Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf unter Berücksichtigung der Änderungsanträge, die Sie gerade beschlossen haben, zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das war einvernehmlich.
Tagesordnungspunkt 4: Abschließende Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 17/813 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration - Drs. 17/998 - Schriftlicher Bericht - Drs. 17/1016 - dazu gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 GO LT: Sozialhilfe reformieren - finanzielle Entlastung der Kommunen sicherstellen - Drs. 17/1012
Über den Antrag beschließt der Landtag nach § 36 unserer Geschäftsordnung nach der Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
Wir treten jetzt in die Beratung des Gesetzentwurfs ein. Es hat sich zunächst für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Miriam Staudte gemeldet. Frau Staudte, Sie haben das Wort. Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete, der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften regelt im Wesentlichen drei Themenkomplexe: erstens die Durchleitung der vom Bund geleisteten Erstattungen im Bereich der Grundsicherung im Alter an die Kommunen, zweitens die Neuordnung der Festbeträge und Zuständigkeiten für die Personengruppen der Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten - hier vor allem die wohnungslosen Menschen - und drittens die Neufestsetzung der Beteiligung des Landes an den Leistungen der
Während bei den Themenkomplexen „Leistungen für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“ und „Beteiligung des Landes an den Kosten der Unterkunft“ im Großen und Ganzen Einigkeit bestand, wurde beim Thema „Erstattung der Grundsicherung im Alter“ eine relativ heftige Debatte geführt, insbesondere zwischen dem Landkreistag und dem Land; Sie werden das verfolgt haben. Daher möchte ich auf diesen Aspekt heute noch einmal eingehen.
Es geht um die Frage, ob die Kommunen tatsächlich einen Anspruch darauf haben, dass sämtliche Erstattungsleistungen des Bundes an sie durchgeleitet werden.
Unstrittig ist, dass die Kommunen entlastet werden sollen. Klar ist auch, dass die Kommunen 100 % bekommen sollen. Die Frage ist nur, ob sie 100 % von dem bekommen sollen, was sie ausgeben, oder 100 % von dem, was der Bund zur Verfügung stellt.
In diesem Zusammenhang muss man sehen, dass das Land als überörtlicher Träger natürlich auch Ausgaben hat. Wenn die Erstattungsleistungen des Bundes nun in voller Höhe an die Kommunen durchgeleitet würden, würden diese eine Überkompensation - etwa 120 % - erfahren. Das aber wäre, wie ich meine, nicht sachgerecht. Seriös wäre es, das so zu machen, wie wir es vorschlagen.
Allerdings wundert mich nicht, dass CDU und FDP ganz schnell auf den Zug der Kritik des Landkreistages aufgesprungen sind, getreu dem Motto: Alles, was die Landesregierung macht, ist falsch. - Interessant wird aber, was CDU und FDP in ihren Änderungsanträgen dazu sagen, ob sie die 107 Millionen Euro im Landeshaushalt veranschlagen wollen. Bei der FDP haben wir eine solche Position jedenfalls nicht gefunden.
Ich halte es für zweckmäßig und folgerichtig, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zu verabschieden.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der von der Niedersächsischen Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften klingt auf den ersten Blick sehr technisch. Aber er hat es richtig in sich. Ein bisschen ist das gerade schon angeklungen.
Der Gesetzentwurf hat es unter zwei Gesichtspunkten in sich. Erstens stellt sich die Frage, ob es die neue Landtagsmehrheit und die neue Landesregierung mit ihrer Ankündigung, den Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen, tatsächlich ernst meinen. Zweitens markiert der Gesetzentwurf den Anfang einer tiefgreifenden Reform der Sozialhilfeverwaltung, wie sie Niedersachsen seit Langem nicht mehr erlebt hat.
Zur Frage der Entlastung der Kommunen. Im rotgrünen Koalitionsvertrag für Niedersachsen heißt es auf Seite 19 unter der Überschrift „Starke kommunale Selbstverwaltung“:
„Auch auf Bundesebene will die rot-grüne Koalition... durch einen höheren Bundesanteil bei den sozialen Zuwendungen die Finanzkraft der Kommunen stärken.“
Dieser Vorgabe widerspricht der vorliegende Gesetzentwurf. Er enthält den niedersächsischen Kommunen 107 Millionen Euro aus der letzten Stufe der 100-prozentigen Bundesentlastung im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vor. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, das Land trage bislang einen Teil dieser Ausgaben und müsse davon ebenfalls aufgabenscharf entlastet werden, andernfalls träte eine Überfinanzierung der Kommunen von 123 % ein. In der Gesetzesbegründung steht auch, Rheinland-Pfalz und das Saarland als vergleichbare Bundesländer würden wie Niedersachsen verfahren.
