Nach Angaben der Bundesregierung hat bislang keine einzige Hochschule einen Forschungsauftrag des Verteidigungsministeriums abgelehnt. Das liegt eben auch daran, dass viele Forscher an den Hochschulen heute von Drittmittelaufträgen abhängig sind. Das hat die Politik - mit Ausnahme der Linken - forciert.
Deshalb ist es eine entscheidende Frage, die auch der Niedersächsische Landtag beantworten muss, ob Hochschulen Drittmittel auch dann annehmen sollen, wenn die damit anvisierte Forschung Kriegszwecken dienen wird.
Die Linke sagt eindeutig Nein zur Rüstungsforschung an den niedersächsischen Hochschulen. Wir schlagen deshalb vor, einen Satz in das Hochschulgesetz aufzunehmen, wonach die vom Land zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel an den Hochschulen ausschließlich für Vorhaben verwendet werden sollen, die friedlichen Zwecken dienen.
Dieser Satz war in leicht abgeänderter Form bereits von 1993 bis 2002 Bestandteil des Hochschulgesetzes, wurde jedoch im Zuge der NHGNeufassung als scheinbar unwichtige und für interessierte Kreise sicherlich auch lästige Formulierung gestrichen.
Bis dahin war die Auffassung der Landesregierung, „dass es der Aufgabenstellung der Hochschulen nicht entspricht, wenn in ihnen Forschung betrieben wird, deren Ergebnisse für eine militärische Nutzung vorgesehen sind oder aber für eine solche Nutzung erkennbar unmittelbar missbraucht werden sollen, und dass das Land nicht bereit ist, seine der Wissenschaft gewidmeten Ressourcen hierfür zur Verfügung zu stellen.“ Das ist ein Zitat aus einer Drucksache der 12. Legislaturperiode.
Ich befürchte, dass die rechtliche Seite dieses Parlaments einwenden wird, dass das Ansinnen einer Zivilklausel selbst eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit sei. Mit dieser These hat sich der renommierte Staatsrechtler Professor Denninger auseinandergesetzt und kommt in einem Gutachten zu dem Ergebnis - ich zitiere -:
„Die forschungs- und ausbildungspolitische Ausrichtung einer Hochschule oder eines Forschungszentrums auf die im Grundgesetz und in den für die wiedervereinigte Bundesrepublik völkerrechtlich konstitutiven Verträgen zum Ausdruck gebrachte ‚Friedlichkeit’ ist nicht als Element einer verfassungsrechtlich unzulässigen ‚Tendenzuniversität’ anzusehen. Vielmehr ist eine solche ‚Friedensfinalität’ ein zentral wichtiges und normativ hochrangiges Element der Organisation und Funktionen staatlicher Institutionen der Bundesrepublik Deutschland.“
Die mit unserem Gesetzentwurf vorgeschlagene Sollregelung trägt sowohl der Wissenschaftsfreiheit als auch der Hochschulautonomie Rechnung und fördert eine transparente Einzelfallbetrachtung in Streitfällen.
Ich habe im Vorfeld der heutigen Beratungen den Einwand gelesen, dass das Hochschulgesetz der falsche Ort für eine Zivilklausel sei. Tatsächlich spricht nichts dagegen, auch auf der untergesetzli
Die TU Berlin hat dies 1991 mit Blick auf die eigene Vergangenheit getan und beschlossen, dass - ich zitiere - „keine Aufträge oder Zuwendungen für rüstungsrelevante Forschungen entgegengenommen werden sollen“.
Allerdings ist im Gegensatz zu dieser Vereinbarung durch eine Anfrage der Linken im Bundestag im Januar dieses Jahres bekannt geworden, dass die TU Berlin mindestens seit dem Jahr 2000 Drittmittel vom Bundesverteidigungsministerium erhält, um damit wehrtechnische und wehrmedizinische Forschung zu betreiben.
Dieser Sachverhalt war nicht einmal dem Hochschulrektor bekannt, der in einer Hochschulpublikation in diesem Jahr bekannte - ich zitiere -:
„Der Fakt, dass der Universitätspräsident von der Studierendenschaft unterrichtet werden muss, wobei diese es wiederum zufällig aus dem Bundestag erfahren muss, spricht Bände über die Transparenz an der TU.“
Dieser Fall zeigt exemplarisch, dass es an nahezu allen betroffenen Hochschulen weder den Mitarbeitern noch den Studierenden bewusst ist, dass nebenan für den Krieg geforscht wird. Das liegt eben auch im Interesse der Verantwortlichen.
Es zeigt, dass untergesetzliche Regelungen allein keine Gewähr dafür bieten, dass Rüstungsforschungsaufträge auch nur ansatzweise hochschulöffentlich bekannt werden.
Die Freiheit der Wissenschaft aber setzt voraus, dass eine kritische Auseinandersetzung überhaupt stattfinden kann. Deshalb ist die Politik in der Verantwortung und muss hier tätig werden, wenn sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen will, ein Interesse an der Verschleierung von Rüstungsforschung zu haben.
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.“
In diesem Sinne fordern wir die Wiedereinführung der Zivilklausel in das Niedersächsische Hochschulgesetz. Die niedersächsischen Hochschulen
Als nächste Rednerin spricht Frau Dr. Andretta für die SPD-Fraktion. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Dr. Andretta.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anliegen des Gesetzentwurfes, Wissenschaft nicht in den Dienst von Krieg zu stellen, ist eine Lehre aus unserer Geschichte und wird von uns unterstützt. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich zwischen 1933 und 1945 überall in Deutschland, auch an der Universität Göttingen, der Technischen Hochschule Braunschweig und der Technischen Hochschule Hannover, Wissenschaftler vor den Karren der Rüstungs- und Kriegsforschung spannen ließen und Forschung an Hochschulen Teil nationalsozialistischer Weltmachtpläne wurde.
