Protocol of the Session on October 30, 2009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Försterling, ich glaube, Sie trauen den Schulen einfach zu wenig zu. Vorher konnten zwei Jahre lang die Eigenverantwortlichen Schulen mit ihren Schulvorständen darüber entscheiden, ob sie Podiumsdiskussionen durchführen oder nicht.

(Zuruf von Karl-Heinz Klare [CDU])

- Es gab die Landtagswahl, lieber Herr Kollege Klare. Das haben Sie vielleicht schon vergessen. Sonst wären Sie jetzt gar nicht hier. In dieser Zeit hat die Landtagswahl stattgefunden.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Nein, aber ich habe direkt gewonnen!)

Ich traue es den Schulen wirklich zu, das zu regeln. Wenn zu befürchten ist, dass Rechtsextremisten in die Schulen kämen, kann der Schulvorstand doch den Beschluss fassen, dass nur Vertreter von im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen werden. Das ist durchaus möglich. Sie reden immer von Eigenverantwortlicher Schule. Aber Sie

wollen immer wieder im Detail hineinregieren, wenn Ihnen irgendetwas nicht passt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Hat uns dieser Beitrag jetzt wesentlich nach vorne gebracht?)

Frau Heiligenstadt hat das Wort. Sie haben ebenfalls anderthalb Minuten. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Försterling, gerade die Befürchtung, die Sie angesprochen haben, nämlich in solchen politischen Diskussionen demagogischen Politikerinnen und Politikern begegnen zu müssen, hat bei uns zu der Auffassung geführt: Grundsätzlich ist ein Politikererlass, wie er in der Ursprungsfassung aus den 90er-Jahren vorliegt, durchaus sinnvoll, weil er auch dem Schutz der Schulen dient.

Es geht heute aber nicht um die Frage, ob politische Agitation in Schulen sinnvoll ist oder nicht, sondern es geht in erster Linie um die Frage, ob die in diesem Erlass enthaltene Deregulierung, d. h. die Entscheidungsmöglichkeiten der Schule, aufgehoben werden soll oder nicht. Ich meine, gerade Sie von der FDP sollten den Schulen diese Verantwortung durchaus übertragen; denn sie können sehr verantwortungsvoll damit umgehen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch folgende Bemerkung: Ich denke, es gilt für die übrigen Wochen des Jahres das Gleiche wie für die vier Wochen vor der Wahl, was außerschulische Lernorte angeht. Wenn Landespolitiker von CDU oder FDP von der Landesregierung darüber informiert werden, dass Schulklassen die IdeenExpo besuchen, und diese Politiker sie während der Schulzeit dort empfangen, dann ist das auch nicht mehr ganz ausgeglichen. Ich meine, da sollten wir ehrlich miteinander umgehen. Ich halte es jedenfalls für sinnvoll, dass wir, wenn wir eine Woche vor der Bundestagswahl hier im Plenum Schulklassen haben, die sich das - - -

(Der Präsident schaltet der Rednerin das Mikrofon ab)

Es tut mir leid, Frau Heiligenstadt. Ihre Redezeit ist abgelaufen. - Herr Försterling, bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Korter! Sehr geehrte Frau Heiligenstadt! Ich fand es schon sehr merkwürdig: Sie singen jetzt beide das Hohelied der Eigenverantwortlichen Schule und der Entscheidung von Schulleitungen, haben aber in Ihren vorhergehenden Redebeiträgen deutlich kritisiert, dass es eine Schule gab, die ihr Jubiläum gerne mit einem Grußwort der Bundesfamilienministerin begehen wollte. Das haben Sie kritisiert. Daher sind Ihre Kurzinterventionen eher unglaubwürdig gewesen. So sehr geht es Ihnen um die eigenverantwortlichen Entscheidungen der Schulvorstände scheinbar doch nicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Ministerin Heister-Neumann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mit Ihnen allen der Auffassung, dass politische Bildung in die Schulen gehört. Ich bin vor allem der Auffassung, dass politische Bildung in Niedersachsen tatsächlich gelebte Praxis in den Schulen ist.

Ziel des Unterrichts muss es sein, den Aufbau und die Funktion unseres demokratischen Systems zu vermitteln und vor allem den Wert unserer freiheitlichen Demokratie jedem Einzelnen in Staat und Gesellschaft zu verdeutlichen.

Dass dies sehr gut gelingt und dass unsere Schülerinnen und Schüler insoweit bestens aufgestellt sind, habe ich bei der Veranstaltung „Jugend debattiert“ hier im Landtag erlebt. Da sind Schülerinnen und Schüler aus allen Schulen in Niedersachsen hier gewesen und haben in einer Art und Weise mit Spitzenpolitikern debattiert, dass ich, die ich hier hinten gesessen habe, gesagt habe: Mein Gott, davon können wir alle hier im Landtag noch gewaltig lernen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin aber auch der Meinung, dass das tatsächlich eine ganzjährige Aufgabe ist.

