Protocol of the Session on May 15, 2014

Meine Damen und Herren, für eine starke Europapolitik ist ein glaubwürdiger Wertekompass eine unabdingbare Voraussetzung. Solch ein verlässlicher Wertekompass hätte Ihnen, Herr Weil, auch bei Ihrer jüngsten Reise in die Türkei geholfen. Wir haben gestern kurz darüber gesprochen. Ich muss Ihnen sagen: Ich bin immer noch erschrocken über so viel Ahnungslosigkeit und so viel Unkenntnis, wie Sie im Hintergrund der Zypernkrise zum Ausdruck gebracht haben.

(Widerspruch bei der SPD)

Dazu muss man wissen - das können Sie bei Wikipedia nachgucken, das ist ganz einfach -, dass die Zyprioten eben nichts gegen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union haben, meine Damen und Herren, sondern die Zyprioten wollen, dass das Ankara-Protokoll und das Zusatzprotokoll von 2005 von der Türkei endlich anerkannt und umgesetzt werden. Das verlangt in den Bedingungen, dass die Türkei die Öffnung ihrer Häfen und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge aus Zypern endlich zulässt. Dem verweigert sich die Türkei. Das ist der Hintergrund und das ist auch die außenpolitische Haltung der Bundesregierung in dieser Frage und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Kommen wir nun zu der letzten und dritten Kernfrage. Wie soll Europa zukünftig aussehen? - Bei der Frage, wie wir Europa künftig weiterentwickeln, gibt es zwischen den Parteien durchaus unterschiedliche Ansichten. Das ist auch gut so. Sie, Herr Weil, haben in Ihrer Regierungserklärung auf ein gewisses Demokratiedefizit innerhalb der Union hingewiesen und dieses beklagt. Ich sehe das anders. Aus meiner Sicht ist die Entwicklung des Europäischen Parlamentes in den letzten Jahren seit seinen Anfängen eine einzigartige Erfolgsgeschichte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Tatsache ist doch, dass das Europäische Parlament auf der Grundlage des Vertrages von Lissabon mit dieser Europawahl 2014 erheblich an Kompetenzen dazugewinnen wird. Es wird beispielsweise so sein, dass das Parlament dann mit dem Rat in fast allen europäischen Fragen der Gesetzgebung gleichberechtigt zusammenwirken wird. Das ist ein großer Erfolg für alle, die über viele Jahrzehnte im Europäischen Parlament und darüber hinaus dafür gekämpft haben, dass die Parlamentsrechte gestärkt werden und dass wir zu wirklichen parlamentarischen Strukturen in Europa

kommen und dass dieses Europäische Parlament den Platz einnimmt, den es verdient, nämlich einen würdigen Platz in einem demokratisch verfassten Europa, meine Damen und Herren. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern auch mit auf den Weg geben, dass es gerade am 25. Mai 2014 darum geht, dieses Parlament zu stärken, das viel mehr Kompetenzen hat, das viel mehr Einfluss haben wird und das in seinem Selbstbewusstsein weiter gestärkt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer diese Fortschritte nicht würdigen will oder nicht zu würdigen weiß, der reiht sich ungewollt - ich betone: ungewollt - in die Reihe der Euroskeptiker ein. Genau das darf nicht passieren, dass sich die demokratischen Parteien Europas spalten und dass beispielsweise Parteien wie UKIP, Front National oder Goldene Morgenröte in Griechenland diese europäische Idee zerstören und wir wieder in die alte Nationalstaatlichkeit zurückfallen, meine Damen und Herren. Das darf nicht der Weg Europas sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung. Mit Blick auf den Vortrag von Bundestagspräsident Norbert Lammert, den er hier im März im Plenum dieses Landtages gehalten hat, ist die CDU der Meinung, dass wir alle miteinander klären müssen, wie die Parlamentsrechte im Hinblick auf die Beteiligung europapolitischer Entscheidungen gegenüber der Landesregierung gestärkt werden müssen. Die Chancen dazu gibt es. Es gibt verschiedene Bundesländer in Deutschland, die das mittlerweile in der Verfassung stehen haben - und ich betone ausdrücklich: zu Recht -, weil damit auch der Status des Landesparlamentes im Hinblick auf den Instanzenzug bis zum Europäischen Parlament an Bedeutung gewinnt. Das bedeutet, dass wir uns intensiv auch mit Vorlagen des Europäischen Parlaments auseinandersetzen können, meine Damen und Herren. Wir sollten diesen Weg gemeinsam beschreiten, weil er dazu führt, dass das Landesparlament in der Sache auch Entscheidungen treffen kann, die ihren Niederschlag in der Gesetzgebung der Europäischen Union finden können.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, mehr Akzeptanz für Europa setzt auch voraus, dass die Menschen wissen, was die Europäische Union zukünftig leisten soll und was nicht. Es gibt zahlreiche Aufga

