Protocol of the Session on October 13, 2015

sich das Land Niedersachsen dann auch dafür einsetzt, dass nicht nur repariert wird, sondern dass komplett entschädigt wird und keine weiteren Belastungen und Kosten bei dem Kunden hängen bleiben? Die eigene Aufklärungsaktivität der Landesregierung und nicht die eines Aufsichtsrates fehlt vollständig. Das ist der Kernpunkt unserer Kritik an Ihrem Agieren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Warum, Herr Ministerpräsident, haben Sie heute nichts zum 3. September gesagt, als Volkswagen in Amerika zugegeben hat, dass die Manipulationen und der Betrug vorgenommen worden sind? Warum geschah das erst zum 18. September? Warum dieses Delta, obwohl es doch einige gewusst haben mussten? Warum haben Sie nichts vom Jahr 2011 gesagt, als man tatsächlich schon Warnmeldungen im Konzern hatte, dass Betrug vorliegt, und sie angeblich nicht bis zum Vorstand gelangt sind?

(Anja Piel [GRÜNE]: 2011? - Gerd Ludwig Will [SPD]: Wer hat denn 2011 regiert? - Zuruf von Johanne Modder [SPD])

Warum haben Sie nichts davon gesagt, dass Volkswagen selber im Jahr 2014 bei den USBehörden angerufen und gefragt hat, ob sie Kern und Gegenstand der Untersuchung sind? - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will es Ihnen sagen: Aufsichtsräte, Frau Modder, haben eine Aufsichtspflicht, die im Gesetz klar geregelt ist und auch begrenzt ist. Sie ist im Wesentlichen auf eine Bringschuld des Vorstands und der Wirtschaftsprüfer beschränkt. Wenn die Unterlagen derartige Dinge nicht hergeben, dann kann man sagen: Aufgrund der Bringschuld des Unternehmens - - - Ich will den beiden Aufsichtsratsmitgliedern der Regierung auch unterstellen, dass sie keine Möglichkeit hatten, dies zu erkennen. Aber es gibt genauso eine Holschuld für die Aufsichtsräte, wenn sie über Informationen aus anderen Quellen verfügen. Dann müssen sie dem nachgehen.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Wie war das denn bei Ihnen?)

Wenn man im Aufsichtsrat über das CO2-Problem in den USA diskutiert, dass man 2020 die Grenzwerte aufgrund der Abgasproblematik des Motors eventuell nicht mehr einhalten kann, wenn man im Aufsichtsrat über die Strategie in den USA diskutiert, sich selber hinterfragt, dort Probleme sieht

und sagt: „Hier läuft etwas schief“, wenn man dann aus öffentlichen Informationen wissen muss, dass 500.000 Autos in Amerika wegen Abgasproblemen zurückgerufen worden sind, dann ist es nicht zu viel verlangt, wenn vom Vorstand nichts kommt, hier einmal nachzufragen. Das wäre die Pflicht der Aufsichtsräte gewesen. Dieser Pflicht sind Sie nicht nachgekommen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir haben hier eine Situation, in der man auch fragen muss, welche anderen Systeme versagt haben. Natürlich stellt sich die Frage der Verantwortlichkeit der Wirtschaftsprüfer. Wie weit war eigentlich der Wirtschaftsprüfer der Volkswagen AG mit dem Vorstand und den Abläufen vernetzt, dass es auch ihm nicht auffallen konnte, dass dort etwas passiert ist? Warum gehen die Vertreter des Landes nicht aktiv auf diese Rolle ein und fordern auch die Verantwortlichkeit von dort ein? Es geht hier um Schadenersatzzahlungen und darum, den Schaden des Landes durch den Vermögensverlust gering zu halten. - Nichts, was andere Verantwortlichkeiten angeht, wird von dieser Landesregierung vorangetrieben!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Landesbeteiligung erfordert auch von den Landesvertretern, mit gewissen Wertevorstellungen an die Sache heranzugehen. Die Frage der guten Unternehmensführung ist schon ein wichtiger Grundsatz, den man dann nach vorne stellen sollte.

