Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie viele Millionen Menschen auf dieser Welt sind im vergangenen Jahrhundert Opfer von - zugegebenermaßen - Faschismus, aber auch von Stalinismus gewesen!
Ich sage noch einmal: Wer den Parlamentarismus, lieber Herr Sohn - das Wort „lieb“ setzen Sie in diesem Zusammenhang bitte in Anführungszeichen -, so infrage stellt, ihn als Mittel zum Zweck verwendet und dabei ausdrücklich betont, dass der einzige und eigentliche Kampf für die Sache auf der Straße, auf den Schienen und anderswo stattzufinden habe und dass das hier sozusagen ein notwendiges Übel sei - - - Man kann auch weiter nachlesen, was andere geschrieben haben. Ich
erinnere etwa an einen Artikel der Jungen GenossInnen in der PDS-Zeitschrift - zugegebenermaßen vom 13. November 1993 -, in dem steht:
„Eine Partei oder Organisation, die eine Zielstellung, wie sie die PDS hat, ernsthaft durchsetzen will, muss sich … alle revolutionären Mittel offenhalten. Je nach Herrschaftsform … kann das politischer Generalstreik oder sogar Einsatz bewaffneter Gewalt bedeuten.“
Das war 1993. In Ihrem Artikel, Herr Sohn, schreiben Sie selber, dass Sie das Kind aus PDS und WSAG geworden sind. Bitte tun Sie hier nicht so, als gebe es eine gute, pazifistische Seite und eine schlechte Seite, die kriegstreiberisch auftritt. Das ist nicht die Wahrheit! Die Geschichte schreibt uns andere Dinge auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen, weil sie vom Parlamentarismus als der besten möglichen Gesellschaftsform überzeugt sind, sorgen Sie bitte mit uns dafür, dass wir dieser Truppe nicht auf den Leim gehen!
(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dr. Manfred Sohn [LINKE] und Victor Perli [LINKE] melden sich zu Wort - Karl-Heinz Kla- re [CDU]: Herr Perli, nicht schon wie- der! - Heinz Rolfes [CDU]: Wer will denn jetzt von euch?)
Jetzt hat sich Herr Kollege Jüttner von der SPDFraktion zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung das Wort. Sie haben drei Minuten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann, ich finde es schade, dass Sie im Gegensatz zu sonst nicht in der Sache Stellung genommen haben.
Denn das ist in der Tat ein gewichtiges Thema. Frau Dr. Andretta hat, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen, dass es die Wissenschaftsfreiheit gibt, aber dass bestimmte Dinge nicht rückholbar sind und es von daher schon sinnvoll ist, sich selbst zu kontrollieren und sich bei bestimmten Dingen zu beschränken und sie nicht aus der Flasche herauszulassen, weil man sie dann nicht wieder hineinkriegt. Das ist ein ernstes Thema - bei allen vorhandenen Komplikationen. Das ist das eine.
Zum anderen haben Sie in dem Tenor Ihrer Äußerungen hier den Eindruck erweckt, als müssten Sie uns Ratschläge geben, weil Sie uns sozusagen unter die Bemerkungen des Kollegen der Linkspartei mit vereinnahmt haben. Solche Belehrungen möchten wir von Ihnen nicht haben.
Ich sage hier: Was Herr Perli eben zum Thema Angriffskrieg in Afghanistan erzählt hat, ist dummes Zeug. Das ist einfach falsch. Der Afghanistankrieg mit deutscher Beteiligung basiert auf UNOBeschlüssen. Völkerrechtlich ist das alles sauber.
Und die Tatsache, dass ein Kollege eine Kurzintervention macht, die angegriffene Fraktion darauf reagiert, während wir gar nicht die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen, was im Übrigen auch gar nicht Gegenstand dieser Debatte ist, kann doch nicht dazu führen - ich sage das jetzt und hoffe, dass ich das hier nicht oft wiederholen muss -, dass wir bei dieser Auffassung mit vereinnahmt werden.
