Protocol of the Session on October 7, 2010

Ich meine, wir sollten auch keine Angst davor haben, dass deutsche Mediziner ins Ausland gehen. Das ist eine hervorragende Sache. Denken Sie einmal daran, dass ein aufstrebendes Entwicklungsland wie Kuba auch Ärzte in andere Länder schickt, zum Beispiel nach Venezuela, nach Afrika und in andere Länder Lateinamerikas. Das ist keine schlechte Sache.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber zurück zum Antrag der SPD. Natürlich ist eine Medizinerausbildung sehr teuer, und die Bundesländer sind daran ungleich beteiligt. Das Land Bremen hat überhaupt keine Medizinerausbildung. Deshalb könnte man natürlich auf die Idee kommen, einen Staatsvertrag mit allen Bundesländern abzuschließen, damit sich alle gleichmäßig an den Kosten beteiligen. Ich will diesen Gedanken aber, ehrlich gesagt, gar nicht weiter verfolgen, weil dann nämlich herauskäme - Frau Wanka hat uns heute Morgen darüber informiert -, dass Niedersachsen nur mit 6,7 % an den Kosten beteiligt ist, obwohl der Anteil Niedersachsens an der Bundesrepublik 10 % ausmacht. Das heißt, wir müssten

bei einem Staatsvertrag dazu bezahlen, Bremen natürlich erst recht.

Mit anderen Worten: Wir müssen uns dem Thema schon ernsthaft zuwenden. Aber dabei ist der Antrag der SPD-Fraktion nicht in jeder Hinsicht zielführend. Ich finde es verniedlichend, Herr Wulf, wenn Sie in Ihrem Antrag von einer Anschubfinanzierung sprechen; denn der Begriff „Anschubfinanzierung“ suggeriert doch, man müsste nur am Anfang Geld in die Hand nehmen und dann liefe es von alleine weiter. Das ist aber bei Medizin nicht der Fall, sondern das ist ein Studiengang, der immer teuer ist und auch über die Jahre teuer bleibt. Das müssen wir uns dabei vor Augen halten.

Da Sie in dem vorletzten Punkt Ihres Antrags geschrieben haben, finanziell und personell dürfe das nicht zulasten der anderen Studiengänge gehen, müssen Sie natürlich die Diskussion in Oldenburg im Auge behalten. Dort gibt es nämlich einen Globalhaushalt. Das führt dazu, dass die Ängste bei allen anderen umgehen, und zwar wegen ganz weniger Medizinstudenten; da ist von etwa 30 bis 35 die Rede. Da dieser Studiengang nun einmal so teuer ist, werden bei uns ganze Einrichtungen gefährdet. Diese Angst muss ausgeräumt werden. Nur dann kann ernsthaft über Medizin diskutiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb muss der Antrag so umformuliert werden, dass sozusagen die Schonung der übrigen Studiengänge die Bedingung dafür ist, dass wir überhaupt über Medizin nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir dann die Frage stellen, wie eine solche Einrichtung, für die das Land natürlich ganz erhebliche Geldmengen in die Hand nehmen müsste, zu finanzieren ist, dann kann ich Ihnen sagen: Lieber in Niedersachsen eine medizinische Fakultät mehr als ein Gefängnis, das wir sowieso nicht brauchen.

(Beifall bei der LINKEN - Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Sehr gut!)

Nächste Rednerin ist Frau Hartmann für die CDUFraktion. Ich erteile Ihnen das Wort.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Wo ist denn Herr Thümler?)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Andretta, bei uns ist es so: Wir kämpfen immer gemeinsam. Deswegen spreche ich heute für die CDU-Fraktion zu diesen beiden Anträgen.

Lieber Wolfgang Wulf, sicherlich haben wir in der Analyse, welche Bedeutung eine medizinische Fakultät an der Universität Oldenburg haben könnte, in vielen Bereichen eine ähnliche Auffassung. Bei der Analyse, wie man dem Ärztemangel in Deutschland begegnen kann und welche Lösungen wir anbieten müssen, haben wir aber sicherlich unterschiedliche Auffassungen. Sie haben eben gesagt, die einzig richtige Lösung sei, die Anzahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen. Ich glaube, dass die Frage des Ärztemangels in Deutschland vielschichtiger ist und dass es dabei nicht nur um die Frage von Studienplätzen geht. Es ist nämlich ein Problem der Verteilung der Ärzte zwischen Städten, Ballungsräumen und ländlichen Regionen. Es ist also auch eine Frage der Entwicklung des ländlichen Raums als attraktiver Arbeitsplatz. Aber natürlich ist es auch - dies haben Sie richtig ausgeführt - eine Frage der Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte.

