Protocol of the Session on June 30, 2020

- Einen Moment noch!

Es liegen zwei Wünsche auf die Abgabe einer persönlichen Bemerkung vor. Das ist in § 76 unserer Geschäftsordnung geregelt. Sie sollten wissen, dass das am Ende der Besprechung erfolgt. Wir befinden uns aber noch in der Besprechung.

Dran ist jetzt der Kollege Grascha.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Krise, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, haben wir viel Zusammenhalt in unserem Land erlebt. Für uns Freie Demokraten sind aber Zusammenhalt und eigenes Zutrauen bzw. die Sicherung von Selbstbestimmung zwei Seiten derselben Medaille. Das müssen wir uns jeden Tag neu erkämpfen, und wir müssen jeden Tag neu darüber diskutieren, wie genau diese Abwägung gesellschaftlich umgesetzt werden kann.

Natürlich müssen wir von staatlicher Seite aus verschiedenste Dinge unterstützen, um genau diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. Dazu gehört in dieser Krise natürlich, dass Unternehmen unterstützt werden, die unver

schuldet in eine Krise geraten sind. Dazu gehört, dass wir die medizinische Versorgung und Ausstattung sicherstellen, damit wir bestmöglich für diese Pandemie gewappnet sind.

Dazu gehört aber auch - und den Zusammenhalt und die Solidarität in diesem Bereich meinen wir auch -, dass die Möglichkeiten des Staates natürlich begrenzt sind. Das heißt, wir müssen auch Solidarität gegenüber den kommenden Generationen üben, indem wir die Möglichkeiten, die heute da sind, um die Neuverschuldung möglichst zu reduzieren, nutzen. Denn eines ist auch klar: Die Schulden, die heute aufgenommen werden, müssen spätere Generationen zurückzahlen. Deswegen sind die Schulden von heute die Steuern von morgen, meine Damen und Herren. Auch daran müssen wir denken.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Zusammenhang ist völlig klar und steht außer Frage, dass wiederum Deutschland in Europa ein wirtschaftlich starkes Land ist, sodass wir dementsprechend mehr schultern können als andere in Europa. Wir brauchen aber Europa, um im internationalen Wettbewerb angesichts von Global Playern wie China oder den USA zu bestehen. Da würden wir als einzelnes Land nichts ausrichten können. Deswegen ist es wichtig, dass wir eine erfolgreiche Staatengemeinschaft haben, die uns auch in Zukunft - wie in der Vergangenheit - Frieden und Wohlstand schafft und sichert.

Es ist bedauerlich, dass wir immer wieder eine Krise brauchen, um über bestimmte Strukturfragen in der Europäischen Union zu diskutieren. Ich glaube, das ist ein Fehler, den wir in den letzten Jahren häufig genug gemacht haben. Schauen wir einmal in Richtung Finanzkrise, in Richtung Flüchtlingskrise oder jetzt auf die aktuelle Pandemie: Wir haben immer eine Krise gebraucht, um bestimmte Strukturen und Abläufe in der Europäischen Union zu hinterfragen und dann zu handeln.

Wir sollten vielmehr die Zeit dazwischen, in der wir nicht permanent im Krisenmodus sind, nutzen, um die Europäische Union zu reformieren. Das bedeutet, dass wir beispielsweise die Finanzstruktur innerhalb der Europäischen Union, dass wir Institutionen bzw. ihre Aufgaben - beispielsweise des Europäischen Parlaments - kritisch hinterfragen müssen. All das kann man natürlich viel besser machen, wenn man sich nicht im Krisenmodus befindet, sondern genügend Zeit hat, auch eine öffentliche Debatte darüber zu führen.

