Protocol of the Session on February 26, 2014

Im Gegensatz zum Ursprungsantrag haben wir nach diesen berechtigten Hinweisen eine zentrale

zusätzliche Forderung neu in den vorliegenden Antrag aufgenommen, nämlich - ich zitiere -: einen unabhängigen Beraterkreis von Menschen mit Behinderungen beim Landtag einzurichten, der uns bei allen Belangen, die die Inklusion betreffen, unterstützt.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP sowie Zustim- mung bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Artikel 29 der UNBehindertenrechtskonvention verpflichtet uns ausdrücklich, die gleichberechtigte Teilhabe auch am politischen Leben zu gewährleisten. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber bisher auch nicht die Lebenswirklichkeit in unserem Landtag, wenngleich - das will ich betonen - unter dem jetzigen Präsidenten und dem jetzigen Präsidium schon klare Verbesserungen vorgenommen worden sind.

Unser neuer Plenarsaal bzw. der Landtag muss barrierefrei werden, und das gleichermaßen für körper- sowie sinnesbehinderte Menschen. Unsere Informationsangebote müssen barrierefrei und zunehmend auch in leichter Sprache zur Verfügung stehen. Wir müssen im Vorfeld von Veranstaltungen klären, welcher Hilfebedarf von Teilnehmerinnen und Teilnehmern benötigt wird. Und selbst unsere Geschäftsordnung muss überarbeitet werden, weil beispielsweise ein Rollstuhlfahrer bzw. eine Rollstuhlfahrerin bei einer Schlussabstimmung über ein Gesetz nicht aufstehen kann - und er könnte im gegenwärtigen Plenarsaal auch aus baulichen Gegebenheiten nur in der letzten Reihe sitzen.

Barrierefreiheit kommt nicht nur Menschen mit Behinderungen zugute. Vorhandene Barrieren treffen z. B. den Rollstuhlfahrer, die Eltern mit Kinderwagen oder den Menschen mit Rollator gleichermaßen. Wir müssen lernen, uns immer wieder zu hinterfragen, ob wir diese Aspekte ausreichend berücksichtigt haben.

Wir können als Parlamentarier, Fraktionen oder auch Regierungsmitglieder nicht glaubhaft für eine inklusive Gesellschaft werben und streiten, wenn wir nicht beispielhaft im eigenen Bereich vorangehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unser Landtagsumbau, unsere Parlaments- und Fraktionsarbeit müssen in diesem Sinne ein Musterbeispiel für Barrierefreiheit werden.

Das Ziel einer inklusiven Gesellschaft muss bei unserem Handeln auf allen Ebenen Selbstverständlichkeit werden. Mit dem heute vorliegenden und einstimmig zur Annahme empfohlenen Antrag machen wir unseren gemeinsamen Willen in diesem Parlament dazu deutlich. Wir sind uns darüber im Klaren, dass das ein weiter und auch ein ehrgeiziger Weg ist. Aber ich bin mir sicher, er wird sich für die Gesellschaft und für uns selber gleichermaßen lohnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schwarz. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Pieper, CDU-Fraktion. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich zu Beginn Herrn Schwarz zustimmen. Herr Schwarz, Sie haben mir in vielerlei Hinsicht aus dem Herzen gesprochen. Inklusion bedeutet in der Tat, dass alle Menschen in die Gesellschaft eingebunden werden, unabhängig von ihren Fähigkeiten, ihren Einstellungen oder ihren Einschränkungen. Unser Ziel muss die vollständige Teilhabe aller Menschen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen sein. Ich kann nur bestätigen: Die Teilhabe auf den Bereich Bildung zu beschränken, ist zu kurz gedacht.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Wir sind aber auch schon auf dem Weg dorthin. Ich gebe zu, dass dieser Weg manchmal nicht so gradlinig verläuft und auch nicht so schnell gegangen werden kann. Aber das liegt auch daran, dass man sich oftmals gar nicht in die Menschen hineinversetzen kann, wenn man nicht täglich mit ihnen zu tun hat oder wenn man nicht selber betroffen ist. Gleichwohl: Wir sind auf dem Weg in eine Gesellschaft - und das begrüßen wir sehr -, in der es eines Tages selbstverständlich ist, dass in allen Bereichen - in Geschäften, auf Straßen, in Hotels, in einer Pizzeria, im Fernsehen, bei der Arbeit, in der Straßenbahn, wo immer wir uns bewegen - Menschen mit unterschiedlichen körperlichen, intellektuellen oder mentalen Voraussetzungen mit großer Selbstverständlichkeit ohne Trennung miteinander leben.

Das ist der Inklusionsgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention, und der sollte uns alle leiten. Unser christlich geprägtes Menschenbild, verbunden mit unserem demokratischen Grundverständnis, wird hierzu selbstverständlich seinen Beitrag leisten.

