Protocol of the Session on December 16, 2014

Deswegen ist es mir so wichtig, dass wir in diesem Hohen Haus unsere Einigkeit nicht gefährden. Wir dürfen uns von denen nicht auseinandertreiben lassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir dürfen uns unseren gemeinsamen Konsens nicht zerstören lassen, der da lautet: Wir haben eine Pflicht, für Flüchtlinge etwas zu tun, wir können etwas tun, und wir machen eine gute Flüchtlingspolitik.

Das, meine Damen und Herren, gilt auch für Niedersachsen. Hier engagieren sich unzählige Menschen ehrenamtlich, um Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Integrationslotsinnen und -lotsen leisten eine hervorragende Arbeit. Das Land unterstützt den Einsatz, finanziert die Aus- und Fortbildung. Wir haben Koordinierungsstellen für Migration und Teilhabe geschaffen, um die Ehrenamtlichen gezielter zu unterstützen und sie stärker in die einzelnen öffentlichen Lebensbereiche einzubinden.

Für die Niedersächsische Landesregierung ist eines sehr wichtig: Wenn wir uns mit der Situation von Flüchtlingen befassen, dann darf es nicht nur darum gehen, Aufgaben abzuarbeiten oder Verpflichtungen zu erfüllen. Es muss darum gehen, die Menschen willkommen zu heißen, und dazu gehören mehr als bunte Fähnchen, Herr Thümler. Wir können selbstbewusst sagen: Niedersachsen war immer schon ein Motor für die humanitäre Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Das Land hat für die Syrer außerdem eine Regelung zur Übernahme der Kosten für Krankheit, Schwangerschaft und Geburt geschaffen. Sie kommt Syrerinnen und Syrern zugute, die im Rahmen des Landesaufnahmeprogramms eingereist sind.

Wir werden im kommenden Jahr die Personalkapazitäten in den Landesaufnahmebehörden aufstocken. In Osnabrück wird in der nächsten Woche ein vierter Standort der Landesaufnahmebehörde den Betrieb aufnehmen. Das wird die Kommunen entlasten; denn die leisten einen großen, kraftvollen Beitrag in der Flüchtlingspolitik, und ohne die würde es nicht gehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie bringen die Menschen unter, versorgen sie und integrieren sie im besten Sinne des Wortes in die örtliche Gemeinschaft. Das können wir hier nicht tun - bei allen guten Reden und Ansätzen -, und das kann niemand sonst.

Das alles erfordert bei steigenden Zugangszahlen und teilweise knapper werdendem Wohnraum immer mehr Anstrengungen. Das ist schwer. Unsere Kommunen machen das dennoch überaus engagiert. Dafür sind wir ihnen, dafür bin ich ihnen außerordentlich dankbar.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir lassen sie dabei auch keineswegs allein. Wir werden die Kostenabgeltungspauschale zum

1. Januar erhöhen. Die Gespräche über das Landesaufnahmegesetz für weitere Erhöhungen laufen.

Land und Kommunen werden weiter eng zusammenarbeiten. Ich bin mit den kommunalen Spitzenverbänden sehr schnell über die Verteilung der gerade vereinbarten Bundesmittel für 2015 einig geworden. Fast 90 %, meine Damen und Herren, fließen direkt und ohne Bedingungen an die Kommunen. Die Einigung verlief überaus schnell und

konstruktiv - übrigens auch im Ländervergleich, wie ich jetzt höre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus diesem Grund und weil ich glaube, dass es richtig ist, immer wieder miteinander zu sprechen, werden wir einen Flüchtlingsgipfel einberufen. Ich danke der Fraktionsvorsitzenden der SPD für diesen Vorstoß. Ich werde gleich in den ersten zwei Monaten einen Flüchtlingsgipfel mit den Verbänden und Organisationen einberufen, die sich daran beteiligen, und ich werde mich dabei am Vorbild Baden-Württembergs orientieren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Petra Tiemann [SPD]: Wunderbar!)