Wir wollen in dieser Situation natürlich trotzdem Solidarität üben - das ist überhaupt keine Frage. Ich will aber dazusagen: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Diejenigen, die Solidarität von den starken Ländern erfahren, müssen auch darauf antworten, indem sie beispielsweise Strukturreformen durchführen, die vor der Krise nicht erfolgt sind. Dazu gehört, dass Zukunftsprojekte angeschoben und finanziert werden, anstatt Konsumausgaben zu finanzieren. Dazu gehören auch Kriterien, die alle gemeinsam definieren und an die sich dann alle halten müssen.

Wir sind der festen Überzeugung, dass wir Europa brauchen, und wollen den Zusammenhalt in Europa stärken. Das gelingt aus unserer Sicht am ehesten, indem wir den Ländern helfen, die besonders stark von der Corona-Krise und ihren gesundheitlichen Folgen betroffen sind. Wir dürfen die Hilfe nicht nur danach ausrichten, ob jemand vor der Krise schlecht gewirtschaftet hat. Und deswegen müssen die Maßnahmen, die jetzt auf der europäischen Ebene angeschoben werden, ein Motor insbesondere für Innovation auf unserem Kontinent, für die Digitalisierung und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sein. Das ist etwas, das uns auch in der Zukunft helfen wird.

Was auch noch dazukommt: Die Beseitigung der Kosten muss eine Einmaligkeit sein. Daraus kann kein Dauermechanismus werden, sondern die Hilfe und die Solidarität sind eine einmalige Leistung, die auch entsprechend bezahlt werden muss. Das heißt, wir brauchen auch konkrete Tilgungs- bzw. Rückzahlungspläne. Das ist alles sehr wichtig, wenn wir besser aus dieser Krise herauskommen wollen, als wir reingekommen sind.

Wir als Freie Demokraten wollen nicht in die Vorkrisenzeit zurück, sondern die Gunst der Stunde nutzen, um besser aus dieser Krise herauszukommen; denn wir brauchen ein starkes und ein innovatives Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Die Landesregierung hat um das Wort gebeten. Herr Minister Hilbers, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solidarität ist, wie angesprochen wurde,

der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Ohne Solidarität funktioniert keine Gesellschaft, und Solidarität ist gerade auch ein ganz großes Wesensmerkmal, das uns dabei geholfen hat, soweit gut durch die Krise zu kommen. Sie wird auch weiter notwendig sein - in unserem Land und darüber hinaus.

In Deutschland haben wir durch das Paket der Bundesregierung und auch durch die ersten Maßnahmen, die ergriffen worden sind, in besonderer Weise solidarisches und ausgewogenes Handeln erlebt. Als Landesregierung haben wir das entsprechend gehandhabt. Es spiegelt sich auch in unserem großen Paket, das wir mit dem zweiten Nachtragshaushalt vorlegen, wider, dass es einen Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Gruppen gibt. Wir tun etwas für die Kommunen, für tun etwas für den Kultur- und Sozialbereich, wir tun etwas für die Wirtschaft; wir stellen uns nachhaltig auf, wir entwickeln uns nach vorne und wir sorgen auch für den generationengerechten Ausgleich, indem wir die Finanzierung nicht auf den SanktNimmerleins-Tag verschieben.

Meine Damen und Herren, die Solidarität insbesondere in und mit der Europäischen Union ist schon angesprochen worden. Die Europäischen Union ist mehr als eine Handelsgemeinschaft - dann könnte sie eine Freihandelszone sein -, sie ist eine Wirtschafts- und Wertegemeinschaft. Uns verbinden viele gemeinsame Werte, das ist allem voran die Menschenwürde, das ist die Verteidigung der Freiheit, das ist natürlich die Solidarität; genauso wie wir auch die wirtschaftliche Entwicklung, die Freihandelsabkommen und die Freiheit im Handel und im Dienstleistungsbereich für wichtig erachten. Die Solidarität innerhalb der Europäischen Union gehört als elementarer Bestandteil zu dieser Werteunion dazu. Deswegen ist es auch wichtig, in Krisenzeiten besonders darüber zu sprechen, weil es da ohne Solidarität, glaube ich, nicht funktionieren kann.

