Protocol of the Session on February 1, 2017

- Ich will jetzt nicht sagen, dass das, was Sie gerade dazwischenrufen, ein bisschen weltfremd ist, weil Sie anscheinend mit den Eltern in diesem Land nicht reden. Die zahlen nämlich noch Beiträge. Ich kenne jedenfalls welche. Sie kennen sie wahrscheinlich nicht, weil das damals ja schon so gut gelungen ist!

Entscheidend ist doch, was wirklich in den Kindertageseinrichtungen ankommt. Ich will bei aller Bescheidenheit sagen - wir haben das heute schon mehrfach angeführt -: Wir haben sehr gut hingehört, als wir mit jenen, die in den Kindertageseinrichtungen arbeiten, mit den Verbänden geredet haben, als wir darüber nachgedacht haben, wo man als Erstes helfen muss.

(Christian Dürr [FDP]: Das stimmt nicht!)

Damals gab es eine klare Ansage: Die erste Hilfe gilt den Allerkleinsten, und die zweite Hilfe muss denen gelten, die in Bereichen wohnen, in denen vielleicht soziale Schwierigkeiten auftauchen. Genau das schaffen wir jetzt qualitativ. Wir schaffen die Hilfe bei den Allerkleinsten, nämlich in der Krippe. Wir ermöglichen es den Landkreisen mit den 60 Millionen Euro - Sie sprechen ja immer vom Einstieg in die dritte Kraft -, in den Einrichtungen qualitative Verbesserungen beim Personal-KindSchlüssel vorzunehmen, wo es vielleicht Familien und Kinder gibt, die mehr Hilfe brauchen als andere. Von daher ist das, wie ich finde, ein richtiger und guter Weg.

Herr Santjer, einen Moment!

(Unruhe)

- Aber erst, wenn Ruhe herrscht. - Herr Santjer, erst muss ich Sie fragen, ob Sie Zwischenfragen von Herrn Thiele, Herrn Bode und Herrn Seefried zulassen.

(Heiterkeit bei der FDP)

Ich lasse diese Zwischenfragen nicht zu, Herr Präsident.

Bitte weiter!

Das bekommen Sie vielleicht alles gar nicht mit, aber es ist doch deutlich, dass wir die Mittel für die, die wirklich noch eine besondere Hilfe im Hinblick auf den Spracherwerb brauchen, verdoppelt haben. Bei der letzten Debatte ist von Ihrer Seite gesagt worden, dass wir die dritte Kraft durch die Hintertür schaffen. Ich bleibe dabei: Die dritte Kraft durch die Hintertür zu schaffen, ist immer noch viel besser, als sie gar nicht zu bringen. Bei Rot-Grün

sind die Kindertageseinrichtungen in Niedersachsen in guten Händen und gut aufgestellt. Davon lassen wir uns auch nicht abbringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Santjer. - Die CDU-Fraktion möchte eine Kurzintervention platzieren. Herr Thiele, Frau Vockert war schneller als Sie. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man hier absichtlich, wissentlich die Unwahrheit sagt, dann kann ich das nicht ertragen.

(Beifall bei der CDU - Detlef Tanke [SPD]: Das sagt die Richtige! - Weite- re Zurufe von der SPD)

Ich kann das nicht ertragen. Bei allem Respekt, Kollege Santjer, Sie stellen sich hier hin, sprechen von Christian Wulff, von 2007, und behaupten, wir hätten nichts in Sachen beitragsfreie Kita gemacht. Dann muss ich Ihnen die Frage stellen: Können Sie den Haushaltsplan nicht lesen? Können Sie nicht einfach einmal den Zettel nehmen, den wir alle im Kultushaushalt bei den Besprechungen zur Verfügung gestellt bekommen haben? Können Sie daran nicht erkennen - ich kann Ihnen das jetzt genau sagen -, wann wir es eingeführt haben? - Im Jahr 2007 gab es einen Haushaltsansatz von 39 789 000 Euro. Das war damals nur für ein paar Monate. Im Jahr 2008 - wir hatten 120 Millionen Euro veranschlagt - sind 105 Millionen Euro ausgegeben worden. Im darauffolgenden Jahr waren es 104 Millionen Euro.

