Protocol of the Session on March 25, 2020

Ich stehe nach wie vor dazu, dass ich damals gesagt habe: Wenn eine Krise kommt, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert, ist sie so deutlich, dass alle zustimmen. - Das bewahrheitet sich heute. Die kleine Schuldenbremse würde uns an dieser Stelle keinen Meter weiterbringen. So viel ist klar.

Vielleicht folgen diesem Nachtrag hier weitere Nachträge. Ich denke, niemand von uns kann schon heute ganz seriös sagen, ob das Volumen und die Qualität - also die Richtung, in die die Mittel fließen sollen - geeignet sind, um die Krise einzudämmen. Das habe ich auch im Ausschuss ganz klar gesagt und der Landesregierung hier den Rücken gestärkt. Wo genau die Mittel - also titelscharf - verwendet werden können, wird heute wie auch morgen niemand wirklich seriös sagen können. Insoweit ist die Beinfreiheit, die der Nachtragshaushalt der Landesregierung jetzt bietet, richtig und angemessen.

Ich komme damit zu dem Nachtrag an sich: Nicht titelscharf und trotzdem richtig! Es ist erstaunlich, dass man das als Haushälter irgendwann mal sagen würde. Ich gebe ganz offen zu, dass es mich zu Beginn dieser Krise und bei Vorliegen dieses Nachtrags auch in den Fingern gejuckt hat, irgendein Gegenmodell einzubringen, und habe überlegt, ob die Fraktionen irgendein Gegenmodell einbringen.

Wir haben gesagt: Nein! Wenn wir das tun würden, müssten wir an dieser Stelle irgendetwas besser wissen oder besser können als die Regierung. - Man muss ganz offen sagen, das können wir nicht. Auch wir müssten diese Flexibilität in einem möglichen Gegenentwurf offenhalten. Von daher bringen wir keinen ein. Wir halten die Flexibilität ausdrücklich für richtig.

Die Schlüsselforderung an dieser Stelle wird die zielgerichtete und zeitnahe Auszahlung an die Wirtschaft. Da wünsche ich Ihnen, Herr Dr. Althusmann, viel Erfolg. Persönlich kann ich mir im Moment noch nicht vorstellen, wie das wahrnehmbar gerecht gelingen soll.

Ein Denkanstoß an dieser Stelle: Im Rahmen der Flüchtlingskrise 2015/2016 wurden auch Finanzbeamte zu administrativen Zwecken eingesetzt. Ich glaube, wenn es eine Berufsgruppe in der Landesverwaltung gibt, die in der Lage ist, Ihnen schnell - im Grunde genommen als eine Fingerübung - zu sagen, ob ein Unternehmen förderungsbedürftig ist, dann sind das Finanzbeamte. Vielleicht denken auch Sie einmal in diese Richtung. Die können Ihnen das wahrscheinlich deutlich schneller sagen als jeder andere Teil der Verwaltung.

Werden im Rahmen dieser Krisenbewältigung Fehler gemacht? - Natürlich, kleine Fehler werden gemacht. Wir werden aus Versehen bereits kaputte Unternehmen retten. Wir werden Sachen doppelt beschaffen. Wir werden überproduzieren. Wir werden auch Wucherpreise zahlen, beispielsweise für Atemmasken. Ich persönlich habe keine Lösung für dieses Problem, außer diese Preise zu zahlen; denn wir brauchen die Atemmasken. Diese Fehler sind hinzunehmen, weil die Lage außergewöhnlich ist.

Ich möchte von hier aus der Landesregierung viel Erfolg und Glück in den kommenden Tagen wünschen. Ich möchte ganz deutlich sagen, dass ich es sehr begrüße, dass unser Ministerpräsident in dieser Krise vorne steht. Ich habe im Rahmen der „Rettung“ der NORD/LB massiv kritisiert, dass der Landesvater sich bei einer Sache, die dermaßen große Auswirkungen hat, nicht zum Feldherrn der Bewegung gemacht hat. Das haben Sie heute bzw. in den letzten Tagen anders gemacht. Das begrüße ich ganz ausdrücklich; das begrüßt meine Fraktion ganz ausdrücklich.

