Protocol of the Session on December 16, 2014

(Johanne Modder [SPD]: Genau!)

Das wollen wir ausdrücklich nicht.

(Beifall bei der CDU - Johanne Mod- der [SPD]: Wir auch nicht!)

Deshalb dürfen wir es nicht zulassen, dass wir diese Menschen einfach pauschal als Rassisten beschimpfen. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ja, wir müssen uns intoleranten islamfeindlichen Strömungen entschieden entgegenstellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP und Zustimmung von Johanne Mod- der [SPD] und von Anja Piel [GRÜNE] - Anja Piel [GRÜNE]: Das ist ja schon mal etwas!)

Aber andererseits müssen wir die Ängste der Bevölkerung eben auch aufnehmen, bevor - und das passiert leider hier und da und zu häufig - rechtsextreme Rattenfänger dies besorgen. Ich sage Ihnen eines: Ich möchte nicht, dass wir die Bilder von 1990 im 21. Jahrhundert in Deutschland wieder vor uns sehen. Ich möchte nirgendwo brennende Flüchtlingsunterkünfte sehen. Deswegen müssen wir gemeinsam als Demokraten aller Seiten, ob links, ob rechts, ob Mitte, gegen diese Rattenfänger vorgehen und uns eindeutig gegen Pegida stellen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Frau Modder, abschließend: Es reicht eben leider nicht, danach zu rufen, einen erneuten Flüchtlingsgipfel durchzuführen; denn wir brauchen keine Runden, in denen wir in verschlossenen oder halbtransparenten Kreisen über etwas reden,

(Johanne Modder [SPD]: Ich habe nicht gesagt, dass nur das sein muss!)

sondern wir müssen uns mit den Menschen vor Ort, auf der Straße, auseinandersetzen. Das muss unsere Aufgabe sein. Wir müssen zur Aufklärung beitragen. Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir alle gemeinsam gefordert, uns gegen diese Strömung zur Wehr zu setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Thümler. - Für die SPDFraktion hat sich noch einmal der Kollege Watermann gemeldet. Restredezeit: aufgerundet eine Minute.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Thümler, ich will eigentlich nur ergründen, ob wir uns in der Frage des Hörens und des Verstehens wirklich nur missverstanden haben.

(Björn Thümler [CDU]: Wahrschein- lich!)

Auch ich bin dagegen, dass man Protestbewegungen in einen falschen Kontext stellt. Aber ich glaube, wir müssen recht deutlich machen: Es gibt überhaupt keinen Grund, auf die Straße zu gehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dafür gibt es in Sachsen, wo nur 2 % der Bevölkerung nicht in Deutschland geboren sind, überhaupt keinen Grund. Es gibt keinen Grund dafür, dass wir denen auch noch recht geben. Vielmehr müssen wir ganz deutlich sagen: Dort herrscht ein Irrglaube vor.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir müssen dem entschieden entgegentreten; denn wir sind ein Land, das Zuwanderung braucht. Wir sollten deutlich machen: Wir haben es in der Vergangenheit gezeigt, wir können es jetzt zeigen. Wir sollten ganz deutlich sagen, dass das, was dort passiert, aufgrund eines Irrglaubens geschieht. Deshalb müssen wir dem entschieden begegnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Watermann. - Jetzt ist die Landesregierung an der Reihe. Es spricht Herr Innenminister Pistorius. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer mehr Regionen weltweit entwickelten sich in den letzten Jahren zu Kriegs- und Krisengebieten. Die Lage ist dramatisch, insbesondere in Syrien und im Irak, und sie wird immer beunruhigender und beängstigender. Immer mehr Menschen werden gezwungen, ihre Heimat unter dramatischen Bedingungen hinter sich zu lassen. Sie kommen aus purer Angst um ihr Leben nach Europa, auch nach Deutschland und nach Niedersachsen.

Das Leid in ihren Heimatländern macht uns alle zutiefst betroffen. Ich spreche insoweit ausdrücklich nicht nur für die Landesregierung, sondern für die große Mehrheit unserer Bevölkerung. Wenn ich durch unser Land reise, stelle ich immer wieder fest: Die Empathie und Solidarität gegenüber Flüchtlingen sind so groß wie lange nicht oder wahrscheinlich sogar wie noch nie.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich betone das nicht trotz, sondern wegen der jüngsten Geschehnisse um die sogenannte Pegida. Unter dem Deckmantel der demokratischen Meinungsäußerung werden Menschen ausgegrenzt und zu Sündenböcken für was auch immer gemacht. Christliche Werte sollen verteidigt werden, absurderweise unter Aufgabe eines der wichtigsten Prinzipien der Christen, nämlich der Nächstenliebe.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist erschreckend, dass es den äußerst fragwürdigen, teilweise sogar vorbestraften Initiatoren gelungen ist, mit einem kruden Sammelsurium an seltsamen Forderungen so viele Menschen zu versammeln. Man darf das, was dort geschieht, nicht verharmlosen und auch nicht abtun; denn es sind eben nicht nur stumpfe Rechtsextreme, die da mitlaufen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Genau!)

