Protocol of the Session on March 27, 2014

Unter dem Eindruck einer bundesweit unsäglichen Unterschriftenkampagne „Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“, in der Roland Koch mit groben Argumenten an Überfremdungsängste in der deutschen Bevölkerung appellierte, war der Preis dieser Reform allerdings das hier zur Debatte stehende Optionsmodell bzw. der Optionszwang. Nach dem aktuellen Gesetz erhalten Kinder nichtdeutscher Eltern mit der Geburt neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres werden diese Optionskinder dazu aufgefordert, sich innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren zwischen der deutschen und der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern zu entscheiden.

(Zustimmung bei der CDU)

- Ich finde es fürchterlich, dass Sie jetzt klatschen. Das sage ich Ihnen ganz offen.

Mit dieser Gesetzesregelung werden die betroffenen jungen Menschen in eine unzumutbare Situation gezwungen. Sie müssen sich zwischen ihrer Lebenswirklichkeit als Deutsche und ihrer Verbundenheit mit den familiären Wurzeln entscheiden. Sie fühlen sich als Deutsche, wissen aber, dass sie dies nur unter Vorbehalt sind. Um ihre Loyalität zu Deutschland zu bezeugen, müssen sie die Verbindung zu ihren Wurzeln trennen.

Diese gesetzlich erzwungene Praktik steht in krassem Widerspruch zu unserem Verständnis von einer Willkommens- und Anerkennungskultur

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und ist Ausdruck einer überholten national bestimmten Abschottungskultur des vorigen Jahrhunderts.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dass sich aber genau dieser Zwang zur Loyalitätsbekundung kontraproduktiv auswirkt, steht außer Frage. Und wenn Sie mich fragen: Den Betroffenen kann das auch nicht zugemutet werden. Im

Zeitalter der Globalisierung, in dem die Grenzen zwischen den Nationalstaaten erodieren und immer mehr Menschen bikulturell aufwachsen - Herr McAllister und meine Person können hier exemplarisch genannt werden -, sollte es ein Selbstverständnis sein, mehr als eine Staatsbürgerschaft zu besitzen, zumal es bereits zum jetzigen Zeitpunkt bestimmte Ausnahmen hinsichtlich der Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft oder der ausländischen Staatsbürgerschaft gibt. Herr McAllister beispielsweise besitzt die britische und die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich - ich habe sie aus aktuellem Anlass einmal mitgebracht - besitze die deutsche und die griechische Staatsbürgerschaft.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Glauben Sie mir: An unser beider Loyalität ist wirklich nicht zu zweifeln.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist daher nur konsequent, wenn neben uns allen Personengruppen eine Beibehaltung ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit zuerkannt und damit auch gesellschaftlich anerkannt wird, dass Menschen bikulturell aufwachsen. Der Staat sollte dies als Chance begreifen und in ihnen zukünftige Brückenbauer zwischen den Kulturen sehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Prognose allerdings - Herr Onay hat es ja gesagt -, dass ab dem Jahr 2018 jährlich bundesweit rund 40 000 Jugendliche - das entspricht der Größe einer deutschen Kleinstadt - optionspflichtig werden, macht deutlich, dass das aktuelle Gesetz völlig überaltert ist und absoluter Handlungsbedarf besteht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir brauchen ein modernes und an die Wirklichkeit gebundenes Staatsbürgerschaftsrecht. Das schließt den Optionszwang ausdrücklich nicht mit ein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Denn er ist integrationspolitisch schädlich und verfassungsrechtlich höchst bedenklich, ganz abgesehen vom verwaltungstechnischen Aufwand.