Niedersachsen kann nicht unmittelbar auf die Bestimmungen in der Europäischen Union Einfluss nehmen. Wir machen das im Rahmen unserer Mitwirkungsmöglichkeiten im Bundesrat. Wir haben uns auch bezüglich der hier angesprochenen Frage der Wiederaufbaufazilität sehr intensiv in den Gremien beteiligt und werden das auch im Bundesrat am kommenden Freitag tun. Wir werden also in Zusammenarbeit mit den Ländern und über unsere Mitwirkungsmöglichkeiten an verantwortlicher Stelle mitwirken.

Meine Damen und Herren, wir stecken in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Rezession ist allenthalben spürbar und wird sich in den kommenden Wochen in einigen Ländern der Europäischen Union möglicherweise noch verstärken. In Europa geht man von einem Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung von 7 % aus, in Deutschland werden es vielleicht 6,5 % sein. Die deutsche und europäische Wirtschaft leiden also ganz enorm unter den Folgen der Maßnahmen, die ergriffen worden sind, um die Pandemie einzudämmen.

Deswegen will ich noch einmal betonen: Die Corona-Krise hat uns alle - nicht nur hier in Deutschland, sondern auch unsere europäischen Partner - in unterschiedlicher Härte unverschuldet getroffen. Denken Sie an die drastischen Bilder aus Italien, die eben schon geschildert worden sind.

In Italien gibt es ungefähr zweimal so viele Infektionsfälle, aber fünfmal so viele Todesfälle wie bei uns. Alle haben die Bilder von Anfang des Jahres aus Italien in Erinnerung. Das gehört dazu, wenn wir über Solidarität unter den Ländern in der Europäischen Union reden.

Dies ist zweifelsohne eine Belastungsprobe für die Europäische Union. Dies ist eine große Herausforderung, vor der sie steht. Wir können vordergründig vielleicht eine Antwort aus Eigennutz heraus geben. Das haben Sie, Herr Lilienthal, gemacht. Sie haben nicht Solidarität, sondern nationalen Eigennutz vorgetragen. Deswegen haben Sie an der Stelle nicht solidarisch gedacht, sondern egoistisch. Das unterscheidet uns an der Stelle.

Deutschland profitiert von der Europäischen Union. 60 % unserer Warenexporte gehen in den Europäischen Wirtschaftsraum. Es ist also von elementarer Wichtigkeit, dass die europäische Wirtschaft wieder auf die Beine kommt. Eine Regelung, die dazu beiträgt, ist im ureigenen deutschen Interesse. Deswegen nehmen wir in einer Zeit Verantwortung wahr, in der Europa vor der größten Herausforderung seiner Geschichte steht. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir ein Europa haben, das durchaus fragil ist. Es ist richtig, dass wir immer wieder bei Fragen, wie wir krisenresistenter und unanfälliger werden, nachsteuern müssen. Die ersten Reflexe sind in vielen Bereichen durchaus national gewesen. Aber dann hat man erkannt, dass diese Pandemie eine globale Auswirkung hat und internationales Handeln und wechselseitige Unterstützung auch in der Europäischen Union

sehr wichtig sind. Kein Land kann das isoliert betrachten.

Deswegen verschließen wir uns der Diskussion nicht. Macron und Merkel haben einen guten Beitrag auf den Weg gebracht. Darüber wird jetzt diskutiert. Es geht dabei eben nicht um CoronaBonds, bei denen alle gemeinschaftlich haften, bei denen alle gesamtschuldnerisch haften. Nein, es geht um eine Schulden-, eine Finanzfazilität, bei der jeder in dem Rahmen, in dem er zum europäischen Haushalt beiträgt - das sind 27 % im Fall Deutschlands -, einsteht und eben nicht um die Vergemeinschaftung von Schulden. Vielmehr trägt jeder einen Anteil daran, dass diese Mittel bereitgestellt werden und die Möglichkeit eröffnet wird, Hilfe zu leisten.

