Protocol of the Session on October 28, 2009

Und die politische Verantwortung? - Der Ministerpräsident schaut sich das Ganze von außen an. Er will ja das Heft des Handelns in der Hand behalten. Er will den Zeitpunkt der Absetzung von Frau Heister-Neumann selbst bestimmen. Offenbar will er die Ministerin um jeden Preis halten. Man fragt sich nur: Warum will er das? - Mir fallen dazu spontan zwei Gründe ein:

Erstens. Sie haben Frau Heister-Neumann zur Ministerin und zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gemacht. Sie jetzt abberufen zu müssen, wäre ein Gesichtsverlust für Sie.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Bei uns werden sie noch immer ge- wählt! - Weitere Zurufe - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Zweitens. In Frau Heister-Neumanns Heimatverband Braunschweig gibt es Feuer unterm Dach. Eine Absetzung einer Braunschweigerin und dazu noch eines weiblichen Regierungsmitglieds würde in Ihrer Partei zu großen Verwerfungen führen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Woher wissen Sie denn das?)

Also halten Sie an der Ministerin fest, meine Damen und Herren, und zwar aus purem Egoismus und weil Sie Parteiräson über Landeswohl stellen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen, Herr Ministerpräsident Wulff: Diese Gesichtswahrungsstrategie dient nicht dem Ansehen des Amtes einer Kultusministerin. Sie dient auch nicht der Kultusministerin persönlich. Stattdessen schadet sie den niedersächsischen Schülerinnen und Schülern.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich Ihnen und den Fraktionen, die dieses Verhalten weiter stützen, ein Zitat von Luther mit auf den Weg geben,

(Oh! bei der CDU und bei der FDP)

- Ja, wir haben heute bereits das eine oder andere Zitat gehört. - Ich zitiere Martin Luther, meine Damen und Herren:

„Eine Lüge ist wie ein Schneeball: Je länger man ihn rollen lässt, desto größer wird er.“

Wir beantragen sofortige Abstimmung.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Durchsicht der vor den Herbstferien endlich vorgelegten Akten zum Disziplinarverfahren gegen den GEW-Vorsitzenden Eberhard Brandt ist jetzt klar

und belegbar: Das Verfahren gegen Herrn Brandt ist ausschließlich politisch motiviert gewesen. Es ist aus der Spitze des Ministeriums heraus gesteuert worden, auch wenn die Ministerin dies mehrfach bestritten hat.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie hat in dieser Frage gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit mehrfach die Unwahrheit gesagt. Deshalb muss sich die Ministerin heute erneut einem Abwahlantrag im Parlament stellen. Ich möchte dies in vier Punkten begründen:

Erstens. Frau Ministerin Heister-Neumann und der damalige Staatssekretär Uhlig haben die Entscheidung zur Einleitung des Disziplinarverfahrens getroffen - eines Verfahrens, von welchem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesschulbehörden in Braunschweig und Lüneburg, sogar der Präsident der Landesschulbehörde und seine Vertreterin mangels Berechtigung der Vorwürfe dezidiert abgeraten hatten.

Noch im letzten Moment vor der Absendung der Disziplinarverfügung am 21. April 2009 hat der Präsident der Landesschulbehörde mit der Ministerin über den Fall Brandt telefoniert, offensichtlich seine Bedenken geäußert und um Weisung gebeten, da er selbst das Vorgehen für falsch hielt.

Danach hat er - so ist es den Akten zu entnehmen - mit Hinweis auf Rücksprache mit der Hausspitze und Anweisungen des MK seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgefordert, die Disziplinarverfügungen gegen den GEW-Vorsitzenden und seine Schulleiterin hinauszuschicken.

Frau Ministerin Heister-Neumann, Sie haben uns in der Frage der Weisung also wiederholt die Unwahrheit gesagt. Ihre Entscheidung ist sogar per SMS in den Akten dokumentiert.

(Ralf Borngräber [SPD]: Ach was!)

Meine Damen und Herren, da fragt man sich doch, welcher Geist in der Spitze der Landesschulbehörde und des Ministeriums eigentlich herrscht, wenn eine SMS der Ministerin vorsichtshalber dokumentiert wird und in den Akten auftaucht.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!)

Allein das beweist für mich, dass der Präsident der Landesschulbehörde einen Beleg für diese umstrittene Entscheidung brauchte, damit er später nicht selbst zur Verantwortung gezogen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dieser Vorgang ist ein Beleg dafür, dass Sie, Frau Ministerin Heister-Neumann, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Entscheidungen aufgezwungen haben, die jene selbst für juristisch falsch hielten. Frau Heister-Neumann, Sie können sich ja über die Bedenken der Landesschulbehörde Braunschweig hinwegsetzen. Sie können sich auch über die Bedenken der Landesschulbehörde Lüneburg hinwegsetzen. Sie sind ja die Ministerin, und Sie sind Juristin. Wenn Sie aber alles besser als Ihre erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen wollen, dann tragen Sie bitte schön auch die Verantwortung für diese falsche Entscheidung.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Nun zum zweiten Punkt. Der Fall Brandt ist, wie erwartet, inzwischen geklärt. Das Disziplinarverfahren musste eingestellt werden, weil Herrn Brandt keine Dienstpflichtverletzung vorgeworfen werden konnte, auch wenn die Kollegen Klare und Försterling und der Ministerpräsident hier gern etwas anderes behauptet haben.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ganz ein- fach lesen!)

