Protocol of the Session on September 17, 2015

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Koalitionsvereinbarung „Erneuerung und Zusammenhalt“ haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen darauf verständigt, verstärkt den Rechtsextremismus in unserem Land zu bekämpfen. Als relativ neuartige Form von Fremdenfeindlichkeit hat die soeben von mir erwähnte Islamfeindlichkeit insbesondere in den Jahren nach den Terroranschlägen des September 2001 an Bedeutung und an Umfang gewonnen. Mit islamfeindlichen Parolen versuchen sowohl Rechtspopulisten als auch Rechtsextremisten, an in der hiesigen Bevölkerung weit verbreitete Ressentiments anzuknüpfen. Folglich stehen so wohl der Islam an sich als auch hier in Deutschland lebende Muslime im Mittelpunkt rechtspopulistischer sowie rechtsextremistischer Kampagnen; „Hagida“ und „Bragida“ seien hier exemplarisch genannt.

In diesem Zusammenhang erscheint es erwähnenswert, dass die Feindseligkeit gegenüber Muslimen sowie deren kategorische Abwertung und Benachteiligung in Deutschland lange Zeit vernachlässigt worden sind.

Und nicht nur das: Die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung ließ sich sogar dazu hinreißen, mittels verdachtsunabhängiger Moscheekontrollen womöglich ungewollt ein islamfeindliches Klima zu begünstigen, lag ihnen doch ein ähnliches Pauschaldenken zugrunde wie den Forderungen von sogenannten islamophoben Organisationen.

Letztendlich wurde hierdurch der bedenkliche Eindruck vermittelt, alle Muslime könnten Straftäter sein. Gegenüber einer breiten Öffentlichkeit wurde ihr Glaube auch dem Verdacht einer potenziell terroristischen Ideologie ausgesetzt, eine fatale Entwicklung, die durch den Regierungswechsel 2013 zu Recht ihr Ende fand.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich erwähnte es bereits: Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem dann einsetzenden medialen Bewusstsein der Existenz eines religiös motivierten Terrorismus erfolgte auch ein Erstarken der Islamfeindlichkeit in unserem Land. Es betrübt sehr, dass diese Entwicklung insbesondere Auswirkungen auch auf die ungestörte und sichere Religi

onsausübung von Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens in Niedersachsen hatte und hat. Im Zeitraum von 2001 bis 2014 beispielsweise - Sie können es dem Antrag entnehmen - kam es in Niedersachsen zu knapp 150 Anschlägen auf Moscheen, wobei eine politische Motivation dieser Taten bei mindestens 65 Fällen der Fall war.

Auch die in jüngster Zeit erfolgten Schändungen muslimischer Gotteshäuser lassen den traurigen Schluss zu, dass Islamfeindlichkeit ein ernst zu nehmendes, sich verschärfendes Problem darstellt, und zwar auch in Niedersachsen.

In Anbetracht dieser Tatsachen wollen wir heute mit dem hier zur abschließenden Beratung vorliegenden Antrag keinen Raum für Islamfeindlichkeit lassen und islamfeindliche Taten besser erfassen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir fordern daher die Landesregierung in dem hier zur abschließenden Beratung vorliegenden Antrag zunächst auf, sowohl die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren als auch die polizeilichen Dienstvorschriften so zu ändern, dass in allen Fällen rassistischer oder politisch motivierter Gewalttaten diese eingehend überprüft und nachvollziehbar dokumentiert werden. Ferner gilt es, das Motiv für die Tat verpflichtend aufzunehmen, angemessen zu berücksichtigen und immer zu prüfen, ob Staatsschutz- und Verfassungsschutzbehörden zu beteiligen sind.