ben, die die Mitgliedstaaten heute nicht mehr sinnvoll alleine bewältigen können. Dazu nenne ich fünf Beispiele: erstens die Finanzmärkte streng und wirksam regulieren, zweitens den gemeinsamen Binnenmarkt vollenden, drittens die gemeinsame Energiepolitik vorantreiben, viertens die Außengrenzen stärken und fünftens die Außen- und Sicherheitspolitik stärken und vorantreiben.

Dafür brauchen wir ein starkes und ein geeintes Europa, ein starkes Europa der Demokraten. Andererseits ist nicht jedes Thema in Europa auch ein Thema für Europa. Die Dinge sind am besten dort aufgehoben, wo sie auch am besten geregelt werden können. Der alte Leitsatz des Subsidiaritätsprinzips gibt genau die Handlungsmaxime vor.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen ein besseres Europa, eine Europäische Union, die nur dann tätig wird, wenn sie wirksamer handeln kann als die Mitgliedstaaten in ihren Regionen und Kommunen. Das erfordert aber auch eine klare Zurückhaltung bei den Forderungen, was sonst alles auf der europäischen Ebene noch geregelt werden soll.

Im Übrigen hätte Herr Gabriel es sich besser nicht angetan, die Glühbirne über den europäischen Umweg verbieten zu lassen,

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

nachdem er in Deutschland gescheitert war. Er hätte das besser vor Ort ausgekämpft und somit nicht dazu beigetragen, dass die Europäische Union für die Abschaffung der Glühbirne am Pranger steht, sondern der, der es eigentlich wollte. Das nervt die Menschen, meine Damen und Herren, und das muss ein Ende haben.

(Beifall bei der CDU)

Es ist auch die Wahrheit, dass die Europäische Kommission häufig nicht Urheber von Gesetzesinitiativen ist, sondern die kommen aus den Nationalstaaten, die kommen aus der Politik, die kommen von Lobbyisten, und die kommen auch von sogenannten nationalen Beauftragten, die im Übrigen ohne Rückbindung an Parlamente, Ausschüsse oder Ähnliches freier agieren können, aber innerhalb der Europäischen Union eine starke Stellung haben. Auch das müssen wir uns zurechnen lassen, das muss besser werden. Denn da werden bürokratische Monster geboren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen mehr Europa in den großen Fragen, wir brauchen weniger Europa in den kleinen Fragen, und wir brauchen überhaupt keine europäische Regelung beim Klein-Klein.

Niedersachsen und die Europäische Union - das war und ist eine Beziehung zu beiderseitigem Nutzen. Deshalb werbe ich für den 25. Mai, um eine hohe Wahlbeteiligung, um radikale Parteien von links und rechts aus dem Parlament herauszuhalten. Eine hohe Wahlbeteiligung ist der Garant dafür, dass diese radikalen Kräfte in den Mitgliedstaaten im Zaum gehalten werden können. Weder Radikale noch Populisten noch Opportunisten haben etwas im Europäischen Parlament zu suchen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung von Johanne Mod- der [SPD])

Wir dürfen Europa nämlich nicht den anderen überlassen, den Demagogen, den Extremisten, den Radikalen vom rechten und vom linken Rand des Parteienspektrums. Aber die Motive potenzieller Wähler dieser Parteien müssen wir ernst nehmen, meine Damen und Herren, uns mit Ihnen auseinandersetzen und sie für uns zurückgewinnen. Das muss unsere Aufgabe sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei den GRÜNEN und von Johanne Modder [SPD])

Es geht natürlich auch darum, einen engagierten Wahlkampf zu führen - das gehört für mich dazu -, in dem es entscheidend ist, mit Leidenschaft für die europäische Idee einzustehen und zu kämpfen, gerade und vor allem auch im Gedenkjahr 2014.

Meine Damen und Herren, wir müssen deutlich machen: Die Menschen haben die Wahl; es gibt Unterschiede, auch zwischen den proeuropäischen politischen Kräften, den demokratischen Kräften Europas. Ebenso klar benenne ich drei Beispiele:

Erstens. Wir Christdemokraten sind gegen Eurobonds. Eine Vergemeinschaftung von Schulden lehnen wir ab.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens. Wir Christdemokraten wollen ein Europa der Vielfalt und kein Brüssel zentralistischer Verwaltung. Deswegen soll die Europäische Union die großen Aufgaben wahrnehmen und nicht so tun, als würde sie im Klein-Klein alles besser wissen, obwohl wir vor Ort es besser wissen müssen. Nur

müssen wir auch den Mut aufbringen, die Entscheidungen über dieses Klein-Klein wirklich zu treffen; das muss unsere Aufgabe sein.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Drittens. Wir Christdemokraten erkennen die besondere Bedeutung der Türkei an. Wir wollen so eng wie möglich zusammenarbeiten, auch über die Fragen einer Wirtschafts- und Zollunion hinaus, in Fragen der Menschenrechte, der Justiz und anderen Fragen. Ich bin tief davon überzeugt, dass die Türkei nicht nur als wirtschaftlich potenter Partner gesehen werden darf, sondern sie auch aufgrund ihrer Geschichte, die vielfältig und vielschichtig ist, eine hohe Bedeutung für ein geeintes Europa hat. Gleichwohl lehnen wir eine Vollmitgliedschaft der Türkei ab.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Auch zu diesem Unterschied bekennen wir uns deutlich und klar.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam in den nächsten 14 Tagen um jede Stimme für ein demokratisches Europa kämpfen und auf eine hohe Wahlbeteiligung hinarbeiten; das muss unser Ziel sein. Weder Radikalen von links noch von rechts darf die Zukunft Europas gehören. Europa muss ein Europa der Demokraten sein; das muss unsere Botschaft sein.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thümler, für Ihre Rede. - Meine Damen und Herren, ich darf bitten, dass Ruhe einkehrt! - Wir setzen die Aussprache fort. Es folgt für die Fraktion der SPD die Vorsitzende Frau Johanne Modder. Sie haben das Wort, bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede gleich zweimal einen Dank aussprechen. Zunächst bedanke ich mich bei unserem Ministerpräsidenten Stephan Weil, dass er heute hier die Regierungserklärung mit dem Titel „Mehr als nur Binnenmarkt - Europa weiterentwickeln für Niedersachsen“ abgegeben hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie unterstreicht die Bedeutung der europäischen Politik für unser Land und damit die Bedeutung der Europawahl am 25. Mai für Deutschland. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir damit die europäische Politik und die Wahl des Europäischen Parlamentes in den Mittelpunkt unserer heutigen Beratungen rücken.

Mein zweiter Dank geht an alle Fraktionen dieses Hauses. Im Anschluss an die Aussprache zur Regierungserklärung werden wir gemeinsam, überfraktionell, einen Wahlaufruf auf den Weg bringen. Bei allen Differenzen, die wir in der Ausrichtung der Europapolitik haben - es ist unumstritten, dass es sie gibt -, gibt es eine gemeinsame Botschaft: Wir rufen gemeinsam alle Bürgerinnen und Bürger zur Wahl auf. Bitte nehmen Sie Ihr Wahlrecht wahr, damit das Europäische Parlament ein starkes Parlament sein kann, ein Repräsentant aller Bürgerinnen und Bürger Europas!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der CDU)

Mir ist dieses Signal sehr wichtig. Natürlich gibt es zwischen den Fraktionen dieses Hauses und den politischen Parteien einen Wettstreit um den richtigen Kurs der Europäischen Union. Dieser Kurs hört für meine Partei eben nicht mit dem Vertrag von Lissabon auf; wir wollen ein anderes, ein soziales Europa.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aber bei allen unterschiedlichen Auffassungen - ich würde nicht sagen: Streitigkeiten -, wie die Europäische Union weiterzuentwickeln ist, haben wir eines gemeinsam: Keiner von uns hier stellt die europäische Integration infrage, und das ist gut so.

(Zustimmung bei der SPD)