Natürlich gibt es noch andere Faktoren. Heute haben wir in Deutschland mehr Ärzte als je zuvor. Im Jahr 2000 gab es noch 109 000 Ärztinnen und Ärzte. Heute haben wir fast 150 000 Ärztinnen und Ärzte.

(Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Niedergelassene Ärzte!)

Wir haben das Problem, dass sich die Arbeitsbedingungen durch den demografischen Wandel verändert haben und dass die Feminisierung des Ärzteberufs dazu führt, dass entsprechend mehr Ärzte benötigt werden, weil sich Ärztinnen für andere Arbeitszeitmodelle entscheiden. Aber auch der medizinische Fortschritt trägt dazu bei.

Ein anderer Punkt - dies haben Sie meiner Meinung nach hier nicht ausgeführt - ist die Frage: Wie schaffen wir es eigentlich, dass tatsächlich mehr Absolventen den Arztberuf wählen? - Wir wissen, dass das Medizinstudium in Deutschland das teuerste Studium ist und dass nur 60 % der Absolventinnen und Absolventen tatsächlich den Arztberuf wählen, während die anderen in andere, attraktivere Bereiche, möglicherweise in der Wirtschaft oder im Ausland, gehen. Dieser Frage müssen wir uns auf jeden Fall stellen. Hier müssen wir ansetzen.

(Zustimmung bei der CDU)

Die CDU-Fraktion begleitet das Thema European Medical School, wie Sie schon richtig ausgeführt haben, positiv. Ich glaube aber, angesichts der Dimensionen, über die wir hier reden, ist es zu kurz gesprungen, dies möglicherweise als entwicklungspolitische Maßnahme für den nordwestdeutschen Raum allein unter dem Aspekt zu betrachten, wie wir das im nächsten Jahr mit dem doppelten Abiturjahrgang hinbekommen. Darüber sind wir uns wohl einig. Deswegen ist es ein bisschen problematisch, diese beiden Anträge gemeinsam zu beraten.

Die medizinische Fakultät in Oldenburg, die angestrebt wird, basiert auf drei Säulen: zunächst einmal auf der Gründung der medizinische Fakultät an der Universität Oldenburg, dann auf der Zusammenführung der Oldenburger Kliniken zu einem Universitätsklinikum und anschließend auf dem Doppelstudium Oldenburg/Groningen nach europäischen Vorgaben der Bologna-Reform als European Medical School.

Sie haben eben die Vorbehalte des Bundesgesundheitsministers angesprochen. Ich meine, man muss einmal positiv betrachten, dass es eine Auseinandersetzung darüber gibt, wie man dieses Studium konkret gestalten kann; denn hier geht es immerhin um einen hoch angesehenen Beruf, der in Deutschland viel Vertrauen genießt. Dass man sich dann darüber austauscht, wie man dieses Studium gestaltet, auch im Rahmen der BolognaReform, kann man nur positiv sehen. Ich glaube, dass man da zu Ergebnissen kommen wird.

Ziel bleibt natürlich ein sechsjähriges Studium zum approbierten Arzt unter Beibehaltung der humanistischen Tradition und der Wahrung der gewachsenen und sicherlich auch bewährten Werte der Medizin.

Im Bereich des Nordwestens ist sicherlich auch noch ein anderer Punkt von Relevanz, nämlich die Frage der Auswirkungen auf die Gesundheitswirtschaft. Was viele sicherlich nicht wissen, ist, dass im Bereich des Nordwestens mittlerweile immerhin jeder siebte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplatz in der Gesundheitswirtschaft angesiedelt ist. Das ist der mit Abstand größte Wirtschaftszweig der nordwestdeutschen Region. Insofern ist eine neu zu gründende medizinische Fakultät in Oldenburg auch Wirtschaftsfaktor und Impulsgeber für die regionale Entwicklung.

Das Gutachten des Medizinausschusses hat ein überwiegend positives Urteil zu den Plänen abgegeben. Das Gutachten gibt auch Hinweise, was die

Finanzierungsfragen angeht; das müssen Sie einräumen.

