Auf der Grundlage des vorhandenen und bislang fast ausschließlich anonymisierten Datenmaterials müssen für das Gebiet durch weitergehende Untersuchungen noch zusätzliche Detailinformationen gewonnen werden wie z. B. zur Berufstätigkeit oder zum Wohnort.
Das weitere Vorgehen ist wie folgt vereinbart: Der für die Gesundheitsvorsorge zuständige Landkreis Wolfenbüttel informiert die Menschen vor Ort umfassend über die jüngsten Ergebnisse. Betroffene werden gebeten, sich mit dem Gesundheitsamt bzw. ihrer Ärztin oder ihrem Arzt in Verbindung zu setzen, damit die Ursachen für ihre Erkrankung genauer untersucht werden können.
Unter der Federführung des Landkreises Wolfenbüttel wurde eine Expertengruppe eingerichtet, die am 30. November 2010 ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie wird vertiefende Daten heranziehen. Beteiligt sind das niedersächsische Sozialministerium, das niedersächsische Umweltministerium, das Landesgesundheitsamt, das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen und das Bundesamt für Strahlenschutz. Das vom Bundesamt für Strahlenschutz geplante Gesundheitsmonitoring ab 2011, bezogen auf die Bevölkerung für den Bereich der Samtgemeinde Asse, wird in die Arbeit der Expertengruppe einbezogen.
Meine Damen und Herren, die Niedersächsische Landesregierung unterstützt den Landkreis Wolfenbüttel bei allen Bemühungen ganz ausdrücklich. Wir wollen uns aber nicht auf die sorgfältige Analyse rund um die Samtgemeinde Asse und den Landkreis Wolfenbüttel beschränken. Wir sehen,
dass die Analyse auf Ebene der Landkreise in manchen Fällen nicht genügend Aufschluss gibt. Deswegen ist ein Konzept für ein kleinräumiges Monitoring durch das EKN in Vorbereitung, das die bisherige kreisweise Darstellung verfeinern wird bis hinunter auf die Gemeindeebene. Dies erfordert ein sorgfältiges Vorgehen, damit wir gerade bei niedrigen Fallzahlen zufällige Schwankungen von tatsächlich belastbaren Veränderungen unterscheiden können.
Wir planen das über einen stufenweisen Ausbau. Derzeit erscheint uns sinnvoll, entsprechend dem Aufbau des Krebsregisters in den Jahren 2000 bis 2003 auch die kleinräumige Analyse über den ehemaligen Regierungsbezirk Weser-Ems, dann Lüneburg, Braunschweig und Hannover durchzuführen, um am Ende ein flächendeckendes verlässliches System für ganz Niedersachsen zu haben. Die Einführung eines Gemeindemonitorings ist aber erst mittelfristig zu erwarten und bedarf gründlicher epidemiologischer und datenschutzrechtlicher Erwägungen. Eine Abstimmung mit den übrigen Ländern soll ebenfalls erfolgen.
Davon unabhängig werden wir uns Sonderauswertungen zu verschiedenen Gemeinden ansehen. Dazu werden zum Beispiel auch Standorte kerntechnischer Anlagen gehören. Hierzu können uns erste Zahlen in ca. einem halben Jahr vorliegen. Wir haben dann zwar Zahlen, aber - ich betone es jetzt hier noch einmal - noch keine Ursachenfeststellung. Ich muss auch noch einmal daran erinnern: Das Krebsregister kann nur so gezielt analysieren, wie es über vollständige Meldungen verfügt. Dies ist jetzt nur zu etwa 50 % der Fall. Daher plädiere ich für die Einführung einer generellen Meldepflicht. Damit würden uns die erforderlichen Details zum Beispiel zum Wohnort und zur Arbeitsanamnese schneller zur Verfügung stehen. An einem Gesetzentwurf wird bereits gearbeitet.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch für die Landesregierung noch einmal betonen, dass wir größten Wert auf eine bestmögliche und ergebnisoffene Ursachenabklärung legen.
Wir müssen - auch das sei nochmals betont - sorgfältig und systematisch sowohl die Belastbarkeit der statistischen Daten prüfen als auch nach Kausalzusammenhängen suchen. Ein gründliches Vorgehen ist für mich das oberste Gebot. Das gilt nicht nur für die vor uns liegende Arbeit in der Samtgemeinde Asse, im Landkreis Wolfenbüttel oder auch in den anderen Landkreisen, sondern
auch für die Landesebene und für das Krebsregister. Hier geht es letztendlich um Menschen. Wir wollen doch eine ergebnisoffene, aber auch gründliche Ursachenabklärung.
Die Ursache für die Erkrankungen in der Samtgemeinde Asse kennen wir bis heute nicht. Ein Zusammenhang mit der Schachtanlage Asse II kann derzeit nicht hergeleitet werden.
Zu 1: Während der gesamten messtechnischen Überwachung der Schachtanlage Asse II durch die unabhängige Messstelle hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass es eine durch die Schachtanlage verursachte radiologische Belastung der Umgebung gab. Die in der Umgebung der Asse ermittelten Messwerte liegen im Schwankungsbereich der bundesweit im Rahmen des Integrierten Mess- und Informationssystems zur Überwachung der Umweltradioaktivität ermittelten Messwerte. Die Berichte zur Umgebungsüberwachung der Schachtanlage Asse II zeigen keine Beeinflussung der Umweltmedien durch den Betrieb der Anlage.
Aus den Daten der Emissionsüberwachung schätzen das Bundesamt für Strahlenschutz/AsseGmbH im Jahresbericht 2009 die potenzielle Strahlenexposition in der Umgebung konservativ für verschiedene Altersgruppen der Bevölkerung ab. Als maximale effektive Jahresdosis wird für die Altersgruppe „Säuglinge“ ein Wert von 26 Mikrosievert angegeben. Damit liegt die konservativ abgeschätzte, durch die Emissionen bedingte Strahlenexposition in der Umgebung der Schachtanlage weit unter den Grenzen der Strahlenschutzverordnung und im Bereich der Trivialdosis von einigen Zehn Mikrosievert. Die natürliche Strahlenexposition liegt im Bereich von 2 400 Mikrosievert, sodass die durch die Emissionen der Schachtanlage Asse hervorgerufene zusätzliche Strahlenexposition als Ursache nicht naheliegt.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Teilt die Landesregierung die Auffassung der Bundesregierung, dass es sich bei den Erkrankungen von Menschen in der Asse-Region um statistische Zufälle handelt?
Ich hatte eben gerade ausgeführt, dass die Daten der Menschen, die zurzeit als Krebsfälle gemeldet sind, noch nicht reanonymisiert sind. Wir brauchen die Einwilligung dieser an Krebs Erkrankten, damit wir überhaupt hineinschauen können: Was ist die Ursache? Was steckt dahinter? Welchen Berufsgruppen gehören die Erkrankten an? Wie lange leben sie dort? - Nur dann können wir überhaupt eine Aussage dazu treffen.
Wir haben jetzt hier eine Erhöhung festgestellt und haben das - das war für uns entscheidend - über einen längeren Zeitraum beobachtet. Diese Daten haben wir veröffentlicht. Alles andere wissen wir im Moment noch nicht.
Herr Präsident! Frau Ministerin, vor dem Hintergrund der seit Jahren bestehenden atomaren Belastung der niedersächsischen Bevölkerung durch Castortransporte, durch die Atommülllager Asse und Morsleben, durch das Zwischenlager in Leese und durch die drei AKWs Lingen, Grohnde und Unterweser sowie der Belastung der Bevölkerung der niedersächsischen Samtgemeinde Elbmarsch durch das schleswig-holsteinische Kernkraftwerk Krümmel und die Forschungsanlage in Geesthacht frage ich die Landesregierung, wie sie tatsächlich - ich betone: tatsächlich, nicht nur vage - die Gefahren für die niedersächsische Bevölkerung ein
schätzt in Bezug auf die vorliegenden wissenschaftlichen Tatsachen und die erkrankten Menschen hier bei uns in Niedersachsen.
Frau Ministerin, auch wenn die Frage zumindest teilweise über den Gegenstand der Dringlichen Anfrage hinausgeht, können Sie antworten, wenn Sie wollen.
