Protocol of the Session on August 19, 2010

Die Antworten der Landesregierung zu den Anfragen, die jetzt nicht mehr aufgerufen werden konnten, werden nach § 47 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung: Moratorium für das ÖPP-Projekt Neubau der Justizvollzugsanstalt Bremervörde - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2692

Den Antrag wird Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE einbringen. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Adler.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brauchen wir ein neues Gefängnis, wenn die Kriminalität und die Gefangenenzahlen rückläufig sind?

Das mit den Gefangenenzahlen will ich ein bisschen untermauern, indem ich auf die Gefangenenrate zu sprechen komme. Unter der Gefangenenrate versteht man die Zahl der Menschen, bezogen auf jeweils 100 000 Einwohner der Bevölkerung, die sich zum Stichtag 31. März eines jeden Jahres im Gefängnis befinden. Diese Gefangenenrate beträgt gegenwärtig in der Bundesrepublik 90. Noch im Jahre 2000 hat sie ungefähr 100 betragen. Die Ursachen dafür sind vielfältiger Natur. Unter anderem hängt das auch mit dem demografischen Wandel zusammen, weil alte Menschen erfahrungsgemäß nicht so häufig kriminell werden.

Niedersachsen liegt, wenn man die einzelnen Bundesländer vergleicht, mit seiner Gefangenenrate unter dem Bundesdurchschnitt, aber immer noch deutlich höher als z. B. Schleswig-Holstein. Da die Kriminalität bundesweit ziemlich gleich verteilt ist - Besonderheiten bestehen natürlich in den Stadtstaaten -, ist die unterschiedliche Gefangenenrate in erster Linie ein Ergebnis kriminalpolitischer Orientierungen und justizieller Entscheidungspraxis in den Ländern, schreibt Professor Dünkel, Kriminologe an der Universität Greifswald.

Nun kommt der mir bekannte Einwand des Justizministers, das Land baue ein neues Gefängnis, um die Situation der Gefangenen zu verbessern, um die Einzelunterbringung zu ermöglichen, sodass die Mehrfachunterbringung nur noch die Ausnahme sein werde. Das Ziel unterstützen wir. Aber deswegen muss man die Vollzugslandkarte nicht unbedingt so verändern, wie es gegenwärtig geschieht.

Wir behaupten: Mit einer modernen Vollzugskonzeption sparen wir zusätzlich Haftplätze. Deshalb noch einmal ein Zitat von Professor Dünkel aus dem Aufsatz „Strafvollzug in Deutschland - rechtsstaatliche Befunde“ aus Politik und Zeitgeschichte vom Februar 2010. Er schreibt dort - ich bitte um Erlaubnis, dies zu zitieren -:

„Im Rahmen der Entlassungsvorbereitung sind der offene Vollzug und Vollzugslockerungen sowie Hafturlaub von herausragender Bedeutung. Zwar wird man die resozialisierungsfördernden Wirkungen derartiger Maßnahmen nicht isoliert evaluieren und

einschätzen können, jedoch sprechen die empirischen Forschungen der Straftäterbehandlung dafür, dass ein integriertes Programm von Lockerungen, bedingter Entlassung und Nachsorge bessere rückfallvermeidende Erfolge aufweist als der traditionelle Verwahrvollzug.“

Mit anderen Worten: Wenn man den Vollzug in diesem Umfange ein bisschen moderner gestalten würde, bräuchte man weniger Haftplätze, und dann bräuchte man erst Recht kein zusätzliches Gefängnis.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Unser zweiter Einwand gegen Bremervörde bezieht sich auf die Rechtsform, die angeblich Haushaltsmittel sparen soll, also das PPP-Projekt. Wir wissen von dem Bespiel des PPP-Projekts Hünfeld in Hessen, dass man dort 600 000 Euro pro Jahr einsparen wollte. Die Betriebskosten sollten angeblich 15 % niedriger liegen als bei einem herkömmlichen Gefängnisbau. Tatsächlich haben sich diese Erwartungen nicht erfüllt. Es sind Mehrkosten von 700 000 Euro pro Jahr zu verzeichnen. Hinzu kommen noch Steuerausfälle, die nicht mit eingerechnet werden, durch die 6-b-Abschreibung, die die diese Rechtskonstruktion erlaubt.

Von daher sind in Niedersachsen voraussichtlich höhere Kosten durch diese Rechtsform zu erwarten.

Man kann sich das auch leicht erklären. In § 170 des Strafvollzugsgesetzes steht nämlich, dass freiheitsentziehende Maßnahmen ausschließlich in Anstalten der Landesjustizverwaltung vollstreckt werden. Deshalb heißt es auch ÖPP, also öffentlich-private Partnerschaft. Betrachtet man das Projekt nämlich näher, dann werden sehr viele Abgrenzungs- und Kontrollprobleme deutlich, die zusätzliche Kosten auslösen.