Mit dem jetzt vorliegenden Antrag von SPD und Grünen in der vom Ausschuss einvernehmlich geänderten Fassung wollen wir als Landtag mit gutem Beispiel vorangehen. Dem schließen wir uns als CDU-Fraktion ausdrücklich an.

(Beifall)

Im Fachausschuss haben wir uns eingehend mit der Thematik und ihrer Umsetzung befasst. Dazu haben wir eine Anhörung durchgeführt, die mich wirklich beeindruckt hat. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei den Verbänden bedanken, die daran teilgenommen haben. Die Impulse und die Anregungen, die wir dort bekommen haben, haben wir in den Antrag eingearbeitet. In der inhaltlichen Diskussion haben wir, denke ich, sehr genau abgewogen, was der Landtag sofort, was er in nächster Zeit und was er in seinen Zukunftsplanungen zu berücksichtigen hat.

Ich sage Ihnen aber auch ganz klar und deutlich: Inklusion geht nicht zum Nulltarif. Auch Barrierefreiheit geht nicht zum Nulltarif.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Barrierefreiheit muss in unseren Köpfen beginnen. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass wir immer wieder auf die Belange der betroffenen Menschen hinweisen. Deswegen begrüßen wir es sehr, dass der Niedersächsische Landtag mit seiner Landtagsverwaltung und dem Ältestenrat bereits ohne den Antrag erste Maßnahmen geplant und auch schon umgesetzt hat. Der Kollege Schwarz führte es schon aus: barrierefreie Website und Liveübertragung der Plenardebatte im Internet durch Schrift- und Gebärdendolmetscher. Hier wurde jüngst ein Vertrag mit einer Firma abgeschlossen, um dies so schnell wie möglich zu ermöglichen.

Der barrierefreie Zugang zum Landtagsgebäude ist bis jetzt noch eingeschränkt. Aber mit dem Umbau des Plenarsaals wird auch diese Forderung erfüllt werden. Publikumsangebote und Informationsmaterialien in leichter Sprache können ebenfalls relativ zeitnah Schritt für Schritt umgesetzt werden. Das begrüßen wir auch sehr.

Wie schwierig das alles ist, haben wir in der Anhörung im Ausschuss festgestellt. Die jetzt in dem

Antrag formulierten Prüfaufträge und Forderungen, in welcher Form und in welchem Zeit- und Haushaltsrahmen eine weitere Verbesserung der Barrierefreiheit hergestellt werden kann, sind der richtige Weg. Ihn wollen wir auch gerne begleiten.

Abschließend möchte ich sagen: Das alles sind notwendige und richtige Schritte zu einem inklusiven Niedersachsen. Diese Schritte sollten wir auch gemeinsam gehen: der Bund, das Land, die Kommunen, die Wohlfahrtsverbände, die Wirtschaft und vor allen Dingen die Gesellschaft. Wir alle haben die Verpflichtung, zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention beizutragen, sodass wir in einer inklusiven Gesellschaft leben können. Wir dürfen nicht mit dem Finger auf andere zeigen und fragen „Was könnt ihr tun?“, sondern wir müssen bei uns selber anfangen und uns fragen: „Was können wir tun?“ Der Landtag geht mit diesem Antrag mit gutem Beispiel voran.

Aber eine Bitte habe ich doch: Vergessen wir nicht, die Menschen, die es betrifft, mit einzubeziehen - mit all ihren Bedürfnissen, mit all ihren Bedarfen und mit all ihren Erfahrungen.

Danke schön.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Pieper. - Jetzt hat sich die Kollegin Sylvia Bruns, FDP-Fraktion, zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Beim Thema Inklusion geht es um Menschenrechte. Jeder Mensch soll die Möglichkeit haben, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen. Gemeint ist dabei: von Anfang an, unabhängig von Geschlecht oder Alter, unabhängig von individuellen Fähigkeiten, sozialer und ethnischer Herkunft.

„Inklusion“ ist also kein Ersatzbegriff für „Integration“ und auch nicht beschränkt auf das Thema Schule. Frau Hammann, die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der Landeshauptstadt Hannover, hat einmal gesagt: „Nicht immer, wenn der Rat beschließt, einen Fahrstuhl einzubauen, ist die Schule gleich inklusiv.“ Dieser Satz ist symptomatisch dafür, wie immer noch mit dem Thema Inklusion umgegangen wird - nicht weil es böswillig gemeint ist, sondern weil wir alle noch daran arbeiten müssen. Inklusion betrifft alle Lebensbereiche.

Neudeutsch: Inklusion ist Querschnittsaufgabe. Sie betrifft alle Mitglieder der Gesellschaft und erfordert die Zustimmung aller.

Eine der wichtigsten Grundlagen beim Thema Inklusion ist die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland 2009 in Kraft trat. Die rechtliche Verankerung hat damit stattgefunden, doch das reicht nicht aus.

