Der gesamte Aufenthalt Shahroudis, der weder Diplomatenstatus hat noch Mitglied einer Regierung ist, liegt fast völlig im Dunkeln. Hier konnte sich mithilfe niedersächsischer und Bundesbehörden ein Schwerverbrecher ungestört aufhalten, behandeln lassen und in aller Seelenruhe wieder ausreisen, während man amtlicherseits wohl noch Zuständigkeiten hin und her schob, Strafanzeigen sortierte, einordnete und von einer Dienststelle zur anderen weiterleitete.
Als sich dann die Bundesanwaltschaft zwar endlich erbarmte, tätig zu werden, ein Ermittlungsverfahren aber erst noch in aller Gelassenheit prüfte, anstatt Shahroudi wegen Fluchtgefahr unverzüglich festnehmen zu lassen, war es für den iranischen Todesvollstrecker natürlich ein Leichtes, in aller Ruhe zu verschwinden, und zwar auch noch in Begleitung und organisiert von Beamten des Niedersächsischen Landeskriminalamtes. Das ist ein Skandal, wie man ihn selbst im skandalerprobten Niedersachsen noch selten erlebt hat.
Meine Damen und Herren, Brutalität, Gnadenlosigkeit und Terror sind im Iran zum Gesetz erhoben worden und bestimmen dort den Alltag der Menschen. Einschüchterung, Unmenschlichkeit und Schikanen gehören zum Leben der Iraner in einem fundamentalistischen Gottesstaat, einem Staat, der politische, religiöse und gesellschaftliche Gegner unterdrückt, willkürlich verhaftet, foltert und ermordet.
Mit Mahmud Haschemi Shahroudi hielt sich ein skrupelloser Erfüllungsgehilfe dieses Regimes in unserem Land auf, der aus dem engsten Umfeld der iranischen Regierung stammt und der sogar als Nachfolger des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei gehandelt wird. Doch anstatt die Gelegenheit zu nutzen, diesen Schergen eines Unrechtssystems festzusetzen und vor ein Gericht zu stellen, mitorganisierte unsere Landesregierung das freie Geleit für diesen islamistischen Schwerverbrecher.
Meine Damen und Herren, das ist eine Verhöhnung seiner Tausenden Opfer, eine Verhöhnung rechtsstaatlichen Empfindens eines jeden nur halbwegs zivilisierten Menschen und eine Verhöhnung unseres Rechtsstaates.
Ich sage klipp und klar: Diese Posse ist eines Rechtsstaats mehr als unwürdig. Mahmud Haschemi Shahroudi hätte sofort verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden müssen. Diese Landesregierung steht in der Pflicht, den Landtag, aber auch die Bürger Niedersachsens über die genauen Umstände dieses Vorgangs aufzuklären. Derartige Versäumnisse wie in diesem Fall dürfen nicht zu einem Dammbruch führen und gehören detailliert aufgeklärt.
Letzter Satz: Diese Posse um diesen Herrn Shahroudi war unseres Bundeslandes wirklich unwürdig. Wir verlangen hier absolute Aufklärung seitens der Landesregierung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Lieber ein stabiles Mullah-Regime als ein zweites Syrien...“ - Diese Aussage - so gepostet auf Twitter - stammt von dem Bundestagsabgeordneten René Springer, und der ist Mitglied der AfD
„Lieber ein stabiles Mullah-Regime“ - da war ich unsicher, ob die AfD mit dieser Aktuellen Stunde eine mögliche Unterstützung des Mullahs kritisieren oder vielleicht doch eher einfordern will. Diese Frage muss nicht beantwortet werden, und zwar deshalb nicht, weil es keine Unterstützung der Landesregierung gegeben hat und auch in vergleichbaren Fällen nicht geben wird.
Auch die Frage des Kollegen Limburg, wer denn entschieden habe, dass Shahroudi nach Niedersachsen kommen darf, liegt neben der Sache.
Richtigerweise hätten Sie, Herr Limburg, wohl fragen müssen, wer die Einreise nach Deutschland ermöglicht hat. Diese Frage ist berechtigt.
Die Versuche des zuständigen Auswärtigen Amtes, eine Antwort zu finden, sind aus meiner Sicht absolut unbefriedigend, um das deutlich zu sagen.