Im Teilbereich Pforte - dazu gehört die Kontrolle der Fahrzeuge, der Ausweispapiere - sollen privat Beschäftigte arbeiten. Wer aber kontrolliert dieses private Personal, das erfahrungsgemäß schlechter qualifiziert ist, weil es auch schlechter bezahlt wird?

Beim Gefangenenbesuch ist die Kontrolle durch Beamte vorgesehen. Die organisatorische Vorbereitung und Abwicklung soll aber wieder von den privat Beschäftigten durchgeführt werden. Wie will man das abgrenzen?

Die Kosteneinsparungen, die Sie vorrechnen können, beruhen bei diesen Projekten im Wesentlichen auf Lohndumping zulasten der privat Beschäftigen, die keine Beamtengehälter bekommen. Das wird aber durch diese Mechanismen, die ich eben aufgezählt habe, aufgezehrt. Außerdem muss man bei dem privaten Anteil immer noch hinzurechnen, dass das jemand macht, um damit einen ordentlichen Gewinn zu erzielen.

Die Haushaltslage des Landes ist ernst. Das erfordert doch, dass man alle Projekte, die man bisher in der Planung hat, auf den Prüfstand stellt. Dann muss man doch auch an dieses Gefängnis denken.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Als diese Haushaltsklausur auf der Tagesordnung stand, Herr McAllister, habe ich gedacht, dass Sie wahrscheinlich als Erstes an das Projekt in Bremervörde denken werden, wenn die Lage so ernst ist. Aber weit gefehlt! Sie haben diese Chance verpasst.

Unser Antrag mit dem Ziel eines Moratoriums soll Ihnen eine goldene Brücke bauen, um ohne Gesichtsverlust wieder von diesem Projekt wegzukommen. Nützen Sie diese Chance im Interesse des Haushalts des Landes Niedersachsen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Konrath zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion begrüße ich das Vorhaben der Landesregierung, in Bremervörde den Neubau einer Justizvollzugsanstalt zu errichten, und begrüße ebenso, dass in Kürze mit der Umsetzung begonnen werden soll.

Das von der Fraktion DIE LINKE vorgeschlagene Moratorium werden wir ablehnen, und zwar aus guten Gründen, wie ich darlegen werde. Mit dem Bau einer neuen Anstalt setzen wir die 2003 begonnene erfolgreiche Umgestaltung der Justizpolitik in Niedersachsen fort und verfolgen konsequent diese Ziele: mehr Sicherheit im Vollzug, Steigerung der Qualität des Vollzuges und mehr Wirtschaftlichkeit.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

Die Planung des Baus als ÖPP-Projekt, also in öffentlich-privater Partnerschaft, ist ein mutiges, wohldurchdachtes Vorhaben und für Niedersachsen ein Pilotprojekt.

(Zustimmung bei der CDU)

Der Fraktion DIE LINKE empfehle ich: Sehen Sie sich in Niedersachsens Justizvollzugsanstalten um, und beurteilen Sie dann, ob sich in Häusern mit großem Sanierungsbedarf Vollzug nach hohen Qualitätsansprüchen umsetzen lässt. Vergleichen Sie auch in Betrieb befindliche teilprivatisierte Anstalten vor Ort in anderen Bundesländern und ziehen Sie daraus Schlüsse. Dann werden Sie feststellen, dass sich das Projekt in Hünfeld von den Planungen in Bremervörde unterscheidet. Es ist ganz anders gestaltet, als wir es in Niedersachsen vorhaben.

Der Bau der Justizvollzugsanstalt in Bremervörde ist ein in die Zukunft gerichtetes Reformprojekt für mehr Sicherheit durch mehr Qualität im Strafvollzug. Die Einrichtung mit 300 Haftplätzen nach neuesten Qualitätsstandards wird neun kleine, teilweise stark sanierungsbedürftige und nicht mehr wirtschaftlich zu führende Häuser an verschiedenen Standorten des Landes ersetzen. Überlegen Sie doch einmal selbst, ob es Sinn macht, wenn 18 Gefangene von 17 Bediensteten betreut werden, die auch noch Überstunden haben. So etwas habe ich mir zeigen lassen.

Die JVA Bremervörde wird für Gefangene eine durchgängige Betreuung und die gesamte Palette des Übergangsmanagements als Vorbereitung für die Entlassung bieten. In der modernen Anstalt erhalten die Inhaftierten verbesserte Arbeitsbedingungen. Zudem wird dadurch für Strafgefangene im Elbe-Weser-Raum eine heimatnahe Unterbringung geschaffen.

