Protocol of the Session on February 27, 2014

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Etablierung einer Anerkennungs- und Willkommenskultur ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir wollen, dass sich unser schönes Bundesland Niedersachsen weltoffen und gastfreundlich präsentiert und dass wir das auch gemeinsam leben. Dabei hat der Staat natürlich eine wichtige Vorbildfunktion. Umso mehr haben wir uns gemeinsam gefreut - die FDP hat in der letzten Legislaturperiode ebenfalls ausdrücklich auf diese wichtige Studie hingewiesen -, dass die Ausländerbehörden in der Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration aus dem Jahr 2011 als „Visitenkarte einer Stadt“ bezeichnet werden.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Ja!)

Der damalige SVR-Vorsitzende, Prof. Dr. Klaus Bade, erklärte in diesem Zusammenhang zutreffend - und ich glaube, er spricht damit den Betroffenen unserer Migrationsgesellschaft wirklich aus dem Herzen; mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich -:

„Ausländerbehörden tragen in der Einwanderungsgesellschaft eine oft unterschätzte Verantwortung. Die ersten Erfahrungen mit diesen Behörden sind vielfach entscheidend für das Bild ausländischer Zuwanderer von ihrer neuen Heimat.“

- Herr Thiele. -

„Ausländerbehörden agieren in einem Spannungsfeld von restriktiver Schicksalsverwaltung und einladender Integrationsförderung.“

(Ulf Thiele [CDU]: Was habe ich denn schon wieder getan? - Gegenruf von Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Alleine deine Anwesenheit reicht aus!)

„Sie haben mit Kontrolle und Abwehr ebenso zu tun wie mit Aufnahme und Hilfestellung bei der Erstintegration.“

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hintergrund, dass beim Zuwanderungsgesetz bis 2005 eine eher abwehrende Kontrolle im Vordergrund stand, erklärt Bade ebenfalls zutreffend - ich zitiere -:

„Die Serviceorientierung muss zum Markenzeichen der Ausländerbehörden werden.“

Deshalb dieser Antrag, meine Damen und Herren. Das wollen wir auch. Wir wollen, dass unsere Ausländerbehörden die Visitenkarten unserer Kommunen werden. Wir wollen, dass Zuwanderer keine Angst haben, wenn sie zur Ausländerbehörde gehen. Die ersten Erfahrungen sind ganz wichtig.

Als Kind eines türkischen Migranten spreche ich aus eigener Erfahrung. Mein Vater ist Arzt, und die Patienten haben immer berichtet, dass sie Angst haben, zur Ausländerbehörde zu gehen. Diesen Druck und diese Angst wollen wir den Menschen nehmen.

Die Ausländerbehörden wissen auch um ihre Verantwortung. Deshalb ist es so wichtig, dass wir sie dabei unterstützen. Sie sind einerseits Ordnungsbehörden, sie wollen den Zuwanderern andererseits aber auch mehr Service und Orientierung bieten, und das wollen wir auch. Darin wollen wir sie unterstützen!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb begrüßen wir es sehr, dass es ein Pilotprojekt gibt, für das sich ausgewählte Kommunen - leider noch nicht alle; aber das kann sich ändern -

bewerben können, um sozusagen diese interkulturelle Öffnung mit Unterstützung des Landes Niedersachsen zu begehen. Ganz wichtig ist uns dabei: Es gibt schon eine Art von Pilotprojekt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dabei ist beispielsweise Hamburg mit seinem Welcome Center bekannt. So etwas wünschen wir uns ausdrücklich nicht.

Im Welcome Center in Hamburg ist es so: Die Hochqualifizierten gehen in die dritte Etage. Dort ist die Atmosphäre freundlich, weil bei ihnen oftmals ein sicherer Aufenthaltsstatus im Hintergrund steht. In der zweiten Etage besteht aber eine ganz schlechte Atmosphäre, ein anderer Charakter. Dort sind die Asylbewerber und andere Zuwanderungsgruppen mit unterschiedlichen Migrationsprozessen.

Wir in Niedersachsen machen keine Unterschiede mehr beim Aufenthaltsstatus, auch wenn dieser in den Rahmenbedingungen des Aufenthaltsgesetzes steht. Für uns steht die soziale Komponente im Vordergrund. Die ordnungspolitische Komponente rückt damit gleichzeitig in den Hintergrund. Darüber freue ich mich sehr. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Sozialministerin dafür, dass sie dieses Pilotprojekt gemeinsam mit dem Innenministerium federführend angestoßen hat.

Ich freue mich auf die Beratungen und hoffe, dass wir im federführenden Ausschuss die Mitberatung der Kommission für Migration und Teilhabe beschließen; denn für diese hat der Präsident vor Kurzem einen versierten Experten berufen: Klaus Bade, der renommierteste Migrationsforscher. Ich glaube, dass wir eine sehr spannende Debatte in den jeweiligen Gremien haben werden. Ich freue mich auf die Beratungen und hoffe natürlich auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. - Nun hat für die SPD-Fraktion Herr Dr. Pantazis das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Koalitionsvereinbarung „Erneuerung und Zusammenhalt“ haben wir uns darauf verständigt, uns für ein weltoffenes Niedersachsen einzusetzen und Vielfalt und Teilhabe zu stärken; denn unser Land - Niedersachsen - hat eine lange Einwanderungsgeschichte vorzuwei

sen, und es lebt von seiner Vielfalt, dem Engagement und den Ideen der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft.

Seit etwas mehr als einem Jahr Regierungskoalition beweist Rot-Grün, dass sich die Integrationspolitik nicht nur in folkloristisch anmutender Fassade erschöpfen darf - Stichwort „Özkan“ -

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist eine Frech- heit!)

oder dass das Ausländerrecht nicht nur rein ordnungspolitisch betrachtet wird - Stichwort „Schünemann“.

(Zustimmung bei der SPD)

Nein, sie hat in den letzten zwölf Monaten eine Politik auf dem Gebiet der Ausländer- und Flüchtlingspolitik verfolgt, die mit Fug und Recht als Paradigmenwechsel bezeichnet werden darf.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit der Einführung des Amtes der unabhängigen Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe, der Professionalisierung der Migrantenselbstorganisationen, der Reform der Härtefallkommission und nicht zuletzt der Neukonstituierung und Stärkung der Landtagskommission zu Fragen der Migration und Teilhabe nenne ich Ihnen nur einige Beispiele, bei denen es Rot-Grün seit dem Regierungswechsel angepackt und besser gemacht hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel muss die Erlebbarkeit der Vielfalt des Landes sowie die vollständige Teilhabe von zugewanderten Menschen am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben sein. Aus genau diesem Grund lehnen wir die Unterscheidung in „wir“ und „ihr“ ab und haben die Begrifflichkeit der Integration durch den selbstverständlichen gesellschaftspolitischen Anspruch auf Teilhabe ersetzt.

In diesem Zusammenhang kommt der Etablierung einer Willkommens- und Anerkennungskultur eine große Bedeutung zu. Willkommenskultur bietet vor allem vor dem Hintergrund seiner zentralen Begründungsfaktoren - demografischer Wandel und Fachkräftemangel - einen sehr pragmatischen und konkreten Türöffner zu einem weiteren Paradigmenwechsel in der Einwanderungs- und Integrationsdebatte. Allerdings ist mir hierbei wichtig, dass

jede mit ihrer und jeder mit seiner individuellen Historie in unserem Land herzlich willkommen ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will - Frau Kollegin Polat hat das schon ausgeführt - hier unmissverständlich klarstellen: Für mich gibt es nicht die guten, gewinnbringenden Einwanderer hier und die vermeintlich die Sozialkassen belastenden Einwanderer dort. Für mich gibt es lediglich Menschen,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

die hier in unserem Land leben und hier ihre neue Heimat finden wollen. Genau diese Menschen sollten wir willkommen heißen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Willkommenskultur geht weg von negativen und defizitorientierten Ansätzen und hin zu Potenzialen, Chancen und Ressourcen von Einwanderung und ethnischkultureller Vielfalt. Willkommenskultur zielt sehr positiv auf das Leitbild eines weltoffenen, von einer Kultur der Wertschätzung und Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt geprägten Landes und bietet somit die Möglichkeit, Einwanderung als Selbstverständlichkeit wahrzunehmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie leistet einen wichtigen Beitrag zu einer weiteren Abkehr von einer überholten Abschottungskultur, und - ja - sie bietet auch die Chance, sich mit der bisher vernachlässigten Thematik der Anerkennungskultur für seit Jahren hier lebende Menschen mit Migrationshintergrund auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Rot-Grün hat sich in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet, Willkommenskultur zu leben und Zuwanderung zu erleichtern. Bei der Etablierung einer solchen lebendigen Willkommenskultur sind staatliche Institutionen zu allererst gefragt. Da die zuständige Ausländerbehörde - Frau Kollegin Polat hat das schon angesprochen - neben der Meldebehörde meist die erste Anlaufstelle für Zuwanderinnen und Zuwanderer ist, trägt sie entscheidend zum Bild der neuen Heimat - unseres Landes - bei. Unumstritten kann man die Ausländerbehörde demnach als Visitenkarte des Landes und der Kommunen bezeichnen. Vor diesem Hintergrund stellt die institu

tionelle Wandlung der Ausländerbehörde im Sinne von Service- und Willkommenszentren einen weiteren Baustein für ein weltoffenes Niedersachsen dar.

Wir sind der festen Überzeugung, dass die Informations- und Beratungspflicht, die auf Angebote, Hilfestellung und die Beseitigung von Hindernissen ausgerichtet ist, wieder im Vordergrund stehen muss. Kurz gesagt: Die Ausländerbehörden stehen vor der Herausforderung, die Erfüllung staatlicher Hoheitsaufgaben mit einer Willkommenskultur zu verbinden.

In diesem Zusammenhang bestärken wir durch unseren hier eingereichten Entschließungsantrag die Landesregierung - Frau Ministerin; Herr Minister ist jetzt leider nicht da - in ihrer Absicht, die niedersächsischen Ausländerbehörden im Rahmen eines Pilotprojekts bei weiteren Optimierungsprozessen zur Verbesserung ihrer Serviceorientierung und interkulturellen Ausrichtung zu beraten und zu begleiten. Durch eine umfängliche Dokumentation der Prozesse, der Erkenntnisse sowie der Empfehlungen können diese später auch anderen Behörden bei ähnlichen Prozessen zugute kommen.

Daher fordern wir die Landesregierung ferner auf, das Pilotprojekt nach zwei Jahren kritisch zu evaluieren und den Landtag über genau diese Erkenntnisse und Empfehlungen zu unterrichten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass möglichst viele Ausländerbehörden im Sinne einer gelebten Willkommenskultur, aber auch vor dem Hintergrund der Zukunftsfähigkeit unseres Landes gewillt sind, in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik neue Wege zu beschreiten und es gemeinsam mit uns erfolgreich anzupacken und es letztendlich besser zu machen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)