Protocol of the Session on December 16, 2014

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Thümler, ich stimme Ihnen zu, dass man diese Sorgen ernst nehmen muss. Ich glaube aber, dass wir uns noch stärker auf etwas anderes konzentrieren müssen.

Wir könnten sicherlich mehr Flüchtlinge aufnehmen, und wir sollten auch deutlich formulieren: Wir sind ein Land, das sich demografisch zurückentwickelt und Zuwanderung braucht.

Ich meine aber, noch wichtiger ist - das ist in einigen Reden heute auch schon angesprochen worden -, an das zu erinnern, was wir in Niedersachsen, in Deutschland schon ganz oft vorgelebt haben. Wir müssen noch deutlicher machen, dass es ein Luxus ist, dass wir seit Jahrzehnten in Frieden leben - ein Luxus, den viele um uns herum nicht kennen. Wir müssen noch stärker daran erinnern, wie es war, als die Grenze noch mitten durch

Deutschland ging, was es bedeutet, Krieg und Flucht mitzuerleben. Viele, die in Dresden und anderswo auf die Straße gehen, können sich doch gar nicht vorstellen, wie das ist.

Gleichwohl sage ich sehr deutlich: Ich habe null Verständnis für die Menschen, die dort mitgehen. Ich will also sehr dafür werben, die Erinnerung wieder aufleben zu lassen. Da sind wir, die demokratischen Parteien gefordert. Wir müssen die Zeitzeugen wieder stärker zu Wort kommen lassen. Wir müssen sowohl in der Schule als auch in politischen Diskussionen deutlich machen, dass Deutschland in der Verantwortung für zwei Weltkriege steht und dafür, dass große Teile unserer Bevölkerung aus ihrer Heimat fliehen mussten.

Mir ist auch sehr wichtig, dass wir deutlich machen, dass diejenigen, die hierherkommen und ihre Zelte abbrechen mussten, nicht gezwungen werden, irgendwann wieder darüber nachzudenken, etwas neu aufzubauen. Wir müssen ihnen die neue Heimat geben, die sie brauchen. Es geht nicht um Kurzfristigkeit, sondern um Langfristigkeit.

Wir müssen auch deutlich machen, dass wir diejenigen, die zu uns kommen und die Straftaten in ihren Heimatländern begangen haben, hier vor Gericht stellen. Herr Thümler, Sie haben davon gesprochen, dass sich Täter und Opfer in den Erstaufnahmeeinrichtungen wiedertreffen. Unser Rechtsstaat verlangt, auch solche Straftaten zu ahnden.

Wir müssen deutlich machen, dass solche Krisen viel stärker vor unserer Haustür stattfinden, als mancher wahrhaben will. Wir sind an den Krisen in Afrika oft viel näher dran als Afrika in sich.

Meine Damen und Herren, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, dass wir alles tun müssen, um die Kommunen in die entsprechende Lage zu versetzen. Wir dürfen es nicht zerreden, wenn in einer Erstaufnahmeeinrichtung wieder eine neue Situation geschaffen wird.

Wir müssen die Debatte, die wir gerade führen, viel stärker nach außen tragen. Reflexartige Äußerungen wie die, dass Zuwanderer zuhause deutsch sprechen sollen, gehen in die falsche Richtung.

Ich bin froh darüber, dass wir zumindest hier in Niedersachsen zu den Parteien gehören, die nicht nur die deutsche Sprache fördern, sondern die sogar in der Lage sind, zu hören und zu verstehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Watermann. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir diesen Teil der Aktuellen Stunde beenden können. Ich denke, es besteht durchaus Anlass, dass wir uns bei allen Rednern für ihre Beiträge zu diesem wichtigen Thema bedanken.

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu

c) Forschung für den Ausstieg: Kein Euro für neue Reaktortypen - Fördermittel auf Stilllegung, Rückbau und Entsorgung ausrichten - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/2555

Hierzu hat sich Frau Staudte gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren Abgeordnete! Im Juni 2011 ist bekanntermaßen der Atomausstieg beschlossen worden. Ich glaube, wenn Sie heute auf die Straße gehen und fragen würden, in welchen Energiebereich

Deutschland im Moment seine Forschungsmittel investiert, dann würden Sie die Antwort bekommen: Wir machen die Energiewende, wir investieren in erneuerbare Energien, in Netze und in Speichertechnologien.

Doch weit gefehlt! Im Energieforschungsprogramm der Bundesregierung von 2011 bis 2014 - also nach dem Ausstiegsbeschluss - gingen noch immer 600 von 900 Millionen Euro in die Bereiche Kernfusion, neue Reaktortypen der vierten Generation und Transmutation, also in die Wiederaufarbeitung von Atommüll. Nur 300 Millionen Euro, also ungefähr ein Drittel, kann man den Bereichen Endlagerung und Atomausstieg zuschlagen.

Diese Zahlen wurden in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung des Umweltministeriums hier in Hannover von Dr. Pitterich, dem Leiter Entsorgung des Karlsruher Institut für Technologie, bestätigt. Er sagte, 2014 werden 77 Millionen Euro für den Nuklearbereich verausgabt und nur 21,3 Millionen Euro für die Stilllegung, den Rückbau und die Endlagerung. - Das ist weniger als ein Drittel, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss umgehend geändert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Doch es ist nicht nur die anteilige Mittelvergabe, die uns Probleme bereitet. Probleme bereitet uns auch die totale Zersplitterung der Zuständigkeiten auf Bundesebene. Hier ist nicht etwa das Bundesforschungsministerium federführend tätig, sondern das Bundeswirtschaftsministerium; das verwaltet auch das größte Budget. Und das Umweltministerium spielt im Bund sowieso nur eine untergeordnete Rolle. Dort blockiert man sich seit Jahren gegenseitig, statt an einem Strang zu ziehen.

Die Gutachten dazu, welche Projekte in Zukunft gefördert werden sollen, werden von Sachverständigen empfohlen, aber, Herr Bäumer, ich habe den Verdacht, dass sich diejenigen Institutionen, die sich bisher die Forschungslandschaft aufgeteilt haben, jetzt auch die Forschungsaufträge gegenseitig zuschieben.

Lothar Hahn, der ehemalige Leiter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, sagte in der vergangenen Woche sinngemäß, seiner Meinung nach würden Fachbeamte in den Behörden ein Eigenleben führen, und neue Erkenntnisse und gesellschaftliche Beschlüsse würden ignoriert.

Und wer im Mai dieses Jahres Forschungsministerin Wanka bei der Eröffnung des Kernfusionsprojekts in Greifswald gehört hat, den wundert natürlich nichts mehr. Sie lobte die Fusionswissenschaftler als die „Erben des Prometheus“, die eine sonnengleiche Energiequelle finden würden. Man hatte wirklich den Eindruck, man hört eine Rede aus den 60er-Jahren. Ich habe einmal die junge Queen gesehen, als sie in einem Schwarz-WeißStreifen eine ähnliche Rede zum Thema Atomkraft gehalten hat, und dachte eigentlich, diese Zeiten wären vorbei.

(Beifall bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Die Queen ist immer noch jung! Sie ist ewig!)

In der September-Sitzung der Endlagerkommission sagte Frau Professorin Wanka, dass man in 20, 30 Jahren die Megacitys der Zukunft nur mit der endlosen Energie der Kernfusion versorgen könne. Ich denke, das muss uns wirklich nachdenklich stimmen.

Wir alle wissen, dass die Gefährdung durch Terrorangriffe bei Anlagen der Kernfusion genau dieselben Problematiken mit sich bringt wie bei Anlagen der Kernspaltung. Auch insofern ist es unverantwortlich, dass dafür weiterhin Forschungsmillionen vergeudet werden - oder sogar Forschungsmilliarden; seit 1995 sind in Greifswald tatsächlich

1 Milliarde Euro Forschungsmittel verausgabt worden.

Nun können Sie natürlich fragen, warum wir das hier im Niedersächsischen Landtag diskutieren wollen, wo das doch eine Bundesangelegenheit ist. Aber Sie alle wissen doch, dass Niedersachsen das leidtragende Bundesland ist, wenn wir nicht zu einer Neuausrichtung der Forschungsmittel gelangen.

(Zustimmung von Thomas Schrem- mer [GRÜNE])

Lassen Sie uns einmal betrachten, wie die Mittel in der Vergangenheit auf die verschiedenen Wirtsgesteine für die Endlagerung verteilt worden sind. Schätzungsweise 60 % bis 80 % gingen in den Bereich Salz. Der weitaus geringere Rest ging in die Bereiche Ton und Granit; da wurde ja auch nur im Ausland mitgeforscht. Für den Bereich Salz werden schon jetzt Einlagerungskonzepte entwickelt. Beim Bereich Tongestein hingegen ist man erst bei der Analyse und beim Bereich Kristallin sogar erst bei der Grundlagenforschung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir in Niedersachsen müssen diese Debatte anschieben. Wir müssen der Motor sein. Deutschland steht mit dem Ausstieg aus der Risikotechnologie Atomkraft vor einer epochalen Herausforderung. Sie zu meistern, wird nur dann gelingen, wenn auch die Wissenschaft mit an einem Strang zieht. Dazu muss die Politik die Weichen neu stellen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Staudte. Das war von der Zeit her eine Punktlandung. - Ich darf nun für die Fraktion der CDU den Kollegen Martin Bäumer aufrufen. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich gefragt, was die Grünen mit dieser Aktuellen Stunde eigentlich transportieren wollen. Nun ist mir das deutlich geworden:

Der Umweltminister macht ab und an Veranstaltungen, auf denen er die interessierte Öffentlichkeit über das informiert, was die Endlagerkommission bespricht.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Sie sind auch interessiert! Geben Sie es zu!)

Ich habe den Verdacht, dass das beim letzten Mal nicht so angekommen ist, und deswegen musste die Frau Kollegin Staudte an dieser Stelle noch einmal für eine gewisse Aufmerksamkeit sorgen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Wir wollten aufklären!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Jahr 2014 neigt sich dem Ende entgegen. Weihnachten steht vor der Tür. Ich muss Ihnen gestehen: Mein Weihnachtswunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Denn zum wiederholten Male in den vergangenen zwei Jahren diskutieren wir hier über das Thema Kernenergie, das alte Kampfthema von Bündnis 90/Die Grünen.

Es ist traurig und wahr, dass Sie nicht in der Lage sind, Frau Kollegin, über dieses Thema ideologiefrei, sachlich und mit einer gewissen Technologieoffenheit zu reden. Wahr ist auch, dass Ihre Politik immer darauf basiert, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Ängste zu schüren.

Ich könnte - da bin ich sehr offen - mit Ihren Thesen leben, wenn wir eine Fülle von Alternativen hätten. Aber die haben wir nicht. Deshalb kann ich hier nur formulieren: Sie sagen uns immer nur, was nicht geht, aber Sie sagen uns niemals, was geht - weil Sie unbelehrbar sind, und das mit Leidenschaft.

(Beifall bei der CDU)

Ihrer Überschrift zur Aktuellen Stunde können wir entnehmen, dass Sie nunmehr die Wissenschaft bevormunden wollen, indem Sie sagen, es darf keine Forschungsgelder mehr für einen bestimmten Bereich geben, sondern nur noch für das, was Sie Ihrer Klientel versprochen haben. Das ist lupenreine Klientelpolitik.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Hans-Joachim Janßen [GRÜ- NE]: Es geht um die Verteilung! Ha- ben Sie nicht richtig zugehört?)

Denn wenn Sie, Frau Kollegin, Kernenergie so fürchten, dann müssen Sie doch dafür eintreten, dass die bestehenden Kernkraftwerke nach besten Sicherheitsstandards geführt werden, solange sie noch genutzt werden. Es ist doch unser ureigenes Interesse, dass sie sich technologisch auf einem ganz hohen Niveau befinden. Außerdem sollten wir allen energieerzeugenden Formen und Technologien, die CO2 vermeiden können, offen gegen

überstehen. Das, was Sie an dieser Stelle machen, ist eine Nichtoffenheit.

Vielleicht gibt es eines Tages auch die Chance, den vorhandenen atomaren Abfall durch neue Technik zu verwerten und das Volumen zu verkleinern. Dann bräuchten wir vielleicht auch kein Endlager mehr. Sie haben hier aber ganz deutlich erklärt, dass Sie sich diesen Ideen, dieser Forschung verweigern wollen.

Offenheit des Geistes, Freiheit der Gedanken und Kreativität - Frau Kollegin, das ist das, was einen Politiker in seiner Tugend auszeichnet. Denkverbote gehören in totalitäre Systeme, nicht aber hier nach Niedersachsen.