Nach wie vor fehlt es an Instrumenten zur Erfassung islamfeindlicher Straftaten. Ursächlich hierfür ist das Definitionssystem der politisch motivierten Kriminalität, PMK, wonach beispielsweise Übergriffe auf Moscheen dem Thema Hasskriminalität zugerechnet werden. Eine gesonderte Erfassung ist bis dato allerdings nicht möglich. Mit diesem Antrag wollen wir das ändern und neben der Überarbeitung des Katalogs PMK eine eigene Erfassung islamfeindlicher Taten einführen, sofern eine bundeseinheitliche Regelung nicht möglich sein sollte.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Sinne einer gelebten Anerkennungskultur muslimischer Mitbürgerinnen und Mitbürger erscheint die Verabschiedung des vorliegenden Antrags von großer Bedeutung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich appelliere daher an Sie alle, aber insbesondere an die Opposition: Lassen Sie uns heute ein deutliches Zeichen der Solidarität mit genau diesen

Bürgerinnen und Bürgern setzen, indem wir die Erfassung islamfeindlicher Delikte verbessern und somit keinen Raum für diese verabscheuungswürdigen Straftaten lassen!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Das Wort hat jetzt für die CDU-Fraktion Frau Abgeordnete Angelika Jahns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für demokratiefeindliche Gesinnungen ist in unserem Land kein Platz -

(Beifall bei der CDU)

weder für rechte noch für linke oder für islamistische oder für islamfeindliche.

Unser aller Ziel muss es sein und bleiben, die Demokratie in unserem Rechtsstaat zu schützen und zu bewahren. Das bezieht sich sowohl auf die Ausübung der verschiedenen Religionen als auch auf die Toleranz untereinander.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch wenn wir alle uns hier im Plenum einig sind, dass dieses Gedankengut in unserer Gesellschaft keinen Raum einnehmen darf, so gibt es doch auch Menschen, die sich politisch motivierten Phänomenen verbunden fühlen. Deshalb ist es auch unsere gemeinsame Aufgabe, mit aller Kraft gegenzusteuern und den Menschen, die aus anderen Kulturen zu uns gekommen sind, eine freie, ungezwungene und friedliche Religionsausübung zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen haben einen Antrag eingereicht, mit dem die Erfassung islamfeindlicher Taten verbessert werden soll. Ich darf an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Sicherheitsbehörden über Vorgaben zur Erfassung politisch motivierter Taten verfügen. Gerade vor dem Hintergrund des NSU-Skandals sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Themenkomplex sensibilisiert.

Deshalb möchte ich mich im Namen der CDUFraktion bei allen Bediensteten der Polizeibehörden, des Verfassungsschutzes, des Landeskriminalamtes sowie auch der Justizbehörden für ihr Engagement für die Sicherheit in diesem Land bedanken.

(Beifall)

Ich gehe davon aus, dass Taten in alle Richtungen und speziell auf eine politische Motivierung hin geprüft werden.

In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von Rot-Grün, wird gefordert, dass die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren erweitert werden. In Fällen von Gewaltkriminalität, die wegen der Person des Opfers einen rassistisch oder politisch motivierten Hintergrund haben könnten, sollte eine eingehende Prüfung und nachvollziehbare Dokumentation erfolgen, um derartige Tatbestände auszuschließen bzw. nachzuweisen. Darüber hinaus soll darauf hingewirkt werden, dass die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses zum Themenfeldkatalog „politisch motivierte Kriminalität“ umgesetzt wird.

Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass diese Aufforderung an die Bundesebene notwendig ist; denn dort wird bereits umfassend an diesem Thema gearbeitet. Aber dazu komme ich gleich noch.

Nach Auffassung von Rot-Grün im Niedersächsischen Landtag soll darüber hinaus die Bundesebene eine eigene Erfassung antimuslimisch motivierter Straftaten unter dem Themenfeld Hasskriminalität einführen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wir uns ein Bild von der Erfassung politisch motivierter Straftaten in Niedersachsen machen konnten, hat eine Unterrichtung durch die Landesregierung zu diesem Thema stattgefunden.

(Belit Onay [GRÜNE]: Die war sehr gut!)

