Protocol of the Session on March 18, 2010

(Zuruf von Victor Perli [LINKE])

Sehr verehrte Damen und Herren, verehrter Herr Kollege Perli, ich bleibe dabei: Was da an offiziellen Begründungen in Venezuela möglicherweise gebracht wird, um Medien zu verstaatlichen oder ihnen die Lizenz zu entziehen, das ist kein Ausdruck von Demokratie, sondern das ist ein Ausdruck von Antidemokratie; denn Pluralismus gehört zu einer Demokratie dazu.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Innenminister Schünemann. Bitte!

(Wolfgang Jüttner [SPD] begibt sich um Redepult)

- Herr Minister, ich hatte das so verstanden, dass Sie sich zu diesem Punkt zu Wort gemeldet hatten.

(Minister Uwe Schünemann: Zum Schluss! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich hatte das Handzeichen des Ministers so verstanden, dass er mir den Vortritt lassen wollte!)

- Wenn es der Reihe nach geht, dann kommt jetzt Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Oetjen, Sie haben eben das Bekenntnis des Grundgesetzes zum Eigentum hervorgehoben. Das ist auch in Ordnung. Aber Sie hätten vielleicht auch einen Absatz weiter lesen können, worin steht:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Selbst- verständlich!)

Das wäre auch nicht schlecht. Dann hätten Sie vielleicht auch noch einen Artikel weiter lesen können. Da Artikel 15 offenbar in diesem Parlament vollständig unbekannt ist, lese ich ihn noch einmal vor, damit Sie sich richtig gruseln können:

„Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“

(David McAllister [CDU]: „Können“!)

- Ganz genau, „können“.

(David McAllister [CDU]: Nicht „müs- sen“! Gott sei Dank!)

- Nein, nicht „müssen“. Das habe ich auch nicht gesagt.

Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass nach dem Willen des Grundgesetzes die Wirtschaftsordnung nicht festgelegt ist, verschiedene Wirtschaftsordnungen möglich sind und die demokratischen Mehrheiten darüber entscheiden sollen, welche Wirtschaftsordnung gewählt wird. Darüber müssten wir uns doch einig sein.

Jetzt ist aber die Frage: Haben Sie dann das Recht, eine Partei, die sich in bestimmten Bereichen - gar nicht einmal überall - für Sozialisierungen einsetzt, z. B. bei den Banken - aus gutem Grund, wie wir in der Wirtschaftskrise wissen -, einfach außerhalb des Grundgesetzes zu stellen und zu behaupten, sie lehne die freiheitliche demokratische Grundordnung ab, nur weil sie von einer Möglichkeit Gebrauch machen will, die im Grundgesetz ausdrücklich genannt ist? - Das ist doch der Punkt. Natürlich können wir darüber unterschiedliche Meinungen haben. Aber mit diesen Tafeln und mit diesen Verfassungsschutzberichten unterstellen Sie uns immer wieder Absichten, die wir gar nicht haben, und für diese Unterstellungen bringen Sie keinerlei Beweisführungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Da heißt es z. B. auf der einen Tafel: Obwohl sich die Partei formell zum Grundgesetz bekennt, will sie das politische System der Bundesrepublik überwinden. - An dieser Stelle erwartet man natürlich eine Beweisführung. Aber die kommt nicht. Und was ist mit „politisches System der Bundesrepublik“ gemeint? Meinen Sie die freiheitliche demokratische Grundordnung, die das Bundesverfassungsgericht sehr präzise definiert hat? Meinen Sie Artikel 79 Abs. 3, in dem die unveränderlichen Grundprinzipien des Grundgesetzes genannt sind, z. B. der Sozialstaat? Oder meinen Sie diese oder jene Bestimmung im Grundgesetz, die wir kritisieren? Wir sind nicht mit dem Berufsbeamtentum verheiratet; Artikel 33 Abs. 5 könnte man meiner Ansicht nach ändern. Wir finden am Grundgesetz auch nicht so gut, dass Volksabstimmungen nur bei Länderneugliederungen möglich sind; auch da könnten wir uns Verbesserungen vorstellen. In diesem Sinne sind wir auch der Meinung, dass das politische System geändert werden sollte - aber im Sinne von mehr Demokratie und nicht im Sinne von weniger Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt will ich Ihnen, was Ihre Art von Unterstellungen betrifft, noch einen Satz aus dem Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2007 vorlesen:

