Protocol of the Session on January 21, 2011

Kommt jetzt Ihre Frage!

- - - damit Minister Althusmann seine einstündige Regierungserklärung abgeben konnte, frage ich die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass sich trotz der von Ihnen dargestellten Entfrachtung der Kerncurricula nach allem, was wir in Niedersachsen von den Schülerinnen und Schülern des G 8 hören, die Allermeisten im G 8 von Inhalten überfrachtet und überfordert fühlen,

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Warum gehen sie dann dahin?)

welche Konsequenzen sie aus der vom Verband Deutscher Ingenieure zitierten wissenschaftlichen Studie zieht, dass durch das Turboabitur z. B. in Sachsen-Anhalt der Notendurchschnitt im Kernfach Mathematik um 10 % gesunken ist, und wie die Landesregierung der Sorge des VDI begegnen wird, dass durch das Turboabitur die Ausbildung in den Ingenieurwissenschaften erheblichen Schaden nehmen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das waren sechs Fra- gen!)

Herr Minister!

Lieber Herr Hagenah, in der Tat fehlen in den nächsten fünf bis zehn Jahren deutschlandweit ca. 40 000 Ingenieure. Das hat aber absolut nichts mit dem doppelten Abiturjahrgang zu tun. Im Gegenteil: Wenn Sie einmal den Weser Kurier, die Hannoversche Allgemeine Zeitung oder auch andere Zeitungen lesen, werden Sie feststellen: Die deutsche Wirtschaft - auch die Ingenieure - freut sich ausdrücklich auf den doppelten Abiturjahrgang.

(Ina Korter [GRÜNE]: Er hat nach dem G 8 gefragt und nicht nach dem doppelten Abiturjahrgang!)

Wir können beim Fach Mathematik anhand der uns vorliegenden Zahlen keine signifikanten Unterschiede mit Blick auf die von uns stichprobenhaft untersuchten Schulen feststellen. Im Gegenteil: Zum Teil sind die Durchschnittszahlen der Schülerinnen und Schüler des sogenannten G-8-Jahrgangs besser. Ich weiß nicht, ob Sie den Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gelesen haben, in dem über zwei Schwestern berichtet wird, die sich in einem Jahrgang befinden. Offensichtlich ist zwischen den beiden ein absoluter Konkurrenzwettbewerb entstanden. Die Jüngere will besser sein als die Ältere.

Dies stellen wir landesweit in einer Vielzahl von G-8-Schülerjahrgängen fest. Wir stellen fest, dass sich diejenigen, die jetzt verkürzt zum Abitur geführt werden, hoch motiviert auf dieses doppelte Abitur, das im März dieses Jahres beginnt, vorbereitet haben, frei nach dem Motto: Wir können es

auch schaffen. - Uns liegen inzwischen Zahlen und Presseberichte aus anderen Schulen vor, wonach die Schule nicht mehr erkennen kann - und sich die Namen vorlegen lassen muss -, ob es sich dabei um einen Schüler aus G 8 oder G 9 handelt. Der Schulleiter berichtet, er könne überhaupt nicht mehr erkennen, ob das die Jüngeren oder die schon etwas Älteren sind. Zum Teil kann es nämlich dazu kommen, dass zwischen 17- und 21Jährige in einer Klasse sitzen.

Nun noch zu der Frage des Mathematikunterrichts. Nach unserer Kenntnis sind die Kerncurricula insbesondere im Fach Mathematik durch die Multiplikatorenveranstaltung - ich habe einmal an einer solchen Veranstaltung im Rahmen eines Grußwortes teilnehmen dürfen - geändert worden. Dort kommt quasi die Elite der Mathematiklehrer zusammen, um die Kerncurricula in Niedersachsen zu überarbeiten bzw. neue Vorschläge für den Mathematikunterricht zu machen. Ich hatte bei dieser Veranstaltung nicht den Eindruck, dass irgendjemand Zweifel daran hätte, dass der Mathematikunterricht in Niedersachsen in irgendeiner Frage qualitativ nicht den Ansprüchen entspräche, um anschließend gegebenenfalls ein ingenieurwissenschaftliches Studium zu erreichen.

