Protocol of the Session on October 26, 2018

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Es folgt jetzt für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Stephan Bothe. Herr Bothe, bitte sehr! Sie haben das Wort. Auch für Sie fünf Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Es kommt nicht häufig vor, dass ich die liberale Wochenzeitung Die Zeit wiedergebe. Doch in diesem Fall traf sie den Nagel auf den Kopf. Ich zitiere:

„Die katholische Kirche hat Kindesmissbrauch vertuscht und die Täter geschützt, offenbar auch zu dem Zweck, ihren Kirchenapparat nicht zu gefährden.“

Gerne knüpfe ich hier an.

Das in der Studie der Deutschen Bischofskonferenz zutage getretene Ausmaß von schwerem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche ist verabscheuungswürdig. Die FDP hat die bedrückenden und erschreckenden Zahlen vorgelegt. Zu erwähnen wäre noch, dass es sich überwiegend um männliche Kinder und Jugendliche handelte, von denen mehr als die Hälfte zur Tatzeit jünger als 14 Jahre alt waren. In dem vorliegenden Bericht heißt es dazu weiter.

„Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass mit fast 10 % ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Beschuldigten in höherer Verantwortung des kirchlichen Dienstes stand.“

Weiter steht in der Studie beschrieben:

„Bei 110 Beschuldigten... war ein höheres Kirchenamt nicht vor, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt nach der angeschuldigten Ersttat verzeichnet.“

Es lässt sich also sagen, dass hinter der jahrzehntelangen Vertuschung von Missbrauchsfällen System stand. Denn nicht wenige der Täter, die diese verabscheuungswürdigen Verbrechen an den ihnen anvertrauten Kindern begingen, waren nach den Taten in leitender Verantwortung im Kirchenapparat.

Dass hier keine Aufklärung stattfand, darf nicht verwundern. Im Gegenteil: Vertuschung, Zerstörung von Beweismaterial, Drangsalierung der Opfer und Verhinderung von kirchlichen und weltlichen Strafverfahren waren an der Tagesordnung. Zur Belohnung wurden die Täter dann noch oft in der Kirchenhierarchie befördert. Dies, meine Damen und Herren, ist der eigentliche Skandal! Statt Strafverfolgung dürfen die Herren Geistlichen an anderen Orten weiter ihr Unwesen treiben. Ein „Pfui Teufel!“ wäre hier angebracht.

Mit der Veröffentlichung des Berichts ist eines sehr deutlich geworden: Der Missbrauch in der katholischen Kirche hatte über Jahrzehnte hinweg System - ein System, das nicht an Ländergrenzen haltmachte, sondern global praktiziert wurde und wohl noch heute wird.

Unter dem Deckmantel der christlichen Nächstenliebe haben pädophile Geistliche Kinderseelen zerstört und das Leben Tausender Heranwachsender ruiniert. Das ist eine Schande für eine sich christlich nennende Institution!

Meine Damen und Herren, was bleibt angesichts der grauenhaften Schandtaten zu tun? - Das abgeschottete System Kirche gehört aufgebrochen! Es muss ein Ende sein mit rechtsfreien Räumen und Sonderrechten! Da gehen wir als AfD-Fraktion mit den Kollegen der FDP konform: Es ist Zeit für die Staatsanwaltschaften auch hier in Niedersachsen, die Strafverfolgung konsequent umzusetzen.

Womöglich müssen aus dem Bericht Ansatzpunkte - dies haben wir heute ausführlich erläutert - für Ermittlungen gezogen werden. Diese müssen in Anklagen münden.

Meine Damen und Herren, Sexualstraftäter im Priestergewand sind keine unantastbaren Heiligen. Sie gehören angemessen bestraft und zum Schutz der Kinder am Ende hinter Schloss und Riegel gebracht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bothe. - Es folgt Kollege Limburg, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist in solch einer öffentlichen Debatte wichtig, gerade wenn wir über juristische Fragestellungen diskutieren, uns auch einmal die Frage zu stellen, wie das Ganze eigentlich für Nichtjuristinnen und -juristen wirken muss. Wie muss das für Menschen wirken, die das Geschehen aus den Nachrichten, aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung verfolgen? Wie muss das auch für Opfer, für Betroffene des Missbrauchs wirken?