Dabei darf man auch unsere Möglichkeiten nicht überstrapazieren. Ich habe in allen Fragen immer wieder betont, die Finanzpolitik und die fiskalischen Aspekte nicht aus dem Auge zu verlieren. Deswegen darf das auch hierbei nicht so sein. Das Instrument ist zeitlich begrenzt. Es ist klar auf diese Notlage ausgerichtet. Es ist also auch von der Kausalität her begrenzt. Und die Schulden müssen in absehbarer Zeit zurückgeführt werden. Das darf kein Topf der Selbstbedienung sein.

Die Verhandlungen werden geführt, damit sichergestellt wird, dass die Mittel nur zur Stärkung in der jetzigen Situation und für den Weg aus der Krise dienen. Das ist in der Europäischen Union jetzt menschlich und wirtschaftlich geboten. Dieses befristete Programm bietet dafür einen guten Anlass. Es ist vor allen Dingen geeignet, der wirtschaftlichen Notlage entgegenzuwirken. Das ist, wie gesagt, in unserem eigenen Interesse.

Dort, wo die Leitplanken erforderlich sind, werden wir uns dafür einsetzen, dass diese Leitplanken beachtet werden: das ist die zeitliche Befristung, das ist die Kausalität, und das ist die Tatsache, dass das Programm nicht zu einer Gemeinschaftsverschuldung führt; denn diese lehnen wir nach wie vor ab, weil sie dazu führt, dass wir in Europa nicht mehr Stabilität haben werden, sondern weniger.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister.

Meine Damen und Herren, wir sind am Schluss der Besprechung, aber noch nicht am Schluss dieses

ersten Teils der Aktuellen Stunde; denn es liegen zwei Wünsche nach Abgabe einer persönlichen Bemerkung vor.

Ich darf die Herren Lilienthal und Wichmann darauf hinweisen, wie wir das in solchen Fällen regelmäßig machen - es geht um § 76 unserer Geschäftsordnung -: Das Mitglied des Landtages darf in der persönlichen Bemerkung nur Angriffe zurückweisen, die in der Aussprache gegen es gerichtet wurden, oder eigene Ausführungen berichtigen. - Es geht also nicht um die politische Generaldebatte, sondern um die Zurückweisung von Angriffen oder um die Korrektur eigener Ausführungen.

Es beginnt Herr Lilienthal. Bitte sehr!

Ich möchte eine Bemerkung des Abgeordneten Wenzel zurückweisen, die er eben bei der Aussprache zur Aktuellen Stunde gegen mich gerichtet hat, indem er gesagt hat, vielleicht sei das auch Korruption. Davor war über unser Verhalten in der Corona-Krise gesprochen worden.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Nein, es geht um die Partei!)

Korruption wird von Transparency International so definiert, dass man verliehene Macht zum eigenen Vorteil nutzt.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Wol- len Sie Herrn Wenzels Ausführungen kommentieren oder zurückweisen?)

Hier kann allenfalls das Landtagsmandat gemeint sein, das ich zu meinem eigenen Vorteil nutzen würde. Herr Wenzel, das weise ich ausdrücklich zurück. Das tue ich natürlich nicht!

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Lilienthal. - Ebenfalls zu einer persönlichen Bemerkung hat sich Kollege Wichmann gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wenzel, Sie haben gerade mit Blick auf meine Fraktion und damit auch auf mich behauptet: Sie lassen sich schmieren. - Das weise ich ausdrücklich zurück. Ich bitte darum, dass Sie solche Behauptungen im Nachgang belegen oder sich dafür entschuldigen, weil Sie sich im Ton ver

griffen haben. Das ist ein Straftatbestand: üble Nachrede.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Er hat es auf die Partei bezogen und nicht auf Sie!)