. Meines Erachtens ist das nicht der Fall.

(Christian Grascha [FDP]: Sie müss- ten nur unserem Gesetzentwurf zu- stimmen!)

Corona bleibt! Ich glaube, das ist die in der Tat die neue Erkenntnis nach der fünften Regierungserklärung. Corona bleibt, und das wahrscheinlich noch

ein ganzes Weilchen, über Weihnachten hinweg bis ins neue Jahr. Corona wird zum Normalfall werden. Wir müssen vielleicht ein wenig aus dem Krisenmodus raus. Aber ganz so schlimm, wie Sie, Herr Birkner, es für Niedersachsen hier dargestellt haben, ist es nicht. Ich habe heute gehört, was in Israel im Rahmen des zweiten Lockdowns beschlossen worden ist: Dort darf man sich nicht weiter als 500 m von seinem Haus entfernen. Das ist wirklich Krise. Das ist eine Situation, die wir in Niedersachsen Gott sei Dank nicht haben. Daran trägt auch diese Regierung ihren Anteil.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Lieber Kollege Birkner, ich will mich zuerst dem Schluss Ihrer Rede zuwenden. Ich finde es gut und richtig, dass die FDP hier immer wieder die Einhaltung von parlamentarischen Entscheidungsprozessen anmahnt und dass Sie hier immer wieder die Grundrechtsproblematik einfließen lassen. Aber Sie sollten es damit nicht übertreiben. Als Jurist bin ich bei Ihnen. Ich finde das sehr wichtig und interessant. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass vieles von dem, was Sie sagen, an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht.

(Vizepräsident Bernd Busemann über- nimmt den Vorsitz)

Zunächst einmal: So vieles ist in Niedersachsen nicht mehr verboten. Ich habe Ihre letzten Reden nachgelesen, in denen Sie über die Grundrechtssituation in diesem Lande gesprochen haben. Dabei dachte ich immer: Um Gottes willen, wo leben wir denn? - Ich stelle fest: Grundrechte wie der Schutz der Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, alle diese Rechte sind in Niedersachsen gewahrt. Hier kann man sogar gegen Corona demonstrieren. Während die USA - ich dachte, es wäre die größte und bestorganisierte Demokratie der Welt - in solchen Zeiten nicht einmal mehr einen Präsidentschaftswahlkampf organisieren können, kann man in Deutschland sogar noch eine ordentliche Kommunalwahl - mit einem übrigens für die CDU vernünftigen Ergebnis - organisieren. Auch das funktioniert in Deutschland noch.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Christian Meyer [GRÜNE]: Historisch schlechtestes Ergebnis seit 1946!)

- Herr Meyer, wir beide kommen bei einem anderen Tagesordnungspunkt noch zueinander; da bin ich ganz sicher.

Ich stelle fest: Die Einschränkungen, die uns hier in Niedersachsen derzeit begegnen, sind im weltweiten Vergleich minimal. Wenn wir ehrlich sind: Die meisten von uns betrifft die Maske nur noch beim Einkaufen, und wer Kinder im schulpflichtigen Alter hat oder in einer Kindertagesstätte betreuen lässt, der ist natürlich auch betroffen. Aber in weiten Teilen diskutieren wir in der Tat Luxusprobleme.

Wenn ich die Hannoversche Allgemeine Zeitung von heute nehme, dann sehe ich auf Seite 1 eine Corona-Demonstrantin vom vergangenen Samstag, die ein Schild hochhält, auf dem „Meinungsfreiheit für alle“ steht. Wenn ich in derselben Zeitung zwei Seiten weiter blättere, sehe ich, was in Belarus, was in Minsk passiert. Das ist Einschränkung von Meinungsfreiheit! Das muss man den Menschen mal sagen. Viele in diesem Land haben mittlerweile ein Wahrnehmungsdefizit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Die Einschränkung von Freiheiten im Freizeitbereich ist ärgerlich. Das sehe ich ein. Mein Sohn würde gern mal wieder in die Disco gehen. Mir fehlt das nicht ganz so sehr. Andere würden gern zum Fußball gehen. Auch das ist klar. Dass sie das nicht können, ist ärgerlich.

(Christian Grascha [FDP]: Es geht um die Betreiber!)

- Auf die komme ich noch!

Ich rede erst einmal von denen, lieber Kollege Grascha, die gern zu solchen Veranstaltungen gehen würden. Dazu muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Einschränkungen, die wir zu Beginn der Pandemie hatten, haben mich weit mehr bewegt. Weit mehr bewegt haben mich die Berichte von Menschen, die in Pflegeheime gehen wollten, um sich von sterbenden Angehörigen zu verabschieden, aber nicht in die Pflegeheime gelassen wurden und deren Angehörige ganz allein waren. Wenn wir das einmal in Vergleich zu den jetzigen Einschränkungen setzen, muss ich sagen: Wir sind wirklich einen großen Schritt vorangekommen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD sowie Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Seien wir ehrlich: Die bestehenden Probleme sind nicht Teil einer Grundrechtsdebatte, so spannend diese auch ist. Das sind vielmehr Probleme, die Teil einer ökonomischen Debatte sind. Es ist richtig: Selbst wenn jetzt bereits fast alle Beschränkungen im Bereich der Corona-Verordnung aufge

hoben worden sind, fehlt uns für manche Probleme - Kollegin Modder hat es gesagt - die Lösung. Das ist ein schwieriger Punkt.