Mehr Haftplätze werden in Niedersachsen durch den Bau der JVA Bremervörde nicht entstehen. Die Gefangenenzahlen sind rückläufig; das haben Sie erwähnt. Mit rund 6 000 Inhaftierten sind die Zahlen deutlich niedriger als noch vor wenigen Jahren. Das ist ein günstiger Umstand für den Vollzug. Ich verweise darauf, dass die Politik auf diese Zahlen keinen Einfluss hat. Die Zahlen können sich auch wieder anders entwickeln.

Für den offenen Vollzug werden nicht weniger Hafträume benötigt, wie Sie in Ihrem Antrag argumentieren, sondern Haftplätze mit anderer Ausrich

tung. Man kann die Leute ja nicht nachts draußen auf der Straße lassen.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist wohl wahr!)

Sie brauchen schon einen Haftraum, mit EinPersonen-Belegung, wie Sie es erwähnt haben. In Bremervörde wollen wir U-Haft und gleichzeitig geschlossenen Vollzug mit Übergang zum offenen Vollzug in einer Anstalt ermöglichen.

Nun zur Organisation der JVA. Bau und Betrieb der neuen Anstalt sollen in privater Trägerschaft liegen. Den Zuschlag wird der am besten geeignete Bewerber erhalten. Grundstück und Gebäude sollen von privaten Partnern nach den Vorgaben des Landes ausgestaltet und unterhalten werden. Nach 25 Jahren, am Ende der gesamten Laufzeit, erhält das Land eine intakte Liegenschaft ohne Sanierungsstau.

Selbstverständlich bleibt der Vollzug weiterhin in staatlicher Verantwortung. Für 60 % staatliches Personal, Beamte des Justizvollzugsdienstes, und 40 % private Mitarbeiter des Betreibers sind - das ist wichtig - die Verantwortungsbereiche klar abzugrenzen. Zu nennen ist hier besonders der Stationsdienst, der im Anstaltsalltag ständig in direktem Kontakt mit den Gefangenen steht. Die Arbeit mit den Gefangenen mit dem Ziel einer erfolgreichen Resozialisierung wird weiterhin von Beamten im Vollzug hoheitlich wahrgenommen.

In der Küche dagegen - wohlschmeckendes Essen ist ungemein wichtig für die Stimmung in einer Anstalt -, in den Arbeitsbetrieben, in der medizinischen Versorgung und der Verwaltung sollen und können private Mitarbeiter tätig werden, wenn es sich um qualifiziertes Personal handelt, das tarifvertraglich bezahlt wird. Dumpinglöhne, wie Sie sie erwähnt haben, sind und können vertraglich ausgeschlossen werden.

In Hünfeld in Hessen wie in Burg in SachsenAnhalt ist die Anstaltsleitung jeweils bei der Auswahl des privaten Personals beteiligt. Das ist eine gute Lösung, die auch für die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Beamten und privaten Mitarbeitern unter einem Dach wichtig ist. Dieser Punkt ist für mich besonders wichtig.

Bei meinen zwei Besuchen in Hünfeld und in diesem Jahr in Burg in Sachsen-Anhalt hatte ich Gelegenheit, in Vier-Augen-Gesprächen mit beamteten Vollzugsbediensteten nach der Zusammenarbeit zu fragen. Offensichtlich gestaltet sich die Zusammenarbeit problemlos, wenn die Vorausset

zung eingehalten wird, Verantwortungsbereiche klar abzugrenzen.

Als Abgeordnete haben wir in den Beratungen der für den Haushalt, für Recht und Verfassung sowie für Justizvollzug zuständigen Ausschüsse die Aufgabe, alle Modalitäten des geplanten Vertrags genauestens zu hinterfragen und die Stellungnahme des Landesrechnungshofes einzubeziehen.

Das ÖPP-Konzept für die JVA Bremervörde bedeutet eine 25-jährige Bindung an den privaten Partner. Fehler, die hierbei passieren, wirken sich lange aus. Deshalb ist es wertvoll, die Erfahrungen aus Hessen und Sachsen-Anhalt darin einfließen zu lassen.

Mein Eindruck ist, dass die Planer bei der Ausgestaltung des Vertragswerks kompetent und sorgfältig vorgehen. Den Fachleuten des Ministeriums, die sich seit Jahren mit dem Sachverhalt beschäftigen, zu unterstellen, sie agierten - ich zitiere aus Ihrer Begründung - geradezu hilflos, würden nicht mehr durchblicken und ließen sich über den Tisch ziehen, entbehrt jeglicher Grundlage.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben in den nächsten Monaten Gelegenheit, Ihre Kritik detailliert darzulegen. Ich freue mich auf die Diskussion.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)