Wir wissen selber, was wir verantworten. Beim Thema Afghanistankrieg - das weiß jeder, weil wir im Bundestag in den letzten Jahren auch zugestimmt haben - haben wir eine deutlich andere Position. Wir können auch über dieses Thema reden. Aber die Art und Weise, wie Sie aus der Tatsache, dass wir nicht widersprochen haben, geschlossen haben, dass wir das wohl mittragen, fällt nicht unter sauberen Parlamentarismus, den Sie eben gerade haben einklagen wollen.
Danke schön. - Ebenfalls nach § 71 Abs. 3 erteile ich Herrn Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE für anderthalb Minuten das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dieser Kombination aus so viel Zärtlichkeit und Unterstellungen muss ich natürlich noch etwas sagen. Ihre Seite hat ordentlich gejohlt, als die Unterstellungen kamen.
Ich schließe mich Ihnen völlig an: Dieses Papier müssen Sie lesen! Das ist einfach ein richtig guter Aufsatz. Sie haben an folgenden Stellen Beifall geklatscht - ich zitiere, Herr Stratmann; korrigieren Sie mich, wenn es nicht stimmt -: Mittel zum Zweck, notwendiges Übel, nur Kampf auf der Straße. - Aber davon steht in dem Aufsatz gar nichts.
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das wol- len wir mal festhalten! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Er hat das Zitat der PDS gebracht!)
Zur Frage des Parlamentarismus kann ich Ihnen die Untersuchung empfehlen, die wir zur Abwägung repräsentativer Demokratie und politischer Willensbildung in der Krise nach der skandalösen Äußerung vonseiten der FDP in Auftrag gegeben haben. Herr Hirche hat - Herr Stratmann, da kommen wir zum Kern des Parlamentarismus - nämlich ohne Widerspruch seines Ministerpräsidenten gesagt, dass man gegen Beschlüsse eines Parlaments danach nicht mehr auf der Straße demonstrieren dürfe.
Das ist ein Abgrund an Missverständnis der parlamentarischen Demokratie. - Eine Zwischenfrage gestatte ich mit Vergnügen, von wem auch immer sie kommt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Sohn, wie bewerten Sie eigentlich das Verhältnis einer Fraktion zum Parlamentarismus, die im Ausschuss jede Diskussion zu einem Thema verweigert?
Dieses Thema hat hier ja schon ausführlich zur Diskussion gestanden. Das ist - noch mal an Ihre Adresse gerichtet - der Hauptwiderspruch, mit dem Sie leben müssen: dass Sie Parlamentarismus des Wortes als Kampfbegriff gegen Links betreiben, ihn selber aber in der parlamentarischen Praxis nicht ernst nehmen. Das zeigt sich hier im Parlament, das zeigt sich in den Ausschüssen,
und das zeigt sich zuletzt in Ihrer permanenten Weigerung - meinetwegen auch bei der FriedrichNaumann-Stiftung -, in die Auseinandersetzung mit der Frage, die in der Krise nicht leicht zu beantworten ist, der Abwägung von repräsentativer und direkter Demokratie zu gehen.
Danke schön. - Auf den Redebeitrag von Herrn Dr. Sohn hat sich Frau Kollegin Heinen-Kljajić von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben eine Redezeit von anderthalb Minuten. Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe eben ausgeführt, wie wir uns zu der Relevanz des Themas positionieren, das Gegenstand des Gesetzentwurfs ist. Ich habe auch gesagt, dass ich die Art der Debattenkultur ablehne, die wir im Ausschuss zu diesem Thema erlebt haben. Aber lieber Herr Sohn, Ihre Einlassungen auf dem Niveau eines Werbeblocks tun der Qualität von Parlamentarismus und Demokratie nun wahrlich keinen Gefallen.
Ich habe Angstzittern, dass die Grünen mir unterstellen könnten, ich würde jetzt den Werbeblock verlängern. Von daher sage ich dazu nichts mehr.