Heute wissen wir: Mit dem Holocaust und der Atombombe hat die Wissenschaft ihre Unschuld ein für alle Male verloren. Die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft und des Wissenschaftlers stellt sich immer wieder neu. „Was einmal gedacht wurde“, heißt es in Dürrenmatts „Die Physiker“, „kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Dieses Plädoyer für die Selbstbegrenzung von Wissenschaft sollten wir ernst nehmen. Nicht alles, was machbar ist, ist auch verantwortbar. Dies gilt im Besonderen für Forschung, die militärischen Zwecken dient.
Der Gesetzentwurf heute nimmt diesen, zuletzt im Rahmen der NHG-Novelle 1993 - Herr Perli hat darauf hingewiesen - geführten Diskurs wieder auf. Besteht in dem politischen Ziel Übereinstimmung, muss von uns aber die Frage beantwortet werden, ob eine allgemeine Zivilklausel im Hochschulgesetz der richtige Weg ist, dieses Ziel zu erreichen. Nur weiße Salbe für das eigene Gewissen, meine Damen und Herren, wäre uns zu wenig.
Soll das Gesetz also mehr als bloße Deklaration sein, hängt alles von der Operationalisierbarkeit der Zivilklausel ab. Wer forscht was und in wessen
Auftrag? Wer entscheidet, was ein friedlicher, was ein kriegerischer Zweck ist? Wie werden die Projekte überprüft? Welche Kriterien gibt der Gesetzgeber den Hochschulen an die Hand? Da hier ein Grundrecht - Artikel 5 des Grundgesetzes: Wissenschaftsfreiheit - berührt wird, müssen die Kriterien schon präzise sein, die Entscheidungen eindeutig.
Schwierig wird es vor allem bei Projekten, die nicht unmittelbar militärischen Zwecken dienen, den sogenannten Dual-Use-Projekten, deren Ergebnisse sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können. Genau hier, meine Damen und Herren, liegt der Hase im Pfeffer: Grundlagenforschung in der Atomphysik war die Voraussetzung für die Entwicklung der Atombombe. Darf sie weiter finanziert werden? Was ist mit Forschung in der Chemie? Chemiker untersuchen die Eigenschaften von Molekülen und erschaffen mitunter welche, die es bis dahin noch nicht gab, z. B. Kunststoffe, Katalysatoren oder Bausteine für die molekulare Elektronik. Die Anwendung ist denkbar breit, natürlich auch für militärische Zwecke. Wo ist Licht, und wo ist Schatten? Denken Sie an die Informatik, an die Laserforschung, die Virologie, die Luft- und Raumfahrtforschung oder die gesamte Mobilitäts- und Logistikforschung! Dual Use liegt hier auf der Hand. Diese Forschungen also nicht mehr finanzieren?
Aber nicht nur Physiker, Chemiker, Biologen und Mediziner kämen in Bedrängnis und müssten Rechenschaft ablegen. Was ist mit der Organisationssoziologie? Was ist mit der Psychologie? Auch ihre Forschung lässt sich auf Kriegsbedürfnisse ausrichten.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen und zeigen, wie schwierig die Definition dessen ist, was kriegsfördernde Forschung im konkreten Fall ist. Es war dann auch die Einsicht in die mangelnde Operationalisierbarkeit der Zivilklausel, die 2002 zu ihrer Streichung aus dem NHG führte. Es war nicht die Absicht, in den Krieg zu ziehen, Herr Perli.
In den zehn Jahren gab es meines Wissens keinen einzigen Forschungsantrag, der an der Regelung im NHG gescheitert wäre. Die damals im Gesetz geforderten Kommissionen sind öffentlich nie aktiv geworden. Ich weiß überhaupt nicht, welche Hochschulen sie jemals eingerichtet haben. Wenn man die im Landtag geführte Debatte von 1992 nachliest, wird deutlich, dass der Gesetzgeber vor allem ein Ziel verfolgte: Er wollte in der Gesellschaft und
in den Hochschulen eine breite Debatte zur Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft anstoßen. Diese Debatte hat leider bis heute viel zu wenig stattgefunden.
Damit reden wir nicht einer unbegrenzten Forschungsfreiheit das Wort. Verantwortungsethik im Sinne eines Bedenkens der Folgen ist die Schwester der Wissenschaftsfreiheit;
denn Wissenschaftsfreiheit heißt ja nicht, dass man tun und lassen kann, was man will, sondern heißt immer auch: Übernahme von Verantwortung und Selbstbegrenzung.
Was wir also vielleicht weniger brauchen, sind Gesetzesparagrafen, sondern vielmehr brauchen wir ethische Prinzipien für eine gute Forschungspraxis.
Ob die Herausbildung einer wissenschaftlichen Ethik als verbindliche und konsensfähige Gesellschaftsmoral mit einer allgemeinen Zivilklausel im NHG erreicht werden kann, ist fraglich. Wir sollten diese Frage aber gemeinsam im Ausschuss ernsthaft diskutieren; denn die Konsequenzen des eigenen Tuns zu beachten, geht nicht nur als Forderung an die Wissenschaft, sondern auch an uns, den Gesetzgeber.