Herr Minister, einen Moment, bitte! - Herr Thiele, ich hatte vorhin angedeutet, was ich tun werde, wenn die Ordnung gestört wird. Sie wird jetzt laufend gestört. Herr Thiele, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
Ich möchte das noch einmal erklären. Ich greife damit gar nicht die Bundesregierung an. Ich sage, dass es nicht ehrlich ist, wenn alle europäischen Nationen fordern, die Fluchtursachen zu bekämp
fen, dann aber ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. Denn das ist der einzige Schlüssel, um vor Einbruch des Winters die Flüchtlingsströme vielleicht abzubremsen, wobei wir noch nicht berücksichtigt haben, wie viele Zehntausend Menschen schon auf dem Balkan in Richtung Deutschland unterwegs sind. Das sind doch die Herausforderungen! Deswegen sehe ich kein Konzept, um die Flüchtlingszahlen herunterzubringen.
Das Asylrecht wird niemand infrage stellen; das sehe ich bislang jedenfalls nicht. Damit scheinen alle Optionen, die derzeit auf dem Tisch liegen, keine zu sein. Deswegen ist die Frage müßig, ob wir eine Begrenzung haben wollen oder nicht. Wir können sie schlicht nicht gewährleisten! - So viel zum ersten Punkt.
Zur zweiten Frage. Die Landesaufnahmeeinrichtung in Braunschweig ist eine der ältesten, wie Sie wissen. Sie ist mir gut bekannt. Ich war mehrfach dort. Die Situation ist wie in Bramsche oder in Friedland extrem angespannt.
Glauben Sie mir, es bedrückt mich zutiefst, wenn ich durch Kellerräume von früheren Lagergebäuden dieser Einrichtung gehe und sehe, dass die Menschen auch dort untergebracht sind, um sicherzustellen, dass sie nicht draußen kampieren müssen.
Glauben Sie mir, das ist zutiefst unbefriedigend, das bedrückt mich auch, weil es nicht schön ist, weil es hässlich ist und weil es nicht das Gesicht ist, das wir als Deutschland und Niedersachsen bieten wollen.
Aber ich wiederhole noch einmal - so lange, bis es der Letzte mit mir teilt -: Wir laufen bei diesen Zahlen am Limit. Man kann bei diesen Zugangszahlen nicht im gleichen Tempo, wie die Menschen kommen, wertige Einrichtungen schaffen, wie man sie braucht. Das muss uns allen klar werden. Auch das gehört übrigens, wie ich finde, zur Handlungsfähigkeit der Politik: Man muss reagieren, aber man muss auch ehrlich sein.
Das wollte ich vorhin zum Ausdruck bringen: Wenn wir „Wir schaffen das!“ sagen: irgendwie, irgendwann, ja. Aber dann müssen wir den Menschen auch sagen, dass es nicht leicht werden wird, dass sich die Dinge verändern werden, dass es eben nicht von jetzt auf gleich geht und dass es nicht zu den Bedingungen geht, die wir in der Vergangen
heit gewöhnt waren. Ehrlichkeit gehört zum Vertrauen in die Politik dazu. Und die sollten wir uns gegenseitig zugestehen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im Rahmen der Amtshilfe 20 Kommunen sehr, sehr kurzfristig jeweils mehrere Hundert Flüchtlinge innerhalb weniger Tage unterbringen müssen, dass auch das örtliche DRK angerufen wird - ihm wird gesagt: ihr müsst kommen, übermorgen kommen die Leute! - und dass das sehr kurzfristig funktionieren muss, frage ich die Landesregierung: Wieso dauert es auf der anderen Seite viele, viele Wochen und Monate, bis das Land eigene Erstaufnahmeeinrichtungen an den Start bringt? Warum dauert es beispielsweise bis zum Frühjahr nächsten Jahres, bis die Notunterkunft in EhraLessien zu einer Erstaufnahmeeinrichtung umgebaut werden kann? - Ich verstehe nicht, warum das Land für diese Maßnahmen so lange braucht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Oetjen, es ist ja so, wie Sie es beschreiben. Die Dinge brauchen ihre Zeit. Wenn das Land eine Aufnahmeeinrichtung planen und bauen will, müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Man braucht einen Raumbedarfsplan, und dann müssen Architekten beauftragt werden. Das läuft in der Hoheit des Finanzministeriums beim Staatlichen Baumanagement. Dort ist man jetzt so weit, dass sie zwei Modelle entwickelt haben, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten - - -
- Entschuldigung, ich habe keine Zuständigkeit zum Bauen von Einrichtungen. Das sollte selbst Ihnen, Herr Thiele, einleuchten.
Lieber Herr Oetjen, wir bemühen uns nach Kräften, diese Einrichtungen bauen zu lassen. Das passiert. Im nächsten Jahr, denke ich, werden wir die erste kriegen.
Gleichzeitig sind wir dabei, Langfristkonzepte für andere Standorte zu haben. Aber die erste Aufgabe im Augenblick ist, Notunterkünfte zu schaffen. Darunter fällt Ehra-Lessien. Ferner müssen bestimmte Voraussetzungen, auch baulicher Art, erfüllt sein, um eine Anlage als Erstaufnahmeeinrichtung an den Start bringen zu können. Das braucht seine Zeit. Das können wir nicht maßgeblich beschleunigen.
Deswegen liegt das Hauptaugenmerk zurzeit darauf, Notunterkünfte zu schaffen - das ist die Hauptaufgabe - und zeitgleich - mit einer anderen Geschwindigkeit und einer anderen zeitlichen Zielperspektive - die Zahl der Erstaufnahmeeinrichtungen zu erhöhen. Das läuft parallel, aber mit unterschiedlichen Zielperspektiven.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht ausreichen, frage ich die Landesregierung, ob in Erwägung gezogen wird, neue Einrichtungen zu bauen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass die Kommunen gestern um Amtshilfe gebeten worden sind,
(Ulf Thiele [CDU]: Die sind nicht gebe- ten worden! - Reinhold Hilbers [CDU]: Die sind herangezogen worden!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf erstens daran erinnern, dass Nordrhein-Westfalen dieses Modell seit mehreren Wochen fährt und relativ früh damit begonnen hat. Das Land Hessen macht etwas Ähnliches auf der Grundlage der Katastrophenschutzgesetzgebung und zieht die Kommunen darüber heran, diese Aufgabe zusammen mit der Landesregierung wahrzunehmen. Von daher ist das zunächst einmal kein Unikum. Und glauben Sie mir: Wir werden nicht die Letzten sein, die diesen Weg gehen.
Zweite Antwort: Nein, natürlich ist das nicht unser präferiertes Modell. Das ist im Grunde genommen wirklich nur eine letzte Option, um der größten Not, der akuten Not Herr zu werden. Nichts anderes! Nicht mehr und nicht weniger steckt dahinter. Sobald wir darauf verzichten können, werden wir darauf verzichten, weil die Kommunen auch so schon genug zu tun haben. Aber - ich sage es noch einmal - die Alternative dazu ist die Obdachlosigkeit für Flüchtlinge.
Meine Kenntnis der Reaktion der Landräte und Oberbürgermeister von gestern ist die, dass sich die Begeisterung in Grenzen hält. Gleichzeitig war aber viel Verständnis für die Maßnahme vorhan
den - bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Es gab sehr große Bereitschaft, sehr schnell einzuspringen, ohne dass man sich deswegen darüber freut. Aber die Landräte und die Oberbürgermeister haben einen klaren Blick für die Realität.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund, dass gestern 20 Kommunen, wie ich finde, zur Amtshilfe verpflichtet worden sind - den Begriff möchte ich hier so gebrauchen -, frage ich die Landesregierung: Wie sieht die finanzielle Abwicklung dieser Verpflichtung aus? Tritt das Land direkt in Leistungen ein, dass diese also gezahlt werden, oder müssen die Kommunen auch in Vorleistung treten? - Das scheint mir sehr wichtig zu sein.