Meine Damen und Herren, aus den Reihen der CDU und der FDP werden Stimmen laut, der Polizeipräsident müsse entlassen werden.
Und genau dieser Ruf offenbart leider die alte Denkweise: „Polizeipräsident entlassen - Problem gelöst!“
Würde denn die Entlassung des Polizeipräsidenten das eigentliche Problem lösen, meine Damen und Herren? - Nein, natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Es würde die Kultur des „Weiter so!“ fördern und stärken und die Fähigkeit behindern, Fehler einzuräumen und dafür geradezustehen.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Er bekommt ein Sonderrecht, Herr Minis- ter! Sie räumen Ihrem Polizeipräsi- denten ein Sonderrecht ein, das ist der Hintergrund!)
Dies ist jedoch nicht der Weg, meine Damen und Herren, der eingeschlagen werden soll und einzuschlagen ist. Es geht hier nämlich um einen für unsere Gesellschaft grundlegenden Prozesswandel. Ein entscheidender Meilenstein ist dabei der Umgang mit möglichen Fehlern und ihren Folgen, insbesondere auch der Korrektur von Fehlern; denn die Art und Weise, wie ein Fehler betrachtet und letztlich auch bewertet wird, wie er angenommen wird, hat Auswirkungen auf den Prozess als solches.
Schon Konfuzius - der wird hier auch nicht alle Tage zitiert - hat einmal gesagt: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“
Fehler sind menschlich, sie gehören dazu, auch wenn jeder ein Interesse daran hat, diese zu vermeiden.
Lieber Herr Dürr, wenn ich gleich am Anfang das gemacht hätte, was Sie fordern, dann hätte es geheißen: Seht her, der Polizeipräsident in Braunschweig hat kein SPD-Parteibuch, also wird er
sofort einen Kopf kürzer gemacht. - Das wäre Ihre Argumentation gewesen. Sie sind einfach nicht ehrlich in dieser Debatte, Herr Dürr, aber damit müssen Sie selber klarkommen.
Herr Minister, einen Moment, bitte! - Ich bitte, Zwischenrufe und Dialoge zu unterlassen. Sie haben alle Fragemöglichkeiten. Die Zettel dafür liegen auf dem Tisch.
Genau in diese Fehlerkultur ist Herr Pientka eingestiegen. Herr Pientka hat mir gegenüber erläutert, er habe die Situation falsch eingeschätzt. Er hätte die Mitarbeiterin besser schützen müssen. Er hat damit einen Fehler erkannt, sich dessen angenommen und ihn öffentlich eingeräumt. Ich finde, dazu gehört schon etwas. Er ist an die Öffentlichkeit gegangen, um den bereits entstandenen Spekulationen entgegenzutreten. Eine Entlassung aufgrund des bekannten Sachverhalts wäre an dieser Stelle deshalb eben keine Weiterentwicklung. Es wäre ein Zurück in veraltete Denk- und Handlungsweisen.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle Folgendes hervorheben: Die Polizei in Niedersachsen zeigt bereits seit der Polizeireform in den 90er-Jahren, dass ihr Personalentwicklung ein hohes Anliegen ist. Insbesondere zum fairen Verhalten im Dienst gibt es seit vielen Jahren Dienstvereinbarungen in der Polizei. Auch die Polizeidirektion Braunschweig hat eine solche Vereinbarung über faires Verhalten am Arbeitsplatz, Konfliktbewältigung und anderes entwickelt. Rolle und Erwartungshaltung an Führungskräfte sind in diesen Vereinbarungen dargelegt. Gleichwohl schützt uns das offensichtlich nicht vor einem Fall wie diesen.
Er zeigt zunächst, dass das ausdrückliche Ziel dieser Landesregierung, nämlich die verstärkte Förderung von Frauen in der niedersächsischen Polizei, weiter vorangetrieben werden muss. In diesem Bereich ist viel erreicht worden, aber noch lange nicht genug. Wir leben und fördern Diversität auch und gerade mit dieser Perspektive. Folgerichtig sind die Themen Gleichstellung und Herstellung von Chancengleichheit in der Polizei auch für mich essenzielle Bestandteile der Organisationsentwicklung. Gerade in den letzten Jahren haben wir hier übrigens gemeinsam viel bewegt.
Ein besonderer Fokus liegt für mich in der signifikanten Erhöhung des Frauenanteils in Führungsfunktionen. Die niedersächsische Polizei hat erkannt, dass sie die Zielsetzung nur erreichen kann, wenn strategische Gleichstellungspolitik systematisch und eingebettet in ein Gesamtkonzept betrieben wird. Es existieren umfangreiche Maßnahmen zur Karriereförderung von Frauen. Wir haben es geschafft, den Anteil von Frauen in der ersten Führungsebene in den letzten zehn Jahren bereits kontinuierlich zu steigern.
Weil aber gerade bei der Besetzung von Spitzenämtern des sogenannten gehobenen Dienstes Frauen noch deutlich unterrepräsentiert sind, haben wir Anfang diesen Jahres ein Führungskräfteentwicklungsprogramm unter Einbindung externer Behörden und privater Unternehmen eingeführt, um Frauen auch im mittleren Management präsenter aufzustellen. Um die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Herstellung von Chancengleichheit adäquat zu setzen, arbeitet unsere Polizei seit mehreren Jahren intensiv und erfolgreich an einer guten Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit. Ihre konkreten Ergebnisse in diesem Themenkomplex gelten mittlerweile bundesweit als beispielgebend.
Wir haben die Bedeutung der Frauenförderung frühzeitig erkannt und gerade in den letzten drei Jahren vieles zur Erreichung der strategischen Ziele einer geschlechtergerechten Organisations- und Führungskultur etabliert. Unstrittig ist und bleibt aber, dass insbesondere die Führungskräfte die Garanten für die Herstellung und Gewährleistung von Chancengleichheit sind. Von daher werden wir uns in diesem Bereich auch weiterhin mit Nachdruck engagieren.
darauf vertrauen können muss, dass sie in Fällen von Grenzüberschreitung bei ihrem oder ihrer Vorgesetzen Gehör findet. Wenn sich eine Frau mit einer substantiierten und nachvollziehbaren Schilderung von Grenzüberschreitungen an ihre Vorgesetzte oder ihren Vorgesetzen wendet, muss klar sein, dass nicht sie selbst im Rahmen einer vorläufigen Maßnahme bis zur Klärung der Vorwürfe die Dienststelle verlassen muss, sondern derjenige, der die mutmaßlichen Grenzüberschreitungen begangen hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen: In diesem Fall - so belastend er auch für alle Beteiligten und zum Teil sogar für Unbeteiligte ist - liegt auch eine Chance. Es wird zwar -das steht schon jetzt fest - keine Gewinner geben. Aber er hat vielen die Augen geöffnet und viele sensibilisiert. Dieser Wandel ist für die Polizei, die Landesverwaltung insgesamt und unsere Gesellschaft von hoher Wichtigkeit. Es geht um eine offene Fehlerkultur, aus der anschließend die richtigen Konsequenzen gezogen werden, und um einen respektvollen Umgang untereinander, insbesondere beider Geschlechter, insbesondere auch von Männern zu Frauen in einer Arbeitswelt, in der alle gleichberechtigt beteiligt sind und dieselben Möglichkeiten haben. Das ist das, worum es geht, meine Damen und Herren!
Zu Frage 1 - zu welchem Zeitpunkt hat Herr Minister Pistorius in welcher Form Kontakt zu Polizeipräsident Pientka gehabt, seitdem das Innenministerium über die fraglichen Vorgänge informiert war? -: Siehe Vorbemerkung.
Vielen Dank, Herr Minister. - Es liegt der Wunsch nach einer ersten Zusatzfrage von Herrn Kollegen Jan-Christoph Oetjen vor. Bitte sehr!
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Sie haben ausgeführt, dass das Innenministerium am 26. Juli
schriftlich über die Vorfälle informiert wurde. Ich frage Sie: Hat ein Mitarbeiter des Landespolizeipräsidiums oder des Innenministeriums auch schon vor dem 26. Juli Kenntnis von den Vorgängen in der Polizeiinspektion Wolfsburg gehabt?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meines Wissens hat im Landespolizeipräsidium vor diesem Datum niemand etwas über die Vorgänge gewusst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben ausgeführt, dass Sie die Entschuldigung des Polizeipräsidenten Pientka als sehr positiv bewerten und für angebracht halten. Dieses ganze Verfahren ist am 26. Juli bekannt geworden. Sie sind ab dem 27. Juli tätig geworden. Am 28. Juli gab es das Disziplinarverfahren gegen Herrn Pientka, was ihm am 29. Juli bekanntgegeben worden ist. Er hat am 5. August diese Pressekonferenz gegeben. Ich frage ich: Warum ist diese von Ihnen als berechtigt bezeichnete Entschuldigung erst nach fast einer Woche gegeben worden? - In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass wir als CDUFraktion nicht den Rücktritt von Herrn Pientka gefordert haben. Ich habe in jeder Antwort, die ich in dieser Angelegenheit gegeben habe, gesagt: Wir machen ein Fragezeichen dahinter.
(Beifall bei der CDU - Jens Nacke [CDU]: Konkretisieren Sie mal, wo die CDU den Rücktritt gefordert hat!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich korrigiere mich an der Stelle gerne, Frau Jahns. Vielen Dank für den Hinweis. Dann hat CDU das nicht gefordert. Das ist umso erfreulicher.
Was die Abläufe der Geschichte als solche angeht, habe ich die Vorgänge am 26. Juli im LPP dargestellt. Kurz darauf bin ich unterrichtet worden. Ich habe mit Herrn Pientka am 4. August gesprochen. Das waren einfach die Abläufe. Herr Pientka war zu dem Zeitpunkt im Urlaub. Ich war auch ein paar Tage weg. Wir haben die Gespräche dann geführt, sobald wir zusammen kamen. Das war einfach der Ablauf der Dinge. Dass das Disziplinarverfahren unmittelbar durch das LPP eingeleitet wird, ist ein völlig normaler Vorgang, wenn solche Vorwürfe bekannt werden. Das ist der formale Einleitungsschritt. Alles andere folgt an den Tagen darauf. So viele Tage lagen auch nicht dazwischen.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Jan-Christoph Oetjen von der FDP-Fraktion. Bitte!
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ist es zutreffend, dass für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens oder von disziplinarrechtlichen Schritten ab der Besoldungsgruppe A 15 - in Klammern: also der Besoldungsgruppe von Herrn Podehl - das Innenministerium zuständig ist, sodass Herr Pientka eigentlich am 8. Juni, als er von den Vorwürfen gegenüber Herrn Podehl Kenntnis bekommen hat, rein dienstrechtlich das Innenministerium hätte einschalten müssen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Oetjen, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder kann die vorgesetzte Behörde, in dem Fall die Polizeidirektion Braunschweig, selbst die Entscheidung treffen, disziplinarische Ermittlungen einzuleiten, oder das Innenministerium kann es in diesen Fällen tun. Da das Innenministerium zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von den Vorgängen hatte, konnte das Innenministerium es nicht tun. Der Polizeipräsident hatte sich, wie auch von ihm selbst ausgeführt, entschieden, nach dem Sachverhalt, wie er ihn wahrgenommen hatte, den er - wie er später einräumte - falsch eingeschätzt hat, keine Ermittlungen einzuleiten.