Kollegin Korter, Ihr Antrag drückt es aus - die „glückliche und lebendige Jugend“ hatten, die Sie sich vorstellen - bis dann diese Landesregierung mit dem früheren Kultusminister und ihrer Schulzeitverkürzung kam. Das ist eine Verkürzung sondergleichen, die nicht zulässig ist.
Mit Ihrem Schlechtreden der Hauptschule bringen Sie im Übrigen viele Eltern unter Druck, den Schullaufbahnempfehlungen nicht zu folgen, was zur Konsequenz hat, dass die Schüler bei Überforderung eben auch Schulangst haben. Bitte sehen Sie auch einmal Ihr Verhalten kritisch an.
Schulangst ist ein schlimmes Phänomen. Es hat aber sehr viel mehr Ursachen in der modernen Leistungs- und Freizeitgesellschaft als in der Schulzeitverkürzung in Niedersachsen. Auch das müssen wir einmal klar feststellen.
Die Eltern - diese sind vorhin auch ein paarmal erwähnt worden - sind im Übrigen mit der Schulzeitverkürzung nicht unzufrieden. Politikwissenschaftler haben gerade im Zusammenhang mit der Hessen-Wahl eindeutig festgestellt, dass Eltern diese Schulzeitverkürzung wollen. Insofern war - um auf Ihren Antrag einzugehen - die Schulzeitverkürzung nicht „überstürzt“, wie es im Antrag heißt, sondern im Gegenteil überfällig.
Die Frage ist natürlich, wie man Belastungen reduzieren kann, ohne dass man die Qualitätsstandards aufgibt. Die von Ihnen geforderte Aufteilung des Unterrichts etwa in Doppelstunden kann die Eigenverantwortliche Schule beschließen. Diese Landesregierung hat sie auf den Weg gebracht. Ebenso ist die bewusste Rhythmisierung des Schultages, von der Sie sprechen, an vielen Ganztagsschulen bereits gang und gäbe. Auch an Folgendes will ich Sie noch erinnern: Keine Landesregierung hat so viele Ganztagsschulen genehmigt wie diese Landesregierung. Auch das wollen wir hier festhalten.
Wenn Sie, Frau Kollegin Korter, anstelle der Hausaufgaben jetzt selbstständiges Lernen und Üben unter Aufsicht - so steht es in den Antrag - fordern, dann frage ich Sie, was das anderes ist als betreute Hausaufgaben.
Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock, Frau Korter möchte Ihnen eine Frage stellen. Gestatten Sie diese?
Sie fordern das Abitur wahlweise nach 12 oder 13 Jahren. Der Kollege Poppe hat soeben eine eindrucksvolle Auflistung vorgenommen, wie viele verschiedene Möglichkeiten - je nach Schulform - die Schüler tatsächlich haben, wobei sie wählen können, ob sie das Abitur nach 12 oder nach 13 Jahren machen. Wenn man sich die Mühe macht, sich viele Einzelheiten anzuschauen, sieht man, dass wir vieles, was Sie fordern, schon haben bzw. dass es unmittelbar in Arbeit ist. So sind z. B. auch die kleineren Klassen von der Landesregierung schon längst angekündigt. Die Ressourcen - diese Konsequenz ist deutlich - bleiben bei sinkenden Schülerzahlen im System. Weiterhin haben wir - bezeichnenderweise wurde dies gerade von keinem genannt - anderthalb zusätzliche Lehrerstunden für die neunten Klassen, die im Umbruch stehen. Wir sagen hier ganz deutlich: Anderthalb zusätzliche Lehrerstunden bedeuten nicht anderthalb Stunden mehr Unterricht für die Schüler. Diese zusätzlichen Stunden können verwendet werden, etwa um kleinere Gruppen zu bilden.
Der Kernpunkt - das ist völlig klar - ist immer die Verteilung des Pensums. Wenn wir die Diskussion jetzt noch einmal aufrollen - die Ministerin hat ja bereits Gespräche am runden Tisch initiiert und wird den Dialog weiterführen -, müssen wir uns auch mit Dingen auseinandersetzen, die bei uns im Moment noch überall tabu sind. Ich erinnere mich daran, dass Hurrelmann, ein recht angese
hener Pädagoge, neulich gesagt hat, wir müssten auch über eine Ferienzeitverkürzung nachdenken. Eine mildere Form ist die Abschaffung der freien Samstage oder eines freien Samstags. Unbequeme Maßnahmen wie diese haben Sie wohlweislich nicht genannt, weil man sich damit vielleicht nicht beliebt macht.
