Zum dritten Effekt: Dass Kameras abschrecken und so der Verhinderung von Straftaten dienen, ist ebenfalls zweifelhaft. Es gibt dazu sehr dezidierte, weitgehende Erfahrungen aus Großbritannien. Dort wird zwar ein moderater Rückgang der Kriminalität ausgewiesen - das stimmt -, allerdings hauptsächlich in Parkhäusern. Auch dieser Effekt wird in entsprechenden Untersuchungen aus den USA nicht bestätigt. Auch da wird man noch einmal genauer hingucken müssen.
Meine Damen und Herren, wie gehen wir jetzt mit diesen Erkenntnissen aus der Videoüberwachung im Hinblick auf die aktuellen Bedrohungsszenarien um? - Ignoranz - das habe ich schon gesagt - wäre sicherlich der schlechteste Weg. Jubelnde Begeisterung und unkritische Hinwendung zu mehr Videografie, meine Damen und Herren von der CDU, machen es aber auch nicht viel besser.
Es ist nämlich keine schöne Vorstellung, dass ein den Überwachungskameras nachgeschalteter, selbstlernender Algorithmus einen Menschen, der sich in einem Bahnhof oder Flughafen bewegt, von Raum zu Raum, von Stockwerk zu Stockwerk beobachtet, sein Aussehen und/oder sein Verhalten bewertet und entsprechend seiner Programmierung das Ganze als außergewöhnliches Ereignis einstuft und dementsprechende Alarmierungen oder weitergehende Maßnahmen auslöst.
Dass Sie in Ihrem Antrag hohe Standards der technischen Datensicherheit gegen den Zugriff durch Unbefugte fordern, meine Damen und Herren von der CDU, ist - bei aller Anerkennung - nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Das Grund
problem ist nämlich viel weiter gehend. Das Grundproblem liegt darin, dass bereits das Bewusstsein, beobachtet zu werden, zu einem veränderten Verhalten von Menschen führt.
Auch wenn diese Prozesse auf der Ebene des Unterbewussten ablaufen, müssen wir doch den dahinterstehenden Eingriffscharakter anerkennen und konstatieren, dass man hier mit bloßen Überlegungen zur technischen Datensicherung deutlich zu kurz springt.
Unser Auftrag wird es jedenfalls sein, genau zwischen dem Sicherheitsgewinn einer weitergehenden Videoüberwachung und den damit verbundenen Einschränkungen der individuellen Freiheit abzuwägen. Das werden wir im Ausschuss tun. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich dabei von Argumenten wie „Wer sich nichts zuschulden hat kommen lassen, der muss ja auch nichts befürchten!“ verschont bliebe.
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor, sodass wir zur Ausschussüberweisung kommen.
Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Ausschuss für Inneres und Sport mit dem Antrag zu befassen. Wer so entscheiden möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wir brauchen mindestens 30 Stimmen und keine Gegenstimmen. 30 Stimmen waren es. - Da gerade nicht alle Arme oben waren, musste ich feststellen, dass es mindestens 30 waren. - Die Ausschussüberweisung ist beschlossen.
Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung: Cannabis entkriminalisieren - Jugendschutz stärken - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/6683
Der Antrag wird für die FDP-Fraktion durch den Kollegen Dr. Stefan Birkner eingebracht. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Strafrechtliche Sanktionen unterliegen einem Rechtfertigungszwang. Sie bedürfen einer Begründung, die es rechtfertigt, dass man das Verhalten, das man unter Strafe stellen will, tatsächlich am Ende bestraft. Wenn man das tut, dann muss die Strafe bestimmten Zwecken dienen. Es gibt generalpräventive Zwecke, d. h. dass die Strafe eine abschreckende Wirkung haben soll, damit nicht auch andere solche Straftaten begehen. Es gibt auch die Spezialprävention, d. h. die Strafe soll dazu dienen, dass einzelne Straftäter ihre Straftat nicht wiederholen.
Wenn man etwas unter Strafe stellen will, dann ist bei der Umsetzung der Strafzwecke und Strafziele das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit in besonderer Weise zu berücksichtigen. Das heißt, die Strafe, die man ausspricht, muss erforderlich, geeignet und im engeren Sinne auch verhältnismäßig sein; denn am Ende - das muss man sich immer wieder klarmachen - geht es hier um elementare Eingriffe in Grundrechte, die mit der Strafe verbunden sind.
Wir meinen, dass im Hinblick auf das bestehende strafrechtliche Sanktionssystem bezüglich Cannabis diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, und folgen mit dieser Einschätzung den Meinungen von zahlreichen Strafrechtsprofessorinnen und -professoren, die dies in einer Resolution zum Ausdruck gebracht haben.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung: Die Prohibitionspolitik bezüglich Cannabis ist gescheitert.
