Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum wir uns zu diesem Antrag so positionieren, wird im Laufe meiner Rede deutlich werden.
Was die rhetorische Umarmung angeht, so sage ich einmal: Das kann bei dem Thema Inklusion ja nicht ganz verkehrt sein.
Erstens. Inklusion ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so schreiben Sie richtigerweise in der Begründung zu Ihrem Antrag. Ich möchte das ergänzen: Inklusion ist eine lohnende Aufgabe; denn sie eröffnet Perspektiven, wie Schulen mit der wachsenden Heterogenität umgehen können, und das ist nicht nur die Heterogenität, die durch das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern entsteht; das ist eine gnadenlose Verkürzung.
Zweitens. Inklusion ist vor allem eine Haltung, die sich auf alle Prozesse in der Schule bezieht, auf das Schulleben, auf die Art der Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen, auf die Art der Zusammenarbeit der Lehrer mit Schülern usw., und sie ist natürlich auch eine Haltung, die etwas mit Unterricht zu tun hat. Inklusion ist ein langfristiger Prozess, der alle Akteure vor große Herausforderungen stellt. Dieser Prozess wird immer wieder schwierig sein und im Übrigen auch immer wieder widersprüchlich. Dafür könnte ich zahlreiche Beispiele aufführen. Meine Redezeit würde nicht ausreichen.
Ich möchte auch gerne noch sagen - jetzt bin ich einmal nicht im Rahmen der rhetorischen Umarmung -: Inklusion ist kein Tummelplatz für das Ausleben politischer Kontroversen.
Die Schulgesetzänderung 2012 hat der Entwicklung der inklusiven Schule eine enorme Dynamik verliehen. Viele Eltern und viele Lehrerinnen und Lehrer haben auf diesen Moment gewartet. Sie haben darauf gewartet, dass sich diese Dynamik so entfalten konnte. Aber gleichzeitig waren zahlreiche Rahmenbedingungen in keiner Weise gesichert. Ein Beispiel: Förderschulen Lernen wurden auf den Weg gebracht, sich zumindest in der Primarstufe in ersten Schritten aufzulösen. Gleichzeitig wurde nicht dafür Sorge getragen, dass nachwachsende Strukturen entwickelt worden sind. Das hat in einigen Regionen zu erheblichen Irritationen geführt. Da werden wir nachbessern.
Die Zuweisung der Ressourcen ist in weiten Teilen dürftig geblieben. Das notwendige Personal wurde nicht zur Verfügung gestellt, und es gab viel zu wenige Strategien, wie das in Zukunft geschehen kann.
Jetzt machen Sie mit Ihrem Antrag das große Fass auf. Sie stellen Forderungen auf, deren Umsetzung man besser im Vorfeld der Gesetzgebung hätte auf den Weg bringen sollen.
Ein Beispiel dafür: Sie fordern, dass es ein tragfähiges Entlastungssystem für Förderschulleitungen geben sollte. Diesen Punkt fand ich am nettesten. Darauf habe in meiner eigenen Tätigkeit als Förderschulleiter exakt zwölf Jahre gewartet.
Im Forderungskatalog streuen Sie dann Ihre Kritik an unseren Plänen der Weiterentwicklung einfach mit ein, und dann wundern Sie sich, wenn wir diesen Antrag ablehnen. Die Wahlfreiheit ist der Faden, der sich durchzieht. Es hatte schon etwas Charmantes, das so einzubringen. Sie haben, dieser Landtag hat beschlossen, dass die Förderschule Lernen ab dem Schuljahr 2013/2014 keine Schüler mehr aufnimmt und insofern die Primarstufe sukzessive abgebaut wird. Das war der erste Schritt zur Einschränkung der Wahlfreiheit.
Das darf man nicht ganz vergessen. Aber davon wollen Sie sich ja nun schrittweise vielleicht doch wieder verabschieden. Daran, ob Sie damit für die klaren Rahmenbedingungen sorgen, die Inklusion braucht, habe ich meine Zweifel.