Wir haben ab diesem Zeitpunkt - Herr Santjer, deshalb lasse ich das nicht einfach so stehen - unter Christian Wulff, unter einer CDU/FDPgeführten Landesregierung, die Beitragsfreiheit umgesetzt und haben dann gesagt: Jetzt kommt der qualitative Ausbau. - Den wollten Sie dann übernehmen. Sie haben sie aber im Regen stehen lassen. Diese Landesregierung hat viel versprochen, aber gehalten hat sie gar nichts.

(Wiard Siebels [SPD]: Und Ihr habt die Studiengebühren eingeführt! Das sollte man nicht vergessen!)

Das setzen Sie fort, und das lassen wir nicht zu. Das decken wir auf. Damit tragen Sie leider auch dazu bei, dass die Politikverdrossenheit weiterhin greift. Die Kinder müssen darunter leiden. Es ist eine Unverschämtheit, was Sie sich hier leisten!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wiard Siebels [SPD]: Und wer hat die Studiengebühren eingeführt? Was soll das hier?)

Danke schön. - Herr Santjer, wollen Sie replizieren? - Nein.

Meine Damen und Herren, mir liegen zu diesem Tagesordnungspunkt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Beratung beendet.

Ich komme zur Ausschussüberweisung.

Der Vorschlag lautet, federführend möge der Kultusausschuss tätig werden, mitberatend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen und - weil es natürlich um die Finanzierung geht - auch der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. Der Gesetzentwurf geht in die zuständigen Ausschüsse.

Bevor wir gleich mit dem Tagesordnungspunkt 9 weitermachen, möchte ich noch etwas aufgreifen.

Es muss wohl heute Morgen in der Aktuellen Stunde gewesen sein. Während eines Redebeitrags des Kollegen Watermann gab es diverse Zwischenrufe, u. a. in einem bestimmten Zusammenhang, als es um die AfD ging, folgende Zwischenrufe: von Herrn Thiele: „Unfassbar!“, von Frau Pieper: „Das ist unter der Gürtellinie!“, von Herrn Dürr: „Wie kann man so blöd sein?!“, wobei das Protokoll nicht deutlich macht, ob Fragezeichen oder Ausrufezeichen.

Ich denke, das ist alles grenzwertig und jenseits eines guten parlamentarischen Stils, wie auch - bei aller Leidenschaft - die Debatte in der letzten Dreiviertelstunde den Hinweis erlaubt: Es geht auch mit etwas weniger Geräuschkulisse, es geht auch mit etwas weniger - vor allem persönlichen - Angriffen. Das Thema ist so spannend, so schön und so interessant, was sollen da persönliche Angriffe? Die haben in der Sache eh noch nichts nach vorn gebracht.

Ich wäre dankbar, wenn Sie das generell beherzigen, heute z. B. beim nächsten Tagesordnungspunkt oder auch in den nächsten Tagen. Das steht uns allen gut an, insbesondere bei einem so wichtigen Thema. Wir sollten das gleich bei dem nächsten Tagesordnungspunkt probieren, der sich auf den gleichen Kontext bezieht.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 9: Abschließende Beratung: Kinderarmut strukturell entgegenwirken: Familienleistungen reformieren und Teilhabe sicherstellen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/6246 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration - Drs. 17/7153 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/7337

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag unverändert anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU zielt auf eine Annahme des Antrages in einer geänderten Fassung.

Wir treten in die Beratung ein. Zuerst hat sich für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Immacolata Glosemeyer gemeldet. Frau Glosemeyer, ich erteile Ihnen jetzt das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir nach einer erfolgreichen, positiven Anhörung der engagierten Verbände und Arbeitsgemeinschaften unseres Landes unseren Antrag gegen Kinderarmut und für mehr Teilhabe heute zur Abstimmung stellen können.

