Protocol of the Session on August 18, 2010

(Beifall bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Was sollen wir denn machen, sie an die Kette legen, Fußfessel?)

Ich gebe ja zu, Herr McAllister, das ist eine gewaltige Zwickmühle für Sie. Sie wollen es sich mit niemandem verderben. Deshalb haben Sie die schöne Worthülse erfunden: je kürzer, desto besser. Das haben Sie so auf den medialen Markt geworfen. Aber was heißt das denn genau? Heißt das zwei Jahre, vier Jahre, acht Jahre oder zwölf Jahre? Was heißt das, Herr Ministerpräsident?

Ich kann es Ihnen verraten: Sie wissen es gar nicht. Ihr zuständiger Staatssekretär Dr. Birkner

war im Umweltausschuss sehr auskunftsfreudig. Er ließ uns wissen, dass die Landesregierung in Niedersachsen noch keine Meinung zur Laufzeitverlängerung der AKW habe. Das ist ein Skandal, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Darum lassen wir und die Menschen in diesem Land ein solch populistisches und durchsichtiges Ausweichmanöver nicht durchgehen. Das hat gute, und es hat auch schlechte Gründe: Gorleben, die geplante Aufnahme des gesamten atomaren Mülls der Republik, die damit verbundenen Atomtransporte, die Asse und Krümmel, um hier nur die Schlagworte zu nennen. Herr McAllister, Niedersachsen wäre wirklich der absolute Verlierer einer solch katastrophalen Entscheidung für eine Laufzeitverlängerung.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, all die innovativen mittelständischen Betriebe, die sich im Bereich der erneuerbaren Energien wirklich Großartiges aufgebaut haben, fragen Sie, Herr McAllister: Wie passt Ihre unverbindliche Positionierung zu Niedersachsen als Energieland Nummer eins? Um es einmal mit Ihren Worten aus der aktuellen Berichterstattung zu sagen - ich zitiere -:

„Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. - Die Offshore-Windenergie hat an der Nordsee einen regelrechten Boom ausgelöst. - Das ist gigantisch.“

Das waren Ihre Worte. Diese Entwicklung hat aber ganz andere Gründe. Sie liegen im ErneuerbareEnergien-Gesetz. Sie liegen im politischen Willen der damaligen rot-grünen Bundesregierung, und sie liegen im Atomkonsens von Rot und Grün. Sie blockieren diese Lösung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der ehemalige Präsident des Bundeskartellamtes Dr. Böge - der ja nun wirklich nicht verdächtig ist, ein Sozialdemokrat zu sein - hat analysiert:

„Eine Laufzeitverlängerung befreit die Konzerne vom Wettbewerbsdruck, erhält ihnen nicht nur ihre Markt- und Machtposition ohne Anstrengung, sondern baut sie sogar weiter aus.“

Meine Damen und Herren, die CDU begründet Laufzeitverlängerungen immer mit dem Begriff der Brückentechnologie. Ich sage Ihnen: Den maroden Pfeiler der Atomenergie brauchen wir nicht. Wir sind schon längst im Zeitalter der erneuerbaren Energien angekommen. Wir brauchen diese Brückentechnologie nicht.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Zum Schluss noch eine Bemerkung: Herr McAllister, in einem Interview mit der NOZ vor zehn Tagen haben Sie ausgeführt, in Deutschland diskutiere niemand ernsthaft den Neubau von Kernkraftwerken; der Beschluss, aus der Atomenergie grundsätzlich auszusteigen, werde nicht in Zweifel gezogen. - Wie verhält es sich dann aber mit der Meldung der Rheinischen Post von gestern, dass Josef Schlarmann, Chef der Unions-Mittelstandvereinigung, Mitglied der CDU in Niedersachsen und Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, genau das Gegenteil fordert? Er spricht sich für den Bau neuer Atomkraftwerke aus. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Was sagt denn Herr Clement dazu?)

Herr McAllister, wir fordern von Ihnen ein klares Bekenntnis gegen die Interessen der Atomkonzerne. Nutzen Sie Ihren Einfluss in der CDU, spätestens im Bundesrat, um eine Verlängerung der Laufzeiten zu stoppen! Stehen Sie zu Ihrem Land! Stehen Sie zu seinen Interessen und zu seinen Menschen! Wir erwarten endlich Ihre klare Position.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Herzog von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU behauptet, sie sei eine Volkspartei, sie habe verschiedene Strömungen in ihren Reihen. So weit, so gut. Aber auch die eingefleischtesten Parteigänger der CDU werden nicht leugnen, dass das, was sich seit einigen Monaten in CDU und CSU abspielt, wenn es um die Atomenergie geht, der Definition des Wortes „Kakophonie“ in Reinkul

tur entspricht, nämlich so, wie sie im Lexikon steht: eine Aneinanderreihung von Dissonanzen.

Da posaunt CSU-Landesgruppenchef Friedrich sehr maskulin am einen Ende der Fahnenstange: Atomkraftwerke können immer laufen. - Sein Fraktionskollege Göppel widerspricht: Längere Laufzeiten sind nicht durchsetzbar. - Zwischen diesen beiden Polen tummelt sich ein munteres Häufchen von Betonideologen, von Energielobbyisten, aber auch von weiter blickenden CDU-Funktionären. Während der Saar-Ministerpräsident Müller am Atomkonsens festhalten will, tönt Mappus aus EnBW vehement für Verlängerung und fordert gleich einmal den Rücktritt von Umweltminister Röttgen.

