Protocol of the Session on June 21, 2018

Spätestens an dieser Stelle brechen die Legitimation und die Rechtfertigung für die Bestrafung eines entsprechenden Verhaltens in sich zusammen. Denn der Staat kommt in einen Wertungswiderspruch, dass er auf der einen Seite sagt „Das ist legal“, auf der anderen Seite aber sagt „Das ist illegal“, obwohl es in der Sache keinen rechtfertigenden Unterschied gibt, der eine unterschiedliche Behandlung gebietet.

Meine Damen und Herren, deshalb kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Kriminalisierung des Cannabiskonsums nicht länger hinnehmbar ist und dass die Prohibitionspolitik angesichts der Konsumentwicklung gescheitert ist.

Gegen das letztgenannte Argument, dass es legale Drogen gibt und dass eine vergleichbar gefährliche Droge illegal ist, wird oftmals eingewandt, dass es nicht richtig sei, eine weitere Droge, die ein Gefährdungspotenzial hat, freizugeben. Aber diese

Denke, meine Damen und Herren, stellt die Verhältnisse ein bisschen auf den Kopf. Denn es ist ja der Staat, der seinerseits rechtfertigen muss und seinerseits die Wertungswidersprüche vermeiden und sich an einen verlässlichen, berechenbaren Wertungsmaßstab halten muss und eben nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen darf.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Insofern geht auch dieses Argument fehl.

Wer das so ernsthaft meint, der müsste konsequenterweise sagen, dass der Staat dann auch Alkohol und andere vergleichbare Drogen kriminalisieren müsste. Das sagt aber niemand ernsthaft.

Meine Damen und Herren, deswegen kommen wir unter dem Strich dazu, dass die Kriminalisierungspolitik gescheitert ist und eine Entkriminalisierung nötig und angemessen ist. Dies ist übrigens ein Trend. Ich sage voraus: Selbst dann, wenn die Landesregierung dem, wie bisher angekündigt, nicht folgen wird, werden wir in spätestens fünf bis zehn Jahren auch in Niedersachsen so weit sein. Wir sehen die Entwicklungen in anderen Gesellschaften, in anderen Staaten, wo das längst so weit ist.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die Zeit wird das mit sich bringen, und auch Sie werden sich dieser Erkenntnis nicht verschließen können.

Es gibt aber noch weitere Argumente, die für eine Entkriminalisierung sprechen, die nicht tragend sind, die aber in ihrer Folge positiv sind, nämlich die Entlastung der Strafverfolgungsbehörden, die in diesem Zusammenhang mit einer Vielzahl von Delikten vor Ort belastet sind - die Staatsanwaltschaften, die Gerichte, die Polizeibehörden. Die wissen alle genau, dass sie mit der Arbeit, die sie leisten, in der Sache nichts bewirken,

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ja, genau!)

dass das, was insbesondere das Jugendstrafrecht oder in anderen Bereichen das Erwachsenenstrafrecht verfolgt, nicht erreicht wird.

Ferner gibt es die negative Folge - das ist in der Anhörung, die wir in der letzten Legislaturperiode dazu gemacht haben, auch noch einmal sehr deutlich geworden -, dass wegen Straftaten, die einen extrem geringen Unrechtsgehalt haben - wenn sie überhaupt einen haben; aber wenn man mal einen

unterstellt -, Lebensläufe erheblich belastet und beeinträchtigt werden und persönliche Entwicklungen dauerhaft geschädigt werden und dass dann nicht der Konsum, aber die Bestrafung einen bleibenden negativen Effekt auf diese Menschen hat. Das ist angesichts der geschilderten Umstände nicht gerechtfertigt.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Um das deutlich zu machen und keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Entkriminalisierung, die wir anstreben, konzentriert sich auf die Erwachsenen. Wir wollen eine Entkriminalisierung für die Erwachsenen. Wir wollen das nicht für Jugendliche; denn in Bezug auf Jugendliche beurteilen wir das Gefährdungspotenzial anders. Dazu sagen uns auch Entwicklungspsychologen, bei ihnen ist es anders als bei Erwachsenen. Bei Erwachsenen streben wir die Entkriminalisierung an, aber gerade nicht bei Jugendlichen - um das deutlich zu sagen und einem solchen Argument gleich zu begegnen.

