Protocol of the Session on August 17, 2010

dizin ebenso wie die Eltern und Angehörigen und an allererster Stelle die Nutzerinnen und Nutzer der Angebote selbst.

Um diese Ziele zu erreichen, haben wir Teile des Aktionsprogramms zu definieren versucht. Dieses Aktionsprogramm muss den Weg in die inklusive Bildung aufzeigen und die notwendigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen in einem begleitenden Prozess festlegen. Wir brauchen einen Phasenplan, bis wann wir bestimmte Schritte der Umsetzung inklusiver Bildung erreichen wollen. Da sollten wir uns sehr ehrgeizige Ziele setzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne nur einige Punkte aus unserem Entschließungsantrag, die berücksichtigt werden müssen. Zu vielen Punkten wird es im Ausschuss, glaube ich, auch Übereinstimmung geben. Zum Rechtsanspruch habe ich schon einige Ausführungen gemacht. Wir erwarten auch die Vorlage eines Aktionsprogramms zum 1. August 2011. - Ein solches Programm muss die Landesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention übrigens nicht nur für den Bildungsbereich, sondern für alle gesellschaftlichen Bereiche vorlegen. - Die Betroffenen und die Eltern sind in die Erarbeitung dieses Aktionsprogramms mit einzubeziehen.

Für uns ist in diesem Zusammenhang auch wichtig, dass wir nicht nur über Schule reden, sondern auch die frühkindliche Bildung, also die Anpassung des Kindertagesstättengesetzes und der Rahmenbedingungen in den Kindertagesstätten und Krippen, in ein solches Aktionsprogramm mit einzubeziehen.

Meine Damen und Herren, Inklusion klappt nur, wenn dies durch Rahmenbedingungen zur Umsetzung auch unterstützt wird. Allein deshalb verbietet sich die Diskussion über Kürzungen im Bildungsbereich; denn zur Umsetzung von Inklusion brauchen wir Personalressourcen. Sie sind bedarfsgerecht in allen Kindertagesstätten und Schulen sicherzustellen. Gruppen- und Klassengrößen müssen dann natürlich auch entsprechend reduziert werden, wenn Kinder mit Behinderung und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet und erzogen werden.

(Zustimmung bei der SPD)

In der Lehrerausbildung für alle Schulformen sind Bausteine sonderpädagogischer Förderung zu verankern und Konzepte und Maßnahmen für die Entwicklung der Lehrerfort- und -weiterbildung zu

erarbeiten. Da müssen Schwerpunkte auf Heterogenität, Diagnostik etc. gelegt werden. Ich möchte das wegen der Zeit jetzt aber nicht weiter ausführen.

Dazu muss natürlich auch die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher verändert werden. Ebenso gehört dazu die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Räumlichkeiten - so es denn notwendig wird -, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, um technische oder mediale Hilfsmittel aufzurüsten. Dazu gehört, dass die Änderungen, die sich aus dem Schulgesetz und der Herstellung des Rechtsanspruchs ergeben, allerdings nicht allein die kommunalen Schulträger finanzieren sollen, sondern für uns ist das ein klarer Fall von Konnexität.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich habe von einem Phasenplan gesprochen. Sicherlich lässt sich an der einen oder anderen Stelle darüber diskutieren, wann welche Phasen am sinnvollsten sind. Allerdings muss auch darüber geredet werden, wie bestehende Förderschulen dann, wenn dort nicht mehr so viele Schülerinnen und Schüler angemeldet werden, schrittweise in Kompetenzzentren überführt werden können. Auch das ist ein Thema, dem wir uns in der Diskussion stellen müssen. Wir brauchen die persönlichen Kompetenzen, die Lehrkräfte, die sonderpädagogischen Fachkräfte aus den Förderschulen dann an den inklusiven Schulen.

Eines ist mir noch besonders wichtig, meine Damen und Herren, insbesondere nach Gesprächen mit Sozialpolitikerinnen und -politikern. Uns ist deutlich geworden: Nicht zuletzt wird Inklusion nur dann erfolgreich sein, wenn die heute noch stark zerklüfteten Zuständigkeiten und Kostenstrukturen zu einer Organisationsform aus einer Hand weiterentwickelt werden. Diesbezüglich ist auf allen Ebenen Diskussionsbedarf vorhanden. Schulträger, örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger sowie die kommunale Jugendhilfe sind hier besonders gefordert und werden deshalb in Zukunft deutlich stärker Hand in Hand arbeiten müssen. Im Mittelpunkt dieser Unterstützung aus einer Hand müssen die Bedürfnisse der Betroffenen stehen. Es darf nicht sein, dass die betroffenen Familien schon aus Kostenträgersicht von Pontius nach Pilatus geschickt werden, wie das zurzeit leider immer noch der Fall ist - Behördengespräche; ich muss dazu nicht viel sagen. Viele kennen sicherlich Einzelfälle, in denen es Probleme gibt und bei denen es im System hakt.

Abschließend möchte ich ausführen, meine Damen und Herren: Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben. Der Prozess der Inklusion bedarf einer nachhaltigen finanziellen Absicherung. Inklusion darf daher nicht ein Sparmodell sein. Inklusion darf am Ende nicht ein negativ besetzter Begriff werden. Wir betrachten Inklusion als Vielfalt, als Bereicherung für alle Menschen in unseren Schulen und Kindertagesstätten. Meine Damen und Herren, das sind die Vorschläge meiner Fraktion. Auf die Vorschläge der Koalitionsfraktionen und die Vorstellungen der Landesregierung warten wir leider immer noch. Ich hoffe, dass wir zeitnah darüber diskutieren können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Korter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vier Jahre sind jetzt vergangen, seit die UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet wurde. Seit anderthalb Jahren ist die Konvention auch in Deutschland verbindlich. Aber während in unseren Nachbarländern Bremen und Hamburg die Inklusion bereits verbindlich im Schulgesetz verankert ist und zu diesem Schuljahr umgesetzt wird, müssen die Eltern von Kindern mit Handicaps in Niedersachsen noch immer darauf warten und um einen inklusiven Schulplatz für ihr Kind betteln. Die Landesregierung in Niedersachsen hat bis heute nicht einmal Ansätze für ein Konzept vorgelegt, wie sie ihrer Pflicht nachkommen will, auch hier die Schulen im Sinne der Inklusion umzugestalten. Ein Gesetzentwurf unserer grünen Landtagsfraktion zur Verwirklichung des Rechts auf inklusive Bildung und ein Antrag zur Umgestaltung der Schulen mit differenzierten Vorschlägen liegen diesem Landtag seit 20 Monaten vor. Bis heute hat eine ordentliche Beratung dieser Initiativen unserer Fraktion aber noch nicht einmal richtig angefangen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Vor über einem Jahr gab es eine große Anhörung der Betroffenenverbände mit viel Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf und mit großer Hoffnung aufseiten der Betroffenen. Aber seitdem fand man im Kultusausschuss dieses Landtages immer neue

Ausreden, weshalb das Thema verschoben werden müsse.

Meine Damen und Herren, so kann man mit den betroffenen Kindern und ihren Eltern einfach nicht umgehen! Genau wie vor zwei Jahren, als die UNKonvention in Kraft getreten ist, müssen sich auch heute immer noch Eltern in Niedersachsen auf den Bettelgang machen, um einen inklusiven Schulplatz für ihr Kind zu bekommen. Da geht es nicht um ideologische Schuldebatten, wie uns immer wieder unterstellt wird, sondern es geht ganz schlicht um ein Menschenrecht,

(Beifall bei den GRÜNEN)

nämlich um das Menschenrecht von Kindern mit Handicaps, an einer allgemeinen Schule mit anderen Kindern gemeinsam unterrichtet zu werden, und um sonst gar nichts.

Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Beispielen dazu aufzählen, wie dieses Recht noch heute Kindern in Niedersachsen Tag für Tag verwehrt wird; denn inzwischen wenden sich verzweifelte Eltern jede Woche an unsere Fraktion und bitten uns um Unterstützung. Eine ganze Liste von Beispielen habe ich hier. Wenn Sie mir die erforderliche Redezeit geben, erzähle ich darüber gerne und lese Ihnen diese Beispiele vor. Dieses Ganze ist ein Skandal, für den vor allem CDU und FDP in diesem Landtag die Verantwortung tragen; denn sie hätten längst etwas tun können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in keinem anderen Bundesland ist der Anteil der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die an einer allgemeinen Schule unterrichtet werden, so gering wie in Niedersachsen. Insofern ist es zu begrüßen, dass jetzt auch die SPD einen eigenen Gesetzentwurf und einen Entschließungsantrag zur Inklusion vorlegt. Wir nehmen das, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Signal, dass Sie uns ab jetzt deutlicher im Einsatz für ein inklusives Schulsystem unterstützen wollen.

Nicht ganz verstehen kann ich allerdings Ihr parlamentarisches Vorgehen. Wenn bereits ein differenzierter Gesetzentwurf und ein Entschließungsantrag zum Thema seit 20 Monaten vorliegen, die in der Anhörung der Verbände und Experten fast einhellige Unterstützung erfahren haben, dann wäre es aus meiner Sicht guter Stil, eigene Vorschläge und Änderungsanträge in die Beratung des Kultusausschusses einzubringen. Dazu hatten

Sie genauso wie die CDU und die FDP 20 Monate Zeit.

Jetzt kommen Sie mit einem Gesetzentwurf, der weit hinter unseren Vorschlägen zurückbleibt. In ihrem Gesetz hält die SPD an der Etikettierung von Schülern mit Förderbedarf auch in den Bereichen Lernen, Sprache und Verhalten fest. Damit fällt sie noch hinter das Konzept der sonderpädagogischen Grundversorgung an den Grundschulen zurück. Die SPD deklariert ihren Gesetzentwurf deshalb ausdrücklich nur als ersten Schritt, quasi als Vorschaltgesetz - und das nach 20 Monaten. Das finde ich problematisch.