(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Nor- bert Böhlke [CDU]: Das war kein Zwi- schenruf, das war ein Hinweis, Herr Präsident! - Weitere Zurufe)
- Meine Damen und Herren, Sie wissen, wie das mit Kritik am Präsidium ist. Wir wollen das nicht ausprobieren. - Frau Ministerin, bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Bezug auf die Krebsfälle in der Samtgemeinde Asse hatte ich gerade ausgeführt, dass wir zurzeit keine Ursachenfeststellung treffen können. Wir haben uns in den vergangenen Jahren - das ist bekannt; das werden wir auch in Zukunft tun - aktiv an allen Studien beteiligt, die im Zusammenhang mit der Erforschung der Ursachen und kausaler Zusammenhänge eingeleitet wurden. Es gibt diverse Studien - auch Sie kennen sie; wir haben sie hier schon öfter diskutiert -, die aber alle keine Ursache und keinen kausalen Zusammenhang mit Kernkraftwerken und entsprechenden Beeinflussungen der Umgebung feststellen konnten. Deshalb können wir hier keine Aussagen darüber treffen - wie Sie es fordern -, ob Kernkraftwerke eine Gesundheitsgefährdung darstellen. Eine solche Erkenntnis liegt uns nicht vor.
Wissenschaftler Kusmierz, Voigt und Scherb ergab, dass in Remlingen während der Betriebsphase der Asse bis zu 25 % weniger Mädchen als Jungen geboren wurden, und sich diese Fakten mit einem ähnlichen, europaweiten Phänomen nach Tschernobyl und mit einer neuen Studie decken, die die Umgebung von 32 deutschen und schweizerischen Atomanlagen untersucht hat, frage ich Sie: Halten Sie es für ausgeschlossen, dass das um die Asse aufgetretene Phänomen auf die schädigende Wirkung atomarer Strahlung zurückzuführen ist?
Ich kann es leider nur wiederholen: Solche Erkenntnisse liegen uns im Moment noch nicht vor. Ich habe gerade dargestellt, dass wir mit der Expertengruppe anhand der Daten, die wir jetzt verfeinern und die uns Mitte Dezember vorliegen werden, wenn wir auch sozusagen eine Anamnese der betroffenen Personen haben, gründlichst ermitteln wollen, was dahintersteht. Alles andere, was jetzt passiert, ist Spekulation. Ich warne davor, hier voreilige Schlüsse mit Bezug auf die Samtgemeinde Asse zu ziehen. Wir sollten uns die Zeit nehmen - das sind wir den Menschen schuldig -, sauber und genau zu analysieren und zu argumentieren, und nicht mit den Ängsten und Betroffenheiten der Menschen spekulieren.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Bundesumweltminister am 1. Dezember erklärt hat, die beobachteten Fälle könnten nicht mit der Strahlenbelastung aus der Asse erklärt werden, und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass seine Staatssekretärin am 8. Dezember erklärt hat, sie wolle die Strahlenschutzkommission des Bundes mit weiteren Untersuchungen beauftragen, frage ich
Sie, Frau Ministerin: Hat sich der Bundesumweltminister oder seine Staatssekretärin mit der Landesregierung in Verbindung gesetzt, um die Zusammenarbeit mit dem hiesigen Sozialministerium und dem Landkreis Wolfenbüttel auch im Hinblick auf die Methodik und auf die zu schaffenden notwendigen Voraussetzungen für weitere Untersuchungen abzustimmen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen in intensivem Kontakt mit dem Bundesamt für Strahlenschutz. Ich hatte vorhin ausgeführt, dass wir im Landkreis Wolfenbüttel eine Expertengruppe unter der Federführung des Landkreises eingerichtet haben. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist dort auch mit dabei.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat bereits zeitig vorher beschlossen, dort ein Gesundheitsmonitoring der Bevölkerung durchzuführen. Das ist insofern ein Verfahren, das schon vorher angekündigt wurde. Ich habe eben bereits dargestellt, dass die Ergebnisse aus diesem Gesundheitsmonitoring in unsere Expertenarbeit mit einfließen werden.