Meine Damen und Herren, eines sei aber zum Schluss noch gesagt - ich weiß, ich habe meine Redezeit überzogen -: Es reicht nicht, immer wieder zu sagen, dass es nicht reicht, nach dem Bund zu rufen. Meine Damen und Herren, Flüchtlingspolitik ist eine gesamtstaatliche, eine nationale Aufgabe.

(Beifall bei der SPD)

Es reicht nicht, wenn der Bund 140 000 Anträge unbearbeitet liegen lässt, zu sagen, wir tun unser Bestes. Es reicht nicht, die Integrationskurse in ihrem Budget zu deckeln. Wir brauchen eine strukturelle Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Flüchtlingspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Daran werden wir in den nächsten Jahren weiter arbeiten. Auch wenn wir natürlich mit dem vor 14 Tagen gefundenen Kompromiss zufrieden sind, hoffe ich, dass die für 2015 zugesagten Mittel auch für das Jahr 2016 fließen werden.

Meine Damen und Herren, ich kann nur weiter an uns alle appellieren: Lassen Sie uns den Konsens nicht gefährden! Das ist das, was die Rechten wollen. Das ist das, was diejenigen, die ausländerfeindliche Parolen skandieren, wollen: dass wir uns in den politischen Streit hineinziehen lassen, der in unserem von Werten geprägten Grundrechtssystem keinen Raum haben darf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und Zustimmung von Gab- riela König [FDP])

Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. Sie haben es selber bemerkt: Die in etwa vorgesehene Redezeit der Regierung ist um gut fünf Minuten überschritten worden. Ich kann so bei Bedarf natürlich auch allen Fraktionen zusätzliche Redezeit erteilen, wenn man denn will. - Herr Abgeordneter Thümler, bitte sehr! Fünf Minuten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Watermann, wir sind im Wesentlichen gar nicht weit auseinander. Das haben Sie richtig verstanden.

Ich will nur, damit es auch deutlich wird - und zu dem, was Herr Minister Pistorius gerade gesagt hat -, aus dem Leitartikel von Matthias Koch in der HAZ von heute zitieren:

„Jene, die sich jetzt aufregen, müssen aufpassen, dass sie nicht ihrerseits beitragen zur heillosen Überbewertung der Bewegung. Keineswegs springt derzeit ein Funke über von Stadt zu Stadt. In Ostdeutschland sind mittlerweile mehr Gegendemonstranten unterwegs denn je. In Westdeutschland geraten Pegida-Kundgebungen teils zum Flop, teils entpuppen sie sich auch, wie eine angebliche Erhebung der Ostfriesen gegen den Islam (‚Ogida‘), als bloße Ente.

Falsch wäre aber“

- und das ist wichtig -

„auch ein Übermaß an Arroganz. Belustigt hielt der frühere Bild-Chef Michael Spreng in einer ARD-Talkshow fest, im monokulturellen Dresden vor Muslimen zu warnen sei ‚wie auf Sylt gegen Bergbahnen zu demonstrieren‘. Doch Hohn und Spott helfen nicht weiter. In Wahrheit ist es logisch, dass in Zeiten großen Wandels vor allem jene unruhig werden, die in einer übersichtlichen Welt gelebt haben. In der Schweiz“

- das haben wir alle vor Augen, meine Damen und Herren -

„war bei Abstimmungen zum Ausländerrecht der Drang nach Abschottung stets in jenen Kantonen am stärksten, wo am wenigsten Ausländer leben.“

- Das ist genau das, was Herr Watermann gerade gesagt hat: 2 % Ausländeranteil in Sachsen. Das ist genau der Punkt, um den es geht: Ängste zu

schüren, eben weil die Menschen keine Berührungspunkte mit diesen anderen Menschen haben.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Dann muss mehr Zuwanderung erfolgen!)