Da haben wir die Institution katholische Kirche, in deren Reihen es über Jahrzehnte offenkundig eine Vielzahl von Fällen sexuellen Missbrauchs gegeben hat. Diese Institution lässt das aufarbeiten, zunächst einmal intern mit einer Studie. Im Ergebnis wissen wir sicher, dass es viele Straftaten gegeben hat. Und wir wissen sicher, dass in den Akten dieser Institution Hinweise auf die Täter stehen.

Dann passiert aber nicht das, worauf Herr Dr. Birkner zu Recht hingewiesen hat, was, glaube ich, die ganz große Mehrzahl der Öffentlichkeit erwartet, nämlich dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden mit all ihrem Instrumentarium tätig werden können, sondern es passiert de facto erst einmal gar nichts.

Das ist doch für Außenstehende ein zutiefst verstörender Vorgang! Hier entsteht doch der fatale Eindruck, es gäbe sozusagen ein Sonderrecht für Kirchen, Kirchen würden nicht der normalen Strafprozessordnung unterliegen, Kirchen wären quasi eine Art eigener Rechtskreis. Dieser fatale Eindruck entsteht doch durch die öffentliche Debatte. Dem müssen wir alle uns entgegenstellen, damit das Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie in diesem Land nicht leidet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Staatsanwaltschaften sind an das Recht gebunden. Das ist natürlich auch gut so. Und - das haben Sie zu Recht ausgeführt, Frau Ministerin - wenn es keinen ausreichend konkretisierten Verdacht gibt, dann können Hausdurchsuchungen und Aktenbeschlagnahmen nicht erfolgen. Aber: Wenn es diesen Verdacht gibt, dann können und müssen Staatsanwaltschaften mit all ihren Befugnissen, mit der ganzen Härte der Strafprozessordnung tätig werden.

Ein solcher Verdacht - auch darauf haben Sie hingewiesen - kann in der Tat auch durch Strafanzeigen durch Opfer entstehen. Aber um eine solche Strafanzeige dann tatsächlich zu stellen, brauchen Opfer in der Tat Kraft und Mut. Das ist keine leichte Situation. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie brauchen Ermutigung, z. B. durch eine Justizministerin, die öffentlich viel früher hätte deutlich machen können, dass die Justiz natürlich an der Seite der Opfer steht, dass die Justiz, wenn Strafanzeigen kommen, diese natürlich konsequent verfolgt, und die auch öffentlich hätte deutlich machen können, dass es Opferberatungsstellen gibt, die an der Seite der Opfer stehen. Das, Frau Ministerin, hätten Sie schon vor Wochen machen können und machen sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Im Gegenteil: Ihre öffentlichen Appelle an die Kirchen, Ihre Ankündigung, sich mit den Kirchen, also quasi den Institutionen, denen die Täter angehören, an einen Runden Tisch zu setzen, müssen doch bei Opfern den fatalen Eindruck erwecken, dass ihre Interessen, ihre Belange kein Gehör finden und nicht zur Geltung kommen. Nötig wären Runde Tische mit Vertreterinnen und Vertretern der Opfer. Nötig wäre ein Austausch mit dem Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, um zu überlegen, wie man Opfer, die Strafanzeigen stellen wollen, noch mehr ermutigen, noch mehr stärken kann.

Ich teile Ihre Einschätzung, dass die Stiftung Opferhilfe und auch andere Institutionen in Niedersachsen eine hervorragende Arbeit leisten. Nur: Deren Arbeit muss natürlich auch öffentlich bekannt gemacht werden. Darauf muss hingewiesen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Kirchen - auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden - haben in der Vergangenheit für unser Land und unsere Gesellschaft viel geleistet, und sie leisten gegenwärtig viel. Ohne die Kirchen - das ist meine feste Überzeugung - wäre dieses Land ärmer. Aber diese Leistungen entbinden sie natürlich nicht von der Verantwortung für die Opfer dieser Straftaten. Die Studie und die öffentlichen Entschuldigungen können da allenfalls ein erster Schritt sein.

Die katholische Kirche muss Straftaten in ihren Reihen konsequent zur Anzeige bringen. Sie muss vor allem die Strukturen, die den Kindesmissbrauch über Jahrzehnte ermöglicht und begünstigt haben, aufbrechen, um zu verhindern, dass es zukünftig wieder zu so etwas kommt. Das muss die Aufgabe der Kirche und auch unser aller Aufgabe sein. Das sind wir den Opfern schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die SPDFraktion erteile ich nun das Wort dem Kollegen Ulf Prange. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Befund der Studie, nämlich das Ausmaß der Missbrauchsfälle und die Strukturen in der katholischen Kirche, die Vertuschung befördert und dadurch letztlich weitere Taten ermöglicht haben, hat uns, glaube ich, alle erschüttert. Dass sich die katholische Kirche mit der Studie und durch öffentliche Äußerungen von Kirchenvertretern um Aufklärung bemüht bzw. eine solche ankündigt, ist richtig, kann aber nur ein erster Schritt sein.

Die SPD-Fraktion hat die klare Erwartung an die katholische Kirche, dass alle Akten, Unterlagen und Informationen den zuständigen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt werden und alle Vorgänge zur Anzeige gebracht werden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Christian Calderone [CDU])

Daneben haben wir die Erwartung, dass interne Strukturen in der Kirche verändert werden, um Vertuschung künftig wirksam zu verhindern. Ich sage ausdrücklich: Den öffentlichen Verlautbarungen müssen auch Taten folgen.

Ferner ist uns wichtig, dass die strafrechtliche Aufklärung durch die zuständigen Ermittlungsbehörden erfolgt und nicht durch die Kirche oder von ihr beauftragte Personen. Es darf nicht der Eindruck einer Paralleljustiz entstehen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Anfrage der FDP-Fraktion, die wir hier beraten, halte ich insofern für problematisch, als Sie suggerieren, dass die Ermittlungsbehörden nicht das tun, was in ihrer Macht steht. Ich glaube, in diesem frühen Stadium - die Ministerin hat darauf hingewiesen - ist es äußert schwierig zu beurteilen, inwieweit sich aus der Studie, die ja gerade keinen juristischen Maßstab hat,

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Doch, na- türlich!)

schon solche Erkenntnisse ableiten lassen, die dann tatsächlich auch in Ermittlungsverfahren münden. Ich finde, dass die Ministerin hier sehr überzeugend dargestellt hat, dass anhand der Informationen, die wir aus der Studie haben, nicht die Anhaltspunkte, nicht der konkrete Anfangsverdacht gegeben sind, um Durchsuchungen und Beschlagnahmen zu rechtfertigen. Das ist ja auch das, was an der Studie kritisiert wird: die fehlende Transparenz, dass die Verfasser der Studie nur anonymisierte Daten bekommen haben. Ich glaube, da ist erst einmal die Kirche in der Pflicht, hier für Aufklärung zu sorgen und diese Informationen nun endlich zur Verfügung zu stellen.

Ich habe die Erwartung und das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden, dass dort, wo konkrete Anhaltspunkte im Sinne eines Anfangsverdachts vorliegen, ermittelt wird. Dazu besteht bei Offizialdelikten eine gesetzliche Verpflichtung. Rechtsstaatliche Maßstäbe müssen für alle Straftaten gelten, auch für schwere Straftaten, und das muss die Gesellschaft aushalten - wobei ich meinem Kollegen Limburg ausdrücklich recht gebe, dass es sehr schwierig ist, das zu kommunizieren. Ich glaube, da haben wir alle miteinander die Verantwortung, zu versuchen, den Menschen diese Verfahren auch so zu erklären und darauf hinzuweisen, wenn es zu diesen Situationen kommt, damit eben nicht der Eindruck entsteht, dass hier nicht mit dieser Entschiedenheit gehandelt wird.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Nun zur Positionierung der Ministerin: Das kann man so sehen wie Sie, dass das eine Einmischung ist. Ich finde es aber richtig, dass sie sich - gerade

wenn es so schwierig ist wie hier, weil diese benötigten Akten und die konkreten Namen von Opfern und Tätern eben nicht zur Verfügung stehen - hier klar positioniert hat und die deutliche Aufforderung an die Kirche, an die Bistümer ausgesprochen hat, den Staatsanwaltschaften die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Das ist das richtige Zeichen, und so, wie ich die Reaktionen aus der Kirche wahrnehme, ist diese Botschaft auch angekommen. Ich danke der Ministerin ganz ausdrücklich für ihre Haltung an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ähnlich klare Äußerungen habe ich jedenfalls aus anderen Ländern nicht wahrgenommen.