Der Begriff der Entrümpelung ist ganz unpraktikabel, einfach weil er vorgibt, dass es ein Zuviel gibt, bei dem man das eine oder andere eliminieren kann, ohne den Rest umzubauen. Frau Korter, die Behauptung, die in dem Antrag der Grünen steht, dass in kürzerer Zeit dieselbe Menge Stoff - so wörtlich - „gepaukt“ werden müsste, ist falsch. Es ist vielmehr so, dass die Kerncurricula, die wir haben, es in der Tat ermöglichen, Stoff zu verdichten, aber nicht in dem von Ihnen beschriebenen Sinne, sondern gerade durch exemplarisches Lernen. Frau Kollegin Korter, es wäre gut, wenn Sie mitbekämen, dass auch ich das exemplarische Lernen, das Sie fordern, unterstütze; ich finde es an den Schulen allerdings auch vor. Dort können nämlich Ergebnisse, die in einem Lernbereich gewonnen werden, exemplarisch in einen anderen Lernbereich übertragen werden. Es ist also durchaus nicht so, dass rein quantitativ die Stoffmenge umso größer ist, je kürzer die Zeit des Lernens ist. Umgekehrt ist es natürlich auch so, dass dann, wenn Sie es mit einer langen Zeitspanne zu tun haben - das kennen Sie aus den Geschichtsbüchern - die Kapitel nicht deshalb länger werden, weil inzwischen 40 oder 50 Jahre vergangen sind. Das Prinzip, das dahintersteht - alle Lehrerinnen und Lehrer praktizieren es -, ist das der didaktischen Reduktion. Das ist zwar ein ganz alter Hut, aber eine sehr vernünftige Sache.
Unsere Lehrerinnen und Lehrer haben Ideen. Im Dialog mit ihnen werden wir Lösungen finden. Wir lassen ihnen dafür die nötige Zeit. Vergessen Sie im Übrigen nicht, dass der durch die Verkürzung der Schulzeit entstehende Druck auch durch immer bessere Verzahnung der Grundschulen mit den weiterführenden Schulen und durch die gute Verzahnung der Kitas mit den Grundschulen, die diese Landesregierung eingeführt hat, abgebaut wird.
Der nötigen Diskussion über die Ausgestaltung unseres reformierten Gymnasiums wird sich die Ministerin, wie angekündigt und bereits begonnen, stellen. In Zusammenarbeit mit allen an Schule Beteiligten werden wir zu einer guten weiteren Entwicklung kommen.
Danke schön. - Zu einer Kurzintervention hat Herr Kollege Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich bin kein Bildungspolitiker. Der Hintergrund bei meiner Kurzintervention ist, dass ich das hier Gesagte verstehen will. Ich höre in dieser Debatte darüber, warum man das achtjährige Gymnasium bzw. die Schulzeitverkürzung braucht, immer nur ein Argument. Als Argument wird der Wettbewerbsnachteil, den man hat, angeführt. Es heißt, man müsste zu den europäischen oder zu den globalisierten Wettbewerbern aufschließen. Ich will die Zusammenhänge wirklich verstehen und möchte deshalb gern eine sachliche Antwort auf diese Frage: Warum ist es ein volkswirtschaftlicher Nachteil oder ein Wettbewerbsnachteil, wenn in der komplexen Wissensgesellschaft Schülerinnen und Schüler ein Jahr länger lernen, also länger Zeit haben, sich auf eine komplexe Berufswelt vorzubereiten? Wo ist wirklich ein Wettbewerbsnachteil gegeben, wenn ich länger lerne? Ich verstehe das nicht. Erklären Sie es mir bitte!
Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock, nach der Geschäftsordnung, die wir gestern beschlossen haben, stehen Ihnen für die Entgegnung anderthalb Minuten zur Verfügung. Dann stelle ich das Mikrofon ab. Sie haben das Wort, Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock.
Ich erkläre das gerne. Wir haben in der Vergangenheit sehr häufig den Fall gehabt, dass unsere Schüler, die mit 19 oder 20 Jahren das Abitur machen, dann noch ein sehr langes Studium vor sich
haben und dann, wenn sie sich bewerben, zwei, drei oder vier Jahre älter sind als ihre Kollegen aus anderen europäischen Ländern. Das bedeutet einen Wettbewerbsnachteil für die Hochschulabsolventen. Bewerbungen auf dem Arbeitsmarkt erfolgen heute sehr oft länderübergreifend.
