Damals war es Willy Brandt, der durch seine Politik „Wandel durch Annäherung“ erst die Öffnung des Ostblocks ermöglicht hat.
Das war im Übrigen eine Politik, Herr Kollege Toepffer, die der CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl aufgenommen und dann mit der Einheit in Freiheit vollendet hat.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Thiele, ich freue mich ja ehrlich darüber, dass hier in diesem Hause bei der Bedeutung der universellen Menschenrechte Einigkeit besteht. Aber bevor wir lauthals, lautstark agieren, mit dem Finger auf Russland zeigen und öffentlich in teilweise massiver Form dort Menschenrechte einfordern, sollten wir uns überlegen, ob man Menschenrechte nicht dann besser durchsetzen kann, wenn man selbst ein Vorbild ist. Wir sollten uns fragen, ob wir in Deutschland und Niedersachsen wirklich genug tun, um die Menschenrechte durchzusetzen.
Herr Kollege Tonne hat zu Recht auf die brutale Abschiebepraxis der Regierungen Wulff und McAllister hier in diesem Lande hingewiesen. Ich möchte auch auf die Debatte um die Gleichstellung Homosexueller hinweisen. Der frühere Vizekanzler Guido Westerwelle hat darauf hingewiesen, dass es ganz allein die Blockade der CDU-Bundeskanzlerin Merkel war, die die Gleichstellung Homosexueller in diesem Land verhindert hat.
Gegenwärtig wird in Baden-Württemberg eine homosexuellenfeindliche Petition beraten. Sie hat u. a. die Unterstützung einer CDU-Bürgerschaftsabgeordneten aus Bremen gefunden. Reden Sie doch einmal mit Ihrer Kollegin, Herr Kollege Toepffer, bevor Sie hier den Zeigefinger erheben!
Damit ich nicht missverstanden werde: Das erreicht selbstverständlich bei Weitem nicht die Qualität der Situation in Russland. Aber Sie müssen sich schon fragen, ob die Bespitzelung von Journalistinnen und Journalisten in Niedersachsen, ob die Bespitzelung von Rechtsanwälten und ob die Bespitzelung von Oppositionsabgeordneten und deren Mitarbeitern tatsächlich den hohen moralischen Standards entspricht, die Sie hier immer wieder hochhalten. Sie verteidigen diese Bespitzelungen ja bis heute.
Entsprechend dem Landtagsbeschluss müssen wir als Landtag und muss auch die Landesregierung die Menschenrechtslage weltweit beachten. Wir müssen Menschenrechtsverletzungen anprangern und öffentlich oder nicht öffentlich kritisieren und in Gesprächen auf die Einhaltung der Menschenrechte hinweisen. Aber hüten wir uns vor antirussischen Reflexen, und hüten wir uns davor, mit dem
Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die Fraktion der FDP hat sich jetzt der Abgeordnete Christian Dürr gemeldet. Herr Dürr, Sie haben das Wort. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin, gelinde gesagt, überrascht über die Reden des Kollegen Tonne und des Kollegen Limburg. Herr Limburg, einerseits stellen Sie sich hier hin und sagen, in Niedersachsen müsse man sozusagen den moralischen Zeigefinger auch in Form von Landesvergabegesetzen ganz hoch halten. Andererseits stellt sich Herr Tonne hin und sagt, man solle aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ins Ausland fahren.
Ich frage mich, wie diese Debatte gerade auf die Menschenrechtsaktivisten in Russland, in Moskau und in Sankt Petersburg wirkt, meine Damen und Herren.
Herr Tonne, Sie stehen damit in guter sozialdemokratischer Tradition. Wir alle erinnern uns ja noch an die Worte des niedersächsischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der gesagt hat, Wladimir Putin sei ein lupenreiner Demokrat. Ich fand es spannend, das noch einmal nachzulesen. Am 7. März 2012 hat er das unterstrichen und gesagt:
„Ich habe nichts daran abzustreichen. Ich glaube, dass er ernsthaft sein Land auf eine wirkliche Demokratie hin orientiert.“
Wissen Sie, was mir, auch bundespolitisch, wirklich Sorgen macht? - Das ist die Änderung der Russlandpolitik mit den Neubesetzungen im Auswärtigen Amt. Herr Steinmeier gilt bekanntermaßen in guter alter SPD-Tradition als Russlandfreund. Es ging ja quasi ein Aufatmen durch den
- Das ist genau der Punkt. Jetzt hören Sie bitte genau zu. Es gibt nämlich noch andere Parteifreunde, die sich auf diesem Parkett beliebt gemacht haben.