Dementsprechend lösen Sie das Problem nicht nur über Zuwanderung, Frau Polat, sondern Sie müssen es den Leuten vorher erklären; denn wenn Sie es nicht vorher erklären, entsteht das Problem.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen sage ich noch einmal: Wir müssen alle gemeinsam dieses Phänomen erklären.

(Thomas Schremmer [GRÜNE]: Man muss sich erst einmal kennenlernen! Nichts anderes!)

Deswegen ist es eben so, dass diejenigen, die vom Wandel betroffen sind, aber noch nie etwas damit zu tun gehabt haben, am meisten Angst haben, meine Damen und Herren. Und ich sage es noch einmal: Angst ist genau der falsche Ratgeber in einer solchen Frage, weil er zu einer Fehlentwicklung führt, die wir alle in den 90er-Jahren gemeinsam bitter ausbaden durften. Und das möchte ich in Deutschland nicht wieder erleben, weder in Bayern noch in Niedersachsen noch in Dresden, noch anderswo, meine Damen und Herren.

Deswegen nehme ich zumindest im Grundsatz ernst, dass diese Rattenfänger aus dieser PegidaBewegung sehr fein und zum Teil auch feinsinnig mit den Ängsten genau dieser Menschen spielen - und die fallen darauf rein, weil es einfach ist, weil sie nämlich davor Angst haben.

Deswegen haben wir die gemeinsame Verantwortung, uns dagegenzustellen. Wir sollten an die gute Tradition Niedersachsens, die wir immer gehabt haben, anknüpfen. Wir brauchen uns hier nicht zu verstecken. Wir können mit erhobenem Haupt gegen solche Bewegungen vorgehen. Und wir sollten das auch gemeinsam tun und nicht in einer ideologischen oder parteipolitischen Taktiererei. Wir sollten gemeinsam sehen, dass wir den Flüchtlingen, die zu uns kommen und die wir hier aufnehmen wollen, eine vernünftige Heimat geben.

Aber dazu, Herr Minister Pistorius, gehört es nach meinem Dafürhalten eben auch, dass das Land Niedersachsen nicht nur sagt, der Bund muss mehr zahlen, sondern auch mehr zentrale Aufnahmestellen in Niedersachsen schafft: nicht nur die eine in Osnabrück - die wir sehr begrüßen -, sondern auch noch eine fünfte, eine sechste und meinetwegen auch eine siebte.

Ich sage Ihnen auch, warum: weil wir dazu beitragen müssen, dass Täter und Opfer in diesen Einrichtungen getrennt werden. Wir müssen sie unterschiedlich unterbringen können. Denn wie oft kommt es denn vor, dass traumatisierte Personen - meistens Frauen, die vergewaltigt worden sind - ihre Täter wiedertreffen und das ganze Spiel noch einmal von vorne losgeht?

Wir haben die Verantwortung, eine wirkliche Willkommenskultur zu leben, und zwar auch über diese zentralen Aufnahmestellen, meine Damen und Herren. Wir dürfen wir nicht nachlassen, gemeinsam an dem Ziel zu arbeiten, dass die Menschen bei uns willkommen sind.

Ich sage es noch einmal: Wenn der Libanon - ich weiß nicht, wer von Ihnen schon einmal in dieser Gegend gewesen ist - an einem Wochenende 500 000 Flüchtlinge aufnimmt, dann wird es doch wohl möglich sein, dass wir in Deutschland pro Jahr 200 000 Flüchtlinge aufnehmen. Alles andere wäre doch eine Schande, meine Damen und Herren!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Thümler. - Es hat sich jetzt für die Fraktion der SPD wiederum der Kollege Watermann gemeldet. Wenn Sie wollen, bis zu fünf Minuten!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Thümler, ich stimme Ihnen zu, dass man diese Sorgen ernst nehmen muss. Ich glaube aber, dass wir uns noch stärker auf etwas anderes konzentrieren müssen.