Es gibt ein paar echte Webfehler in diesem Krisenmanagement. Auf einige werde ich gleich noch eingehen.

Die Landesregierung - das hat Dr. Birkner schon gesagt - wirkt uneinig. Das mag mir politisch gelegentlich gefallen. Heute tut es das nicht, weil im Moment eigentlich das Signal in die Gesellschaft gehen muss - - -

(Widerspruch bei der SPD)

- Sie schütteln den Kopf. Es mag sein, dass Sie das anders wahrnehmen. Bevölkerung, Medien und ich als Vertreter nehmen eine gewisse Uneinigkeit wahr. Die können wir an dieser Stelle im Moment nicht gebrauchen, ganz klar.

Sie sind auch relativ spät dran; unsere Fraktionsvorsitzende hat es eben schon vorgetragen. Zu der Dringlichen Anfrage der AfD-Fraktion zu Corona im Januar-Plenum kam übrigens von Ihnen, Herr Dr. Birkner, gar nichts - keine einzige Zusatzfrage. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Glocke des Präsidenten)

Unser Zehn-Punkte-Plan hat mittlerweile einen grauen Bart. Frau Dr. Reimann, Sie müssen sich ganz persönlich irgendwann fragen, ob Sie möglicherweise früher hätten reagieren müssen. Wir haben Ihnen entsprechende Hinweise gegeben. Wir werden Ihnen das nicht aufs Brot schmieren. Das müssen Sie irgendwann einmal mit sich selber ausmachen. Denn alle Punkte, die in diesem ZehnPunkte-Plan standen, haben Sie mittlerweile - Gott sei Dank - verwirklicht, vielleicht 14 Tage zu spät. Und Zeit ist ein kritisches Element in dieser Krise.

Ich habe noch eine Anmerkung zu machen, bevor ich, Herr Präsident, zum Schluss komme.

Auf der Tagesordnung stehen noch zwei Dringliche Anfragen, nämlich von der FDP und von den Grünen. Ich habe mir die Anfragen angeschaut. Ich möchte sowohl der Fraktion der Grünen als auch der Fraktion der FDP folgenden Gedanken mitgeben: Wir haben alle möglichen parlamentarischen Mittel, um Antworten zu bekommen, und wir legen im Moment dem ganzen Land nahe: Setzt euch nicht zu nah beisammen! Bleibt nicht zu lange beieinander! Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ob die Regierungserklärung nicht einen Großteil der Antworten gegeben hat und ob es nicht möglich ist, sich den Rest der Fragen im Rahmen einer Schriftlichen Anfrage beantworten zu lassen. Das würde ich jedenfalls sehr begrüßen. Denn in unseren Reihen gehören locker 30 % altersmäßig zur Risikogruppe.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Lilienthal. - Für die SPDFraktion hat sich nun die Kollegin Frauke Heiligenstadt gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin

(Zwei Mitarbeiter der Landtagsverwal- tung desinfizieren das Redepult)

- wenn es so weit ist. Ich habe nicht mitgestoppt, aber die beiden Herren werden immer flotter. Vielen Dank dafür!

(Beifall)

Frau Kollegin, bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die fortschreitende und sich in einigen Regionen nach wie vor beschleunigende Verbreitung des Coronavirus in Niedersachsen macht ganz kurzfristige Maßnahmen zur Bewältigung der gesundheitlichen Großlage der Corona-Pandemie zwingend erforderlich.

Um umfangreiche Maßnahmen in die Wege leiten und dann auch finanzieren zu können, sind natürlich umgehend Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen. Wir werden also mit dem nun zu diskutierenden Nachtragshaushalt die Finanzierung zusätzlicher Haushaltsermächtigungen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro ermöglichen.

Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger fragen sich, wie wir das Ganze - 1,4 Milliarden Euro; Gesamtvolumen, wenn man die Bürgschaften hinzuzählt: 4,4 Milliarden Euro - finanzieren wollen. Damit stellt sich natürlich die Frage nach den Einnahmen.

Wir werden 400 Millionen Euro aus dem Sondervermögen zur Nachholung von Investitionen bei Hochschulen in staatlicher Verantwortung entnehmen. Die restliche Milliarde werden wir über Kredite finanzieren, die wir trotz bestehender Schuldenbremse aufnehmen können. Damit stellen wir die Handlungsfähigkeit im Bedarfsfall sicher.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit ist natürlich nicht gemeint, dass bis zum Ende des Jahres wirklich Kredite in voller Höhe von 1 Milliarde Euro aufgenommen werden müssen. Das ist lediglich ein Rahmen, der zur Verfügung steht. Allerdings ist auch nicht klar, ob dieser Rahmen tatsächlich ausreichen wird. So viel müssen wir zugestehen.

Wir haben in den letzten Jahren ohne Schuldenbremse keine Kredite benötigt und aufgenommen. In diesem Jahr müssen wir nun trotz Schuldenbremse Kredite aufnehmen. Das zeigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es wichtig und richtig war, die Verfassungsregelung zum Thema Schuldenbremse flexibel und handhabbar zu gestalten.

Von vielen Vorrednerinnen und Vorrednern ist schon gesagt worden: Wer hätte das im Oktober letzten Jahres für möglich gehalten? Nachdem wir vor einem halben Jahr die Schuldenbremse in Niedersachsen verankert haben, müssen wir bereits jetzt von den Ausnahmemöglichkeiten dieser Schuldenbremse Gebrauch machen. Das hätte sicherlich niemand vorherzusehen gewagt.

Natürlich entscheiden wir heute nicht leichtfertig. Wir sehen aber, welche außergewöhnliche Situation wir nun haben. Bei Naturkatastrophen oder in außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, ist die Handlungsfähigkeit des Landes Niedersachsen sicherzustellen. Das Land Niedersachsen befindet sich in einer solchen Notsituation. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss nicht die weiteren Einzelheiten aufzählen, warum diese Notsituation sich momentan ergibt. Dies ist in den Ausführungen - auch in der Regierungserklärung - schon ausreichend deutlich geworden. Auch dass die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates sichergestellt werden muss, ist für alle sehr deutlich.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden erhebliche, zurzeit nicht abschätzbare Auswirkungen auf die Steuereinnahmen des Landes Niedersachsen haben. Eine Prognose der Höhe der Steuerausfälle kann natürlich erst nach der im Mai stattfinden Steuerschätzung erfolgen.

Die Auswirkungen des Coronavirus auf die niedersächsische Wirtschaft dagegen sind schon jetzt gravierend. Schon heute haben viele Unternehmen im Land mit den Folgen zu kämpfen. Durch wegbrechende Absatzmärkte im Ausland, ausbleibende Zulieferungen und abgesagte Veranstaltungen - um nur ein paar Beispiele zu nennen - können an sich wettbewerbsfähige Unternehmen schnell in eine bedrohliche Schieflage geraten. Das wird auch Auswirkungen auf die Einnahmen des Staates haben. Diese Auswirkungen werden sicherlich nicht nur in diesem Jahr zu spüren sein. Ich denke,

wir werden das auch in den nächsten Jahren noch diskutieren müssen.

Aber in jedem Fall gilt für uns: Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und die Bewältigung der akuten wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen und die öffentlichen Organisationen der Daseinsvorsorge besitzen für die Landesregierung absolute und oberste Priorität. Dafür nehmen wir Kredite auf, dafür werden wir etwas aus dem Sondervermögen entnehmen, und dafür werden wir auch den Bürgschaftsrahmen von bisher 2 Milliarden auf 3 Milliarden Euro erhöhen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, dass wir uns nach überstandener Krise sicherlich darüber zu unterhalten haben, ob das Quorum der Zweidrittelmehrheit tatsächlich das richtige Quorum für diese Art von Notfällen ist. Das hat meine Fraktion bereits bei den Beratungen zur Schuldenbremse deutlich gemacht. Ja, es ist in der Tat so: Wir müssen unabhängig von Mehrheiten im Parlament sicherstellen, dass tatsächlich zwei Drittel der Abgeordneten anwesend sind. Das ist in Quarantänezeiten nicht ohne Weiteres sicherzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Zumindest haben wir da sicherlich alle gemeinsam in den letzten Tagen einiges dazugelernt.

Meine Damen und Herren, wir haben in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses eine große Einigkeit zum Vorgehen vernehmen können. Ich bin der Opposition sehr dankbar, dass es hier keine politischen oder taktischen Spielchen gibt. Aber wir müssen auch deutlich machen, dass alle handelnden Akteure ihre Verantwortung sehen und jede und jeder an der Stelle, an der sie oder er verantwortungsvoll handeln kann, dieses auch tut.

Wir nehmen die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht mit einschneidenden Maßnahmen bei ihren Grundrechten. Wir nehmen die Wirtschaft, die Kultur und die Ehrenamtlichen in die Pflicht, die Tausenden von Beschäftigten in den Verwaltungen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unzähligen Betrieben. Viele Menschen - übrigens in erster Linie Frauen, sehr oft in den sozialen und Gesundheitsberufen - kämpfen jetzt an vorderster Front gegen das Virus. Ohne ihre Arbeit würde vieles nicht laufen. Andere Menschen wiederum dürfen nicht mehr arbeiten und haben schwer an dem geringeren oder nicht mehr vorhandenen Einkommen zu tragen. Auch ihnen muss unsere Sorge gelten.

Meine Damen und Herren, bei aller Geschwindigkeit und allem Umfang müssen wir feststellen: Ein Nachtragshaushalt ist eben nur ein Nachtragshaushalt. Auch die beste Landesregierung der Welt kann nichts bewegen, wenn nicht alle Menschen in dieser schwierigen Zeit gemeinsam mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Daher lassen Sie mich auch das sagen: Wer heute noch nach einem starken entschlossen Mann schaut, wer sich selbst in Krisenzeiten selbstinszenieren möchte, der hat meiner Meinung nach die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

(Beifall bei der SPD)

Wir alle haben gestern einen Brief der Konföderation der evangelischen Kirchen in Niedersachsen erhalten. Dieser Brief fasst das an einer Stelle wirklich sehr gut zusammen:

Zusammen die verschiedenen Lasten der Verantwortung im politischen wie im privaten Leben zu schultern, ist jetzt unerlässlich. Es ist nicht die Stunde weniger starker Frauen und Männer, sondern die Stunde vieler starker Frauen und Männer. Wir müssen uns gerade jetzt gegenseitig nichts beweisen und auch nichts vormachen, sondern Verantwortung und Aufgaben teilen, noch mehr als sonst miteinander kommunizieren und füreinander da sein.

Meine Damen und Herren, daher bin ich der Opposition sehr dankbar, dass sie dieses Vorgehen mitträgt. Ich bin der Landesregierung und insbesondere dem Ministerpräsidenten dankbar, dass er der Versuchung, den starken Mann zu markieren, nicht erliegt, sondern sehr abwägend und besonnen, dort, wo notwendig, aber auch klar und eindeutig, handelt.

Meine Damen und Herren, es wird erheblicher finanzieller Anstrengungen über viele Jahre bedürfen, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen und Schäden der Krise zu reparieren. Dafür benötigen wir die Unterstützung aller.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir vorschlagen, die Anträge, die sowohl die Grünen als auch die FDP hier gestellt haben, im Ausschuss sehr ausführlich zu beraten. Es sind viele wichtige Punkte enthalten; allerdings sind auch ein paar Punkte enthalten, die durchaus schon auf dem Weg sind.