Aber ich bitte, eines zu beachten, lieber Kollege Limburg. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass die Kulturschaffenden riesengroße Probleme haben. Darum müssen wir uns kümmern. Ich weiß, dass unser Wissenschaftsminister da auf gutem Wege ist. Aber wenn Sie in diesem Zusammenhang das Wort vom Berufsverbot in den Mund nehmen, möchte ich Ihnen eines sagen: Wir haben auch andere Fälle gehabt, in denen es politische Entscheidungen gab, um politische Ideen durchzusetzen und bestimmte Wege zu gehen, woraus sich für andere Menschen ein Berufsverbot oder quasi ein Berufsverbot ergeben hat. Denken Sie nur an die 70 000 Menschen im Kohlebergbau, denen man im Prinzip den Arbeitsplatz genommen hat, indem man gesagt hat: Ihr dürft euren Job nicht mehr ausüben. - So etwas ist keine Seltenheit. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie damals die gleiche Solidarität an den Tag gelegt hätten.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Kollege Toepffer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Limburg zu?

Bitte, Herr Kollege Limburg!

Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich bin von Ihnen allerdings auch nichts anderes gewohnt.

Sie haben gerade einen Vergleich zwischen den Kulturschaffenden und den Kohlekumpeln gezogen. Darf ich das so verstehen, dass Sie sich dafür einsetzen werden, dass auch für die Kulturschaffenden ein ähnliches Milliarden-Investitionsprogramm aufgelegt wird, wie es die Kohlebergbauregionen bekommen haben?

(Beifall bei den GRÜNEN und Zustim- mung von Christian Grascha [FDP])

Herr Kollege Limburg, ich will Ihnen sagen, was die Kulturschaffenden von den Menschen im Kohle

bergbau unterscheidet. Die einen - da bin ich ganz sicher - werden demnächst wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Bis dahin werden wir für Überbrückung sorgen. Aber anderen Menschen konnten wir überhaupt keine Perspektiven aufzeigen. Für sie ist klar, dass sie nie wieder in ihrem Beruf arbeiten werden. Das ist der graduelle Unterschied.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zuruf von den GRÜNEN)

Kommen wir zu den Gruppen, die derzeit noch belastet sind, und zu der Frage, wie wir ihnen helfen müssen. Ich unterscheide zwischen drei Gruppen.

Einerseits gibt es diejenigen, bei denen wir zeitweise noch ein Problem haben. Das sind diejenigen - damit haben Sie recht, Herr Grascha -, die ihr Geld mit Veranstaltungen, im weitesten Sinne, verdienen. Das können Schausteller sein. Das können Messebauer sein. Das können große Messebetreiber sein. Das können Discjockeys sein und auch viele andere. Für sie gibt es aber zumindest die gute Nachricht, dass - da bin ich mir ganz sicher - das alles irgendwann wieder stattfinden wird. Unsere Aufgabe muss es sein, Lockerungen so weit wie möglich durchzuführen. Der Ministerpräsident hat das im Übrigen auch bereits angekündigt. Offensichtlich ist er von Herrn Birkner bewusst nicht verstanden worden. Wir müssen denen helfen, dass sie bis dahin lebensfähig bleiben. Das wird diese Landesregierung auch tun.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Ich habe zugehört! Das war sehr allgemein!)

Daneben gibt es andererseits eine zweite Gruppe. Das sind diejenigen, die möglicherweise ein dauerhaftes Problem haben. Diese Gruppe hat Frau Modder angesprochen. Ich nenne ein Unternehmen aus Hannover, bei dem wir aktuell wirklich große Sorgen haben: Das ist die Deutsche Messe AG. - Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht so genau, wie wir in absehbarer Zeit wieder große Messeveranstaltungen in Hannover mit internationalem Besuch organisieren wollen. Wir müssen überlegen, ob die Geschäftsmodelle angepasst werden müssen, und wir müssen dann bei der Umstellung helfen.

Außerdem gibt es solche, die international abhängig sind. Da - das müssen wir ehrlicherweise sagen - können wir wahrscheinlich gar nichts machen. Wenn es um den Flugverkehr geht, weiß ich nicht, wie wir aus Niedersachsen dafür sorgen sollen, dass wieder mehr Flüge stattfinden. Das ist

die dritte Gruppe, die Gruppe, um die ich mir am meisten Sorgen mache.

Was wir in Niedersachsen ändern können, wird immer weniger. Was jetzt folgt, wird immer mehr Detailarbeit. Da müssen wir, Herr Birkner, in der Tat überlegen, wie wir das organisieren. Ich finde es gut, dass wir in diesen Plenartagen über die Einsetzung eines „Corona-Ausschusses“ reden. Wir müssen noch gucken, wie er arbeiten soll, was er tatsächlich machen soll und wie die Arbeit funktionieren wird.

Letztlich sage ich Ihnen eines - darin sind wir beide unterschiedlicher Meinung -: Nach meiner Lebenserfahrung ist es den Menschen da draußen herzlich egal - leider! -, ob der Niedersächsische Landtag, die Landesregierung, das Sozialministerium, der „Corona-Ausschuss“,

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das Ergeb- nis wird besser!)

der Koalitionsausschuss, das Landesgesundheitsamt oder ein Staatssekretär im Sozialministerium die Entscheidungen trifft. Die Menschen wollen nicht wissen, wer die Entscheidungen trifft. Sie wollen, dass sie qualitativ gut sind. Und da sind wir in Niedersachsen, so denke ich, ganz, ganz weit vorne.

(Widerspruch bei der FDP)

Nach meiner Wahrnehmung erfährt das, was hier in Niedersachsen beschlossen wird, so, wie wir es machen, draußen im Land allergrößte Akzeptanz.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)