Was wir sicherlich brauchen, sind mehr spezialisiertes Personal und eine bessere Ausstattung des Verfassungsschutzes und der Polizei. Gerade unser Verfassungsschutz hat in Braunschweig sehr erfolgreich gearbeitet - und das ganz ohne Vorratsdatenspeicherung.
Meine Damen und Herren, die Telekommunikation unserer Bürger ist eine Art Freiheitswahrnehmung. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass diese total erfasst und registriert werden soll. Unfreiheit wäre ein Sieg der Terroristen.
Die Auswirkungen auf sensible Kommunikation - z. B. der Anruf bei einer Selbsthilfegruppe, beim Arzt, bei einem Rechtsanwalt, zur politischen Meinungsäußerung oder bei der Präventionsstelle für Angehörige von sich radikalisierenden Muslimen usw. - sind überhaupt nicht auszudenken. Die Sicherheitsbehörden haben zudem andere Instrumente - z. B. aus dem Telekommunikationsgesetz -, die bei der Aufklärung von Straftaten helfen, ohne die verfassungsrechtliche Identität der Bundesrepublik Deutschland zu verletzen.
Meine Damen und Herren, es mutet auch ein wenig seltsam an, dass teilweise dieselben Personen, die die Pressefreiheit durch die Anschläge auf Charlie Hebdo gefährdet sahen, nun die Vorratsdatenspeicherung einführen wollen.
Nun könnten wir, meine Damen und Herren, auf diese Art und Weise in Niedersachsen vielleicht herausfinden, wer denn nun tatsächlich die Informationen aus dem Ermittlungsverfahren gegen Christian Wulff oder den Abschlussbericht des Landeskriminalamts im Verfahren gegen Sebastian Edathy weitergereicht hat. Aber mir persönlich wäre der Preis dafür - der Verlust der freien Kommunikation - einfach zu hoch.
Meine Damen und Herren, das Preußische Polizeirecht aus dem 19. Jahrhundert beinhaltete das Recht, freie Bürger völlig anlasslos zu überprüfen. Generationen haben sich gegen diese staatliche Willkür gewehrt. - Das Rad möchte ich nicht zurückdrehen!
Die Vorratsdatenspeicherung gaukelt den Bürgern bestenfalls eine falsche Sicherheit vor. So einfach sollte es sich Politik nicht machen!
(Jens Nacke [CDU]: Herr Schmidt, nur weil die Grünen klatschen, müssen Sie nicht auch klatschen! - Gegenruf von Maximilian Schmidt [SPD]: Ich kann auch klatschen, wenn ich etwas für richtig halte! Aber danke für den Hinweis, Herr Abgeordneter Parla- mentarier!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung, namentlich der Bundesjustizminister, hat im April Leitlinien zur Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten veröffentlicht. Der Name sollte geflissentlich verbergen, worum es sich dabei eigentlich handelte, nämlich um eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung. Die kann man auch so benennen. Es ist eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung mit all den bekannten Problemen im Hinblick auf Grundrechte und Gesellschaft.
Die Vorratsdatenspeicherung kennt im Gegensatz zum demokratischen Strafrecht keine Unschuldigen mehr. Es werden pauschal und ohne Anlass alle Daten gespeichert, egal ob man etwas getan hat oder nicht. Deshalb stehen wir einer solchen Vorratsdatenspeicherung sehr skeptisch gegenüber. Die Höchstspeicherfristen haben Sie, Frau Ross-Luttmann, genannt: bis zu zehn Wochen bzw. vier Wochen bei Standortdaten.
Bei dieser Skepsis haben wir glücklicherweise den Juristischen Dienst des Europäischen Parlaments auf unserer Seite, der eine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung für kaum machbar hält. Der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments hat die Entscheidung des EuGH ausgewertet und dabei klargestellt, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Kriterien extrem eng auszulegen sind. Von daher ist die Richtlinie, über die der EuGH entschieden hat, vor allem beim Test auf ihre Verhältnismäßigkeit durchgefallen.
Besonders interessant ist für uns die Einschätzung des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments, dass infolge dieser Entscheidung des EuGH auch die bisherigen nationalen Vorratsdatenspeicherungsgesetze noch einmal überprüft - und vermutlich flächendeckend aufgehoben werden müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und das zu Recht; denn die Vorratsdatenspeicherung ist anlasslos, sie ist maßlos und - das hat Paris sehr schmerzlich bewiesen - auch uneffektiv und völlig nutzlos. Der Aufklärungserfolg - also der Erfolg der Maßnahmen, die im Anschluss an solche terroristischen Taten eigeleitet werden - liegt leider im Promillebereich. Das hat Herr Dr. Genthe sehr gut auf den Punkt gebracht.
Der sicherheitspolitische Aktionismus, der auf solche Taten immer wieder folgt, ist leider kaum zu bremsen. Das hat sich auch nach dem 11. September 2001 gezeigt. Allein die europäischen Staaten haben 239 Antiterrormaßnahmen in die Welt gesetzt: Aktionspläne, Strategiepapiere, Richtlinien, Verordnungen, Rahmenbeschlüsse, Entscheidungen usw. usf. Aber der Terror ist seitdem nicht weg. Er hat sich verändert. Darauf müssen wir reagieren, vor allem mit präventiven Maßnahmen und mit einer unaufgeregten klugen Sicherheitspolitik.
Die Befürworter führen an - das hat Frau RossLuttmann richtigerweise ausgeführt -, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Vorratsdatenspeicherung nicht pauschal oder grundsätzlich ausgeschlossen hat. Das ist richtig. Allerdings mahnt es eine „Überwachungsgesamtrechnung“ an. In Zeiten von BND- und NSA-Affäre kann man sich ausmalen, wie eine solche Überwachungsgesamtrechnung heute ausfallen würde!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Speicherung von sogenannten Kommunikationsverkehrsdaten gesetzlich klarer zu regeln, ist längst überfällig. Aber die Leitlinien, die dazu jetzt vorliegen, sind eindeutig eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Das Gefühl der Sicherheit, das der Bundesinnenminister damit zu suggerieren versucht, ist aus meiner Sicht unberechtigt. Vielmehr verstärkt sich die Unsicherheit noch, je mehr Datenberge angehäuft werden, wie es durch die Vorratsdatenspeicherung geschieht, und beispielsweise ausländische Geheimdienste und Hacker ein gefundenes Fressen neu für sich entdecken.
Insofern lassen Sie uns abwarten, was das Gesetz, das der Bundesjustizminister vorlegt, bringen wird. Wir beäugen das Ganze aber mit ausdrücklicher Skepsis.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, da Ihre Bedenken gegen die Datensammlung so gravierend sind, möchte ich Ihnen eine Frage stellen - das ist das, was ich eben dazwischengerufen habe -: Wie beurteilen Sie es, dass in einem anderen Bereich, nämlich beim Thema Mindestlohn, aus einem Generalverdacht gegen Zehntausende von Beschäftigten und Unternehmerinnen und Unternehmern heraus massiv Daten gesammelt und Dokumentationspflichten erfüllt werden müssen - ohne konkreten Anlass! -, während wir im vorliegenden Fall mit einem Richtervorbehalt arbeiten? Sehen Sie hier die Verhältnismäßigkeit als gewahrt an?
Sehr geehrter Her Mohr, ich habe leider nicht allzu viel Zeit. Aber darauf möchte ich doch noch antworten.
Sehr geehrter Herr Mohr, der Vergleich hinkt sehr stark. Aber dennoch: Wenn Sie ein derartiger Befürworter der Vorratsdatenspeicherung sind, dann demonstrieren Sie das doch einmal. Legen Sie doch einmal Ihre persönlichen Verkehrsdaten der letzten zehn Wochen, wie es das Gesetz vorsieht, beispielsweise dem Rechtsausschuss vor, damit wir einmal sehen können, mit wem aus Ihrem privaten Umfeld, aus Ihrem Freundeskreis oder sonst woher Sie gesprochen haben! - Dieses Unbehagen, das gerade in Ihnen hochkommt, ist unser Antrieb, hier eindeutig gegen die Vorratsdatenspeicherung anzutreten.
Vorgesehen ist die Überweisung an den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen. Wer dem so zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist so beschlossen.
Ich möchte noch sagen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer übereingekommen sind, dass wir auch den Punkt 26 noch vor der Mittagspause behandeln.