Protocol of the Session on March 14, 2013

Empörend war und ist übrigens nicht die Frage der Organisation eines Landesjugendamtes - die hatte die frühere SPD-Landesregierung z. B. 1999 der Bezirksregierung Hannover zugeordnet -, sondern empörend ist vielmehr die vollständige Ausschaltung der im Bundesjugendhilferecht normierten Mitbestimmungsrechte der Träger der öffentlichen und anerkannten freien Träger der Jugendhilfe.

In § 71 SGB VIII sind die Zusammensetzung des Landesjugendhilfeausschusses und seine Aufgaben abschließend vorgegeben. Der Jugendhilfeausschuss befasst sich demnach mit allen Angelegenheiten der Jugendhilfe, der Erörterung aktueller Problemlagen junger Menschen, der Jugendhilfeplanung und der Förderung der freien Jugendhilfe. Der Landesjugendhilfeausschuss hat darüber hinaus ein eigenständiges Beschlussrecht in seinem Zuständigkeitsbereich. Durch diese besondere Rechtsstellung ist eine unmittelbare Anbindung an die Verwaltung und an die politischen Entscheidungsgremien gegeben.

Über den Landesjugendhilfeausschuss wurde in Niedersachsen die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Niedersachsen gewährleistet. Hier war ein großes Spektrum an Fachlichkeit vorhanden, was für die Aufgabenstellung nicht nur hilfreich, sondern sogar erforderlich ist.

Das allerdings war der damaligen Landesregierung offensichtlich zu viel an demokratischer Partizipation. Ministerpräsident Christian Wulff und Jugendministerin Ross-Luttmann nutzten die allererste Möglichkeit aus der Föderalismusdebatte, als erstes Bundesland sofort den Jugendhilfeausschuss abzuschaffen, und zwar handstreichartig. Ich darf an das damalige Prozedere erinnern: Die Gesetzesänderung wurde von CDU und FDP im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2007 durch das Parlament gepeitscht. Eine Anhörung der betroffenen Verbände wurde sowohl durch die Landesregierung als auch von CDU und FDP in den Fachausschüssen strikt abgelehnt.

Am 22. November 2006 wurde z. B. das Haushaltsbegleitgesetz im Sozialausschuss durchgestimmt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes in einer Nacht- und Nebelaktion. SPD und Grüne als Oppositionsfraktionen haben die Vorlage mit den massiven und folgenschweren Eingriffen in die bewährten Jugendhilfestrukturen morgens als Tischvorlage erhalten. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst wies in der Sitzung ausdrücklich darauf hin, dass ihm wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht alle Probleme offenbar geworden sind. Die Beteiligungsrechte der freien Träger wurden kurzerhand abgeschafft, die neutrale Schutzfunktion des Landes für das Kindeswohl wurde deutlich eingeschränkt.

Ich frage mich noch heute, meine Damen und Herren von CDU und FDP: Was für ein Demokratieverständnis treibt Sie eigentlich gelegentlich um?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

An die Stelle des gesetzlich geregelten Landesjugendhilfeausschusses wurde ein Beirat gesetzt. Die Bildung des Beirates, die Berufung der Mitglieder, die Kompetenzen und Aufgaben wurden bewusst nicht gesetzlich geregelt, sondern sind abhängig von der wohlwollenden Gemütslage der jeweiligen Landesregierung. In den Beratungen hat die Regierung diesen Freibrief auch ausdrücklich bestätigt. Ich zitiere: Das sei offen formuliert. Es handelt sich um einen Organisationsentscheid der Landesregierung.

Meine Damen und Herren, das war Ihre Politik des Wohlverhaltens nach Gutsherrenart. Das haben wir im Sozialbereich nicht nur einmal erlebt. Ich sage Ihnen: Mit solchen Verhaltensweisen wird jetzt Schluss sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die damaligen Befürchtungen der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe sind übrigens alle eingetreten. Die Landesregierung hat ihre Aufgaben als Träger der örtlichen Jugendhilfe weitgehend eingestellt. Eine abgestimmte Jugendhilfeplanung und ein fachlicher Austausch zwischen örtlichem und überörtlichem Träger finden faktisch nicht mehr statt.

Bei der sogenannten Auslandspädagogik, d. h. dem Abschieben von schwierigen Jugendlichen in Auslandsmaßnahmen, erklärte sich die Landesregierung in der vergangenen Legislaturperiode trotz katastrophaler Zustände für unzuständig. Lediglich bei der Einrichtung der geschlossenen Einrichtung in Lohne entwickelten Frau Ross-Luttmann und Frau Özkan erstaunlichen Ehrgeiz. Beim Auftreten der ersten Probleme waren sie dann wieder unzuständig und tauchten ab. Der Träger und vor allem die Jugendlichen wurden alleingelassen.