Ich will hier sehr klar und deutlich sagen: Jeder hat eine eigene Verantwortung. Ich appelliere an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen. Jeder muss sich sehr genau prüfen und sehr genau darauf achten, welchen Leuten er hinterherrennt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Niemand darf sich einfach vor den Karren spannen lassen, der vom Wolf im Schafspelz gezogen wird. Wer mitläuft, begibt sich in Mithaftung für Schlimmeres. Wer mitläuft - das muss jedem klar sein -, ist dabei und verstärkt die Masse, die auf der Straße ist.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Richtig!)

Ich, meine Damen und Herren, teile jedenfalls nicht die Auffassung, dass es sich hier um einen normalen bürgerlichen Protest handelt, für den man Verständnis aufbringen sollte. Man beachte nur einmal - die Fernsehberichte sollten genügen -, wel

ches Gedankengut im Umfeld der Pegida wächst und scheinbar salonfähig bis in die Mitte der Gesellschaft wird. Auf Demonstrationen war bereits der Ausruf zu hören - ich zitiere -: „Lügenpresse, halt die Fresse!“ Auf der Internetseite der Pegida finden sich zum Teil abartige Kommentare. Dort wird von - ich zitiere wieder - „eingebürgerten Anatoliern oder deren Brut“ oder von - ich zitiere wieder - „Asylantengewäsch“ gesprochen. Plakate mit der Aufschrift „Wacht auf!“ werden hochgehalten.

Wen das nicht aufrüttelt, dem ist nicht zu helfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn dann aus der gleichen Masse heraus ausgerechnet in Dresden skandiert wird: „Wir sind das Volk!“, dann wird damit das Motto derjenigen gekapert, die für Freiheit, Menschenrechte und Grundrechte eingetreten sind, und man tritt gleichzeitig mit dem, wogegen und wofür man demonstriert, diese Prinzipien mit Füßen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das zeigt, welch menschenverachtender Geist dort zirkuliert. Deshalb sage ich: Natürlich müssten wir auf mögliche Sorgen der Bevölkerung eingehen, sofern sie objektiv berechtigt wären. Aber lieber Herr Thümler, welche Fragen sind denn berechtigt?

(Filiz Polat [GRÜNE]: Ja, genau!)

Die nach der Islamisierung des Abendlandes, bei nur 4 Millionen Muslimen in Deutschland, die ihren Glauben sehr unterschiedlich intensiv zelebrieren und leben? Das ist die Islamisierung des Abendlandes? Welche Frage ist denn berechtigt? Die danach, dass Ausländer hier nicht bestraft würden, wenn sie Straftaten begehen? Welche Frage ist denn berechtigt? Die Frage danach, dass Flüchtlingsunterkünfte, voll ausgestattet, „gemachte Nester“ gebaut werden? Das sind berechtigte Fragen? - Das ist pure Polemik und Ausländerfeindlichkeit, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen dürfen wir die kruden Thesen der Pegida eben nicht zu Fakten erklären, indem wir diese vermeintlich berechtigten Fragen zu berechtigten Fragen machen.

(Björn Thümler [CDU]: Das macht ja auch keiner!)

Wir müssen die Ängste aufnehmen. Wir müssen aufklären.

(Björn Thümler [CDU]: Ja eben! Das sage ich ja!)

Wir müssen den Menschen, die glauben, dass in Deutschland 20 Millionen Muslime leben, sagen, dass es eben nur 4 Millionen sind und dass sie sich hier ganz normal verhalten und zum überwiegenden Teil hier arbeiten und Steuern zahlen und das Bruttoinlandsprodukt mehren.

Ich wehre mich auch gegen den Eindruck, dass das, was in Dresden passiert, Deutschland ist. Das ist auch nicht das Bild der Deutschen. Das ist das Bild von 10 000 oder 15 000, die sich hinter was auch immer versammeln, aus Frustration über was auch immer. Aber das ist nicht das Bild der deutschen Öffentlichkeit, und das ist nicht das Bild der deutschen Willkommenskultur im 21. Jahrhundert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen ist es mir so wichtig, dass wir in diesem Hohen Haus unsere Einigkeit nicht gefährden. Wir dürfen uns von denen nicht auseinandertreiben lassen.