(Beifall bei der FDP - Dr. Christos Pantazis [SPD]: Ab welchem Alter? - Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Unser Antrag zielt also auf die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene. Wir erwarten damit letzten Endes auch eine gewisse Sicherung von Qualität, Standards und Verbraucherschutz sowie die Möglichkeit zur Aufklärung über Wirkungen und Nebenwirkungen.

Herr Pantazis - wenn ich das abschließend noch schnell sagen darf, Herr Präsident; er fragte gerade, ab welchem Alter -, auch über die Frage des Alters haben wir eine intensive Diskussion geführt. Darüber kann man wirklich intensiv nachdenken. Nur, wir haben eine gesellschaftliche Entscheidung in Deutschland, dass Menschen ab dem Alter von 18 Jahren einsichtsfähig sind. Insofern ist auch hier für uns die Altersgrenze bei 18 Jahren.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Den Ball kann Herr Dr. Pantazis für die SPD-Fraktion gleich aufnehmen. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit 2013 ist das mittlerweile der dritte Antrag mit Cannabis-Bezug, der in den parlamentarischen Ablauf Einzug hält. Letztmalig hatten wir 2016 einen FDP-Antrag mit einer ähnlichen Stoßrichtung. Wir haben dazu seinerzeit im Gesundheitsausschuss eine große Anhörung durchgeführt, die übrigens in vielen Bereichen sehr erhellend war.

Uns allen ist bewusst, dass in der Sucht- und Drogenpolitik kein anderes Thema so leidenschaftlich diskutiert wird wie jetzt auch die Freigabe bzw. Legalisierung von Cannabis aus nicht medizinischen Gründen, also als Genussmittel. Denn während man sich beim Einsatz von medizinischem Cannabis mittlerweile einig ist, steht man sich in der Frage der Freigabe als Genussmittel auch im Rahmen eines Modellprojekts quasi im Sinne eines Glaubenskrieges unversöhnlich gegenüber. Gerade die Liberalisierung des Cannabis in diversen US-Staaten und seit gestern übrigens auch in Kanada befeuert in regelmäßigen Abständen die Debatte, so auch heute hier. Dabei sind die angesprochenen Aspekte wie Auswirkungen des Verbots auf Jugendschutz, Prävention, Kriminalisierung, die staatliche Kontrolle und Regulierung des Marktes immer wiederkehrende Gesichtspunkte ein und desselben Disputs. Sie sind ja eben darauf eingegangen.

Hinsichtlich der Prävalenz ist Cannabis auch in Deutschland die am häufigsten konsumierte illegale Droge. In der Tat besagt die Lebenszeitprävalenz Erwachsener, dass ca. jeder vierte Erwachsene mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert hat - wohlgemerkt die Lebenszeitprävalenz.

Nach aktueller Datenlage beträgt die Jahresprävalenz bei Jugendlichen und bei Erwachsenen allerdings 5 % bzw. 4 %. Hinsichtlich des regelmäßigen Konsums von Cannabis sind sogar entsprechende Prozentraten von 1,3 % bzw. 3 % zu verzeichnen.

Interessant sind auch - diesen Hinweis haben Sie gerade auch gegeben - die entsprechenden Werte für den regelmäßigen Alkoholkonsum und vor allen Dingen für das regelmäßige Tabakrauchen. Denn da haben wir eine vierfach höhere Prävalenz und beim Tabakrauchen sogar eine zehnfach höhere Prävalenz. Das ist also ein Umstand, der die drogenpolitische Widersprüchlichkeit - legale und illegale Drogen - sehr deutlich offenbart.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hintergrund des hier vorliegenden Antrags möchte ich auf die grundsätzliche Leitlinie von Suchtpolitik abzielen, nämlich die Verhinderung und Reduzierung von gesundheitlichen Schäden durch Suchtmittelkonsum. Es ist mittlerweile wissenschaftlich fundiert belegt, dass abhängig vom Alter, von Dosierung und individueller Disposition unterschiedliche akute Folgeschäden durch Cannabiskonsum auftreten können. Ein hoch dosierter langjähriger und intensiver Cannabisgebrauch sowie ein Konsumbeginn im Jugendalter können mit einem abhängigkeitsspezifischen Entzugssymptom, mit Psychosen und körperlichen Schädigungen einhergehen.