Diese Unterrichtung hat eindeutig gezeigt - sehr richtig, Herr Kollege -, dass aufgrund der furchtbaren Ereignisse im Zusammenhang mit den Straftaten der NSU-Gruppierung alle politischen Ebenen zusammenarbeiten und auch Handlungsempfehlungen durch eine Bund-Länder-Kommission gegeben werden. Daraufhin haben sich die Fachministerkonferenzen mit diesen Berichten auseinandergesetzt, und die Innenministerkonferenz hat unter Federführung von Niedersachsen eine Ar

beitsgruppe „Polizei und Verfassungsschutz“ eingerichtet.

Frau Kollegin, der Kollege Limburg würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Auch eine Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz hat sich mit diesen Empfehlungen zur effizienten Bekämpfung des Rechtsterrorismus beschäftigt. Hier wurde ein klares Votum dafür abgegeben, die Richtlinien des Straf- und Bußgeldverfahrens nicht im Sinne der von Rot-Grün in Niedersachsen geforderten Ausweitung zu ändern. Die Ablehnung ist deutlich begründet: Staatsanwaltschaften sind dem Legalitätsprinzip und dem Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachtes verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht unbeschadet des jeweiligen Delikt- oder Phänomenbereichs.

(Belit Onay [GRÜNE]: Die bestand auch zur Zeit der NSU-Morde! - Helge Limburg [GRÜNE]: Aber wo bleibt denn das Gegenargument gegen den Antrag?)

Bezogen auf den Sachverhalt, müssen alle denkbaren Ansätze in die Aufklärung einbezogen werden. Das bezieht sich auf die Klärung des Tatherganges, die Ermittlungen zum Hintergrund und zu möglichen Beweggründen und die Hinweise auf Tatverdächtige und Tatzusammenhänge.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die bisherigen Regelungen der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren umfassen somit bereits die Forderungen der Regierungsfraktionen und wurden wortwörtlich als überflüssig bezeichnet. Sie sollten entsprechend dem Votum der Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses nicht ergänzt werden; sie hätten keinen Regelungsgehalt. Ich glaube, wir alle hier teilen die Auffassung, dass nichts gesetzlich geregelt werden muss, was schon geregelt ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In Erwartung der Änderung des Strafgesetzbuches im Bereich der Strafzumessungsgründe hinsichtlich rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonst menschenverachtender Beweggründe ist absehbar, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auch auf solche Motive zu erstrecken haben wird.

In dem Antrag von Rot-Grün wird außerdem auf die verpflichtende Aufnahme der von Opfern oder Zeugen angegebenen Motive durch die Polizei hingewiesen. Ferner wird gefordert, zu prüfen, ob der polizeiliche Staatsschutz zu beteiligen ist und Informationen bei Verfassungsschutzbehörden anzufragen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Information durch die Landesregierung gibt es für politisch motivierte Kriminalität ein eigenes Erfassungssystem, das bundesweit von allen Bundesländern angewandt wird. Es wird regelmäßig überprüft, auch vom BKA, ob die Standards eingehalten werden.

Allerdings gibt es laut Beschluss der Innenministerkonferenz auch eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Definition des Begriffs „politisch motivierte Kriminalität“ auseinandersetzt. In dieser Arbeitsgruppe ist auch das Land Niedersachsen vertreten. Deshalb, meine Damen und Herren der SPD und der Grünen, hat Niedersachsen bereits jetzt die Chance, an den Begriffsbestimmungen entscheidend mitzuwirken. Einer Aufforderung durch das Parlament bedarf es daher nicht, was das Innenministerium sicherlich bestätigen wird.

Auf Bundesebene wird eine einheitliche Regelung bei der Begriffsbestimmung „Konfrontation/politische Einstellung“ als notwendig erachtet. Einzubeziehen ist sicherlich nicht nur die Islamfeindlichkeit, sondern sind auch Angriffe auf Christen oder Juden. Vor dem Hintergrund der Christenverfolgung, die gegenwärtig in einigen Ländern stattfindet und viele Menschen zur Flucht zwingt, stimmen Sie mir sicherlich zu, dass wir auch dieser Tatsache Rechnung tragen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)