Mit dem Antrag von Rot-Grün macht sich auch der Niedersächsische Landtag auf den Weg. Im Sozialausschuss gab es eine ausführliche - und für mich persönlich auch sehr beeindruckende - Anhörung zum Thema „Inklusion“. In der Anhörung wurde deutlich, wie viele Punkte man beachten muss - und wie viele man, ehrlich gesagt, selbst nicht beachtet hatte - und wie viel wir noch zu lernen haben.

Obwohl wir im Ausschuss sicherlich schon zu denjenigen gehören, die sich intensiv mit dem Thema „Inklusion“ beschäftigen, haben auch wir einige Punkte nicht beachtet. Die Ergebnisse der Anhörung finden sich aber alle in der Beschlussempfehlung wieder, sodass die FDP-Fraktion ihr selbstverständlich sehr gern zustimmen wird.

Wenn wir jetzt den Landtag umbauen, bietet sich die Möglichkeit, ihn inklusiv zu gestalten. Diese Chance müssen wir alle nutzen. Wir müssen zeigen, dass es geht. Doch das reicht meiner Ansicht nach noch nicht aus.

Die große gesellschaftliche Aufgabe und politische Herausforderung ist es, das Denken und Handeln zu verändern. Jedem Menschen muss bewusst sein, dass Inklusion wichtig für das gesellschaftliche Miteinander und eine große Bereicherung ist. Damit ist auch gleich definiert, was unsere politische Aufgabe in den nächsten Jahren sein muss: das Thema gesellschaftlich so zu verankern, dass es mit Leben gefüllt wird. Dieser gemeinsam getragene Antrag ist dabei ein sehr guter Anfang.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Vielen Dank, Frau Bruns. - Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Miriam Staudte, Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich kann mich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern in allen Punkten anschließen, und ich freue mich wirklich sehr, dass hier heute ein so breiter Konsens besteht, das Projekt „inklusiver, barrierefreier Landtag“ auf den Weg zu bringen. Die einzige Frage, die wir uns stellen müssen bzw. die ich mir in der Vorbereitung gestellt habe, ist: Warum ist uns das eigentlich nicht schon früher eingefallen? Das hätten wir doch schon längst auf den Weg bringen können - und auch müssen.

(Beifall)

Von meinen beiden Vorrednerinnen ist bereits angesprochen worden - und ich möchte es auch noch einmal betonen -, dass Inklusion im öffentlichen Raum zwar meistens unter dem Vorzeichen „Schule und Bildung“ diskutiert wird, dass Inklusion tatsächlich aber alle Lebensbereiche betrifft: gerade auch die Politik und das Recht auf Informationsbeschaffung, Meinungsbildung und Meinungsäußerung, also wirklich essentielle Menschenrechte.

Der Landtag als eine der wichtigsten Institutionen im Land Niedersachsen muss hier mit gutem Beispiel vorangehen. Jedes Jahr kommen Tausende Besucherinnen und Besucher in den Landtag, und es wäre doch schön, wenn sie für das Projekt „inklusive Gesellschaft“ zu Botschafterinnen und Botschaftern, zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden könnten, wenn sie berichten könnten, was alles bereits möglich ist.

(Beifall)

Ich finde, das ganze Verfahren war wirklich beispielhaft: von der Entstehung des Antrags über die Anhörung bis hin zur Beschlussempfehlung. Wir als Regierungskoalition hatten das Ziel in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen und den Antrag dazu eingebracht, und der Ausschuss hat die Anhörung, die ja schon sehr gelobt wurde, durchgeführt und die Anregungen daraus auch wirklich übernommen. In der Vergangenheit ist es leider nicht immer so gewesen, dass sich die Anregungen aus den Anhörungen auch in den Beschlüssen wiedergefunden haben. Umso mehr freut es mich, dass wir hier zu einem breiten Konsens gekommen sind.

Menschen mit Behinderungen über dieses neue Beratergremium aktiv in den Umbauprozess mit einzubeziehen, ist, glaube ich, ganz wichtig. Wir

haben in der Anhörung festgestellt, dass jede Behinderung ihre eigene Barriere hat und deswegen auch eine eigene Hilfestellung braucht. Wie speziell das ist, zeigt beispielhaft die Differenzierung der Hilfestellung für Taube und Ertaubte: Die von Geburt an tauben Menschen brauchen einen Gebärdendolmetscher, der quasi in ihre „Muttersprache“ übersetzt, während die Ertaubten, die mit unserer Lautsprache aufgewachsen sind, einen Schriftdolmetscher brauchen, der die Wortbeiträge mitschreibt und an die Wand projiziert. Da es so speziell ist, ist es eben auch so wichtig, dass wir die einzelnen Gruppen mit einbeziehen.

Das Thema „Landtagsumbau“ ist in der Vergangenheit in der öffentlichen Debatte nicht immer positiv besetzt gewesen. Ich glaube, hier haben wir wirklich die Chance, wenigstens das Projekt „barrierefreier Umbau“ nach vorne zu bringen.