In unserer Koalitionsvereinbarung auf Landesebene haben wir uns darauf verständigt - ich zitiere -, „uns auf Bundesebene für Mehrstaatigkeit und die Abschaffung des Optionszwangs“ einzusetzen. - Genau das findet in dem eingereichten Entschließungsantrag seinen Niederschlag. Die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene zum Optionszwang getroffene Einigung, an der Sie, sehr geehrter Herr Minister Pistorius, maßgeblich beteiligt gewesen sind, und den damit verbundenen Wegfall dieser diskriminierenden Praxis begrüßen wir ausdrücklich. Herr Minister, herzlichen Dank noch einmal dafür!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit diesem Entschließungsantrag fordern wir die Bundesregierung nun auf, diesen diskriminierenden Optionszwang nicht nur schnell, sondern auch vollständig abzuschaffen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich möchte abschließend einen persönlichen Appell an Sie richten. Ich bitte Sie, lassen Sie uns die unmenschliche Regelung des Optionszwangs abschaffen! Lassen Sie uns nicht weiter unterscheiden in „wir“ und „ihr“! Ich weiß, Sie sind auf Bundesebene bereits einen weiten Weg gegangen - keine Frage; das erkennen wir an. Aber lassen Sie uns nun diesen Schritt zur Ziellinie gemeinsam gehen! Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken und besser machen im Sinne der hier geborenen Kinder, Menschen in unserem Land, die ein Anrecht haben, auch vor dem Gesetz als vollwertige Mitglieder unserer Gemeinschaft betrachtet zu werden und nicht als Deutsche auf Probe oder Deutsche zweiter Klasse behandelt zu werden!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Bevor ich den zweiten Redner für die SPD-Fraktion aufrufe: Die Landtagsverwaltung hat mir eben einen Hinweis gegeben, den ich sehr gerne aufgreife. In der Loge hinter der CDU-Fraktion hat eine fraktionsübergreifend besetzte Delegation niederländischer Parlamentarier der Arbeitsgruppe „Internationalisierung“ der Provinz Overijssel Platz genommen. - Ich heiße Sie ganz herzlich hier im Niedersächsischen Landtag willkommen und wünsche Ihnen einen

angenehmen und informativen Aufenthalt in Niedersachsen!

(Lebhafter Beifall)

Sie erleben im Augenblick eine sehr engagierte Parlamentsdebatte. Ich glaube, Sie werden viel Spaß und Freude daran haben.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat für sich eine erhöhte Redezeit im Rahmen der Zeitkontingente für diesen Tagesordnungspunkt beantragt und zwei Redner benannt. Für 4:21 Minuten hat jetzt der zweite Redner, der Kollege Mustafa Erkan, das Wort. Sie haben das Wort, Herr Kollege.

(Christian Dürr [FDP]: Ich dachte, die Integrationsbeauftragte würde reden!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Name ist Mustafa Erkan. Das ist, wie Sie gut hören können, eigentlich nicht ein sehr typisch norddeutscher Name, obwohl ich eigentlich ein typisch norddeutscher Junge bin. Ich bin in Neustadt am Rübenberge als Sohn von türkischen Gastarbeitern geboren, die vor mehr als 40 Jahren nach Deutschland gekommen sind. Meine Eltern haben das Land mit aufgebaut. Mein Vater hat bei Volkswagen und meine Mutter hat in einer Kautschukfabrik gearbeitet. Ich bin in Neustadt aufgewachsen und zur Schule gegangen. Dort bin ich tief verwurzelt. Ich bin sogar stellvertretender Bürgermeister in meiner Heimatstadt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In diesen Jahren bin ich ganz viel Türke geblieben. Ich bin aber noch mehr Deutscher geworden. Ich bin für beide Seiten dankbar und auf beide sehr stolz. Schade, dass der deutsche Gesetzgeber entschieden hat, dass ich auf dem Papier nur das eine sein kann. Als ich 18 wurde, musste ich mich für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. Und ich habe mich entschieden. Ich wurde Deutscher, auch weil man Name so schön norddeutsch klingt.

(Heiterkeit)

Spaß beiseite! - Als ich im Bundestagswahlkampf unterwegs war, habe ich mit großer Freude erzählt, dass meine Partei für den Doppelpass kämpfen wollte. Zwei Staatsbürgerschaften, zwei Pässe sollten fortan kein Problem mehr sein. Ehrlich gesagt, war ich etwas enttäuscht, als uns das Ergeb

nis in den Koalitionsverhandlungen zu dieser Angelegenheit präsentiert wurde. Ja, es ist gut, dass der Optionszwang für in Deutschland geborene Kinder entfällt. Die SPD hat es in harten Verhandlungen endlich geschafft, CDU und CSU dieses Zugeständnis abzutrotzen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für alle anderen bleibt weiterhin die Ungleichbehandlung bestehen. Dies verdanken wir der CDU und CSU.

Zur momentanen Rechtslage hat mein Kollege Herr Pantazis bereits umfangreiche Ausführungen gemacht. Ich muss und will das hier jetzt nicht weiter kommentieren. Aber ich muss schon sagen, mir wird - warum auch immer - weiter die Möglichkeit genommen, meine Verbundenheit zu zwei Nationen auch über die Staatsbürgerschaft auszudrücken, was übrigens nicht für Bürger anderer Länder der EU gilt und z. B. auch nicht für Iraner, Marokkaner oder Libanesen. Ich führe heute auch keine Diskussion darüber, dass es nicht nur aus diesem Grunde heraus mehr als Zeit wird, dass die Türkei Mitglied der Europäischen Union wird. Diese Debatte hebe ich mir aber vorerst für etwas anderes auf.

Ein seit gestern ehemaliger Landtagsabgeordneter, der uns allen gut bekannte David McAllister, darf die britische und die deutsche Staatsbürgerschaft führen und schaffte es mit Stolz auf beide Nationen, Niedersächsischer Ministerpräsident zu werden. Dass genau so etwas in unserem Land möglich ist, finde ich gut.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich freue mich auch darüber, dass meine Vorredner Christos Pantazis und Belit Onay neben ihrer deutschen Staatsbürgerschaft weiterhin die griechische bzw. die türkische besitzen dürfen. Und warum darf ich das nicht? - Diese Frage hat man mir bis heute nicht beantworten können. - Das macht auch keinen Sinn. Das Gegenteil ist der Fall! Für die Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund ist das Gift. Das Signal, das bei den Menschen ankommt, ist: Ihr seid hier nicht so richtig willkommen. Wir brauchen euch auch nicht wirklich. Wir brauchen nicht euer Know-how. Wir brauchen nicht eure Kultur. Eigentlich verstehen wir auch gar nicht, was ihr wollt. Ihr müsst euch schon entscheiden, ob ihr ganz oder gar nicht

hierher wollt. Ich dürft bleiben, aber nur zu unseren Regeln.

Als ich mich damals für meine deutsche Staatsangehörigkeit entschieden habe, musste ich mich gegen die türkische Staatsbürgerschaft entscheiden. Übrigens,

(Der Redner zeigt einen Pass)

das ist mein alter türkischer Pass, den ich noch besitze, der aber leider nicht mehr gültig ist.

Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich habe mich hier immer zu Hause gefühlt. Meine Heimat ist Deutschland, und mein Zuhause ist das schöne Niedersachsen, das schöne Neustadt. Aber in mir steckt eben auch der Sohn von Gastarbeitern aus der Gegend von Antalya. Der türkische Teil meiner Familie lebt immer noch dort. Das ist doch ein Zustand, den sich unsere Gesellschaft angeblich so sehr wünscht, nämlich Vielfalt und Offenheit.

Ich habe mich trotzdem bewusst für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, und meine Eltern haben mich dabei immer unterstützt. Das ist keinesfalls in jeder Familie so. Oft liegen in der Familie die Nerven blank, wenn Kinder die Wurzeln zur Heimat der Eltern kappen wollen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass ich das frei entscheiden durfte.

Für uns ist die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft noch nicht beendet. Mit unserem Entschließungsantrag bringen wir den Diskurs in die nächste Runde und würden uns sehr darüber freuen, wenn auch die Bundesregierung endlich die Zeichen der Zeit erkennen würde. Am Ende, so hoffen wir, wird es keine Ausländer erster oder zweiter Klasse mehr geben.