Mahmud Shahroudi ist ein Menschenrechtsverletzer übelster Sorte. Die Tatsache, dass er sich als Rechtsgelehrter bezeichnet, ist wohl für jeden echten Juristen eine persönliche Beleidigung. Der Mann ist wirklich, wie von Alexander Will in der NWZ geschrieben, eine unappetitliche Figur.
Irritierend fand ich manche Aussage der Bundesanwaltschaft. Muss man wirklich lange klären, ob die Vollstreckung der Todesurteile dieses Mullahs im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung erfolgt ist? - Sie haben recht: Wer eine Minderjährige unter Folter zwingt, eine Vergewaltigung einzuräumen, um sie dann wegen Ehebruch mit dem Baukran aufzuhängen, der verstößt wirklich gegen jedes internationale Recht, insbesondere gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Deshalb hätte ihm meiner Meinung nach die Einreise nach Deutschland niemals gestattet werden dürfen.
Es ist besonders bedauerlich, dass zum zweiten Mal ein Menschenrechtsverletzer unter dem Deckmantel dringend benötigter humanitärer Hilfe in Niedersachsen zu Gast gewesen ist. Bereits im November 2005 war es der usbekische Innenminister Almatov, der sich - trotz eines EU-Einreiseverbotes - mit einer Ausnahmegenehmigung des Auswärtigen Amtes im INI behandeln ließ. Es wurden humanitäre Gründe angegeben. In diesem Punkt ist dem Kollegen Limburg zuzustimmen. Es kann und darf nicht sein, dass Niedersachsen zum Sanatorium für Menschenrechtsverletzer wird.
In der Tat, diese Gestalten stehen auch nicht plötzlich als Notfall an den Behandlungstheken. Und mancher Arzt, der sich um diese Patienten bewirbt, sollte sich lieber um deren Opfer bemühen.
Es ist da, rückblickend betrachtet, einiges schiefgelaufen. Am Ende aber war der Vorgang vielleicht doch hilfreich. Ungewollt hat Herr Shahroudi der iranischen Opposition eine ungeheure Aufmerksamkeit verschafft. Die Flucht des Todesrichters bedeutet - wie in der Bild-Zeitung vom 12. Januar richtig ausgeführt - eine wichtige Botschaft: Verbrecher gegen die Menschlichkeit sind nicht sicher. Sie können sich nicht überall frei bewegen. - Damit das so bleibt, müssen wir alle gemeinsam auch in Zukunft genauestens hinschauen - in Deutschland wie im Rest der Welt.
Im Iran ist das nicht einfach. 2015 hat - Herr Limburg, Sie fragen ja danach - eine niedersächsische Delegation unter Leitung des damaligen Wirtschaftsministers Olaf Lies den Iran besucht. Zuvor hatten wir uns hier nach heftiger Debatte darauf verständigt, Menschenrechtsfragen künftig auf jeder Delegationsreise anzusprechen. Ich persönlich habe mich dennoch schwer getan, an dieser Reise teilzunehmen. Die Entscheidung war aber richtig. Olaf Lies hat die Menschenrechtslage in Teheran unter schwierigsten Bedingungen angesprochen, wofür er von den mitreisenden Abgeordneten der damaligen Oppositionsfraktionen ausdrücklich gelobt worden ist.
Was auf landespolitischer Ebene bleibt, ist das zynische Schreiben des Mullahs, in dem er sich für die gute Zusammenarbeit mit unserer Landesregierung bedankt - zynisch deshalb, weil dieser Dank vergiftet war.
Herr Shahroudi, falls Ihnen von dieser Debatte irgendwie berichtet wird: Sie sollten sich auf den Ihnen gewährten Polizeischutz nicht allzu viel einbilden. Wir leben hier in einem Land, in dem Polizisten ihren Dienst versehen, ohne sich mit Geist und Handeln derjenigen Personen, die sie schützen, gemein zu machen. Es gibt in diesem Land beispielsweise Demonstrationen, auf denen der demokratisch legitimierte Rechtsstaat zur Wahrung des Demonstrationsrechtes auch seine Gegner schützt. Zur Vermeidung von Selbstjustiz schützen unsere Polizisten, auch wenn es ihnen schwerfällt, selbst brutale Verbrecher. Das ist zuweilen schwer erträglich; aber irgendwie sind wir auch stolz darauf.
Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer. - Meine Damen und Herren, es folgt jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Rede des Abgeordneten Christian Meyer. Bitte sehr, Herr Meyer!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, 2015 fand kurz nach dem Ende des Embargos die erste Delegationsreise aus Niedersachsen in den Iran statt. 2016 wurde dann von Niedersachsen als erstem Bundesland eine eigene politische und wirtschaftliche Repräsentanz in Teheran eröffnet.
Dieser Landtag hatte schon 2013 eine Entschließung beschlossen, die eine stärkere Berücksichtigung von Menschenrechten bei Auslandsdelegations- und Ausschussreisen vorsah. Das wurde, wie der Kollege Toepffer gesagt hat, auch umgesetzt. Ich zitiere aus dieser Entschließung:
„Neben der wichtigen Förderung der wirtschaftlichen Interessen Niedersachsens sowie dem Kontakt zu Regierungen und Parlamenten im Ausland zählt das Engagement für die universellen Grund- und Menschenrechte ausdrücklich zu den niedersächsischen Interessen im Ausland.“
Nun ist der ehemalige oberste Richter des Iran, Herr Ajatollah Shahroudi, hier im Inland in einer Klinik in Hannover behandelt worden. Laut Amnesty International fallen in seine Zeit als Justizchef der Islamischen Republik mehr als 2 000 Hinrichtungen, darunter die 16-jährige Schülerin Atefah Sahaaleh, die unter Folter angab, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Am 15. August 2004 wurde das Vergewaltigungsopfer Sahaaleh öffentlich an einem Kran erhängt. Dem 13-jährigen Jungen Makwan Moloudzadeh wurde ein Verhältnis mit einem Gleichaltrigen vorgeworfen. Er wurde wegen dieser möglichen homosexuellen Beziehung am 4. Dezember 2007 im Gefängnis von Kermanshah hingerichtet. Der dafür verantwortliche oberste Richter Shahroudi gehört bis heute zum engsten Kreis um den geistlichen Diktator Ali Chamenei und wird sogar als dessen Nachfolger gehandelt.
Viele Menschen fragen sich: Während im Iran Millionen Menschen grausam unterdrückt werden, aber nicht protestieren bzw. demonstrieren dürfen, wählt Herr Shahroudi hier in Hannover in der Privatklinik INI eine Erste-Klasse-Behandlung - ein Luxus, von dem normale Iraner und ihre Kinder nur träumen können.
Die Frage stellt sich: Was wusste die Landesregierung von diesem Aufenthalt des Todesrichters in Hannover? Und was tat sie, damit er sich wegen seiner schweren Menschenrechtsverletzungen einem rechtsstaatlichen Gericht stellen muss?
Denn Menschenrechte sind universell gültig. Ich habe die Resolution des Landtages zitiert. Wir setzen uns natürlich auch hier in Niedersachsen dafür ein, dass solche Verbrechen im Ausland verfolgt werden.
Was passierte aber? - Als der Aufenthalt bekannt wurde, herrschte vonseiten der Landesregierung auch nach Presseanfragen Schweigen. Wollte man die wirtschaftlichen Beziehungen Niedersachsens nicht gefährden? Was war mit dem hehren Beschwören der universell gültigen Grund- und Menschenrechte? - Erst als der Grüne Volker Beck - dem ich herzlich danke - Shahroudi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angezeigt hat, kam hektische Bewegung auf. So wurden hier in Hannover offenbar Polizeifahrzeuge vor dem INI abgestellt - aber nicht, um diesen vermutlichen Menschenrechtsverletzer an der Flucht vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu hindern, sondern um ihn vor friedlichen Demonstranten zu schützen. Es gab kein Wort der Verurteilung dieser Taten vonseiten der Landesregierung! Ich fand das beschämend.
Als die Bundesanwaltschaft dann Vorermittlungen aufnahm, brach Herr Shahroudi seinen Aufenthalt in Hannover plötzlich ab und floh unter Begleitschutz des LKA über Hamburg in den Iran. Später bedankte sich dieser Verbrecher gegen die Menschlichkeit laut NDR noch ausdrücklich bei der Landesregierung. Laut Nachrichtenagentur ISNA hob Shahroudi besonders eine gute Absprache zwischen Regierung und Polizei hervor. Dadurch seien die Proteste gegen ihn unter Kontrolle gehalten worden. - Ich finde, das ist ein unverschämter Vorwurf. Dazu muss sich eine Landesregierung äußern und darf sie nicht auf den Bund verweisen oder abtauchen.