Ich glaube, dass wir als verantwortliche Politikerinnen und Politiker, insbesondere aus dem Nordwesten Deutschlands, hier gut beraten sind, dies gemeinsam zu erörtern. Wir müssen natürlich das Votum des Wissenschaftsrates abwarten. Das gebietet nicht nur der gebührende Respekt vor dem Wissenschaftsrat, sondern es ist auch eine Voraussetzung. Es ist natürlich auch deshalb sinnvoll, weil der Wissenschaftsrat auch inhaltliche Bewertungen vornimmt und Hinweise dazu gibt, wie sich ein solches Studium gestalten kann. Daraus ergeben sich möglicherweise Erkenntnisse, wie viel Geld für eine solche Fakultät überhaupt benötigt wird. Deswegen ist es richtig, dass wir erst einmal das Votum des Wissenschaftsrats abwarten. Die Hinweise, die sich daraus für die Finanzierungsfragen ergeben, können wir dann im Wissenschaftsausschuss ausführlich debattieren. Man sieht ja, dass viele die Meinung vertreten, dass das eine sinnvolle Einrichtung ist, vorausgesetzt, man kann sie finanzieren. Dann müssen wir natürlich darüber beraten, wie man so etwas bewerkstelligen kann.

Bei diesem Vorhaben gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das ist unsere Auffassung. Die 40 Studienplätze, die dort geschaffen werden sollen, können in jedem Fall nicht dafür herhalten, den doppelten Abiturjahrgang zu bewältigen. Darüber sind wir uns wohl einig.

Vielleicht ist es der richtige Weg, dass wir jetzt erst einmal gemeinsam feststellen, dass wir uns darüber einig sind, dass das ein positives Vorhaben ist, dass wir aber noch nicht wissen, wie so etwas ausgestaltet werden kann, und dass die Finanzierungsfragen noch im Raume stehen und unbeantwortet sind.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Dr. Heinen-Kljajić, Sie haben das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Worüber wir hier doch reden, ist, dass Niedersachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern zu wenige Studienplätze hat. Das gilt auch für den Bereich der Medizinerausbildung. Neben

der Frage des zunehmenden Ärztemangels, der, wie ich glaube, mit mehr Studienplätzen vermutlich nicht wirklich zu beheben ist, sind es vor allem die Interessen der Absolventinnen des Abiturjahrgangs, die hier tangiert sind. Mit Verlaub, Frau Ministerin Wanka, da nutzen wohl auch die Kapazitäten in den neuen Bundesländern wenig; denn auch sie sind ausgelastet. Das heißt, wer zum Wintersemester 2011 in Niedersachsen ein Medizinstudium aufnehmen will, wird logischerweise utopisch hohe Hürden des Numerus clausus zu nehmen haben, und das Gros der Bewerberinnen wird leer ausgehen.

Die Anträge der SPD-Fraktion setzen also an dem Punkt genau an der richtigen Stellen an. Wir unterstützen daher die Forderung an die Landesregierung, sich am Sonderprogramm einer 10prozentigen Steigerung der Zahl der Humanstudienplätze zu beteiligen bzw. sich nach jetzigem Stand der Dinge erst einmal dafür einzusetzen, dass es ein solches Programm zwischen den Ländern und dem Bund überhaupt geben wird.

Spannend ist natürlich die Frage, unter welchen finanziellen und organisatorischen Bedingungen zusätzliche Kapazitäten ausgebaut werden könnten. Als Billigvariante unter Bereitstellung nur eines Fünftels der eigentlich erforderlichen Mittel, wie es im letzten Jahr schon einmal angedacht war, funktioniert ein solcher Ausbau jedenfalls nicht. Von daher stellt der SPD-Antrag zwar im Grundsatz die richtigen Forderungen auf. Aber er bleibt - auch das sei gesagt - eine Antwort darauf schuldig, wie ein solches Sonderprogramm genau aussehen soll bzw. welche qualitativen Ausbildungsstandards Planungsgrundlage sein sollen. Dass die Landesregierung das Programm für Niedersachsen aber schon heute ausschließt, halten wir für falsch und offen gestanden auch für sehr kurzsichtig.

(Daniela Behrens [SPD]: Wir auch!)