Herr Ministerpräsident, es ist gute Unternehmensführung - Corporate Governance Kodex -, dass nicht derjenige die Kontrolle ausübt, der vorher selber in der aktiven Rolle gearbeitet hat, also sich selbst kontrolliert. Deshalb war es ein fataler Schritt für die Vertrauensgewinnung bei den Kunden und bei den Investoren, dass man mit dem von mir sehr geschätzten Kollegen Pötsch jetzt einen Chefaufseher hat, der vorher auf der anderen Seite, die jetzt aufgearbeitet werden muss, aktiv tätig war - nicht weil ich glaube, dass er die Software programmiert hat - beileibe nicht -, aber es geht durchaus auch um die Frage: Sind Aktionäre geschädigt worden, weil Ad-hoc-Meldungen nicht veröffentlicht worden sind? Das war der Aufgabenbereich von Herrn Pötsch. Ich glaube nicht, dass er wirklich die Entscheidung getroffen hat, die Meldung nicht zu machen. Aber es war sein Verantwortungsbereich. Dass also derjenige, der im Fokus von eventuellen Ermittlungen, Strafverfahren und Schadenersatzfragen wegen mangelnder

Ad-hoc-Mitteilungen steht, die durchaus in Milliardenhöhe gehen können, jetzt der Aufklärer wird, ist ein fatales Signal.

Herr Ministerpräsident, aus Presseberichten weiß ich, dass Sie dies auch anders gesehen haben. Aber dann muss man die Frage stellen: Warum sind Sie eingeknickt und haben nicht die gute Unternehmensführung durchgesetzt und erzwungen? Das wäre die Aufgabe einer Landesbeteiligung gewesen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Björn Thümler [CDU])

Herr Ministerpräsident, ich freue mich, dass Sie hier für mich und andere ehemalige Aufsichtsratsmitglieder quasi einen Freispruch ausgesprochen haben. Aber mal ganz ehrlich: Wenn Sie sich immer an Recht und Gesetz gehalten haben, woher wollen Sie überhaupt wissen, dass das stimmt, was Sie über mich gesagt haben? Sie können gar nicht in die Unterlagen, die mir zur Verfügung gestanden haben, schauen. Sie haben gar nicht in meine Akten schauen können. Sie haben natürlich eine Aussage von mir in der Presse wahrgenommen. Wenn das reicht, um von Ihnen freigesprochen zu werden, wenn das auch der Maßstab bei Professor Winterkorn war, dann ist aber einiges im Argen, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir können gerne unsere Unterlagen gemeinsam der Staatsanwaltschaft Braunschweig übergeben. Das wäre die richtige Institution, um einen Freispruch zu erteilen oder tatsächlich auch nicht. Das wäre auch die Institution, die heute Unterstützung von Ihnen bräuchte, wo man sagen muss: Der größte Wirtschaftsbetrug in der Geschichte hat in Niedersachsen, in Wolfsburg, stattgefunden. Das kann die Staatsanwaltschaft in Braunschweig nicht mit Bordmitteln aufklären. Da muss mehr Unterstützung hin, sowohl was Sachmittel als auch was Personal angeht, eventuell auch noch weitere Beratung. Wir müssen doch jetzt dafür sorgen, dass sich die besten Strafrechtler, die wir hier im Land haben, dieses Skandals annehmen, dass man nicht nur auf das schaut, was vielleicht in Amerika nach oben kommt. Wir müssen selber aktiv aufklären. Aber nichts erfolgt. Im Gegenteil! Als die Staatsanwälte ein Ermittlungsverfahren ankündigen, werden sie angerufen, dass man gegen Herrn Winterkorn doch nicht ermitteln könne. Wer kann denn da schon einen Anfangsverdacht haben, meine sehr geehrten Damen und Herren? Das ist doch hanebüchen.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Wenn Sie uns jetzt sagen wollen, dass derjenige, der den größten Wirtschaftsskandal in der Geschichte aufklären soll, unfähig ist, die niedersächsischen Aktenzeichen richtig zu lesen, dann ist er dort entweder falsch, oder es hat eine massive Einflussnahme gegeben. Diesen Verdacht müssen Sie hier endlich aus der Welt schaffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von den GRÜNEN)

Das ist auch der Punkt, den der Kollege Birkner genannt hat, wie in der HAZ ausgeführt, Herr Ministerpräsident.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Völlig ne- ben der Spur!)