„Armut beschämt nicht nur die betroffenen Menschen, Armut beschämt die Gesellschaft.“ Dieses Zitat der Schweizer Sozialdemokratin Ruth Dreifuss fordert uns alle auf, Armut nicht nur bedauernd zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch Verantwortung zu übernehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute leisten wir mit dem vorliegenden Antrag unseren Beitrag. Wir stellen fest: Strukturelle Kinderarmut ist trotz guter

wirtschaftlicher Lage unseres Landes nicht rückläufig. Das Gegenteil ist der Fall. Wie uns Professor Eichhorn vom Landesamt für Statistik noch einmal vor Augen führte, hat die Armutsgefährdungsquote bei Kindern 2015 mit fast 21 % ihren Höchstwert erreicht. Jedes fünfte Kind ist betroffen. Die Gefahr, von Armut betroffen zu sein, ist gerade bei Alleinerziehenden frappierend hoch. Jedes zweite Kind in einem Ein-Eltern-Haushalt lebt in Armut. In kinderreichen Familien steigt das Risiko ebenfalls um ein Vielfaches.

Unumstritten ist: Kinderarmut ist Familienarmut. Die Lebenssituation von Kindern richtet sich nach den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Zukunftschancen der Kinder. Fehlen die finanziellen Mittel für individuelle Förderung und Entfaltungsmöglichkeiten, bleiben Potenziale, seien sie künstlerischer, sportlicher oder sozialer Natur, ungenutzt. Die Türen zur persönlichen Entwicklung bleiben verschlossen, und die gesellschaftliche Teilhabe bleibt ihnen verwehrt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das dürfen wir so nicht hinnehmen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Oktober 2016 verdeutlicht: Wer wenig Geld verdient, bleibt oft arm. Wer bereits wohlhabend ist, kann relativ sicher sein, seine Einkommensvorteile auf Dauer zu behalten. Die Leidtragenden der Einkommensschere sind immer die Kinder; denn die Erfahrung zeigt, dass Kinder armer Eltern häufig später selbst arm sind.

Diesen Kreislauf müssen wir durchbrechen. Das ist unsere Pflicht als Politikerinnen und Politiker dieses Landes. Wir müssen jedem Kind eine Chance auf eine erfolgreiche Zukunft geben.

(Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann übernimmt den Vorsitz)

Die derzeitige Verteilung von Sozialleistungen erfüllt diesen Zweck leider nicht. Denn während besserverdienende Familien neben dem Kindergeld zusätzlich von steuerlichen Kinderfreibeträgen profitieren, haben Familien mit geringem Einkommen durch die vollständige Anrechnung des Kindergeldes auf die SGB-II-Leistungen keinerlei Vorteile.

Gleichberechtigung aller Kinder sieht allerdings anders aus. Sehr geehrte Damen und Herren, hier müssen wir ansetzen und Ungerechtigkeiten abbauen. Eine elternunabhängige Kindergrundsiche

rung, wie sie in unserem Antrag gefordert wird, würde Abhilfe schaffen. Das ist auch aus der Sicht des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter der richtige Weg, wie uns bei der Anhörung bestätigt wurde.

Ich muss mich doch schon sehr darüber wundern - jetzt muss ich einmal in die Reihen der CDUKollegen und -Kolleginnen gucken -, dass uns heute Morgen - große Überraschung! -, nachdem wir unseren Antrag mehr als einmal im Sozialausschuss beraten haben und eine sehr ausführliche Anhörung dazu hatten, ein Änderungsantrag der CDU vorliegt. Inhalt: Nichts Spektakuläres und nichts, was nicht unser Antrag sowieso schon aufgegriffen hätte. Ich habe mich darüber gewundert, dass im Vorfeld, vielleicht auch einmal im Sozialausschuss, nicht angesprochen worden ist, dass dazu etwas kommen könnte bzw. etwas vorgelegt wird.

Nein, ganz im Gegenteil. In der Anhörung gab es lediglich die Frage: Wird denn das Geld, das die Eltern dann kriegen sollen, auch wirklich für die Kinder eingesetzt? - In einer Endlosschleife wurde nachgefragt, das Geld werde dann ja wohl wahrscheinlich eher für Alkohol und Zigaretten ausgegeben werden.

(Gudrun Pieper [CDU]: Was?)