Das zeigt sich an Folgendem: Trotz des Betäubungsmittelgesetzes haben sich die Verfügbarkeit und der Konsum von Cannabis nicht wesentlich verändert. Gerade der Effekt einer Generalprävention, also andere in der Gesellschaft von dem Konsum und Besitz von Cannabis abzuhalten, ist nicht eingetreten. Im Gegenteil, wir beobachten weiter, dass es nicht reglementierte, illegale Märkte gibt, und wir erleben auch, dass der Konsum bei Jugendlichen, der in besonderem Maße in das Blickfeld genommen werden muss, weiterhin auf einem
hohen Niveau vorhanden ist, auch wenn er Schwankungen unterliegt - und dies trotz Prohibitionspolitik.
Meine Damen und Herren, auch spezialpräventive Wirkungen sind nicht erzielt worden, insbesondere im Hinblick auf den Konsumenten. Denn lässt er sich tatsächlich durch die Bestrafung künftig davon abhalten, ein solches Verhalten zu wiederholen? - Gerade im Hinblick auf den Konsumenten ist das fraglich. Klar ist auch, dass sich etwaige Süchte nicht durch Strafe bekämpfen lassen, sondern am Ende nur durch Therapieangebote.
Meine Damen und Herren, es wird immer noch das Argument angeführt, man müsse sozusagen seitens des Staates die Konsumenten davor schützen, dass negative gesundheitsschädliche Auswirkungen bei ihnen durch den Konsum eintreten. - Dem kann man prinzipiell folgen; das kann zumindest eine legitime staatliche Erwägung sein. Aber dann muss sich der Staat auch an seinem eigenen Verhalten an anderer Stelle messen lassen
und darf sich nicht zu Wertungswidersprüchen hinreißen lassen. Die Gefährlichkeit von Cannabis ist zumindest auf der gleichen Ebene - auch wenn das nicht im Detail vergleichbar ist - wie bei Alkohol und anderen Drogen, die legal erworben werden können, zu sehen. Insofern besteht hier derzeit ein gewisser Wertungswiderspruch. Unseres Erachtens ist es nicht gerechtfertigt, dass der Staat meint, wir müssten diesen Schutzanspruch bezüglich Cannabis durchsetzen, aber nicht bezüglich anderer Drogen. Dieser Widerspruch muss aufgehoben werden.
Meine Damen und Herren, zu diesen Aspekten, aufgrund derer wir meinen, dass die Prohibitionspolitik gescheitert ist, kommen weitere dazu, die für eine Aufhebung der Prohibition sprechen: zum einen die Belastung der Strafverfolgungsbehörden mit aus unserer Sicht nicht gerechtfertigten Ermittlungs- und Strafverfahren, zum anderen auch eine aus unserer Sicht ungerechtfertigte und nicht erforderliche Bestrafung von Bürgerinnen und Bürgern, die zu konkreten individuellen, persönlichen Beeinträchtigungen auch von Lebensläufen führt, die man vermeiden kann und muss; denn dieses Verbot in dieser Form ist unverhältnismäßig. Vor
Die Ziele unserer Reformüberlegungen sind in erster Linie, dass wir dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip hier tatsächlich Geltung verschaffen, und in zweiter Linie, dass wir den Jugendschutz stärken. Wir sehen natürlich sehr wohl, dass man die Dinge zwischen Erwachsenen und Jugendlichen differenzieren muss. Denn gerade bei Jugendlichen sind sehr wohl Schädigungen im Entwicklungsprozess zu befürchten, wenn es entsprechende Einwirkungen in der pubertären Phase gibt.
Welche Mittel, meine Damen und Herren, wollen wir anwenden? - Wir wollen eine partielle Entkriminalisierung. Wir wollen die Aufhebung der Strafbarkeit des Konsums von und des Handels mit Cannabis für Erwachsene. Wir wollen einen kontrollierten Handel mit Cannabis im Rahmen eines Lizenzmodells zur Abgabe an Erwachsene; denn nur legale Märkte können durch den Staat reglementiert und kontrolliert werden. Nur so kann die Qualität der Ware sichergestellt werden, nur so kann eine gezielte Aufklärung über Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen erfolgen, und nur so kann mindestens in diesem Feld der Kontakt zu dem Dealer vermieden werden, der auch andere, möglicherweise härtere Drogen an den Mann und an die Frau bringen will.
Meine Damen und Herren, wir wollen insbesondere keine Abgabe an Jugendliche und keine Entkriminalisierung des Handels mit Cannabis gegenüber Jugendlichen. Ganz im Gegenteil. Wir wollen hier differenzieren - so, wie das beim Alkohol der Fall ist -, und wir wollen, dass hier die Aufklärungs- und Präventions- sowie Bildungsarbeit gestärkt werden, insbesondere durch die Steuermehreinnahmen, die man durch einen reglementierten und besteuerten Handel erreichen kann. Insofern ist klar: Es muss zwischen der Abgabe an Erwachsene und an Jugendliche differenziert werden, nämlich die Abgabe an Erwachsene straffrei stellen und für Jugendliche die Prävention stärken, aber auch diejenigen, die an Jugendliche Drogen verkaufen, noch härter und gezielter verfolgen und bestrafen.
Meine Damen und Herren, ich will deutlich sagen, dass wir uns das als Fraktion nicht leicht gemacht haben. Wir haben das sehr intensiv diskutiert. Wir haben eine Fachanhörung gemacht und haben das Für und Wider abgewogen. Wir meinen, wir sehen auch viele andere Argumente. Am Ende ist eine Gesamtabwägung durchzuführen, die das Für und Wider in ein Verhältnis zueinander stellt. Wir meinen, dass die Prohibitionspolitik vor dem Hintergrund dessen, was wir wissenschaftlich sachlich zur Kenntnis nehmen müssen und was wir in der Realität beobachten, in dieser Form gescheitert ist. Man muss zu einer Lösung kommen, wie wir sie vorgeschlagen haben, um am Ende auch den verfassungsrechtlichen Ansprüchen der Verhältnismäßigkeit von strafrechtlichen Sanktionen zu genügen.
Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Für die SPDFraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Christos Pantazis das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kaum ein anderes Thema der Drogen- und Suchtpolitik wird öffentlich so vehement und kontrovers diskutiert wie die Frage nach der Legalisierung von Cannabis. Während sich die sonst gegenüberstehenden Glaubenspositionen beim Einsatz von medizinischem Cannabis mittlerweile einig sind, stehen diese sich in der Frage der Legalisierung von nichtmedizinischem Cannabis nahezu unversöhnlich gegenüber. Medizinisch betrachtet, gilt es heute als erwiesen, dass Cannabinoide bei verschiedenen Erkrankungen wie Spastik bei Multipler Sklerose oder neuropathische Schmerzen einen therapeutischen Nutzen besitzen.
So beschloss das Bundeskabinett vor Kurzem erst ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften, um chronisch kranke Patienten nach ärztlicher Indikation zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung mit Medizinalhanf kontrollierbarer pharmazeutischer Qualität versorgen zu können.
Die Legalisierung auch des nichtmedizinischen Cannabis in den US-Staaten Colorado und Washington State 2014 hat auch hier eine Debatte ausgelöst, die in dem nun vorliegenden Antrag seinen Niederschlag findet.
Die darin enthaltenen Aspekte wie Auswirkungen des Verbots auf den Jugendschutz, Prävention, Entkriminalisierung, die staatliche Kontrolle und die Regulierung des Marktes sind immer wiederkehrende Faktoren genau dieser Debatte. Hierzulande hat das in unserer unmittelbaren Nachbarschaft dazu geführt, dass beispielsweise die Freie Hansestadt Bremen ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis durchführen möchte.
Schaut man sich die aktuellen Rahmendaten an, stellt man fest, dass Cannabis sowohl international als auch in Deutschland die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge ist. Laut epidemiologischen Suchtumfragen haben 4,5 % der deutschen Erwachsenen im letzten Jahr Cannabis geraucht. Besonders häufig ist der Konsum bei 18- bis 25-Jährigen. Die Zwölf-Monats-Prävalenz beläuft sich auf 16,2 %. In dieser Altersgruppe konsumieren etwa 4 % regelmäßig Cannabis, wobei die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „regelmäßig“, also häufig, als mehr als zehnmal pro Jahr definiert.
In diesem Zusammenhang erscheint allerdings erwähnenswert, dass entsprechende Werte für den riskanten Alkoholgebrauch um das Vierfache und für regelmäßiges Tabakrauchen um das Zehnfache höher liegen. Wohlgemerkt: Hier handelt es sich um sogenannte legale Drogen - ein Umstand, der die drogenpolitische Widersprüchlichkeit offenbart.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn ich hier nicht auf alle Punkte des vorliegenden Antrags dezidiert eingehen werde, möchte ich von seiner Stoßrichtung her grundsätzliche Leitlinien von Suchtpolitik skizzieren. Dazu gehören erstens die Verhinderung und Reduzierung von gesundheitlichen Schäden durch Suchtmittelkonsum und zweitens die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller. Unter genau diesen beiden Aspekten ist die Diskussion über die Legalisierung von Cannabis zu führen.
Hinsichtlich des ersten Aspektes ist mittlerweile wissenschaftlich fundiert belegt, dass abhängig von Alter, Dosierung und individueller Disposition