Es gibt ohne Zweifel - dies gebe ich zu, Frau Korter - eine Diskussion über das Fach Mathematik im Speziellen, ausgelöst durch die Industrie- und Handelskammer Braunschweig, die mit uns vor Weihnachten ein Gespräch führen wollte. Dies musste aber aufgrund terminlicher Verpflichtungen abgesagt werden. Frau Wanka und ich wollten gemeinsam mit Vertretern der IHK und einigen Experten über folgende Fragen sprechen: Was können wir tun, um im Fach Mathematik noch besser zu werden? Was können wir in der inhaltlichen Ausgestaltung des Kerncurriculums für die einzelnen Jahrgänge tun? Wo können wir noch besser werden? Wie können wir die Lehrerausbildung und -fortbildung in dieser Frage noch weiter verbessern? - Dieses Gespräch werden wir noch nachholen. Ich hatte den Eindruck, dass wir hier im Grundsatz auf einem guten Weg sind, was jedoch nicht ausschließt, dass man noch besser werden kann.

Die Tatsache, dass wir aus dem Kerncurriculum Mathematik einzelne Punkte - ich habe sie vorhin genannt, nämlich den Höhen- und Kathetensatz und andere Fragen - herausgenommen haben, führt nicht dazu, dass die Schülerinnen und Schüler größere Schwierigkeiten hätten, hinterher ein ingenieurwissenschaftliches Studium zu ergreifen.

Im Gegenteil: Ich meine mich zu erinnern, dass gerade Niedersachsen bei der Mathematikolympiade im Fach Mathematik besonders gute Leistungen der Schülerinnen und Schüler nachzuweisen hat. Auch im Bereich „Jugend forscht“ kann Niedersachsen immer wieder darauf verweisen, dass gerade Schüler aus unserem Land insbesondere im Fach Mathematik besonders leistungsfähig sind.

(Zustimmung von Astrid Vockert [CDU])

Ich möchte Ihnen damit nur sagen: Das, was Sie hier geschildert haben, erscheint mir nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Korter stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich der Kultusminister jetzt fast eine Stunde lang Mühe gegeben hat, uns zu erzählen, warum das mit der Abi-Flucht in Niedersachsen im ersten G-8-Jahrgang nicht so schlimm sei, und vor dem Hintergrund, dass Sie dem Parlament auf die Frage eines CDU-Kollegen bereits gesagt haben, wie die Rückläuferquote an den IGSen in der gymnasialen Oberstufe ist, möchte ich vom Kultusminister bzw. der Landesregierung gerne wissen: Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die absoluten und relativen Zahlen der Rückgängerquote aus dem Gymnasium im ersten G-8-Jahrgang? Diese Zahl haben Sie uns noch nicht genannt. Sie sagen, das stehe nur in der HAZ und es gebe gar kein Problem.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister, bitte!

Ich wiederhole: Schülerentwicklungszahlen in der gymnasialen Oberstufe an den Integrierten Gesamtschulen - dies haben wir uns angeguckt - im Vergleich der Einführungsphase zum Schuljahrgang 13: minus 25 %. Im Vergleich der Qualifikationsphase 1 Jahrgang 12 zum Jahrgang 13 bei den Integrierten Gesamtschulen sind es minus 21 %. Das heißt, auch dort ist ein erheblicher Rückgang zu verzeichnen.

Nun zu den Zahlen, die den Jahrgang G 8 betreffen: Wir haben im ersten Halbjahr 2009/2010 23 004 Schülerinnen und Schüler für den G-8Jahrgang. Im zweiten Halbjahr 2009/2010 sind es 20 674 Schülerinnen und Schüler. Im ersten Halbjahr 2010/2011 sind 18 762 Schülerinnen und Schüler zu verzeichnen. Ich glaube, damit ist die Frage beantwortet.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Kollegin Heiligenstadt stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Minister kann noch 20 Zusatzfragen von der CDU-Fraktion bestellen, um hier zu inszenieren, dass die Realität eine andere ist. Aber die Schülerinnen und Schüler haben längst mit den Füßen abgestimmt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vor dem Hintergrund, dass die SPD-Fraktion bereits im Oktober letzten Jahres zu den hohen Rückläuferquoten an einzelnen Gymnasialstandorten im Land eine Frage gestellt und um Daten gebeten hat, die Landesregierung geantwortet hat, sie habe keine Daten, Herr Dr. Althusmann aber nun hier die Daten für die IGSen explizit erhebt, frage ich die Landesregierung: Warum haben Sie kein Interesse an den Rückläuferquoten an den Gymnasien in Niedersachsen?

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Herr Minister, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Heiligenstadt, natürlich haben wir Interesse an diesen Rückläufern. Wir haben versucht - insbesondere mit Blick auf diese Anfrage -, die Zahlen und Daten nach bestem Wissen und Gewissen zusammenzuführen und zu bewerten.

Ich habe am Anfang gesagt, nach unserer Ansicht handelt es sich um eine Vielzahl von Ursachen, die letztendlich dafür ausschlaggebend gewesen sind, den Schuljahrgang zu wiederholen: Verbesserung der Noten, vielleicht ein Jahr im Ausland gewesen und andere Ursachen.

Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht - auch im Ministerium haben wir darüber gesprochen -, jetzt noch eine Abfrage zu starten und die Schulen zu bitten, uns über die einzelnen Entscheidungsgründe der Schülerinnen und Schüler Auskunft zu geben.

Ich kann Ihnen sagen, dass wir nach reiflicher Überlegung von dieser Motivforschung abgesehen haben: Was war der Grund? Habt ihr einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen? Wollt ihr lediglich die allgemeine Fachhochschulreife erreichen? Ist es zu schwer? Was sind tatsächlich die Gründe? - Solche Fragen hätten wir den Schulen jetzt stellen müssen.

Ich habe am Ende entschieden, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu tun; denn die Schulen leiden unter einem am meisten - ich will Ihnen das nur einmal sagen -: Jede Anfrage - egal von welcher Fraktion, egal ob das Große oder Kleine Anfragen sind - hat in der Regel immer, auch wenn es eine Kleine Anfrage ist, große Wirkung. Denn wenn wir Kleine Anfragen von Ihnen - wie diese - beantworten, fragen wir natürlich sowohl die Landesschulbehörde als auch die Fachabteilungen und versuchen, alle Informationen dazu zusammenzustellen. In aller Regel fragen wir auch noch bei den Schulen ab.

Ich habe bewusst davon Abstand genommen, die Schulen in den Vorbereitungen zur Abiturprüfung - ich wiederhole: 26. März - wenige Wochen vor dem Ende des Doppelabiturjahrgangs mit einer umfangreichen Abfrage zu belasten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sehr richtig!)

Dies schließt aber überhaupt nicht aus, dass wir uns nach der Absolvierung des doppelten Abiturjahrgangs mit dieser Frage sehr wohl noch einmal auseinandersetzen.

(Ralf Borngräber [SPD]: Unsere An- frage war vom 7. Oktober! Sie haben genug Zeit gehabt!)

Ich möchte noch auf die Unterschiedlichkeit in den Regionen eingehen. Auf die Motivforschung und die unterschiedlichen Motive bin ich bereits eingegangen.

Gestatten Sie uns bitte, dass wir über die sehr unterschiedlichen Berichterstattungen sehr wohl irritiert sind. In Hannover hat es ausweislich der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung eine sehr lebhafte Diskussion gegeben, wobei Schülerinnen

und Schüler sehr unterschiedlich reagiert haben. Einige haben gesagt „Nein, ich habe überhaupt gar keine Angst“, und andere haben gesagt „Das ist alles ganz schwierig“.

Ich möchte nur einmal die Leine-Nachrichten aus Laatzen-Hemmingen zitieren: „Im Gegensatz zu anderen Schulen hat das anstehende Doppelabitur an der KGS keine Auswirkungen auf die Zahlen.“ Überschrift: „AES-Schüler zeigen Selbstbewusstsein“.

Ich zitiere: „Dass die Schüler, die in diesem Frühjahr ihr Abitur machen werden, es schwerer haben als andere Jahrgänge, ist kaum zu bestreiten.“ Aber es sind nur „etwa 20 Schüler ab- oder zurückgegangen“, „aus verschiedenen Gründen“. „Zum Teil sei absehbar gewesen“ - so Schulleiter Becker -, „dass die Schüler das Abitur nicht schaffen würden, einige hätten argumentiert, dass sie sich durch eine Wiederholung ein besseres Abitur erhoffen. Becker vermutet, dass sich einige Schüler die Bedenken, die ihnen von Eltern und Lehrern entgegengebracht wurden, zu eigen gemacht hätten.“

Ich glaube, das alles hat auch ein bisschen etwas mit einer Self-Fulfilling Prophecy zu tun, nach dem Motto: Je länger wir darüber reden, desto mehr glauben wir daran.

Ich will nur sagen: In einzelnen Schulen und auch bei einzelnen Schülern führt dieses ständige Problematisieren, dass alles ganz schwierig ist, irgendwann zu dem Eindruck: Ich schaffe das nicht mehr.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Sie verharmlosen das Problem! - Weitere Zurufe von der SPD - Glocke des Präsidenten)

- Ich habe ja gar nicht gesagt, dass das generell der Fall ist. In Schulen, wo sehr offen damit umgegangen wird, wo Arbeitsgemeinschaften und Lerngruppen gebildet werden, um sich gemeinsam auf das Doppelabitur vorzubereiten, gibt es diese Prozesse, wie sie hier dargestellt wurden, eben nicht.

„Die ‚Turbo’-Abiturienten in Emden wollen durchhalten“.