Meine Damen und Herren, im Interesse des Kindeswohls brauchen wir endlich wieder eine ganzheitliche, abgestimmte Jugendhilfe zwischen örtlichem und überörtlichem Träger.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Koalitionsfraktionen haben daher in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben: Das Land nimmt seine gesetzlichen Aufgaben als überörtlicher Träger der Jugendarbeit wieder wahr. Fachlichkeit und Mitbestimmung kehren zurück in die Jugendpolitik. Der Landesjugendhilfeausschuss wird wieder eingeführt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Genau damit setzen wir heute, drei Wochen nach dem Regierungswechsel, den ersten Akzent einer neuen Jugendpolitik von Rot-Grün. Weitere werden schnell folgen.

Wir brauchen wieder Verlässlichkeit in der Jugendpolitik, und zwar in allererster Linie im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Ihr Murks muss schnellstens beseitigt werden!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke für die Einbringung, Herr Kollege Schwarz. - Ich eröffne die Beratung. Das Wort zur Beratung hat der Kollege Volker Meyer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal, glaube ich, kann ich mit Fug und Recht behaupten: Die Kinder- und Jugendhilfe war bei der CDU-geführten Landesregierung in guten Händen.

(Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das wird schon daran deutlich, Herr Schwarz, dass Sie in Ihrem ersten Antrag nicht über Inhalte, sondern lediglich über Strukturen sprechen, die Sie ändern wollen. Sie sollten etwas weiter zurückblicken. Bereits im Jahre 1999 haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Organisationsentscheidung zur Auflösung des damaligen selbständigen Landesjugendamtes getroffen.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Da habt ihr es!)

Im Jahre 2002 hat der Landesrechnungshof in einem Prüfbericht festgestellt, dass es erhebliche Überschneidungen zwischen der Arbeit des Ministeriums und des damaligen Landesjugendamtes gibt. Der Landesrechnungshof forderte schon damals, die Aufgaben auf eine Behördenebene zu konzentrieren, und eine stärkere Steuerung des Landes auf Ministeriumsebene. Umgesetzt wurde dieses von Ihnen damals nicht.

CDU und FDP haben diese Forderungen des Landesrechnungshofes umgesetzt und Doppelstrukturen abgebaut.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, im Zuge der Föderalismusreform, wie von Herrn Schwarz angesprochen, wurde im Jahre 2006 das Landesjugendamt aufgelöst und die vollständige Aufgabenübertragung auf das Sozialministerium und das Kultusministerium umgesetzt. Das war konsequent und folgerichtig und hat an der Einbeziehung der Fachleute nichts geändert.

Durch den von der CDU-geführten Landesregierung eingerichteten Landesbeirat werden seitdem nicht nur die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben der überörtlichen Jugendhilfe wahrgenommen, sondern darüber hinaus werden in einer engagierten Arbeit viele Vorschläge und Empfehlungen für

eine erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik in Niedersachsen gemacht und umgesetzt.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, das Land Niedersachsen hat in den vergangenen zehn Jahren eine absolut erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik unter ständiger Einbeziehung der Fachleute gemacht. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die geringste Jugendarbeitslosenquote seit 20 Jahren und die niedrige Schulabbrecherquote.

(Beifall bei der CDU - Filiz Polat [GRÜNE]: Das ist ja wohl lächerlich!)

Das zeigt, dass von einem Rückzug des Landes aus der Jugendpolitik keine Rede sein kann.

(Ronald Schminke [SPD]: Da muss er selber lachen!)

- Ich lache nicht darüber. Mir ist das Thema viel zu ernst, als dass ich darüber lachen könnte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich frage Sie: Warum wollen Sie etwas durch Gesetz regeln, was jetzt auch ohne Gesetz funktioniert? Wir haben es bewiesen. Warum wollen Sie etwas verändern, was im Land Niedersachsen erfolgreich ist und erfolgreich arbeitet? Etwas zu ändern, ohne neue Aufgabenstellungen zu haben, zeigt, dass es Ihnen hier nicht um unsere Kinder und Jugendlichen geht, sondern nur um Politik.

(Zustimmung bei der CDU)

Mit Ihrem Antrag leisten Sie keinen Beitrag auf dem von Ihnen beschworenen Weg zu einem neuen, modernen Niedersachsen. Ich nenne dies nicht Modernisierung, sondern einen Rückschritt in die Verwaltungsstrukturen der 90er-Jahre,

(Beifall bei der CDU)

der nicht nur dem Hauptamt schadet, sondern vor allem an die vielen ehrenamtlich Engagierten in der Jugendarbeit ein falsches Signal sendet.

Hierüber und über die inhaltlichen Fragen sollten wir im Ausschuss weiter diskutieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. - Das Wort hat jetzt für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Sylvia Bruns.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Föderalismusreform ermöglichte uns im Land Niedersachsen, im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben endlich selbst zu organisieren. Dies haben CDU und FDP genutzt und neue, bessere Strukturen geschaffen.

(Uwe Schwarz [SPD]: Sie haben sie abgeschafft!)

- Neue geschaffen, bessere geschaffen.

(Uwe Schwarz [SPD]: Welche denn?)

- Kürzere Wege.