„In dem neuen Eckpunktepapier“

- der Partei DIE LINKE -

„findet der Begriff des ‚demokratischen Sozialismus’ eine stärkere Berücksichtigung. Dieser Begriff ist aber nur scheinbar mit unserer bestehen

den freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.“

Wenn Sie diesen Satz zu Ende denken, können Sie die SPD gleich mitbeobachten. Das muss Ihnen doch klar sein. Ihnen muss auch klar sein, was für eine Methode Sie da anwenden.

Jetzt lade ich Sie zu einem Gedankenexperiment ein: Stellen Sie sich einmal vor, an der nächsten Landesregierung würde die Linke beteiligt, und unsere Partei würde den Innenminister oder die Innenministerin stellen! Dann stellen Sie sich einmal vor, wir würden mit der gleichen Methode gegen Ihre Partei vorgehen! - So, wie Sie die politische Auseinandersetzung führen, ist das umkehrbar. Darüber müssten Sie einmal nachdenken. Ich sage nicht, dass wir das wollen. Ich sage ausdrücklich: Wir würden nicht mit gleicher Münze zurückzahlen - weil wir Demokraten sind.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU - Reinhold Hilbers [CDU]: Das haben wir ja in der ehemaligen DDR gesehen! - David McAllister [CDU]: Wir wollen Frau Wegner hö- ren!)

Meine Damen und Herren, jetzt ist Herr Jüttner von der SPD-Fraktion an der Reihe. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Briese, das ist keine Debatte fürs Feuilleton. Hier geht es vielmehr erstens um die politische Kultur in diesem Hause und zweitens um die politische Programmauseinandersetzung zwischen den Fraktionen dieses Hauses. Das sage ich ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Partei ist stolz darauf, dass sie, seit sie in Parlamenten sitzt, immer auf der linken Seite des Hauses sitzt, weil wir die linke Volkspartei in Deutschland waren

(Waren! bei der CDU und bei der FDP)

und auch sind.

(Beifall bei der SPD - Sigrid Leu- schner [SPD]: Und bleiben werden!)

Wir haben auch sehr viel Verständnis dafür, dass die CDU immer auf der rechten Seite dieses Hau

ses sitzt, weil sie die demokratische Rechte in diesem Land ist. Auch das ist in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nicht akzeptabel ist aber, dass Ausgrenzungen stattfinden und dass hier subkutan - das ist mit dem Zitat von Herrn Adler eben deutlich geworden - nicht nur eine Partei ausgegrenzt wird, sondern auch politische Theorien und darauf basierende politische Grundsatzprogramme ausgegrenzt werden sollen. Das lassen wir nicht zu; deshalb dieser Antrag von uns.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Herr Adler hat eben aus dem Bericht zitiert, einem Buch, auf dessen Seite 1 der Innenminister sein Foto hat abbilden lassen. Das ist Ihre Position, Herr Schünemann. Sie sind der Meinung, hier dokumentiert, der demokratische Sozialismus sei im Kern mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Dieser demokratische Sozialismus ist unser Grundsatzprogramm, und dafür werden wir kämpfen, in diesem Hause und überall.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich sage Ihnen auch: Anschleichnummern interessieren uns nicht. Ich lese Ihnen einmal die Passage aus unserem Grundsatzprogramm vor:

„Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.“

Das ist unser Grundsatzprogramm: der demokratische Sozialismus. Jetzt erweckt Herr Rolfes den Eindruck, wenn er von Demokraten spricht, meint er uns mit. Ja, meine Damen und Herren - manchmal.

(Heinz Rolfes [CDU]: Immer!)

Ihr Kollege Hilbers hat am 27. Februar 2008 in diesem Hause den interessanten Zwischenruf gemacht:

„Sie haben sich doch den demokratischen Sozialismus ins Programm geschrieben!“

Damit wollte er sagen: Sie haben sich doch dadurch ausgegrenzt, dass Sie für den demokratischen Sozialismus votieren!