Protocol of the Session on April 28, 2010

(Björn Thümler [CDU]: So ist das!)

Das Immunitätsrecht dagegen schützt das Parlament als Verfassungsorgan vor Übergriffen der Exekutive oder der Judikative. Für das einzelne Mitglied des Landtages ergeben sich, wie vom Bundesverfassungsgericht in einem Urteil festgestellt, nicht ohne Weiteres eigene Rechte aus der Immunität. Er oder sie hat aber einen Anspruch darauf, dass sich der Landtag bzw. auch der Bundestag bei der Entscheidung über eine Immuni

tätsaufhebung nicht von sachfremden oder willkürlichen Motiven leiten lässt. Das ist im Prinzip das Einzige, was wir hier jetzt abzuprüfen haben: Sind es sachfremde oder willkürlich Motive, die den Antrag zur Aufhebung der Immunität veranlassen?

Der Niedersächsische Landtag hat ein zweistufiges Verfahren. Wir haben in einer generellen Regelung die Aufhebung der Immunität zur Durchführung von Ermittlungsverfahren grundsätzlich gestattet. Hier reicht eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft an den Landtagspräsidenten aus. Von dieser generellen Erlaubnis sind aber Fälle von politischer Beleidigung oder Verleumdung ausgenommen. Deswegen haben wir über den einen Fall der Kollegin bereits vor der Aufnahme von Ermittlungen zu befinden.

Es steht der Anfangsverdacht einer Verleumdung im Raum. Die Staatsanwaltschaft kann überhaupt erst dann ermitteln, wenn der Landtag schon zugestimmt hat. Erst dann kann die Staatsanwaltschaft auch entlastende Momente werten. Dies konnte sie bislang nicht.

Ich bin sicher, dass die betroffene Kollegin die Gelegenheit nutzen wird, die ihr gemachten Vorwürfe zu entkräften. Dabei werden auch wir sie unterstützen; denn im politischen Kern, der bei dieser Beurteilung aber keine Rolle spielt, sind wir nicht unterschiedlicher Meinung.

Meiner Fraktion ist es wichtig, dass die Mitglieder des Landtages nicht anders behandelt werden als alle anderen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wir können bei den zur Abstimmung stehenden Fällen nicht erkennen, dass die Ermittlungen respektive das Strafverfahren gegen die betroffene Kollegin aus sachfremden oder willkürlichen Motiven betrieben werden.

Meine Fraktion wird deshalb und vor allen Dingen, um jeden Anschein einer unterschiedlichen Behandlung von Abgeordneten und anderen Bürgerinnen und Bürgern zu vermeiden, der Aufhebung der Immunität in beiden Fällen zustimmen.

(Victor Perli [LINKE]: Armutszeugnis!)

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile dem Kollegen Jüttner von der SPDFraktion das Wort. Sie haben noch eine Redezeit von zwei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Helmhold, es gibt keine Gleichbehandlung bei politischen Meinungsäußerungen. Es gibt das Immunitätsrecht aus genau diesen Gründen. Wenn ein Abgeordneter seine Schutzstellung nutzen würde, um einen normalen Bürger vorzuführen, dann wäre das eine Sauerei. Dann würde auch ich sofort sagen: So geht das nicht!

Worum geht es aber in diesem Fall? - Hier geht es um Folgendes. Einer der zentralen Atomlobbyisten in Deutschland mit der ökonomischen Macht der Branche im Rücken wehrt sich dagegen, dass eine kritische Abgeordnete bei dieser Frage Ross und Reiter nennt. Darum geht es hier!

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Die Rechtslage ist klar. Es gibt eine feinsinnige Unterscheidung zwischen Beleidigung und Verleumdung. Der GBD sagt, bei einer Beleidigung lässt man die Immunität, bei Verdacht auf Verleumdung hingegen wird sie aufgehoben. Ich habe mir die ganzen Unterlagen einmal angesehen. Das ist ein Spagat, und im Zweifel kommt nicht einmal eine Beleidigung heraus. Das ist der Hintergrund!

Verfassungsrechtlich gesehen kann man das eine oder das andere machen. Entscheidend aber ist die Frage, ob wir die politische Meinungsfreiheit von Abgeordneten schützen. Darum geht es hier!

(Starker Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Eines ist aber auch klar, meine Damen und Herren: Dem Antrag auf Aufhebung der Immunität von Herrn Humke-Focks stimmen wir zu. In diesem Fall geht es um Tätlichkeit. Wir haben überhaupt keine Veranlassung, Tätlichkeit gegen Polizeibeamte in Schutz zu nehmen. Meinungsfreiheit hat jedoch noch niemandem sonderlich geschadet. Das ist das genuine Recht von Abgeordneten. Es sollte auch Ihre Pflicht sein, jeden Abgeordneten dieses Hauses dabei zu schützen.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

Zunächst stimmen wir über die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Humke-Focks ab; das ist Tagesordnungspunkt 12.