Um es ganz klar zu sagen: Herr Brandt hat sich nicht geweigert zu unterrichten. Er hat auch keinen Unterricht geschwänzt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das stimmt nicht!)

Er war jahrelang vom Unterricht freigestellt. Als sein Arbeitszeitkonto ins Minus geriet, hat er selbst einen Antrag auf Erhöhung seiner Stundenzuweisung gestellt, damit das Arbeitszeitkonto wieder ausgeglichen wird.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ein halbes Jahr zu spät!)

Was tut das Ministerium? Es verzögert monatelang den Bescheid über diesen Antrag, damit noch mehr Minusstunden zusammenkommen und man endlich einen triftigen Grund hat, um Herrn Brandt besser drankriegen zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Das ist ja abenteuerlich!)

Man baut eine Falle auf, um einen engagierten Kritiker Ihrer Schulpolitik mit einem Disziplinarverfahren unter Druck setzen zu können. Was sind das eigentlich für intrigante Methoden?

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ein dritter Punkt. Die Ministerin hat sich mehrfach herausgeredet und gesagt, es habe streng nach dem Legalitätsprinzip gehandelt werden müssen. Deshalb habe das Disziplinarverfahren gegen Herrn Brandt eingeleitet werden müssen. Es habe keinen Ermessensspielraum gegeben. - Auch das ist die Unwahrheit. Ein Verfahren darf nach dem Disziplinargesetz nur eingeleitet werden, wenn es dafür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, also gewichtige Verdachtsmomente gibt. Diese gab es nicht, wie ich gerade ausgeführt habe. Das hätten Sie, Frau Heister-Neumann, wissen müssen. Sie sind nämlich die Juristin.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich komme zum vierten Punkt. Der Verdacht, dass vertrauliche Unterlagen über den Vorgang aus der Hausspitze des Ministeriums an die Presse gelangen konnten, konnte ebenfalls nicht ausgeräumt werden. Im Gegenteil. Frau Heister-Neumann hat im Parlament auch am 13. Mai im Rahmen der Dringlichen Anfrage zum Fall Brandt nicht die Wahrheit gesagt. Auf Nachfragen der Opposition, ob denn ihr Pressesprecher auch eine dienstliche Erklärung abgegeben habe, hat sie erklärt, ihr Pressesprecher sei vor der Focus-Veröffentlichung definitiv nicht mit dem Fall befasst gewesen. Sie werden sich erinnern. Meine Damen und Herren, auch das ist falsch. Die Unterlagen belegen das gleich mehrfach. Frau Ministerin, Ihr Pressesprecher hat am 26. und am 27. März 2009, also gut einen Monat vor der Veröffentlichung im Focus, bei der Landesschulbehörde angerufen und sich beim Präsidenten nach dem Fall Brandt erkundigt. Dort hat er am 27. März die Information erhalten, dass gegen Herrn Brandt ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden sollte. Das war ungefähr einen Monat vor der Focus-Veröffentlichung. Die Ministerin erklärt uns hier im Landtag, dem Parlament, aber, ihr Pressesprecher sei vor der Veröffentlichung im Focus mit dem Fall nicht befasst gewesen. Muss ich dazu noch etwas sagen?

(Zuruf von den GRÜNEN und von der SPD: Nein!)

Frau Heister-Neumann, Sie allein tragen die Verantwortung für diesen unglaublichen Vorgang, mit dem einem Landesbediensteten, für den Sie verantwortlich sind, Schaden zugefügt werden sollte. Ein exponierter Kritiker Ihrer Schulpolitik sollte auf schamlose Weise als Schulschwänzer diffamiert und mundtot gemacht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Jetzt wollen Sie nicht einmal die Verantwortung dafür übernehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wer so mit seinen Landesbediensteten umgeht, darf nicht länger oberste Dienstherrin für fast 80 000 Lehrerinnen und Lehrer in Niedersachsen sein.

Wer so mit der Wahrheit umgeht, muss als Ministerin gehen. Herr Wulff - auch wenn Sie wahrscheinlich selbst an dieser Intrige beteiligt sind -, ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen! Wir fordern Sie auf, diese Ministerin heute noch aus dem Amt zu entlassen.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und Zu- stimmung bei der LINKEN)