Protocol of the Session on April 23, 2020

Wie die meisten von uns habe ich keine Freude bei dem Gedanken, das Gesicht verdecken zu müssen. Es wird aber nun einmal Situationen geben, in denen gerade unter den Bedingungen zunehmender Lockerungen wieder mehr Menschen zusammenkommen werden und der notwendige Abstand eventuell eben nicht immer gewahrt sein kann. Ich denke dabei insbesondere an die Nutzung des ÖPNV, aber auch den Einzelhandel.

Mund und Nase mit einfachen Mitteln in einer solchen Situation abzudecken, schützt Dritte vor den eigenen Viren, und das ist sinnvoll. Und deswegen wird es von der nächsten Woche an auch bei uns in Niedersachsen dazu eine Verpflichtung geben. Das ist sinnvoll - aber wir dürfen an das Tragen einer Alltagsmaske nicht zu hohe Erwartungen knüpfen. Wir selbst werden damit nämlich kaum geschützt. Entscheidend sind und bleiben deswe

gen zwei andere Wege, an die wir immer wieder erinnern müssen: Wir müssen Abstand halten, und wir müssen strikt für unsere persönliche Hygiene sorgen! Das möchte ich an dieser Stelle sehr eindringlich in Erinnerung rufen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Abstand und Hygiene müssen auch in allen anderen Lebensbereichen gewährleistet sein. Wir beginnen langsam wieder mit der Öffnung der Schulen. Aber auch dort wird vieles anders sein als zuvor. Bis zum Ende des Schuljahres sind geteilte Klassen vorgesehen. Wir wollen die Zahl von Schülerinnen und Schülern in den Klassenräumen halbieren. Herzlichen Dank allen Lehrerinnen und Lehrern, die sich bis jetzt sehr fantasievoll und mit großem Engagement aus der Ferne um ihre Schülerinnen und Schüler gekümmert haben - und das sicherlich in Kürze unter herausfordernden Abstands- und Hygienebedingungen in den Schulen fortführen werden. Ich hoffe, der sehr abgewogene Plan zur Öffnung der Schulen wird dabei helfen.

Ich bedanke mich noch einmal ausdrücklich bei allen Lehrkräften in Niedersachsen für ihre Arbeit in dieser Situation.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Nachdem viele Fachhochschulen bereits vorher digital gestartet sind, hat auch der Lehrbetrieb des Sommersemesters 2020 an allen Hochschulen in Niedersachsen digital begonnen. Damit sind unsere Hochschulen, wie ich höre, übrigens Vorreiter.

Wenn das Wirtschaftsleben nach und nach wieder an Fahrt aufnimmt, dann werden auch zunehmend mehr Eltern an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Viele Beschäftigte haben in den letzten Wochen große Belastungen und Abstriche akzeptieren müssen. Das wird sich nicht unbegrenzt fortsetzen lassen.

Deswegen haben Bund und Länder gemeinsam vereinbart, die Notbetreuung in den Schulen und Kindertagesstätten deutlich zu erweitern. Auch bei uns in Niedersachsen gibt es im Ländervergleich in dieser Hinsicht durchaus noch Luft nach oben, und diese Spielräume sollten jetzt auch genutzt werden. Das wird vielen Familien - so hoffe ich - sehr helfen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vor uns liegt eine schwierige Phase, in der wir lernen müssen, so lange mit dem Virus zu leben, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht. Gerade weil ich Respekt vor diesen Anforderungen habe, müssen wir Klarheit

und hoffentlich auch hier im Plenum Einvernehmen über den Maßstab haben.

Sie wissen, da gibt es die unterschiedlichsten Kriterien und Faktoren, die in der Diskussion eine Rolle spielen. Aber ich will klar und deutlich sagen, was für die Landeregierung der wichtigste Maßstab ist: Der wichtigste Maßstab für Spielräume ist am Ende die Situation in unseren Krankenhäusern. Es darf uns nicht passieren, dass dort Ärzte die Entscheidung darüber treffen müssen, wer beatmet werden kann und wer sterben muss - um es einmal auf den Punkt zu bringen. Das ist uns bislang gelungen, und das muss uns auch weiterhin gelingen. Das heißt: Lockerungen gerne, aber eben immer nur schrittweise und vorsichtig und immer mit dem Blick auf die Konsequenzen im Gesundheitswesen.

Ich bitte Sie alle sehr herzlich darum, dass wir uns selbst immer wieder diesen Maßstab in Erinnerung rufen und ihn zum Kompass unserer Entscheidungen machen. Das folgt aus unserem Menschenbild hier in Niedersachsen, und das ist für uns entscheidend. Wir wollen nicht zulassen, dass unser Gesundheitswesen in den nächsten Monaten überlastet wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Es wäre gut, ich könnte meine Berichterstattung an dieser Stelle beenden, aber natürlich ist das nicht möglich, ohne einen anderen ganz entscheidenden Bereich anzusprechen.

Das Coronavirus ist eben nicht nur eine Bedrohung für unsere Gesundheit, sondern auch für unsere Wirtschaft. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, Sozialministerin Carola Reimann und ich haben einmal wöchentlich eine Videokonferenz mit führenden Repräsentantinnen und Repräsentanten der niedersächsischen Unternehmen und Gewerkschaften. Es ist uns sehr bewusst - das hören wir da auch immer wieder -, dass wir uns inmitten einer harten Wirtschaftskrise befinden, die nicht alle, aber doch die meisten Sektoren unserer Volkswirtschaft erfasst hat.

Das Besondere an dieser Krise ist, dass sie - anders als z. B. bei Konjunkturkrisen - gleich mit einer besonders schwierigen und harten Herausforderung beginnt, nämlich einer Liquiditätskrise. Viele Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Sektoren stehen von heute auf morgen ohne Einnahmen da. Das gilt für weite Bereiche des Handels, für Hotellerie und Gastronomie, das gilt für

weite Bereiche der Industrie - übrigens allen voran die Automobilindustrie. Es gibt nun einmal keine Umsätze, wenn noch nicht einmal die Möglichkeit zum Verkauf einer Ware oder einer Dienstleistung besteht.

Deswegen ist der beste Weg aus der Wirtschaftskrise eine möglichst rasche und gründliche Überwindung der Corona-Krise. Kurz gesagt: Je schneller und je nachhaltiger es uns gelingt, Infektionsrisiken vorzubeugen und in diesem Rahmen die Rückkehr zur Normalität zu schaffen, desto schneller werden sich auch viele Unternehmen erholen können.

Aber reden wir nicht um den heißen Brei herum! Wir reden über Sein oder Nichtsein für viele Tausend Betriebe, wir reden über Hunderttausende von Arbeitsplätzen.

Derzeit bewährt sich einmal mehr das Instrument der Kurzarbeit, das Beschäftigungsbrücken baut. Über 60 000 Unternehmen in unserem Land haben diese Unterstützung bereits beantragt. Aber auch eine solche Brücke muss am Ende an das andere Ufer führen, um im Bild zu bleiben.

Positiv ist in diesem Zusammenhang auch hervorzuheben, dass die Sofortprogramme des Bundes und des Landes ankommen. Für die unterschiedlichen Zuschuss- und Hilfsprogramme verzeichnen wir derzeit 194 000 Anträge bei der NBank. Davon sind bereits 70 % bewilligt oder derzeit in der Bearbeitung. Mehr als 627 Millionen Euro Zuschüsse wurden angewiesen. Parallel dazu ist die Praxis unserer Finanzämter gegenüber notleidenden

Betrieben derzeit sehr großzügig.

Ich möchte ausdrücklich allen Beteiligten danken, deren ganz persönliche Arbeit hinter diesen Fortschritten steckt. Einen herzlichen Dank für dieses Engagement!

(Beifall)

Auch diese Programme sind höchst verdienstvoll, aber sie bieten wiederum, ähnlich wie bei der Kurzarbeit, natürlich nur eine Überlebenshilfe. Sie können nicht eine Perspektive für die Zukunft ersetzen.

Es gibt Bereiche, wo wir durch einen hoffentlich zügigen Neustart auch wieder Zukunftsperspektiven herstellen können. Zum Beispiel der Handel und vielleicht auch die Gastronomie, wo wir nach und nach auf eine Wiederbelebung hoffen - immer natürlich unter den Ihnen inzwischen sattsam bekannten Vorbehalten.

In anderen Bereichen ist aber wahrscheinlich über die bislang gewährten Mittel auch noch eine weitergehende spezifische Unterstützung nötig. Das gilt etwa für den Tourismus, der sich derzeit sehr um das Sommergeschäft sorgt. Deswegen begrüße ich es auch, dass die Bundesregierung, Berichten zufolge, Unterstützungsmaßnahmen insbesondere auch für diesen Sektor prüft.

Und etwas Ähnliches gilt auch im Bereich der Industrie. Für uns in Niedersachsen ist natürlich die Entwicklung der Automobilindustrie mitsamt aller vor- und nachgelagerten Bereiche von ganz besonderer Bedeutung.

Das gilt aber auch für die Bundesrepublik insgesamt; denn dabei handelt es sich um die deutsche Leitindustrie schlechthin mit einer kaum zu überschätzenden volkswirtschaftliche Bedeutung. Dabei rede ich - um Vorbehalten vorzubeugen - nicht nur über die Herstellerebene, sondern vor allen Dingen über Tausende von kleineren und mittleren Unternehmen in der Zulieferbranche, die allesamt mit zu diesem Rückgrat der deutschen Industrie gehören.

Ein erster Schritt ist sicherlich mit der Wiedereröffnung der Autohäuser verbunden gewesen. Deren Schließung war nämlich, bezogen auf die Inlandsnachfrage, so etwas wie der Pfropfen auf der Flasche. Aber damit sollte es nicht sein Bewenden haben.

Zu den Erfahrungen aus der Weltfinanzkrise vor etwas mehr als zehn Jahren zählt auch, dass die Abwrackprämie damals eines der erfolgreichsten Instrumente für ein schnelles Comeback der deutschen Industrie gewesen ist. Ich bin nicht der Auffassung, dass man das einfach eins zu eins wiederholen könnte. Aber in Verbindung mit einer Reduzierung von CO2- und Stickoxid-Immissionen bietet sich auch jetzt ein solches Instrument an, und die Landesregierung wird sich in dieser Hinsicht sehr engagieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Aber auch in manchen anderen Bereichen müssen wir über die ersten Hilfsmaßnahmen hinaus weitere Unterstützungsprogramme prüfen. Jedoch nicht überall: Die Bauindustrie beispielsweise befindet sich nach wie vor in einer relativ guten Situation. Aber nicht selten wird ein Neustart von Unternehmen auch mit Investitionen verbunden sein müssen, die in der augenblicklichen Situation für viele Unternehmen womöglich eine überwindliche Hürde

darstellen. Deswegen werden wir auch darüber zu sprechen haben, ob und unter welchen Voraussetzungen gewährte Kreditprogramme in Investitionszuschüsse umgewandelt werden können - mit der daraus dann auch folgenden weiteren wirtschaftlichen Belebung.

Zu bedenken ist schließlich auch, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne eine Aufstockung ihres Kurzarbeitergeldes für längere Zeit mit harten Einkommenseinbußen leben müssten, bis bin zur notwendigen Inanspruchnahme von staatlichen Sozialleistungen. Deswegen begrüße ich ausdrücklich die gestern Nacht von der Bundesregierung ausgedrückte Absicht, die Leistungen des Kurzarbeitergelds noch einmal deutlich zu erweitern. Das halte ich ausdrücklich für einen richtigen Schritt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Am Ende werden all diese Initiativen sicherlich ihren Teil dazu beitragen, dass unsere Wirtschaft sehr schnell ein Comeback starten kann. Und auch das ist eine Erfahrung aus der Weltfinanzkrise vor etwas mehr als zehn Jahren: Eine aktive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik ist das Fundament für einen schnelle Aufschwung - und das ist übrigens auch die Grundlage für künftige Steuereinnahmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die genannten Bereiche hinaus gibt es - wie viele von Ihnen wissen - noch etliche andere Gruppen in unserer Gesellschaft, die über existenzielle Sorgen klagen, weil ihnen die bisherigen Unterstützungsprogramme aus unterschiedlichen Gründen noch nicht helfen können. Das gilt, um nur einige Beispiele zu nennen, für die Kommunen, den Sport, die Kultur, die Erwachsenenbildung und für viele soziale Einrichtungen. Diese Liste ist selbstverständlich nicht abschließend.

Die Landesregierung hört bei solchen Hinweisen nicht weg. Wir prüfen derzeit, welche Unterstützung für diese und andere Bereiche geboten und möglich ist. Dafür mag dann auch ein zweiter Nachtragshaushalt notwendig sein. In diesem Fall - das will ich ausdrücklich hervorheben - werden wir uns sehr darum bemühen, eine angemessene parlamentarische Beratung zu ermöglichen.

Dass der Ausschussbetrieb wieder gestartet ist, ist eine große Hilfe. Vor einigen Wochen war das, wie Sie wissen, unter den gegebenen Bedingungen natürlich nicht möglich. Aber ich möchte noch ein

mal die Gelegenheit nutzen, mich bei den Abgeordneten des Landtags herzlich dafür zu bedanken, dass es trotzdem gelungen ist, den ersten Nachtragshaushalt zu verabschieden, der jetzt die Grundlage dafür ist, dass viele Menschen und Unternehmen in diesem Land die Unterstützung erhalten, von der ich gesprochen habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich am Ende meiner Ausführungen noch einmal an den Anfang zurückkehren: Das Coronavirus werden wir nicht allein mit politischen oder administrativen Mitteln bekämpfen können. Ich glaube, in diesem Fall gilt etwas, das für unsere Demokratie auch ansonsten fundamental wichtig ist: Wir brauchen dringend und unabdingbar die ganz persönliche Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern, von der Gesellschaft insgesamt! Das haben die letzten Wochen und Monate eindrucksvoll bewiesen. Und dieses Engagement werden wir in den nächsten Wochen und Monaten weiter brauchen.

Mich erinnert diese Situation in gewisser Weise an unsere Erfahrungen vor viereinhalb Jahren im Zusammenhang mit der großen Zahl der zu uns kommenden Flüchtlinge. Damals gab es für lange Zeit die Bereitschaft zum Mitmachen von vielen gesellschaftlichen Institutionen, in enger Abstimmung mit dem Staat und der Politik für die richtige Haltung bei den Bürgerinnen und Bürgern zu werben. Damals hieß das Stichwort „Weltoffenheit“, und es fand seinen Ausdruck in dem bundesweit einmaligen Bündnis „Niedersachsen packt an“.

Diesmal geht es vielleicht um etwas anderes: Es geht um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und um unsere Verantwortung füreinander. Es geht um ein Risiko für unsere persönliche Gesundheit, aber eben auch für die Gesundheit der anderen. Es geht um Solidarität und Unterstützung von Menschen, die wir vielleicht gar nicht kennen, die aber unser Engagement brauchen. Es geht darum, dass wir alle, jede und jeder von uns, unseren Beitrag leisten und dass wir dabei niemanden zurücklassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Es gibt eine weitere Parallele zu damals: Wieder haben die beiden großen christlichen Volkskirchen, die Unternehmerverbände und die Gewerkschaften die Politik zu einem gemeinsamen Vorgehen eingeladen, um dieses Ziel zu erreichen. Und wieder ist das genau der richtige Schritt zur richtigen Zeit. „Niedersachsen hält zusammen“ wird die Initiative heißen, und die Landesregierung wird sich dafür sehr gerne engagieren.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich für diese Initiative bei den Kirchen, den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften sehr, sehr herzlich zu bedanken. Wir wissen das ausdrücklich zu schätzen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Darum geht es jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen Abstand halten, und wir müssen zusammenhalten. Das klingt auf den ersten Blick paradox, aber es gehört tatsächlich zusammen. Es ist der Schlüssel zum Erfolg, persönlich unsere Beiträge im Kampf gegen Corona, aber auch für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu leisten. Meine herzliche Bitte an uns alle hier im Plenum, aber auch in ganz Niedersachsen lautet: Leisten wir alle, jede und jeder von uns, dazu unseren ganz persönlichen Beitrag! Dann werden wir auch Corona gemeinsam meistern - davon bin ich überzeugt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei der CDU)