Wer der Beschlussempfehlung des Ältestenrats zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Der Beschlussempfehlung des Ältestenrats ist mit großer Mehrheit gefolgt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 13: Aufhebung der Immunität der Abgeordneten Emmerich-Kopatsch.

Wer der Beschlussempfehlung des Ältestenrats zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit hat auch diese Beschlussempfehlung des Ältestenrats eine Mehrheit gefunden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Dringliche Anfragen

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor.

Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich weise darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nicht zulässig sind.

(Unruhe)

- Wer die vorherigen Tagesordnungspunkte gerne nachdiskutieren möchte, was durchaus sein kann, kann das auch außerhalb des Plenarsaals machen. Wir möchten jetzt die Tagesordnung mit der Diskussion über die Dringlichen Anfragen fortsetzen.

Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, sich nach wie vor schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 14 a auf:

Verwendet die Landesregierung zweifelhafte Gutachten? - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2438

Ich erteile der Kollegin Polat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Anhaltende Unruhe)

- Allerdings setzen wir die Beratung erst dann fort, wenn im Plenarsaal deutlich mehr Ruhe eingekehrt ist. Insofern haben Sie noch etwas Zeit, Frau Kollegin. - Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, den

Gesprächskreis dort hinten in der SPD-Fraktion aufzulösen. Herr Tanke und andere!

Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) berichtete in ihrer Ausgabe vom 21. April 2010:

„Ein Nervenarzt aus Lüneburg soll für Behörden Gefälligkeitsgutachten erstellt haben. Wie das TV-Politikmagazin ‚Report Mainz’ am Montagabend berichtete, wird dem 75jährigen Professor vorgeworfen, kranken Asylbewerbern die Reisefähigkeit und Lehrern gegen ihren Willen die Dienstunfähigkeit bescheinigt zu haben. In mindestens sieben Fällen habe Theo V. Asylbewerber nur kurz und oberflächlich untersucht, bevor er feststellte, dass ihrer Ausweisung keine psychische Störung entgegenstehe, sagte Kai Weber, Sprecher des Niedersächsischen Flüchtlingsrats, gestern. In Gerichtsverfahren sei V. von anderen Experten eine tendenziöse, wertende Begutachtung vorgeworfen worden.“

Weiter:

„Der Lüneburger Nervenarzt, der in den 80er-Jahren das dortige Landeskrankenhaus geleitet hat, ist zudem wegen der Begutachtung von Lehrern in die Kritik geraten.

Ein in dem Artikel zitierter ehemaliger Lehrer wirft den Behörden vor, sie wollten durch den gezielten Einsatz des Gutachters Pensionsansprüche vermeiden.

Mit Beschluss vom 11. August 2009 hat das Landgericht Hannover in seinem Beschluss - Aktenzeichen 28 T 43/09; 44 XIV 82/09 - die sofortige Entlassung eines Flüchtlings aus der Abschiebehaft angeordnet und festgestellt, dass die Inhaftierung des Betroffenen in Abschiebungshaft seit dem 28. Juli 2009 rechtswidrig war. In seiner Begründung folgt das Landgericht ausdrücklich nicht dem von der Ausländerbehörde des Landkreises Emsland eingeholten nervenärztlichen Gutachten von Professor V. vom 29. Juli 2009, der „ohne eingehende Begründung das Vorliegen einer psychischen Störung ausschließt und sich im Übrigen in

wertender Weise zu nicht medizinischen Fragen äußert“. Obwohl in einer Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat, Grüne, vom 12. August 2009 ausdrücklich zitiert wurde, dass es sich um einen Beschluss des Landgerichts Hannover handelt, antwortete das Innenministerium darauf wie folgt:

„Dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres, Sport und Integration ist kein Fall bekannt, in dem ein Verwaltungsgericht ein Gutachten von Herrn Professor Dr. med. V. infrage gestellt oder gar verworfen hat.“

Auf den Unterschied zwischen einem Landgericht und einem Verwaltungsgericht ging das Innenministerium dabei nicht ein. Zu dem genannten Gutachten nimmt Dr. med. Hans Wolfgang Gierlichs, zertifizierter Gutachter und Supervisor der Landesärztekammer Nordrhein-Westfalen für die Begutachtung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Stellung mit der Aussage:

„Zusammenfassend weist das Gutachten erhebliche methodische Mängel auf, es ist darüber hinaus tendenziös.“

Das Innenministerium weist sowohl in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage als auch in seiner Stellungnahme gegenüber der HAZ darauf hin, dass die Ausländerbehörden vor Ort selbst entscheiden, welche Gutachter sie beauftragen. Zudem antwortete die Landesregierung am 29. August 2008 auf eine Anfrage der Abgeordneten Polat: