Protocol of the Session on September 10, 2019

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesen Tagesordnungspunkten vor, sodass wir jetzt zur Ausschussüberweisung kommen. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich die Abstimmung splitten.

Zu Tagesordnungspunkt 2 wird vorgeschlagen, dass sich der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen mit dem Gesetzentwurf befasst. Wer das auch so sieht, der möge die Hand heben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Zu Tagesordnungspunkt 3 soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen federführend sein. Mitberatend sein sollen der Ausschuss für Haushalt und Finanzen und der Ausschuss für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz. Wer dem entsprechen möchte, den darf ich um ein Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen, und wir können die Tagesordnungspunkte 2 und 3 verlassen.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der richterlichen Mitbestimmung und zur Stärkung der Neutralität der Justiz - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 18/4394

Einbringen möchte den Gesetzentwurf Frau Ministerin Havliza. Bitte sehr, Frau Ministerin, ich erteile Ihnen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich heute den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der richterlichen Mitbestimmung und zur Stärkung der Neutralität der Justiz vorstellen kann.

Bereits im Jahr 2010 wurden die Regelungen des Richterdienstrechts an die Änderungen des niedersächsischen Beamtenrechts angepasst und die

Vorschriften über die richterliche Mitbestimmung mit dem Ziel einer Verbesserung der Beteiligungsrechte der verschiedenen Richtervertretungen grundlegend überarbeitet. Diese Regelungen sind dann unter Einbeziehung aller Gerichtsbarkeiten und aller Generalstaatsanwaltschaften und Richtervertretungen evaluiert worden. Der vorliegende Gesetzentwurf greift die Ergebnisse auf und stärkt die Beteiligungsrechte der Richter- und Staatsanwaltsvertretungen insbesondere vor dem Hintergrund der fortschreitenden Budgetierung in der Justiz. Dabei finden auch die Änderungen im Personalvertretungsrecht Berücksichtigung, soweit diese auf die Regelungen der Richtervertretungen übertragbar sind.

Zudem erhalten Richterinnen und Richter auf Lebenszeit zum ersten Mal die Möglichkeit, von einem weiteren Teilzeitmodell - dem sogenannten Freijahr - Gebrauch zu machen. Das war bislang nicht der Fall. Dadurch gibt es eine weitere Möglichkeit zur Flexibilisierung der Dienstzeit und erfolgt die weitgehende Angleichung an die für Richterinnen und Richter nicht anwendbaren beamtenrechtlichen Vorschriften zum Freijahr in der Niedersächsischen Verordnung über die Arbeitszeiten der Beamtinnen und Beamten.

Darüber hinaus dient der vorliegende Gesetzentwurf der Sicherung des Vertrauens sowohl der Verfahrensbeteiligten als auch der Öffentlichkeit in die religiöse, weltanschauliche und politische Neutralität der Justiz.

Bei der Wahrnehmung der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Aufgaben in einer Verhandlung oder bei anderen Amtshandlungen in Anwesenheit justizfremder Dritter - also immer da, wo es öffentlichkeitswirksam ist -, untersagt die Vorschrift das Tragen sämtlicher sichtbarer Symbole oder Kleidungsstücke, die eine religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung zum Ausdruck bringen.

Meine Damen und Herren, warum tun wir das? - Die Justiz ist als dritte Gewalt in besonderer Weise zur Neutralität verpflichtet. Unser Grundgesetz verlangt, dass Richterinnen und Richter ihre Aufgaben in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wahrnehmen. Zu den Kernpflichten der richterlichen Tätigkeit gehört es daher zweifellos, dass sowohl den Verfahrensbeteiligten als auch dem Gegenstand des Verfahrens die gebotene Distanz und Sachlichkeit entgegenzubringen ist, und zwar - darauf kommt es an - aus

der beurteilenden Sicht des rechtsuchenden Dritten oder des Angeklagten.

Vor diesem Hintergrund müssen Richterinnen und Richter gegenüber den Verfahrensbeteiligten absolute Neutralität wahren. Dies ist zugleich auch ein unverrückbares Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Gleiches gilt für die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die in der Strafrechtspflege eine herausgehobene Aufgabe erfüllen. Und dies gilt auch für Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger sowie Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, soweit diese eine ihnen übertragene richterliche Aufgabe mit Außenwirkung wahrnehmen.

Meine Damen und Herren, Neutralität ist in erster Linie eine innere Haltung. Aber diese Haltung muss auch nach außen zum Ausdruck kommen. Schon der Anschein für den Rechtsuchenden, den Angeklagten, den Dritten, die Art und Weise der Verfahrensführung oder der Inhalt einer Entscheidung könnte durch eine religiöse, weltanschauliche oder politische Einstellung beeinflusst sein, führt sowohl bei den Verfahrensbeteiligten als auch in der Öffentlichkeit zu einem Vertrauens- und Akzeptanzverlust. Und: Wir haben eine zunehmende religiöse, weltanschauliche und politische Vielfalt unserer Gesellschaft zu verzeichnen. Das ist für die Justiz Anlass, umso stärker auf eine eigene Neutralität und deren Sichtbarkeit zu achten.

Ich freue mich auf die weiterführenden Diskussionen in den Ausschüssen und bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Entwurf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin Havliza. - Wir treten in die Beratung ein. Eine erste Wortmeldung liegt mir vor vom Abgeordneten Thiemo Röhler, CDUFraktion.

(Beifall bei der CDU)

Bitte sehr, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Einbringung des von der Landesregierung vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der richterlichen Mitbestimmung und zur Stärkung der Neutralität der Justiz beginnen wir eine sehr spannende Beratung. Der Gesetzentwurf soll die richterliche Mitbe

stimmung stärken, die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit durch die Einführung des Freijahres flexibilisieren und die rechtsstaatliche Neutralitätspflicht konkretisieren. Die Landesregierung hat in diesem Gesetzentwurf Regelungen mit Maß und Mitte gefunden. Das begrüße ich sehr.

In der Gesellschaft wird in den vergangenen Monaten und Jahren mehr und mehr darüber diskutiert, inwieweit man in der Justiz, aber auch in der Gesellschaft an sich religiöse Symbole tragen darf und wie wir im Blick auf den Staatsdienst damit umgehen wollen.

Die Frau Ministerin hat es eben schon gesagt: Die Justiz ist hier in einer ganz besonderen Art und Weise gefordert. Sie ist dritte Gewalt und insofern zur Neutralität verpflichtet. Das war sie in der Vergangenheit; das wird sie auch in Zukunft bleiben. Der Gesetzentwurf sieht insofern eine Konkretisierung vor.

Es ist klar, dass diese Neutralität letztlich immer nur die innere Haltung desjenigen sein kann, der im Staatsdienst tätig ist. Daher mag die Auffassung durchaus richtig sein, dass man die Neutralität doch gar nicht mit einem Gesetzentwurf regeln kann, weil der Mensch an sich nun einmal gewisse Anschauungen hat. Trotzdem ist es wichtig - und das zeigt sich gerade daran, wie derzeit politische Diskussionen verlaufen -, dass jene, die als Angeklagte im Gerichtssaal sitzen und über die der Staat richten wird, das Gefühl bekommen, dass sie ein faires Verfahren erhalten, bei dem unvoreingenommen über sie entschieden wird.

Es ist richtig, das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke während Verhandlungen zu untersagen. Aber das bedeutet in keiner Weise - auch wenn das immer wieder behauptet wird -, dass wir die Religionsfreiheit oder die Religionsausübung einschränken wollen. Nein, der Mensch an sich kann seine Religion selbstverständlich behalten und sie auch persönlich ausleben. Aber wer im Staatsdienst tätig ist und dort letztlich Verantwortung für den Staat übernimmt, der muss gegenüber Dritten neutral auftreten.

Vor diesem Hintergrund bedauere ich, dass dieser Gesetzentwurf in der Verbandsanhörung von zwei Verbänden recht massiv kritisiert worden ist. Die muslimischen Verbände haben vorgetragen, dass es sich hierbei faktisch um ein Berufsverbot handele.

Ich glaube das gerade nicht! Ich finde, dass derjenige, der in den Staatsdienst eintreten und im Namen des Volkes Urteile sprechen will, sich vorher überlegen muss, ob er bereit ist, auf der Grundlage der Verfassung zu agieren.

In diesem Zusammenhang müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass der Rechtsstaat ein sehr hohes Gut ist und dass wir nicht ohne Grund vor nicht allzu langer Zeit - auch wenn ich da noch nicht geboren war - das Grundgesetz beschlossen und unser christliches Menschenbild mit in die Präambel geschrieben haben.

Für die, die es nicht kennen, darf ich zitieren. Der erste Satz der Präambel des Grundgesetzes lautet:

„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“

Auch das dürfen wir natürlich auf keinen Fall unter den Teppich kehren.

Nichtsdestotrotz bin ich, wie gesagt, dankbar für den Gesetzentwurf. Ich möchte mich ganz herzlich bei der Justizministerin dafür bedanken, dass wir hier Maß und Mitte halten und dass wir gerade nicht jegliches Tragen religiöser Symbole und Kleidung untersagen. Es geht auch nicht darum, Kreuze aus Gerichtssälen zu verbannen. Vielmehr kann man dort, wo sie nicht akzeptiert und geduldet werden können, flexible Lösungen finden.

In diesem Sinne freue ich mich auf spannende Beratungen in den Ausschüssen und würde mich freuen, wenn wir auch diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Form zumindest jetzt noch kritisch gegenüberstehen, noch überzeugen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Röhler. - Ich rufe jetzt auf den Kollegen Helge Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie hören, bin ich etwas heiser. Ich hoffe, dass die Stimme zumindest diese Rede durchhält.

(Zuruf von der CDU: Wir drücken die Daumen!)

- Danke schön, Herr Kollege.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung enthält, wie die Frau Ministerin gerade bei der Einbringung gesagt hat, sehr viele verschiedene Regelungen. Die darin enthaltene Ausweitung der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Mitbestimmung begrüßen wir Grüne ausdrücklich. Sie ist auch Ausdruck der Unabhängigkeit der Justiz und stärkt an der Stelle sozusagen die Eigenverwaltung. Das finden wir ausdrücklich richtig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch dass das Freijahr - man könnte auch sagen: das Sabbatical - jetzt für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ermöglicht werden soll, findet natürlich unsere Zustimmung.

Aber diese Regelungen dieses Gesetzentwurfs sind in der öffentlichen Debatte - leider, möchte ich ausdrücklich sagen - in den Hintergrund geraten, und das, weil Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, völlig unnötigerweise einen gesellschaftlichen Konflikt vom Zaun gebrochen haben. Die Rede ist von dem von Ihnen geplanten Kopftuchverbot.

Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs haben Sie davon gesprochen, dass es um ein Verbot aller religiösen Symbole geht. Aber ich glaube, näher an dem Hintergrund dieses Gesetzentwurfs ist dann schon der Koalitionsvertrag von SPD und CDU. Dort nämlich heißt es auf Seite 43 wortwörtlich:

„Darüber hinaus werden wir das Tragen eines Kopftuchs für alle Mitglieder des gerichtlichen Spruchkörpers... sowie Staatsanwältinnen inklusive Referendarinnen im Sitzungsdienst untersagen.“

Da ist nur von einem Kopftuch die Rede!

De facto wird sich der Gesetzentwurf in der Praxis als Verbot von Kopftüchern und Kippas auswirken, weil das die einzigen relevanten Symbole sind, für die es Beispiele gibt, dass sie getragen wollen werden könnten. Alle anderen Religionen werden

davon - zumindest nach den bisherigen Erfahrungen - de facto nicht betroffen sein.