Über Steinmeiers neuen Russlandbeauftragten Gernot Erler schreibt Spiegel-Online am 10. Januar dieses Jahres, Erler mache sich seit Jahren stark für weniger Kritik und mehr Verständnis im Umgang mit Russland und Präsident Wladimir Putin. Und dann sagt Erler noch am 13. Januar dieses Jahres, es mache Sinn, bei der Russlandpolitik allergische Reaktionen zu vermeiden. Über den Vorgänger, den CDU-Politiker Andreas Schockenhoff, schreibt Spiegel-Online - daran sieht man, dass man es auch anders machen kann, Herr Kollege Tonne -:
„CDU-Mann Schockenhoff hat sich als Koordinator bei Bürgerrechtlern in Russland hohes Ansehen erworben. In Interviews kritisierte Schockenhoff Verschärfungen des Demonstrationsrechts, den Prozess gegen ‚Pussy Riot’, aber auch Russlands Syrienpolitik.“
Von Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat man zu den jüngsten Einlassungen Wladimir Putins, man müsse Russland von Homosexualität - Zitat - „reinigen“ oder: die Schwulen aus dem Land hätten in Sotschi nichts zu befürchten, wenn sie die russischen Kinder - Zitat - „in Ruhe lassen“, bisher nichts gehört. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unter der alten schwarz-gelben Bundesregierung hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle den russischen Botschafter noch vor der Verabschiedung der Gesetze in Russland ins Auswärtige Amt einbestellt. So macht man Außenpolitik - und nicht so, wie es die Sozialdemokraten machen!
Kollege Dirk Toepffer hat darauf hingewiesen: Bei Union und FDP hat Guido Westerwelle dafür gesorgt, dass das Auswärtige Amt eine Menschenrechtskonferenz der Hirschfeld-Eddy-Stiftung mit Schwulen- und Lesbenverbänden in Sankt Petersburg mitfinanzierte - übrigens zu einem Zeitpunkt,
als diese Gesetzgebung in Sankt Petersburg schon gegolten hat. Außerdem wurden Aktivistenseminare für Osteuropa und Afrika durchgeführt.
Im Entwicklungsministerium hat Dirk Niebel damals auch in Entwicklungsländern schwul-lesbische Projekte vor Ort mitfinanziert und - das fand ich besonders mutig - die Budgethilfe für Uganda und Malawi gestrichen, weil dort die Verfolgung von Homosexuellen verschärft worden war. Meine Damen und Herren, auch das ist mutige Politik!
Ich gebe Ihnen durchaus recht: Deutsche Politik darf in Worten und in Taten im In- und Ausland nicht anmaßend sein. Aber deutsche Politik darf und muss unrecht nennen, was unrecht in der Welt ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich gestehe gerne zu, Herr Ministerpräsident Weil: Das ist auch eine Frage von Mut. Das sage ich auch in Richtung des niedersächsischen Umweltministers. Weder die CDU-Fraktion noch meine Fraktion hätte diese Aktuelle Stunde beantragt, wenn Sie den Brief an den russischen Botschafter wegen der Inhaftierung der Greenpeace-Aktivisten nicht abgeschickt hätten. Dann hätte ich gesagt: Das ist völlig in Ordnung; das ist nicht unbedingt zentrale Aufgabe des Niedersächsischen Ministers für Umwelt, Energie und Klimaschutz. Aber wissen Sie, was mich wirklich aufregt? - Das ist die Arbeitsteilung innerhalb der Landesregierung: In Hannover wird vom Umweltminister laut Menschenrechtsprotest geübt, aber in Moskau ist dann das Schweigen des Niedersächsischen Ministerpräsidenten ganz besonders „laut“. - So kann man auch Arbeitsteilung machen! Mit Mut hat das allerdings gar nichts zu tun, meine Damen und Herren.
Herr Ministerpräsident, mir ist bewusst, dass das politische Parkett alles andere als einfach ist, insbesondere wenn man neu im Amt des Ministerpräsidenten ist. Aber an eine Faustformel kann man sich vielleicht halten: Die Lautstärke des Benennens von Problemen sollte gerade auf Delegationsreisen die Lautstärke des Schweigens immer noch übersteigen.
Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. - Nachdem nun alle Fraktionen zu diesem Punkt gesprochen haben, meldet sich auch die Landesregierung. Herr Ministerpräsident Weil, bitte sehr, Sie haben das Wort. Die gewünschte Redezeit beträgt fünf Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschenrechte gelten universell, sie sind unteilbar, sie sind unveräußerlich. Die Menschenrechte gelten für jeden Menschen auf dieser Welt, und sie gelten überall.
Das ist die selbstverständliche Haltung der Niedersächsischen Landesregierung. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir Menschenrechte schützen und fördern, wo immer uns dies möglich ist. Das ist unser Selbstverständnis, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ebenso ist es für uns selbstverständlich, dass wir vor diesem Hintergrund, wo immer wir können, den zitierten Landtagsbeschluss konsequent umsetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Erklärung hier abzugeben, ist im Grunde genommen völlig unnötig. Es ist nämlich - das darf man wirklich sagen - die reinste Geisterdebatte, die die verehrte Opposition heute Morgen hier im Plenum führt.