Wir schaffen die Förderschulen nicht ab. Ich sage das gebetsmühlenartig. Ich wiederhole es hier noch einmal. Förderschule geistige Entwicklung, Förderschule körperlich-motorische Entwicklung, die Förderschulen Sehen und Hören bleiben bestehen. Auch beim Förderschwerpunkt Sprache verabschieden wir uns, bitte schön, auch von der Formulierung des Abschaffens. Wir entwickeln die Förderschule Sprache im Sinne der inklusiven Schule weiter, d. h. wir werden die Kapazitäten, die Ressourcen und das Wissen im Rahmen von Schwerpunktgrundschulen weiterführen, und das ist genau der richtige Weg.
Wir haben bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Wir haben zusätzliche Lehrkräfte für die Inklusion bereitgestellt, wir haben die Qualifizierungsmaßnahmen deutlich ausgebaut, und jetzt gerade haben wir dafür gesorgt, dass die Qualifizierung auch im Rahmen von schulinternen Fortbildungen erfolgen kann. - Das kann für nachhaltige Entwicklung sorgen!
Entschuldigung! Ich habe den Eindruck, Sie wollten zum Schluss kommen, aber Herr Thiele möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. Einverstanden?
Vielen Dank. - Ich muss noch einmal auf die Förderschulen Sprache zurückkommen. Herr Scholing, Sie haben gerade ausgeführt, dass es Ihnen um eine Weiterentwicklung geht und dass diese in Form der Schwerpunktgrundschulen Sprache erfolgen soll. Wann - wenn das die einzige Karte ist, auf die Sie für die Kinder mit Förderbedarf Sprache setzen - erfahren die Grundschulen und alle anderen Beteiligten denn das Konzept, mit dem diese Schulen in Zukunft arbeiten sollen? - Das nämlich ist nach wie vor nicht bekannt, und alle gehen davon aus, dass es eher eine Einschränkung ihrer Arbeit als eine Verbesserung bedeuten wird.
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Thiele, erstens haben die Regierungsfraktionen sehr deutliche Ansagen gemacht, wie sie die weitere Entwicklung gestalten werden. Diese weitere Entwicklung wird sich selbstverständlich im neuen Schulgesetz und in den untergesetzlichen Regelungen niederschlagen.
Wir werden dafür sorgen - das tun wir z. B. mit diesem Debattenbeitrag -, dass die Schulen sehr verlässliche Rahmenbedingungen vorfinden werden, wenn unsere Vorgaben umgesetzt werden.
Und ich sage Ihnen noch etwas: Sie sagen in Ihrem Antrag, dass Sie für die Schülerinnen und Schüler, die in der Grundschule sind, drei Ruck
sackstunden beantragen. Das ist genau einer der Punkte, bei denen ich denke: Sie haben letztendlich keinen Begriff von inklusiver Schule. Wenn Sie weiter nur auf individuell bezogene Ressourcen setzen und nicht daran arbeiten, die inklusive Schule anständig auszustatten, dann werden Sie mit Ihren Konzepten die inklusive Schule ganz gewiss nicht weiterentwickeln!
Vielen Dank, Herr Scholing. - Jetzt hat sich für die FDP-Fraktion Herr Försterling zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir es in der letzten Legislaturperiode geschafft haben, hier interfraktionell das Schulgesetz im Hinblick auf die Inklusion zu ändern, war, glaube ich, eine große Leistung. Die Inklusion bleibt auch die größte gesellschaftliche Aufgabe dieses Jahrzehnts - nicht nur im Schulbereich, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Aber hier geht es um den Schulbereich.
- Herr Schminke ruft gerade: Es wäre schön, wenn wir mitmachten. Ja, Herr Schminke, es wäre schön, wenn Sie uns auch mitmachen lassen würden!
Stattdessen verlassen Sie den gemeinsamen Weg. Sehr deutlich wurde das in der Kultusausschusssitzung, in der wir den Antrag der CDU beraten haben. Da wurde schnell darüber hinweggegangen und gesagt: Das ist ja ein Sammelsurium von Forderungen. Die kann man sowieso nicht umsetzen. Das wollen wir nicht, und deswegen lehnen wir diesen Antrag ohne inhaltliche Diskussion der einzelnen Punkte ab. - So funktioniert der gemeinsame Weg eben nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich finde, der Antrag der CDU wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich als Kultusausschuss, als Niedersächsischer Landtag einmal mit der Frage zu befassen: Wo stehen wir eigentlich in Sachen Inklusion in Niedersachsens Schulen nach unserer Schulgesetzänderung in der vergangenen Legislaturperiode?
derschule Lernen, mit der Förderschule Sprache weitergeht. Das sind Punkte, die die Eltern interessieren, weil sie darauf gerade keine Antworten bekommen. Und wenn wir sehen, dass sich Eltern mittlerweile einen Platz an der Förderschule Lernen im Primarbereich vor Gericht erklagen, dann wird es ja wohl gerechtfertigt sein, als Politik einmal kurz innezuhalten und zu fragen, ob der Weg, den man gegangen ist, ob der einzelne konkrete Schritt richtig gewesen ist oder nicht.
Bei der Förderschule Sprache wurde eben deutlich, dass es scheinbar noch gar kein veröffentlichungsreifes Konzept gibt. Ich finde, dann sollten wir uns als Landtag doch damit beschäftigen, was die Eltern möchten und was gut für die Kinder ist. Das kann doch eigentlich nur unsere gemeinsame Aufgabe sein.
Genau dieselben Fragen stellen sich mit Blick auf die künftige Ausgestaltung der Förderzentren: Was können wir dort anbieten? Können wir das Angebot möglicherweise auch erweitern, um dort nicht nur eine Beschulung oder eine Beratung im schulischen Bereich vorzunehmen, sondern auch in sozialen Fragen, die viele Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf beschäftigten?
Wir müssen uns auch die Frage stellen: Geben wir tatsächlich genügend Ressourcen in die sonderpädagogische Grundversorgung hinein? Reicht das, um Inklusion zum Gelingen zu bringen? - Das wollen wir ja alle gemeinsam.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der in dem Antrag ebenfalls enthalten ist, ist die Frage der Schulbegleitung. Ist das Prinzip eigentlich gerade richtig, dass wir überhaupt keine Qualifikationserfordernisse für die Schulbegleiter haben, dass praktisch jeder in diesem Land Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf begleiten darf und dass die Sozialhilfeträger zum Teil noch nicht einmal den Mindestlohn für die Schulbegleiter bezahlen? - Auch das ist ein Punkt, mit dem wir uns als Kultusausschuss einmal auseinandersetzen müssten. Sind die Klassengrößen eigentlich richtig? Reicht die Doppelzählung aus, um eine entsprechende Lerngruppe zu haben, die für die Lehrkraft, für die Sonderpädagogen noch handhabbar ist?
Ich hätte über all diese Punkte sehr gern sehr dezidiert beraten, weil ich es als unsere Verpflichtung sehe, dass wir den Weg, den wir gemeinsam begonnen haben, auch gemeinsam zu Ende bringen, um die Inklusion zum Erfolg zu führen. Stattdessen haben Sie sich im Kultusausschuss leider der Be
ratung entzogen und tun auch heute wieder so, als sei der Antrag nur ein Sammelsurium von Forderungen, die man sowieso nicht umsetzen kann oder will, anstatt sich mit der Frage zu beschäftigen: Wie bringen wir Inklusion für Schüler, Eltern, Lehrer und die gesamte Gesellschaft in Niedersachsen zum Erfolg?
Vielen Dank, Herr Försterling. - Jetzt hat sich Stefan Politze, SPD-Fraktion, gemeldet. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Försterling sprach gerade davon, dass wir den gemeinsamen Weg verlassen und Fakten geschaffen hätten. Herr Försterling, ein gemeinsamer Weg bedeutet auch, dass man das Gespräch sucht. Ich habe nicht wahrgenommen, dass Sie das Gespräch gesucht haben, bevor die CDU ihren Antrag auf den Weg gebracht hat.
In die Richtung von Herrn Seefried gerichtet: Sie haben die fehlende Sachdebatte beklagt, aber Sie haben hier eine Rede über den Machtverlust der CDU gehalten, anstatt inhaltliche Argumente zu liefern. In der Rede, die Sie abgeliefert haben, ging es nur darum, gute Regierungsarbeit zu diskreditieren. Um nichts anderes geht es Ihnen in dieser Debatte!