Sie haben nämlich nicht verstanden, dass Sie derzeit in einer Doppelfunktion tätig sind und beide Funktionen voneinander trennen müssen: dass Sie als Aufsichtsrat zum Wohle des Unternehmens agieren - da wäre es natürlich schön, wenn das alles nirgends mehr auftaucht, komplett verschwindet, keiner mehr etwas nachforscht -, und dass Sie als Ministerpräsident Recht durchsetzen müssen, dass Sie die Verpflichtung haben, Gerechtigkeit walten zu lassen, dass Sie alle Mittel in die Aufklärung stecken müssen. - Genau das machen Sie nicht. Als Ministerpräsident sind Sie inzwischen in die Kommunikationsabteilung von Volkswagen eingebunden worden. Dass Sie es so weit haben kommen lassen, ist halt das Problem.

Auf die Geschichte, die Sie uns allen erzählen, eine Handvoll von Ingenieuren habe das alles gemacht, und die Staatsanwaltschaft Braunschweig sei komplett unabhängig in ihrer Entscheidung, möchte ich Ihnen eine Antwort geben, die der bisher einzige VW-Vertreter einmal unter Eid gesagt hat, nämlich Michael Horn. Er sagte - ich zitiere -:

„Ich stimme zu, das ist kaum zu glauben. Persönlich tue ich mich schwer damit.“

Ich mich auch.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Es folgt jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Anja Piel. Bitte! Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die manipulierten Abgasmesswerte bei VW beschäftigen uns seit Wochen. Als der Betrug bekannt wurde, versetzte das die Autobranche weltweit in Aufruhr und sorgte an den Kapitalmärkten für einen Vertrauensverlust. Innerhalb kürzester Zeit verpufften Milliarden Euro an den Börsen. Millionen von Kunden fühlen sich getäuscht und ziehen Klagen in Erwägung. Zu Recht kündigen Behörden in verschiedenen Ländern weitere Kontrollen an, und das nicht nur bei VW, sondern auch bei anderen Autoherstellern.

Was aber bedeutet die Krise für unsere niedersächsischen Kommunen mit ihren VW-Werken? - Sie müssen in der Folge mit rückläufigen Gewerbesteuereinnahmen rechnen. Die Stadt Wolfsburg hat vorläufig eine Haushaltssperre und einen Einstellungsstopp verhängt, und auch in Braunschweig wurde die Haushaltsplanung für das kommende Jahr wegen der Unsicherheiten vorerst auf Eis gelegt. Das vermittelt vielleicht einen kleinen Eindruck davon, wie eng die Situation bei Volkswagen mit der Situation der Städte und Gemeinden in Niedersachsen verbunden ist.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen - da bin ich meiner Vorrednerin und meinen Vorrednern für die klaren Worte dankbar -: Zwischen Volkswagen und Niedersachsen besteht eine enge Verbindung. Das sehen wir Grünen übrigens genauso wie alle anderen hier.

(Beifall bei den GRÜNEN)

VW ist vor allem ein wichtiger Arbeitgeber in Niedersachsen, direkt, aber auch indirekt für die vielen Beschäftigten und auch in den Zulieferbetrieben. Insgesamt sichert die Autoindustrie hierzulande rund 280 000 Menschen Arbeitsplätze. Jeder einzelne dieser Menschen ist mit seiner ganz individuellen Biografie und Lebenssituation wichtiger Teil eines Ganzen. Das ist mir einmal mehr klar geworden, als mir vor einigen Jahren bei VW das Konzept „Think Blue. Factory“ vorgestellt wurde, ein Programm mit dem Ziel, die Produktion des Konzerns in allen Werken weltweit um 25 % umweltfreundlicher zu machen. Herr Toepffer sprach es bereits an: weniger Wasserverbrauch, weniger Energie, weniger Abfall und weniger CO2Emissionen. An jedem Arbeitsplatz wurde Personal nachgeschult. An diesem Programm haben sich unzählige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einfach nur beteiligt, sondern sie haben zahlreiche eigene Verbesserungsvorschläge eingebracht.

Herr Bode, Sie reden von 11 Millionen Geschädigten.

(Jörg Bode [FDP]: Bis zu!)

Ich glaube, die Zahl ist größer.

(Jörg Bode [FDP]: Das macht es nicht besser!)

Meine Damen und Herren, die Manipulationen sind daher auch nicht nur für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Aktionärinnen und Aktionäre und all die Menschen eine Enttäuschung, die an die Möglichkeit umweltschonender Mobilität glauben wollen. Sie sind auch Sand im Getriebe bei VW, und sie sind vor allen Dingen eine bittere Enttäuschung für all die Beschäftigten, die sich ehrlich für die kontinuierliche Verbesserung der Produkte eingesetzt haben und weiterhin einsetzen, Beschäftigte, deren Arbeitsplätze vom weltweiten Vertrauen in den Konzern abhängen. Ich erkläre - wie Johanne Modder auch - für die Grünen-Fraktion unsere Solidarität mit den Mitarbeitern von VW.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Was jetzt geschehen muss, liegt klar auf der Hand: Wir brauchen eine konsequente Aufklärung. Es ist eine der Kernfragen, wie sich die kriminellen Machenschaften im Konzern über so lange Jahre entwickeln können. Wer hat was entschieden? Wer wusste wann Bescheid? - Diesen Fragen geht der Konzern nun mit Hilfe einer externen Begleitung nach. Es ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. Vielen Dank an unseren Ministerpräsidenten Stephan Weil für seine klaren Worte dazu!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegt auf der Hand, dass VW für die Ziele Klima- und Verbraucherschutz das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher erst einmal neu gewinnen muss. Einmal festgelegte Grenzwerte müssen nicht nur wirksam überwacht, sondern vor allen Dingen eingehalten werden - im Test und im Realbetrieb; denn wir alle sind beim Kauf eines Autos auf transparente und ehrliche Angaben angewiesen. Einen Schaden am Motor kann man hören, manipulierte Abgaswerte leider nicht. Die gute Nachricht: Ab 2016 werden endlich neue EU-Regeln für Feinstaub und Stickoxide unter realistischen Bedingungen gelten.

Meine Damen und Herren, aber wir wissen schon jetzt: Auch wenn die Aufklärung wichtig ist, so wird sie nicht ausreichen, um das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. VW muss ein wirksames Kontroll- und Führungssystem aufbauen, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermuntert und befähigt, dabei zu helfen, Fehlentwicklungen und kriminelle Machenschaften sofort aufzudecken und zu verhindern. Dass sich eine solche Affäre nicht wiederholen darf, ist ganz sicher gemeinsames Ziel der gesamten Belegschaft von VW.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Notwendige personelle Konsequenzen an der Spitze sind bereits vollzogen, aber das ist erst ein Anfang. Ein Beitrag dazu, wie VW stärker aus der Krise hervorgehen kann, kommt von den Umweltverbänden und auch von unserem grünen Umweltminister Stefan Wenzel: Ein Umweltvorstand mit weitreichenden Kompetenzen kann eine der vertrauensbildenden Maßnahmen sein, die aus der Krise führt.

Meine Damen und Herren insbesondere von der Opposition, wer hat im VW-Aufsichtsrat wann seine Kontrollfunktion nicht richtig wahrgenommen, und hat der Aufsichtsrat ein strukturelles Problem?

(Jörg Bode [FDP]: Ja, hat er!)

Selbstverständlich, Herr Bode, wird es einen kritischen Blick auf die Transparenz und den Informationsfluss an dieser Stelle geben müssen.

(Jörg Bode [FDP]:Darum geht es gar nicht!)

Sie werden mir recht geben: Dieser prüfende Blick ergibt nur dann wirklich Sinn, Herr Bode, wenn er nicht erst 2013, sondern ganz am Ursprung der Manipulation beginnt. Sie haben eben auch schon darauf hingewiesen. Ich bin mir sicher, dass wir Sie da alle ganz nah an unserer Seite haben werden.