Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur die Regelungen für die Zwangsbehandlung, sondern auch die für die Zwangsuntersuchungen für verfassungswidrig erklärt. Da dieser Gesetzentwurf sich bei der Behandlung Einwilligungsunfähiger nicht auch auf die Regelungen zu deren Untersuchung erstreckt, ist zu befürchten, dass die bestehenden Regelungen zur Zwangsuntersuchung Untergebrachter ebenfalls für verfassungswidrig erklärt werden.
Zweitens ist es als problematisch zu bewerten, dass sich der Entwurf nur auf die Behandlung der Anlasskrankheit bezieht und keine Regelungen für die Behandlung daraus resultierender somatischer Erkrankungen enthält. Hier muss es gerade in Fällen einer gegenwärtigen erheblichen Gesundheits- oder Lebensgefährdung zu einer gesetzlichen Regelung kommen.
Drittens müssen wir darüber diskutieren, ob dann, wenn eine Selbstbestimmungsfähigkeit bei einwilligungsunfähigen Untergebrachten nicht mehr erreichbar ist, auch eine Zwangsbehandlung mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes vor erheblichen Gefahren zulässig ist.
Viertens ist zu prüfen, ob die Behandlung ohne Einwilligung eines Betreuers mit höherrangigem Bundesrecht, nämlich dem Betreuungsrecht, vereinbar ist oder ob dieses vielleicht sogar verfassungsrechtlich bedenklich sein kann.
Fünftens sollten wir noch einmal über folgende Problematik nachdenken, nämlich darüber, ob es nicht hilfreich sein kann, in das Niedersächsische Maßregelvollzugsgesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach forensisch-psychiatrische Kliniken verpflichtet sind, Patienten der forensischen Ambulanz vorübergehend aufzunehmen, wenn die Patienten dieses wünschen und beantragen.
Sechstens muss der Gesetzentwurf noch um die Regelung zur Kameraüberwachung in allgemein genutzten Räumen einerseits und in Patientenzimmern andererseits ergänzt werden.
Sehr geehrte Frau Ministerin, die von Ihnen vorgelegte Kostenschätzung ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. Es geht nicht, wie von Ihnen dargestellt, um einige wenige Untergebrachte mit wahnhaften Störungen - was auch immer Sie darunter verstehen -, sondern um eine zunehmende Anzahl an Betroffenen vor allem mit psychotischen Störungen und zusätzlichen sozialen Problemen und Suchtproblemen. Unterstellt man vorsichtig den Erfahrungswert aus der Allgemeinpsychiatrie, demzufolge rund 5 % der Aufnahmen mit einer Zwangsbehandlung einhergehen, und berücksichtigt man die Zahl von Untergebrachten, die sich nach neuer Rechtslage gegen eine Fortsetzung der bisherigen Behandlung entscheiden, dann wird es hier nicht nur um wenige Einzelfälle gehen.
Wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen: Meine Ausführungen haben deutlich gemacht, dass dieser Gesetzentwurf noch einiges an Diskussionen mit sich bringt. Wir müssen diese Dinge unter Würdigung der geltenden Rechtsprechung zum Wohle der Untergebrachten, aber auch zum Schutz der Mitpatienten und der Mitarbeiter der Einrichtungen und unter Beachtung des Allgemeinwohls gegeneinander abwägen. Ich denke,
(Miriam Staudte [GRÜNE]: Bei den großen Parteien ist das auch einfa- cher, Herr Präsident! - Gegenruf von Ulf Thiele [CDU]: Dann müssen Sie sich keine Zeit abziehen!)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Niedersachsen gibt es 1 300 psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter, die sich im Maßregelvollzug befinden. Mit der Novelle des Maßregelvollzugsgesetzes nimmt das Land Niedersachsen die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 auf.
Herr Kollege Meyer, bei aller Kritik, die Sie hier gerade am Verfahren geäußert haben: Ich empfehle Ihnen, dass Sie in Ihrer Fraktion einmal diskutieren, warum Sie es während Ihrer Regierungsverantwortung, die bis zum Januar 2013 ging, innerhalb von zwei Jahren nicht geschafft haben, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen und für eine grundlegende Klärung zu sorgen. Wir machen das jetzt. Das zeigt, dass diese Landesregierung die Themen im Land anpackt.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Norbert Böhlke [CDU]: Sonst kämen Sie ja auch vor Arbeit gar nicht vom Fleck!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die bisherige Rechtslage besagt, dass eine medikamentöse Zwangsbehandlung nicht oder nur in sehr engen Grenzen mit den Grundrechten vereinbar ist. Hierfür sind Voraussetzungen zu schaffen, die unter besonderer Berücksichtigung des Artikels 2 Abs. 2 des Grundgesetzes die körperliche Unversehrtheit im Auge haben.