Ja, das Ländle! Nach dem Atomexperten Axel Fischer MdB, der die Asse 2007 nach dem Motto „Klappe zu, Affe tot“ schließen wollte, kommt da wieder so ein Fachmann. Na ja, der hat immerhin gelernt, dass auch süddeutsche Bevölkerung aufmüpfig atomare Wahnsinnsprojekte mit massivem Widerstand verhindern kann - wie in Wackersdorf.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Schulterschluss mit der Mappus-Show röhrt der Lautsprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder: Darf’s ein bisschen mehr sein? 28 Jahre vielleicht?

Aber da gibt es ja auch noch die Frankfurter CDUBürgermeisterin Roth, Präsidentin des Städtetags, die gegen Verlängerungen wettert, weil sie die langfristigen Investitionen der vielen Stadtwerke kaputtmachen würden. Sie ist die Praktikerin.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auch bei der nächsten Baustelle, der Länderbeteiligung über den Bundesrat, herrscht das gleiche Bild. Röttgens Gutachter, der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Papier, ermittelt wie sein Auftraggeber die Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates. Nein, sagt Mappus. Doch, sagte Rüttgers - wer war das noch? Doch, sagt auch Müller, genauso wie sein Kollege Peter Harry aus dem hohen Norden. Aber wo ist McAllister?

Selbst Bundesinnen- und -justizministerium fürchten gutachterlich, dass das Bundesverfassungsgericht schwarz-gelben Träumen den Garaus machen könnte. Das ist reichlich dünnes Eis, rechtlich gesehen. Aber in christdemokratischen Äuglein glühen die Eurozeichen. Deshalb ignoriert man

energisch die wissenschaftlichen Fakten, so wie in Gorleben übrigens.

Das eigens für das schwarz-gelbe Energiekonzept in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigenrats pulverisiert die Atom- und Kohleträume. Liest denn bei Ihnen niemand solche Gutachten, keiner Ihren vielen energiepolitischen Sprecher, keines Ihrer Ministerien? Da steht doch auf Seite 74 z. B.: 2020 existiert keine durch konventionelle Kraftwerke zu deckende Grundlast mehr. - Das heißt, Ihre Brücken-AKWs und die neuen Kohlegroßkraftwerke sind dann unwirtschaftlich. Die Wirkungsgrade gehen herunter. Häufige Leistungsänderungen führen zu Materialermüdung und damit Risiko. Teure Ruinen zulasten von Gebühren- und Steuerzahlern!

Merkt denn die niedersächsische CDU nicht, was ihr die Schwarzlichter aus dem Süden da unterjubeln wollen? Die Realität, Herr Ministerpräsident, ist doch folgende: 2007 stand fast die Hälfte der deutschen AKWs still, und das hatte keinerlei Auswirkungen auf den Strompreis. Kein einziges deutsches AKW wäre mehr genehmigungsfähig, sagte Herr Renneberg, bis 2009 oberster Chef der Atomaufsicht. Unterstützen Sie doch lieber die muckschen Atomriesen bei ihrer Sofortausstiegseingebung!

(Beifall bei der LINKEN)

Selbst der Chef der Deutschen Energie-Agentur, Stephan Kohler, befürchtet bei der angedrohten Abschaltung der AKWs keine Stromlücke.

Herr Ministerpräsident, wir brauchen keinen Landesvati, der es mit salomonischen Plattitüden allen recht machen will, nach dem Motto: Das bisschen schwanger halten wir auch noch aus.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen keinen atomaren Wolf im Schafspelz und ebenso kein Schaf im Wolfspelz. Wir brauchen gerade als Niedersachsen auch keine politisch abgekartete christdemokratische Arbeitsteilung, die dann im Nebel des arithmetischen Mittels den Fachverstand zu Grabe trägt.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Reden Sie zu Hause auch so?)

Wir brauchen einen Ersten im Lande, der zielführend verstopfte Köpfe freibläst und endlich die atomaren Kalk-Beton-Ablagerungen auflöst,

(Beifall bei der LINKEN)

nach der Devise: Wir machen den Weg frei für die erneuerbaren Energien.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Noch schwächer als im PUA!)

Ich erteile dem Kollegen Thiele von der CDU-Fraktion das Wort.

(Björn Thümler [CDU]: Jetzt mal schön die Öhrchen aufstellen!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei der SPD-Fraktion ausdrücklich für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde bedanken. Immerhin gibt sie uns doch die Möglichkeit, einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte zu leisten,

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

wenngleich ich feststellen muss, dass Sie, Herr Schostok, und auch Herr Herzog diese Chance nicht vollumfänglich ergriffen haben. Aber dafür gibt es im Zweifel noch den einen oder anderen Redner der anderen Fraktionen.

Zunächst möchte ich feststellen: Die aktuelle energiepolitische Debatte ist weder in Bezug auf die Vielstimmigkeit noch in Bezug auf die Breite, in der sie geführt wird, überraschend. Immerhin geht es in der Debatte, die wir jetzt führen, um die Weichenstellung für die Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten. Mit Verlaub: Wenn wir einen Paradigmenwechsel einleiten - weg von einer Ressourcen verbrauchenden Wirtschaftsweise, hin zur Ressourcenschonung -,

(Detlef Tanke [SPD]: Das haben wir gemacht!)

wenn wir in verantwortbarer Weise die Aufgabe übernehmen wollen - in Bezug auf den Industriestandort Deutschland und insbesondere auf den Standort Niedersachsen, den wir erhalten wollen, in Bezug auf die Infrastruktur und Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes -, eine sichere, klimaverträgliche und wettbewerbsfähige Energieversorgung zu realisieren, dann muss man sich für diese Debatte, für diese Auseinandersetzung Zeit nehmen, und dann muss man sie in allen Facetten führen, manchmal auch strittig.