Ich bin auch der Meinung, dass dabei grundsätzlich das Neutralitätsgebot an Schulen zu beachten ist.

Die Erziehung zum mündigen Bürger soll die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, politische Vorgänge kritisch und selbstständig einzuschätzen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Schule dabei ein geschützter Raum ist, in dem die Schülerinnen und Schüler gemäß ihrem Alter mit der Politik und der politischen Auseinandersetzung vertraut gemacht werden sollen.

Für die Schule stellt sich daher das Prinzip der staatlichen Neutralität vor allem als Gebot politischer Mäßigung und auch als Gebot der Ausgewogenheit dar. Deshalb muss es in der sogenannten heißen Wahlkampfphase ein sorgfältig ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Ziel der Demokratieerziehung auf der einen Seite und dem Anspruch auf Gewährleistung von Neutralität auf der anderen Seite geben.

Das ist mit dem Runderlass des Kultusministeriums geschehen, der in Niedersachsen seit Jahrzehnten gilt und gehandhabt wird und der im Übrigen auch von Ihnen auf den Weg gebracht worden ist, und zwar in entsprechender Form, ehrlich gesagt, noch viel weiter gefasst, als wir ihn heute in Niedersachsen praktizieren.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Nun reden Sie doch einmal über den Erlass von Herrn Busemann! Das sind doch alles Nebelkerzen!)

Dieser Erlass folgt einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es den Staatsorganen als Ausfluss des allgemeinen Neutralitätsgrundsatzes untersagt ist, in den Wahlkampf insbesondere auch durch Öffentlichkeitsarbeit hineinzuwirken. Meine Damen und Herren, dieser Verfassungsgrundsatz kann nicht in die Entscheidung einzelner Gruppen gestellt werden.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Dann war Busemanns Vorgang verfassungswid- rig, oder was?)

Vielmehr muss das tatsächlich für alle gleichermaßen gelten, ob im Süden, im Norden, im Osten oder im Westen des Landes.

Frau Ministerin, Herr Jüttner möchte eine Zwischenfrage stellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Besuch von Politikerinnen und Politikern in Schulen

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie lehnen ab, weil Sie schon ahnen, was ich fra- gen will!)

ist in Niedersachsen über das gesamte Schuljahr hinweg möglich

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Verfas- sungsfeind, haben Sie gesagt!)

und, Herr Jüttner, ist auch ausdrücklich erwünscht.

(Ulf Thiele [CDU]: Herr Jüttner, krie- gen Sie sich mal wieder ein!)

Auch der Besuch innerhalb der Vierwochenfrist

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie hat Herrn Busemann als Verfassungs- feind beschimpft!)

- jetzt hören Sie doch bitte einmal zu! -

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das finde ich nicht in Ordnung! Jetzt nehme ich Herrn Busemann in Schutz und werde fertig gemacht!)

ist - bitte nehmen Sie das zur Kenntnis - nicht generell untersagt. Es sind auch Podiumsdiskussionen außerhalb des planmäßigen Unterrichts in der Schule möglich.

(Zuruf von der LINKEN: Außerhalb!)

Lediglich Podiumsdiskussionen im planmäßigen Unterricht innerhalb der letzten vier Wochen vor den Wahlen sind untersagt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist doch unlogisch!)

Noch einmal: Das Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung tritt bei der Beteiligung politisch Verantwortlicher an Schulen umso mehr in den Vordergrund, je näher der Wahltermin rückt. Wenn Podiumsdiskussionen im Rahmen der Schulpflicht zu Pflichtveranstaltungen unmittelbar vor den Wahlen werden, dann ist das verfassungsmäßig festgestellte Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung tangiert.

Ich darf an dieser Stelle abschließend daran erinnern, dass es in nahezu allen Bundesländern eine entsprechende Regelung gibt. An die Fraktion der Linken gerichtet, möchte ich darauf hinweisen, dass es im rot-rot regierten Berlin eine Regelung

gibt, wonach Politiker überhaupt nicht an die Schulen gehen dürfen. In Rheinland-Pfalz - unter SPDFührung - ist von der Mitwirkung von Politikerinnen und Politikern an schulischen Veranstaltungen in den letzten acht Wochen vor Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen abzusehen.

(Detlef Tanke [SPD]: Wie ist es in Bayern?)

Tun Sie mal nicht so, als ob das hier eine niedersächsische Veranstaltung wäre! Das Verfassungsrecht kennen alle Bundesländer, und entsprechend reagieren wir.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)