Wir reden in Niedersachsen über 10 bis 20 Patienten im Jahr, die sich im Maßregelvollzug im Rahmen der zuvor geschilderten Rechtslage einer
Wir befinden uns dabei in einem Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Nichtbehandlung und der medizinisch und behandlerisch indizierten Notwendigkeit einer Behandlung und müssen in der Diskussion einen Weg finden, der rechtssicher und verfassungskonform ist, der sich in den vorgegebenen engen Grenzen bewegt und der nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Bediensteten im Maßregelvollzug eine wichtige Grundlage für ihr Handeln ist.
Es geht um die Stärkung von Patientenrechten bei einer gleichzeitigen größtmöglichen Beschränkung zwangsweiser Behandlung. Die Anhörung, die das Ministerium mit den Verbänden durchgeführt hat, zeigt auch, dass hier Ergebnisse mit aufgenommen wurden. Ich glaube, es ist ein guter Weg, die Prognosekommission mit Rechten auszustatten und dieses Instrument zu nutzen.
Wir bewegen uns - das ist in der Fachszene ein Diskussionsstand, der, glaube ich, auch noch einmal in der Diskussion, die wir jetzt parlamentarisch führen, mit berücksichtigt werden muss - in einem Rahmen, der natürlich davon geprägt ist, dass seit dem Jahr 2011 keine Zwangsbehandlungen durchgeführt werden durften und dass man sich somit in der Praxis natürlich auch auf diesen Rahmen eingestellt hat. Deswegen sind neue Behandlungsstrukturen gefunden worden, die sicherlich dort erhalten werden sollen, wo sie sinnvoll sind. Gleichzeitig geht es darum, dort, wo eine Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten erforderlich ist, diese im engen Rahmen möglich zu machen. Das gilt es mit darzustellen.
Wir werden uns - ich habe schon zu Beginn gesagt, es ist eigentlich seit dem Jahr 2011 angezeigt, diese so wichtige Gesetzesänderung durchzuführen - die Zeit nehmen, die dafür erforderlich ist, weil wir hier über eine elementare Grundrechtseinschränkung reden. Ich möchte dabei an die Diskussion zum Therapie- und Unterbringungsgesetz in der letzten Legislaturperiode und vor allem an die Bedenken erinnern, die vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst zu diesem Gesetzgebungsvorhaben vorgebracht wurden, und ich glaube, dass wir uns hier - im Vergleich zum Ministerium - in der parlamentarischen Beratung auch in einer anderen Qualität bewegen müssen.
Ich will auch hier auf das hinweisen, was wir uns vorletzte Woche in Italien angesehen haben, wo man im Bereich der Psychiatrie seit Jahrzehnten
andere Wege geht, als wir das tun. Dort hat man den gesamten Bereich der Psychiatrie in großen Teilen enthospitalisiert. Ich glaube, es muss auch Thema sein, wie andere mit der Situation umgehen.
Wenn wir über Maßregelvollzug reden, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann muss aber auch darüber geredet werden, dass dieser besonders geschützte Bereich durch die damalige schwarz-gelbe Landesregierung einer harten Privatisierung unterzogen wurde. Im Jahr 2007 sind acht psychiatrische Krankenhäuser mit 5 000 Beschäftigten privatisiert worden. Ich will die Diskussion, die der Landesrechnungshof mit uns darüber geführt hat, ob der Verkaufspreis angemessen war, an dieser Stelle nicht führen.
Aber ich möchte auf das Urteil des Staatsgerichtshofs in Bückeburg Bezug nehmen, das zur Änderung des damaligen Maßregelvollzugsgesetzes geführt hat, weil es in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Das führte ja dazu, dass die 14erTeams aus Verwaltungsvollzugsbeamten eingeführt werden mussten, um die Grundrechteinschränkungen, die im Maßregelvollzug vorgenommen wurden, mit zu legitimieren und hier deutlich zu machen, dass auch im Maßregelvollzug der Staat eine besondere Rolle spielt. Dies werden wir bei der Novelle des Maßregelvollzugsgesetzes natürlich zu berücksichtigen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir gehen jetzt in die Beratungen im Sozialausschuss. Wir sollten uns dort ausreichend Zeit für die Beratungen nehmen und sie auch mit einer breit angelegten Anhörung begleiten, um die Diskussionen fundiert führen zu können. Wir möchten uns dabei auch noch einmal sehr auf die Expertise des GBD stützen, weil dies in den vorherigen Beratungen im Zuge dieser Gesetzgebungsverfahren im Sozialausschuss sehr hilfreich war. Und im Übrigen gilt sicherlich auch hier das Struck’sche Gesetz.
Ich will aber trotzdem hervorheben, dass das, was der Gesetzentwurf deutlich macht, über die Verbandsbeteiligung eingeflossen ist: dass der vorgelegte Entwurf auf breite Unterstützung durch die Fachszene trifft, dass er als ein sehr ausdifferenzierter Entwurf gelobt wird, der eine schwierige Materie behandelt. Das möchte ich auch sehr wohlwollend hervorheben und jetzt schon unsere Unterstützung in den großen Linien, bevor wir in die grundlegende Beratung eingetreten sind, signalisieren.
Für uns gilt in den nächsten Monaten Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Es ist ja das erste Gesetzgebungsverfahren, in dem wir uns mit Zwangsbehandlung im Bereich Psychiatrie und Maßregelvollzug auseinandersetzen. Das Ministerium hat bereits angekündigt, dass auch die Novelle des Niedersächsischen PsychKG ansteht, bei dem es auch darum gehen wird, dieses Thema mit zu regeln. Wir begrüßen das sehr.
Die Landesregierung zeigt, dass sie die Themen anpackt und für rechtssichere Lösungen sorgt. Vielen Dank dafür.
Vielen Dank, Herr Kollege Brunotte. Auch Sie haben uns eine kleine Zeiteinsparung geschenkt. - Jetzt spricht für die FDP-Fraktion die Kollegin Sylvia Bruns. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes ist zwingend notwendig. Das haben auch meine Vorredner schon deutlich gemacht.
Durch das Bundestherapieunterbringungsgesetz und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März zur Zwangsbehandlung in Einrichtungen des niedersächsischen Maßregelvollzugs ist eine Anpassung in der Landesgesetzgebung unabdinglich geworden. Wir brauchen an dieser Stelle Rechtssicherheit. Der Gesetzgeber muss hier zwingend rechtliche Sicherheit zum Schutz der Patienten geben.
Wegweisend war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es stellt in seinem Beschluss fest, dass die medizinische Zwangsbehandlung einer untergebrachten Person gegen ihren natürlichen Willen in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreift. Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes schützt in besonderem Maße die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht. Es gilt also für uns, zunächst einmal
Medizinische Zwangsbehandlungen mit Neuroleptika, aber auch operative Eingriffe und sonstige Zwangsmedikation stellen einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar.
Der Gesetzgeber muss also zwingend eine Abwägung zwischen dem Zwangseingriff und dem Recht auf freie Selbstbestimmung, dem grundrechtlichen Interesse, namentlich dem Freiheitsinteresse des Betroffenen, vornehmen. Diese Abwägung muss dringend vor dem Hintergrund geschehen, dass ein Teil der Betroffenen aufgrund der Erkrankung, die zu ihrer Unterbringung geführt hat, eine freie Willenserklärung nicht mehr abgeben kann. Wenn die untergebrachte Person krankheitsbedingt nicht zur Einsicht fähig ist oder wenn sie krankheitsbedingt die nur mit einer Behandlung gegebenen Chancen zur Heilung nicht erkennen kann, darf ausnahmsweise - unter wirklich sehr engen Voraussetzungen - ein Eingriff in ihre Grundrechte erfolgen. Sobald aber die Fähigkeit zur Selbstbestimmung wiederhergestellt ist, muss gesichert sein, dass sie wieder frei entscheiden kann. Sie muss frei entscheiden können, ob sie eine weitere Behandlung wünscht, sie hat aber auch einfach das Recht und die Freiheit zur Krankheit.
An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Zwangsbehandlung nur eine Ultima Ratio ist. Das ist das, was ja auch meine Vorredner gesagt haben.
So müssen in dem Gesetz folgende Punkte aufgenommen sein: klare Kriterien, wann der Grundrechtseingriff in wirklich engen Grenzen zulässig ist, unbedingt der Terminus „Ultima Ratio“ und: die Behandlung muss erfolgversprechend sein.
Als Drittes möchte ich noch die verfahrensrechtlichen Sicherungen anführen. Dazu gehört für den Betroffenen eine rechtzeitige Ankündigung, sodass noch Rechtsschutz geltend gemacht werden kann, und sobald die Behandlung angeordnet worden ist, muss sie von einer neutralen Stelle geprüft und bestätigt werden.