Den zweiten Antrag, der das Projekt der Medizinischen Hochschule in Oldenburg angeht, unterstützen wir: zum einen, weil dadurch die Ausbildungskapazitäten im Fach Medizin in Niedersachsen ausgeweitet würden, zum anderen, weil dadurch eine geographische Unwucht in der Verteilung der Hochschulkliniken in Niedersachsen ausgeglichen werden könnte.

Spannend ist das Projekt aber nicht nur, weil eine Kooperation zwischen Hochschulen über Ländergrenzen hinweg praktiziert wird, sondern spannend ist es vor allem, weil sein Erfolg all denen weiteren Wind aus den Segeln nehmen würde, die uns im

mer noch weismachen wollen, der Abschied vom Staatsexamen sei der Anfang vom Ende des deutschen Gesundheitswesens.

Die Gutachter der wissenschaftlichen Kommission attestieren dem Modell ja durchaus, dass es den Anforderungen der Approbationsordnung entspricht. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass es eine Verständigung zwischen dem Wissenschaftsministerium und dem Bundesgesundheitsministerium gibt, falls das Votum der Fachkommission positiv ausfällt.

Aber auch das Land muss seine Hausaufgaben machen. Der Wissenschaftsrat hat bemängelt, dass die Kostenkalkulation neu berechnet werden muss. Das Projekt zu starten, macht aber nur dann Sinn, wenn die Finanzierung über die Anschubfinanzierung hinaus geklärt ist. Bis jetzt ist ja nur eine Anschubfinanzierung über das VW-Vorab angedacht. Das Land, lieber Herr Zielke, unterstützt den Antrag der Uni Oldenburg; jedenfalls hat das der vorherige Wissenschaftsminister getan.

(Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Ich doch auch!)

Wenn ich Frau Wanka bisher richtig verstanden habe, dann tut sie das auch. Sie kommen vor diesem Hintergrund erstaunlich spät, wenn Ihnen jetzt die Kosten zu hoch erscheinen. Unterstützen Sie also das Projekt, oder geben Sie dem MWK die Anweisung, der Hochschule zu signalisieren, dass man es nicht mehr unterstützt! Jedenfalls müssen den Schwüren jetzt auch Taten folgen. In diesem Sinne unterstützen wir diesen Antrag der SPDFraktion voll und ganz.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Ministerin Wanka. Frau Ministerin, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Antrages haben wir heute unterschiedliche Gründe gehört. Einer von ihnen war die These: Es gibt einen Ärztemangel. Wir brauchen mehr Medizinstudienplätze. - Das sehen aber wichtige Institutionen in Deutschland ganz anders. Gerade ist der neue Ärzteatlas erschienen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung oder der Me

dizinische Fakultätentag haben eine Einschätzung abgegeben, die da lautet: Es gibt in Deutschland nicht zu wenig Ärzte, sondern eher zu viele. Sie sind aber schlecht verteilt. - Die Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze ist also nicht die Lösung des Problems. Ich will das einmal kurz illustrieren.

Mitte der 90er-Jahre haben sich 54 % derjenigen, die ein Medizinstudium absolviert haben, niedergelassen und wurden Hausärzte. Heute - das hat eine große Untersuchung bei denen, die Medizin studieren, gezeigt - gehen 30 % wunschgemäß in die Pharmaindustrie oder in den öffentlichen Gesundheitsbereich. Möglichst viele wollen angestellter Arzt werden. Nur 38 % erwägen überhaupt, sich niederzulassen. Von diesen 38 % will über die Hälfte auf keinen Fall in einen Ort, der weniger als 2 000 Einwohner hat, sondern - Wunschziel - in einen Ort mit 100 000 bis 500 000 Einwohnern. Das heißt, wir haben ein großes Problem, das darin besteht, dass es in manchen Regionen jetzt schon und auch in Zukunft einen Mangel an Hausärzten, an niedergelassenen Ärzten gibt.

Dem kann man nicht begegnen, indem man mehr Studienplätze schafft. Es ist auch nicht so, Herr Wulf, wie gesagt wird, dass sie sich dort niederlassen, wo sie studieren. Dann müsste es ja in Greifswald und Rostock sehr gut aussehen. Das tut es aber nicht. Auch dort ist die Zahl derer, die sich niederlassen, begrenzt.