Wesentliche Fragen aber - Frau Heiligenstadt, Sie haben es gerade erklärt -, ob die Förderschulen - sogar die Förderschule Lernen - dauerhaft Bestand haben sollen, bleiben bei Ihnen offen. Vielleicht um einer Diskussion mit diesen Schulen erst einmal auszuweichen? Wir sind auf jeden Fall gespannt darauf, wann die Regierungsfraktionen endlich einen Gesetzentwurf vorlegen und vor allem, was darin stehen wird. Wir hoffen, dass nicht nur die SPD, sondern auch die Regierung jetzt endlich in die Strümpfe kommt.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen: 20 Monate sind für die Sache der Inklusion ungenutzt vergangen. Für die betroffenen Kinder, die keinen inklusiven Schulplatz bekommen haben, war jeder Tag ein Tag zu viel. Wir müssen in Niedersachsen endlich dazu kommen, dass die Exklusion, der Ausschluss, von Kindern mit Handicaps aus der allgemeinen Schule ein Ende hat. Dafür kämpfen wir als Grüne weiter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Korter. - Für die Fraktion DIE LINKE Frau Reichwaldt, bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn des Jahres 2009 dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu garantieren, in dem alle Kinder gemeinsam lernen können.

Wir beraten dieses Thema seit zwei Jahren. Ich glaube, allen ist inzwischen klar: Die niedersächsische Bildungslandschaft muss sich verändern, weil

wir noch meilenweit von einem inklusiven Bildungssystem entfernt sind.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Jedes Kind kann inklusiv ausgebildet werden. Inklusion ist mehr als Integration. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sind. Schulen müssen so umgestaltet werden, dass alle Kinder teilhaben können.

Zwei Aussagen unserer Ausschussreise nach Bozen zu diesem Thema sind mir noch besonders präsent, nämlich zum einen: „Jedes Kind hat Fähigkeiten, kein Kind kann nichts“ und zum anderen die übereinstimmende Aussage in allen Gesprächen, dass die Kinder ohne Förderbedarf von dem gemeinsamen Unterricht besonders profitieren.

Bei der Umgestaltung unseres Schulsystems hin zur inklusiven Schule liegt eine riesengroße Aufgabe vor Niedersachsen. Die wichtigste Erkenntnis nicht zuletzt dieser Reise ist für mich: Wir müssen jetzt mit der schrittweisen Umgestaltung unseres Schulsystems anfangen und dürfen nicht warten, bis alle Grundvoraussetzungen geschaffen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Geredet wurde lange genug, jetzt müssen wir anfangen zu handeln. Die Kultusministerkonferenz hat sich, wie wir hörten, nicht auf eine gemeinsame Einschätzung der rechtlichen Auswirkungen der UN-Konvention einigen können. Damit liegt die Aufgabe der gesetzlichen Umsetzung nun bei den Ländern.

Der Gesetzentwurf der Grünen war, wie schon gesagt, sehr lange in der Beratung, auch mit der Begründung der zu erwartenden Ergebnisse der KMK. Nun hat die SPD-Fraktion ebenfalls einen Gesetzentwurf mit begleitendem Entschließungsantrag mit der berechtigten Forderung nach einem verbindlichen Aktionsprogramm ab 2011 vorgelegt. Beide Gesetzentwürfe enthalten die auch für uns wichtigste Voraussetzung für eine Verwirklichung des Rechts auf inklusive Schule: Der in § 4 des Niedersächsischen Schulgesetzes enthaltene Vorbehalt für den Zugang zu den allgemeinen Schulen für Kinder mit besonderem Förderbedarf muss fallen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Unterschied ist, dass im Gegensatz zum Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen, der Förderschulen nur noch für die Bereiche „Geistige und körperliche Entwicklung“ zulässt, im Gesetzentwurf

der SPD die Entscheidung, ob ihr Kind inklusiv beschult oder eine Förderschule besuchen wird, allein bei den Eltern liegt, unabhängig davon, für welchen Bereich ein Förderbedarf festgestellt wurde.

Für die Linke ist das Ziel ein Schulsystem, in dem alle Kinder inklusiv beschult werden. Es wird allerdings ein weiter Weg dorthin. In unserem sehr differenziert ausgebauten Förderschulsystem mit allen dort zwangsläufig vorhandenen Ausgrenzungsmechanismen haben wir unbestritten hoch motivierte und qualifizierte Lehrkräfte und Schulen. Wir sollten das als Vorteil bei der Umstrukturierung erkennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Weg zur inklusiven Schule kann nur schrittweise erfolgen und muss sorgfältig vorbereitet sein. In den kommenden Ausschussberatungen werden wir diskutieren, welche der vorgeschlagenen Richtungen sinnvoller ist. Besonders gespannt bin ich hier auf die angekündigte Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen.

Einige Kommunen machen sich schon auf den Weg; ich verweise gerne auf die Resolution der Regionsversammlung Hannover vom 22. Juni dieses Jahres an die Niedersächsische Landesregierung und den Landtag zur Einführung der inklusiven Schule. Kommunen beginnen mit Veränderungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten.