Protocol of the Session on August 28, 2009

- Diese Überzeugung habe ich auch. Danke schön.

(Unruhe)

Frau Kollegin, warten Sie bitte einen kurzen Moment! - Meine Damen und Herren, es haben sich im Plenarsaal so viele Gesprächskreise eingerichtet, dass ich hier oben die Gesprächskreise manchmal besser als die Rednerin hören kann.

Wie ist denn zurzeit die Situation? - Die Pflegekräfte werden aus Polen und weiter aus dem Osten, wie der Ukraine, eingestellt. Wenn viele von Ihnen und ich pflegebedürftig sind, müssen schon Pflegekräfte aus der Mongolei eingestellt werden. Danach kommt der Pazifik. Da wohnt niemand mehr. Das heißt, die meisten von Ihnen und ich können überhaupt nicht mehr gepflegt werden.

Mit Ihrem Antrag bewegen wir uns weitere 15 Monate rückwärts und entfernen uns bedrohlich von der Weiterentwicklung der Pflegeausbildung.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere an Sie: Nehmen Sie den Landespflegebericht als Grundlage für Arbeitsaufträge und entsorgen Sie diesen Antrag! Er hält uns nur von der dringend notwendigen Arbeit ab.

Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist Frau König von der Fraktion DIE LINKE. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Antrag „Weiterentwicklung in der Pflegeausbildung“ gestehen CDU und FDP zwar ein, dass wegen des Pflegenotstandes Handlungsbedarf besteht. Sie führen sich mit der eigenen Konzeptlosigkeit aber auch vor. Die Erwartungen, die die Überschrift auslöst, bleibt der Antrag schuldig. Es ist nebulös.

(Beifall bei der LINKEN)

Anstelle konkreter Ansätze für eine verbesserte Ausbildungsqualität und erweiterte Bildungsinhalte sind im Antrag nur Andeutungen zu finden, mit welchen Mitteln die Anzahl der Pflegekräfte schönpoliert werden soll.

Die Probleme in der Pflege bestehen, weil Kliniken zur Rotstiftpolitik gedrängt werden. Ausbildungsplätze sind reduziert, es ist kein Geld für Personal vorhanden, und Stellen werden abgebaut. Ganz nebenbei: Pflegeausbildung findet in der Schule, aber auch auf den Stationen statt. Oftmals haben examinierte Kräfte keine Zeit, diese Schülerinnen und Schüler zu begleiten und ihnen Inhalte zu vermitteln. Da ist ein Defizit.

(Beifall bei der LINKEN)

Der gesamte Berufszweig ist von einer starken Fluktuation betroffen. Bei jungen Menschen besteht tatsächlich eine mangelnde Bereitschaft, diesen Beruf zu ergreifen. Dies hat Gründe. Es gilt, sie anzugehen.

Um nicht missverstanden zu werden: Wir haben nichts dagegen, Hauptschulabsolventen und Berufswechsler für den Pflegeberuf zu gewinnen. Die Leute sind gut. Ich bin selbst Späteinsteigerin. Das

allein klärt aber noch nicht die Fragen der Ausbildungsqualität und der Attraktivität des Berufes. Die Attraktivität ist in der jüngsten Zeit wirklich nicht gestiegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Gegenteil, den Pflegenden fehlen die verlässlichen Rahmenbedingungen und das erworbene Wissen, um ihre durch Erfahrung erworbene Kompetenz umzusetzen. Jede Lohnerhöhung haben die Pflegenden in den letzten Jahren mit Arbeitsverdichtung bezahlt. Diese strukturell angelegte Überbelastung führt zu dem Dauerstress und dem permanenten Druck, der Verantwortung dem Patienten gegenüber nicht mehr gewachsen zu sein. Das macht krank! Das sind die Aussteiger, die dann sagen: „Das kann ich nicht mehr verantworten!“ Deshalb gingen im September 2008 130 000 Beschäftigte auf die Straße.

Das neue Stichwort heißt „Arbeitsteilung“. Es wird über neue Pflegeberufe diskutiert, die qualifiziertes Personal entlasten sollen. In Wirklichkeit bedeutet das aber jetzt schon in vielen Kliniken, dass examiniertes Pflegepersonal durch Hilfskräfte ersetzt wird. Pflegekonzepte und Pflegestandards, ausgearbeitet am Schreibtisch von einer Fachkraft, die oftmals den Patienten gar nicht mehr kennt - sie hat nicht die Zeit für ein Gespräch -, werden zur Gebrauchsanweisung für Hilfskräfte. Pflege wird dadurch zum Stückwerk.

(Beifall bei der LINKEN)

Ganzheitliche Pflege mit dem Erkennen von Ressourcen ist nicht möglich. Dadurch gehen Chancen zur vollkommenen Genesung oder zur Bewältigung des Lebens mit Behinderung verloren. Das eigentliche Problem ist, dass Pflege unter der vermeintlichen Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte zu einer Ware mutiert ist, die zu Dumpingpreisen gehandelt wird. Eine Pflege, die den Namen verdient, benötigt Zeit und hat ihren Preis. Wer an der Pflege spart, der spart am falschen Ende. Das ist für die meisten der Patienten inhuman und kann im Zweifelsfall tödlich sein.

Wenn es den Regierungsfraktionen mit dem Thema Pflege ernst ist, dann gilt es zuerst, die Bedingungen aus dem Jahre 1993 wieder herzustellen, damit ausreichende Pflege überhaupt wieder möglich wird. Räumen Sie erst einmal die Stolpersteine, die Sie gelegt haben, aus dem Weg!

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben hier angeführt, dass für das Führen von Gesprächen mit Anhängern verschiedener Kulturen Sprachwissen erforderlich ist. Schaffen Sie aber doch erst einmal die Zeit, dass das Gespräch wieder möglich ist und die Schwester oder der Pfleger für Gespräche Zeit findet!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Pflegenden benötigen Sicherheit, um diese Arbeit auszuführen, und keine Zeitverträge und Anstellungen in Servicegesellschaften.

(Norbert Böhlke [CDU]: Ist das Aufga- be der Politik?)

Damit könnte der Fluktuation in diesem Berufsbereich entgegengewirkt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kliniken benötigen außerdem finanziellen Spielraum, um die von Ihnen geforderte Qualitätssicherung, eine gute Ausbildung und eine fortlaufende Weiterbildung sicherzustellen. Das sind auch unsere Forderungen: Qualitätssicherung, gute Ausbildung, fortlaufende Weiterbildung. Aber bitte sorgen Sie durch Bundesratsinitiativen dafür und schieben Sie die Verantwortung nicht weg!

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Diese Bedingungen müssen stimmen, damit gute Pflege geleistet werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gärt ganz gewaltig in der Pflege, und zwar nicht nur in der Ausbildungsfrage. Die Unzufriedenheit ist groß, die Fluktuation ist hoch. Viele Pflegekräfte steigen resigniert aus ihrem Beruf aus. Sie protestieren gegen Dumpinglöhne und unzumutbare Arbeitsbedingungen, und auf einen Mindestlohn warten sie nach wie vor.

In Niedersachsen ist die Pflege ganz besonders schlimm dran. Es ist einfach nicht zu verstehen, warum die Pflegesätze gegenüber anderen Bundesländern etwa 20 % niedriger liegen. Dieses

Geld fehlt den Einrichtungen für gute Pflege und für eine vernünftige Entlohnung der Pflegekräfte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Glücklicherweise gibt es immer noch junge Menschen, die den Altenpflege- oder Pflegeberuf erlernen wollen. Aber nach wie vor gibt es insbesondere in der Altenpflege mehr Bewerberinnen als Ausbildungsplätze. Das ist ein trauriges Bild, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie hätten dieses Problem längst lösen können, wenn Sie die Ausbildungsumlage eingeführt hätten.

(Beifall bei der SPD)

Die Ministerin wollte quasi als Ersatzmaßnahme im Rahmen ihres vorweihnachtlichen sogenannten Pflegepakets durch zusätzliche Finanzmittel an die Träger neue Ausbildungsplätze schaffen. Doch was ist zu hören? Offenbar ist bislang kein müder Euro geflossen. Nach wie vor fehlen die Richtlinien, obwohl die Ankündigung nun schon über acht Monate alt ist. Das finde ich seltsam.

Darüber hinaus reichen die den Schülerinnen ausgezahlten 60 Euro nicht, um Schulgeldfreiheit an den Fachschulen zu erreichen. Genau das ist aber doch wichtig für die Berufswahl; denn sonst findet hier sogar noch eine Sozialauswahl statt: Wer sich das Schulgeld leisten kann, darf lernen, und die anderen bleiben vor der Tür. - Dieses Weihnachtsgeschenk ist also zumindest in den beiden genannten Teilen eine hohle Nuss.

Meine Damen und Herren, ob Ihr Antrag vor diesem Hintergrund überhaupt die Welt bewegt, bezweifle ich. Allein schon der Zeitrahmen, den Sie der Landesregierung zugestehen, ist wenig ambitioniert. Bis zum 1. November 2010, also erst nach über einem Jahr, soll ein Konzept vorgelegt werden. Genau erfährt die Leserin nicht, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Ausbildungsinhalte an die Erfordernisse der Praxis weiterentwickeln, langfristige Perspektiven darstellen - das ist schon ziemlich unkonkret.

Bei der Integration der Pflegeausbildungsgänge haben Sie uns allerdings an Ihrer Seite, schließlich handelt es sich hierbei um ein rot-grünes Projekt. Die Große Koalition in Berlin hätte allerdings längst handeln können; denn die Erkenntnisse aus den Modellprojekten liegen schon lange vor. Frau Groskurt hat darauf hingewiesen, wie lange der

Modellversuch in der Henriettenstiftung schon abgeschlossen ist.

Bei der jüngst in Berlin beschlossenen Absenkung der Zugangsvoraussetzungen für die Pflegeausbildung sind wir gemeinsam mit den Pflegeverbänden kritisch. Die fehlenden Praxisplätze werden mit dieser Maßnahme nicht herbeigezaubert. Und gerade Niedersachsen hat doch mit der Ausbildung zum Sozialassistenten im Bereich Pflege für Hauptschülerinnen und Hauptschüler einen sehr guten und, wie ich finde, richtigen Weg beschritten. Dass die Regierungsfraktionen dies nun wieder ins Abseits manövrieren wollen, erschließt sich mir nicht wirklich.

Meine Damen und Herren, eine reine Fachschulausbildung wird angesichts der enorm gewachsenen Anforderungen in den Pflegeberufen auf Dauer ohnehin nicht reichen. Wir brauchen ein Upgrading für diese überwiegend von Frauen ausgeführten Berufe auf Hochschulniveau. Das ist überfällig, auch mit Blick auf den europäischen Kontext. Frau Mundlos hat darauf hingewiesen, dass dafür ein Konzept erforderlich ist. In vielen europäischen Ländern läuft die Ausbildung anders ab als bei uns. Die Pflegekräfte aus Deutschland haben bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse im Ausland sehr oft Schwierigkeiten. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns in dieser Frage bewegen.