Diese Darstellung macht deutlich: Cannabis ist mitnichten eine harmlose Substanz. Eine kontrollierte, modellhafte Freigabe zu Genusszwecken ist gerade aus suchtfachlicher Sicht kritisch zu hinterfragen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung bei der AfD)

In diesem Zusammenhang würde ich sehr gern auf zwei Aspekte des Antrags eingehen. Deswegen danke ich Ihnen, Herr Dr. Birkner, für die Antwort hinsichtlich der Volljährigkeit. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die geistige Entwicklung und die damit verbundenen möglichen Hirnschädigungen eingehen. Die Anhörung seinerzeit hat ergeben, dass mit 18 Jahren jedenfalls die geistige Entwicklung nicht abgeschlossen ist. Deshalb halte ich dieses Alter für nicht genehm.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Bei Alkohol aber auch nicht!)

Der nächste Punkt ist die Verhinderung des Schwarzmarkts, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen. Die Anhörung hat in diesem Fall ebenfalls ergeben, dass der Schwarzmarkt weiterhin bestehen bleibt und dass die lizenzierten Produkte die Schwarzmarktpreise nicht unterbieten können. Colorado ist ein gutes Beispiel. Dort sind es mittlerweile 30 %, und es besteht weiterhin ein Schwarzmarkt.

Herr Dr. Pantazis, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, jetzt nicht.

Das ist ihm nicht genehm, Herr Dr. Birkner.

Unsere politische Handlungsmaxime lautet daher weiterhin: Entkriminalisierung ja - aber in anderem Kontext -, Legalisierung und Freigabe nein.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der AfD)

Vor diesem Hintergrund verwundert es daher nicht, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte suchtfachlich zwingende Versagensgründe nach dem Betäubungsmittelgesetz sah und bis dato sämtliche ergangene Anträge für Modellversuche zur Freigabe von Cannabis als Genussmittel negativ beschieden hat. Als einen Fall nenne ich hier das Berliner Modell. Die Stellungnahmen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ich zitiere: Das Forschungsvorhaben verstößt gegen den Schutzzweck des Betäubungsmittelgesetzes. - Oder: Die kontrollierte Abgabe des Rauschmittels an gesunde Erwachsene sei - Zitat - „weder medizinisch noch ethisch vertretbar“.

Auf politischer Ebene fand letztlich ein von Bremen und Thüringen im Bundesrat eingebrachter Beschlussvorschlag zur gesetzlichen Veränderung des Betäubungsmittelgesetzes, um die Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis zu schaffen, erwartungsgemäß keine Mehrheit.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, sicherlich mag es politisch nachvollziehbar sein, sich über neue Wege in der Drogenpolitik Gedanken zu machen, da trotz repressiven Ansatzes die Prävalenz von Cannabis nicht abgenommen hat.

Zusammenfassend lässt sich allerdings zurzeit festhalten, dass die suchtfachlichen und gesellschaftspolitischen Aspekte für die Freigabe von Cannabis als Genussmittel auch im Rahmen von Modellversuchen kritisch zu sehen sind. Daher spricht sich beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Suchtfragen weiterhin aufgrund der sich unversöhnlich gegenüberstehenden - ich habe es vorhin gesagt - Glaubenspositionen in diesem Fall für das Einsetzen einer Enquetekommission beim Deutschen Bundestag aus, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur Lösung des Problems herbeizuführen. Ich finde, das ist eine unterstützenswerte Initiative in diesem Zusammenhang.

Vor allem in diesem Sinne freue ich mich auch, dass wir in den Ausschussberatungen sicherlich auch den einen oder anderen Experten hinzuziehen sollten, damit wir die Debatte nochmals weiterführen können.

Dementsprechend danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. Auf Ihre Rede hin gibt es den Wunsch nach einer Kurzintervention durch Herrn Dr. Birkner. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Pantazis, ich möchte zwei Punkte ansprechen. Der erste Punkt ist, dass Sie die Entwicklungspsychologie und Entwicklung von jungen Menschen angesprochen haben und das Alter von 18 Jahren als - unfachlich formuliert - noch zu empfindliches Alter beschrieben haben. Das gilt dann doch gleichermaßen auch für hochprozentige Alkoholika. Dort gibt es doch die gleichen Einwirkungen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dazu höre ich aber nichts dergleichen! Es ist nicht so, dass ich das gut fände. Aber der Staat stellt sich hier in einen gewissen Widerspruch.