Das ist aber nicht der Punkt, sondern es geht um Folgendes: Der Bund möchte alle seine Mittel - und zwar alle Mittel, die er für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereitstellt - an die Kommunen weiterleiten. An den „klebrigen Fingern“ des Landes, wie meine Kollegin Gabi Kohlenberg gerade gesagt hat, soll nichts hängen bleiben.
Ich habe mir einmal angeschaut, wie die Diskussion im Bundestag dazu abgelaufen ist. In der dritten Beratung des Bundesgesetzes am 8. November 2012 haben alle Fraktionen gewürdigt - von der CDU über die SPD bis hin zur FDP und zu den Grünen -, dass die Bundesmittel zur Übernahme dieser Kosten den Kommunen zu 100 % zugute kommen, um die kommunale Selbstverwaltung zu stärken.
Der springende Punkt ist nun folgender: In Niedersachsen lässt sich die komplette Weiterleitung der Mittel - also des Gesamtbetrags - an die Kommunen auch damit rechtfertigen, dass allein aus der Kommunalisierung der Altenhilfe seit 2001 eine Unterfinanzierung der Kommunen in Höhe von bis zu 1 Milliarde Euro aufgelaufen ist. Das ist auch unstreitig. Nun aber kassiert das Land Niedersachsen die Bundesentlastung mit geschliffenen Worten wieder ein, und das ist einfach nicht in Ordnung. Die neue Mehrheit hält sich nicht an die eigene politische Aussage, die Kommunen stärker zu entlasten.
Die CDU-Landtagsfraktion möchte demgegenüber, dass die Bundesmittel bei den niedersächsischen Kommunen besser ankommen. Deshalb lehnt sie den Gesetzentwurf der Landesregierung ab - der, wie gesagt, den Kommunen allein für nächstes Jahr 107 Millionen Euro vorenthält - und legt Ihnen den Entschließungsantrag „Sozialhilfe reformieren - finanzielle Entlastung der Kommunen sicherstellen“ vor.
Die neue Landesregierung hat es versäumt, die unter der Vorgängerregierung begonnenen Gespräche zwischen dem Land und den Kommunen mit einem fairen Kompromiss zu beenden.
Vielen Dank, Herr Dr. Matthiesen. - Wir haben gerade den Änderungsantrag der CDU zum Haushalt erhalten. Sind darin denn nun die 107 Millionen Euro enthalten? Ich konnte das so schnell nicht finden.
Danke für die Frage, Frau Kollegin. Es ist doch klar, dass wir den Kompromiss, von dem ich gesprochen habe, erst erarbeiten müssen.
Danach werden diese Mittel dann in den Haushalt einzustellen sein. Am Beispiel des 3. Nachtragshaushalts und des Sondervermögens haben wir doch gerade erlebt, wie schnell so etwas bei Ihnen gehen kann. So etwas bekommen wir innerhalb von Sekunden hin.
Gegenstand unseres Antrages ist es, mit Blick auf das, was ich gerade ausgeführt habe, einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen des Landes und denen der Kommunen zu finden.
Jetzt geht es noch um einen ganz wichtigen Punkt, der auf uns zukommen wird: die geplante Entlastung von den Kosten der Eingliederungshilfe. Wir in Niedersachsen stellen für den gesamten Bereich der Sozialhilfe 2,3 Milliarden Euro im Jahr bereit. An einem großen Teil, an der Eingliederungshilfe, wird sich der Bund zukünftig beteiligen - mit jährlich 5 Milliarden Euro, heißt es im Koalitionsvertrag der Großen Koalition.
Da stellt sich die gleiche Problematik. Das Land zahlt etwa 80 % der Sozialhilfekosten in Niedersachsen. Nur 20 % zahlen die Kommunen. Nach der Logik Ihres Gesetzentwurfes müsste dann das Land 80 % der Bundesmittel für die Eingliederungshilfe bekommen. Das kann absolut nicht sein.
Beides gehört zusammen. Deswegen muss die Weiterleitung der Bundesmittel unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Sozialhilfe in den einzelnen Bundesländern bleiben.
Damit bin ich beim zweiten Punkt: Nach dem Willen der neuen Landesregierung steht Niedersachsen vor einer Revolution seiner Sozialhilfeverwaltung. Die Regierung will bis März kommenden Jahres ein fertiges Konzept vorlegen, wie das auszusehen hat. Sie hat durchblicken lassen, dass sie zumindest große Teile der niedersächsischen Sozialhilfeverwaltung - wie die Eingliederungshilfe - in die alleinige Trägerschaft des Landes Niedersachsen übernehmen und die Kommunen nur nachgeordnet heranziehen will.
Es steht also eine Grundsatzentscheidung zwischen zwei „Extrempositionen“ an: einerseits völlige Verstaatlichung der Sozialhilfeverwaltung, andererseits vollständige Kommunalisierung.