Protocol of the Session on May 13, 2015

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ross-Luttmann, Ihre Aufregung an dieser Stelle ist völlig fehl am Platze.

(Zustimmung bei der SPD - Wider- spruch bei der CDU)

Das ist der dritte Antrag zu diesem Thema, den wir in den letzten Monaten in die Beratungen eingebracht bekommen.

(Mechthild Ross-Luttmann [CDU]: Aber nicht von uns!)

Bei jeder erneuten Beratung hier im Plenum können wir feststellen, dass sich der Rahmen, in dem wir uns bewegen, wieder verändert hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, klar ist und bleibt, dass der EuGH nach jahrelangen Grabenkämpfen vor einem Jahr klargestellt hat, dass die Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nichtig ist. Zugleich hat der EuGH - Sie wissen es - selbst Hinweise zu einer rechtskonformen Ausgestaltung gegeben. Nachdem die Europäische Kommission von einer europaweiten Regelung nun wohl Abstand genommen hat, war der Weg für einen nationalen Vorschlag frei.

Herr de Maizière und Herr Maas haben am 15. April - Sie haben es zitiert - eine Leitlinie - wohlgemerkt: eine Leitlinie - zur Speicherung und zur Löschung von Verkehrsdaten vorgelegt, die eine sehr differenzierte und deutlich reduzierte Höchstspeicherfrist sowie auch eine Löschungsverpflichtung vorsieht. Es wird zugleich wieder der

Straftatbestand der Datenhehlerei vorgeschlagen - das würde eine Strafbarkeitslücke schließen -, und es wird mehr Transparenz beim Zugriff auf gespeicherte Daten geschaffen. Letztlich dürften danach weniger Daten gespeichert werden, und dies auch nur für einen kürzeren Zeitraum und bei viel höheren Hürden. Aber wie der Name schon sagt: Es ist eine Leitlinie, es ist ein Eckpunktepapier, das nun diskutiert wird, und noch kein Gesetzentwurf.

Übrigens hat sich die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff von der CDU schon sehr deutlich in die Debatte eingebracht und klargemacht, dass das Papier aus ihrer Sicht den Anforderungen des EuGH, gerade was die anlasslose Speicherung anbelange, noch nicht genüge. Es ist also schon jetzt sicher - auch hier wird das Struck’sche Gesetz gelten -: Das wird nicht so beschlossen werden, wie es jetzt in die Debatte hineingekommen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wiederhole gerne - bei der letzten Debatte zu diesem Thema hier im Plenum waren CDU und FDP ja nicht im Saal - ein Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

„Die Geschäftsbedingungen von Facebook sind neben dem Gebaren von Google die größte Überwachung. Dagegen ist die Vorratsdatenspeicherung ein Witz.“

(Zustimmung bei der CDU)

Im Rahmen von einer paar Klicks erklären sich die meisten Menschen - übrigens auch hier im Raum - bereit, privaten, weltweit agierenden Konzernen einen allumfassenden Einblick auch in die allerprivatesten Dinge zu geben. Lassen Sie mich hier ganz kurz drei Beispiele nennen:

Einige Menschen stellen rund um die Uhr Gesundheitsdaten zur Verfügung. Einige Krankenkassen bieten schon jetzt unter dieser Bedingung einen Tarif an, der günstiger ist - jedenfalls zunächst, solange man gesund ist. Aber es muss doch jedem von uns, der sich darauf einlässt, klar sein, dass sich dieser Tarif ändern wird, wenn man älter wird oder wenn man krank wird. Aus meiner Sicht ist das wirklich ein Angriff auf das solidarische System der Krankenversicherung.

Wer sein Fahrverhalten im Straßenverkehr zu 100 % überwachen lässt, kann jetzt schon mit verbilligten Versicherungen rechnen - natürlich nur solange er sich wirklich immer zu 100 % an die Regeln hält.

Es gibt auch Apps, die das Schlafverhalten speichern und analysieren. Es gibt bereits Arbeitgeber, die von ihren Mitarbeitern verlangen, diese Apps einzusetzen, und dann die Daten auswerten und Schlüsse daraus ziehen, und es gibt Mitarbeiter, die glauben, dass dies ausschließlich zum Schutz ihrer Gesundheit geschieht, weil sie doch nichts zu verbergen haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich könnte diese Beispiele beliebig ausweiten. Ich habe in meinen letzten Reden zu diesem Thema schon weitere Beispiele genannt, die zeigen, wie unbedacht - von Modetrends geleitet oder vielleicht aus reiner Bequemlichkeit heraus - wir unser Leben in Freiheit beschränken.

Den Satz „Ich habe doch nichts zu verbergen“ hat die Schriftstellerin Juli Zeh übersetzt in „Ich tue, was man von mir verlangt“. Die Googles und Facebooks freuen sich darüber, sehen sich schon selbst als Weltenlenker und halten demokratische Systeme für überholt.

Meine Damen und Herren, es wird allerhöchste Zeit, dass wir diesem privatrechtlichen Gebaren Einhalt gebieten und uns als Demokraten für internationale Regeln einsetzen und diese dann auch durchsetzen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Ich kann für die SPD berichten, dass wir uns sehr intensiv mit diesem Thema befassen.

(Christian Grascha [FDP]: Stimmt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Ich bin für Datenschutz gegenüber dem Staat und gegenüber Privaten, und ich bin dafür, sich auf europäischer und auch auf nationaler Ebene Gedanken zu machen, mit welchen Instrumenten das erreicht werden kann. Dazu gehört es auch, die Kriminalitätsbekämpfung und die Terrorabwehr handlungsfähig zu halten. Das ist für mich auch sehr wichtig. In einer sich rasant ändernden Welt ist es immer wichtiger, zu prüfen, mit welchen Mitteln man dieses Ziel dann auch erreichen kann.

Es ist nun schon ein paar Hundert Jahre her, dass sich Benjamin Franklin zu dem Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit äußerte. Er meinte sicher nicht die Auswirkungen der digitalisierten Welt. Aber noch heute gilt: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen“ - vielleicht müsste man

heute ergänzen: um Sicherheit und Bequemlichkeit zu gewinnen -, „wird am Ende beides verlieren.“

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Schröder-Ehlers. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet Belit Onay, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!

(Belit Onay [GRÜNE]: Der Kollege von der FDP war zuerst dran! Er möchte auch gerne!)

- Das ist kein Problem. Wenn das unter Ihnen so vereinbart ist, haben wir überhaupt nichts dagegen.

Herr Dr. Genthe, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen fürchterlichen Terrorakten von Paris und Kopenhagen geschah das, was eigentlich immer nach solchen Taten geschieht: Verschiedenen Politikern - gerne aus Bayern - fällt nichts Besseres ein, als sofort Gesetzesverschärfungen zu fordern.

(Belit Onay [GRÜNE]: Genau!)

Sehr beliebt, meine Damen und Herren, ist insoweit die Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung ist sich insoweit aber nicht einig: Der Innenminister befürwortet die Vorratsdatenspeicherung - die Justizministerin lehnt sie ab. Hier ist also das Parlament gefordert, der Landesregierung für die Diskussion im Bundesrat ein eindeutiges Votum vorzugeben.

Meine Damen und Herren, die anlasslose flächendeckende Speicherung von personenbezogenen Daten ist vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt worden, letzte Woche sogar auch von einem Berufungsgericht in New York. Der EuGH hat deutlich gemacht, dass diese Daten nicht anlasslos, sondern höchstens bei einer konkreten Gefährdung für einen bestimmten Personenkreis gespeichert werden dürfen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, die Pointe aus der aktuellen BND-Affäre ist doch der Beweis, wohin uns diese grenzenlose Datensammelwut am Ende bringen wird.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung weisen jedoch immer wieder auf eine angebliche Schutzlücke bei der inneren Sicherheit hin. Dagegen spricht jedoch sehr deutlich, dass die kriminologische Abteilung des Max-Planck-Instituts inzwischen festgestellt hat, dass sich der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung seit 2010 auf die Aufklärungsquote in Deutschland überhaupt nicht ausgewirkt hat. Bei der Internetkriminalität ist sie sogar gestiegen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kam im Jahr 2011 zu dem Ergebnis, dass andere EU-Länder mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung keine höhere Aufklärungsquote vorweisen können als die Bundesrepublik ohne dieses Instrument. Die Schweiz, meine Damen und Herren, konnte in zehn Jahren Vorratsdatenspeicherung keine höhere Aufklärungsquote erreichen.

Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sowohl Schwerkriminelle als auch Terroristen eine mögliche Vorratsdatenspeicherung umgehen, indem sie Handys mit Prepaid-Karten benutzen. Diese Karten sind im europäischen Ausland auch ohne namentliche Registrierung erhältlich.

(Belit Onay [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Oder sie gehen in ein Internetcafé, benutzen ein Programm wie TOR und dann z. B. eine chinesische IP-Adresse. Über einen pakistanischen E-Mail-Account senden sie ihre E-Mail über den Anbieter LetterMeLater mit einer Verzögerung von zehn Tagen. Strafverfolger müssen zunächst in China, dann in Pakistan, dann in den USA nachfragen und erhalten dann eine IP eines Internetcafés z. B. in Brandenburg. Dort kann man dann versuchen, herauszufinden, wer vor ein paar Wochen zwischen 12.36 Uhr und 12.47 Uhr am Computer Nr. 18 saß. - Viel Spaß!

Meine Damen und Herren, die Anschläge von Paris konnten durch die französische Polizei nicht verhindert werden, obwohl die Vorratsdatenspeicherung dort seit 2006 zur Verfügung steht. Die Aufklärung dieser Anschläge erfolgte durch klassische Ermittlungsarbeit.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Gleiches gilt hinsichtlich der Anschläge in Dänemark. Dort konnte sogar eine inhaltliche Speicherung des Datenverkehrs die Anschläge nicht verhindern. Auch bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch, der ja immer hinter den Verfahren wegen Kinderpornografie steckt, hilft die Vorratsdatenspeicherung laut der Studie des Max-PlanckInstituts eben nicht.

Wenn also, meine Damen und Herren, davon auszugehen ist, dass mithilfe der Vorratsdatenspeicherung keine Erhöhung der Sicherheit zu erreichen ist, sind auf der anderen Seite die erheblichen Einschränkungen der grundgesetzlich geschützten Rechte unserer Bürger nicht hinzunehmen.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Was wir sicherlich brauchen, sind mehr spezialisiertes Personal und eine bessere Ausstattung des Verfassungsschutzes und der Polizei. Gerade unser Verfassungsschutz hat in Braunschweig sehr erfolgreich gearbeitet - und das ganz ohne Vorratsdatenspeicherung.