Angesichts dessen ist es einfach sinnvoll, den Weg zu beschreiten, den die Landesregierung beschritten hat, nämlich einerseits die Schulzeitverkürzung und damit eine Umgestaltung - hierunter fallen viele andere Dinge, die ich auch erwähnt habe - in Angriff zu nehmen und andererseits - auch dies tun wir mit den Bachelor- und Masterabschlüssen - die Hochschulstudiengänge zu straffen. Ich halte diese beiden Säulen und einige andere Dinge, auf die ich jetzt nicht eingehen kann, für ein außerordentlich gutes, zukunftsträchtiges Modell. Wir bekommen dabei auch Zuspruch von Studenten.
Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Kollegin Reichwaldt zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Schulzeit bis zum Abitur ist für den Regelfall auf zwölf Jahre verkürzt worden. Die Option auf das Abitur nach 13 Jahren gibt es nur noch an Fachgymnasien und Integrierten Gesamtschulen. Die Schülerinnen und Schüler müssen bis zum Abitur 265 Jahrgangswochenstunden nachweisen. Sie müssen dieselbe Stundenzahl statt in 13 Jahren nun in 12 Jahren nachweisen. Der Stoff ist hingegen nur unwesentlich oder gar nicht reduziert worden.
Der vorliegende Entschließungsantrag ist notwendig - so dachte ich spontan. Es muss gehandelt werden, um die unerträgliche Belastung für die Schülerinnen und Schüler durch die völlig unausgegorene und übereilt durchgesetzte Schulzeitverkürzung abzumildern. In dem Antrag sind sicherlich sehr vernünftige Überlegungen enthalten. Ich stimme hundertprozentig zu: Das Turbogymnasium verschärft die soziale Spaltung in unserem Schulsystem. Durch die Verkürzung der Schulzeit sind die Gymnasien de facto schon zu Ganztagsschulen geworden, auch wenn sie sehr oft noch nicht so organisiert sind. Die pädagogische Rhythmisierung des Schulalltags und die Einführung von Doppelstundenkonzepten als Zwischenschritt sind
genauso sinnvoll wie die Einführung selbstständiger Lern- und Übungsphasen in der Schule mit Beratung durch Lehrkräfte. Und wir brauchen natürlich viel kleinere Lerngruppen.
Gefordert wird in dem Antrag auch eine Flexibilisierung der individuellen Lernzeit, dann gegebenenfalls doch mit einem Abitur nach 13 Jahren. Im Übrigen fällt mir spontan eine Schulform ein, in deren pädagogischem Konzept all dies schon vorhanden ist. Sie werden sicherlich wissen, was ich meine.
All diese Vorschläge sind sinnvoll, um die verkorkste Schulzeitverkürzung erträglicher zu machen. Lassen Sie mich aber die Frage stellen: Warum überhaupt eine Verkürzung auf zwölf Jahre? - Natürlich brauchen wir eine Schule, die Leistung, nachhaltigen Lernerfolg und Chancengleichheit sichert. Aber welche methodischen und didaktischen Konzepte sprechen für ein Abitur nach zwölf Jahren? Ganzheitliche Erziehung oder ein humanistischer Bildungsansatz? - Ich denke, eher nicht. Weil alle anderen die Schulzeit verkürzen, verkürzen wir sie auch? - Ich sehe vor allem ökonomische Gründe. Die Schülerinnen und Schüler sollen schneller verwertbar werden für den Arbeitsmarkt. Das heißt, ein Bildungsabschluss nach wirtschaftlichen Gründen! Wir fordern von daher weiterhin ein Abitur nach 13 Jahren.
Nur so kann unseres Erachtens gewährleistet werden, dass im Sinne eines humanistischen Bildungsansatzes neben der Erlangung von Fachwissen auch Zeit für sportliche, handwerkliche und musische Betätigung der Schülerinnen und Schüler verbleibt.
Warum gehen wir nicht grundsätzlich zurück zu einem Abitur nach 13 Jahren als Regelfall? - Nichts widerspricht dann zusätzlichen individuellen Lernkonzepten.
Das würde wirklich den Druck von Schülerinnen und Schülern nehmen. Dass dies notwendig ist, haben Sie hier ja schon gehört. Damit könnte man auch ein anderes Problem vom Tisch bekommen, für das ich im Moment noch keine vernünftigen Lösungsansätze erkennen kann, nämlich: Wie geht man mit dem Doppeljahrgang 2011 um?
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ende der 90er-Jahre gab es einen Aufschrei in der Bevölkerung, der durch die Medien ging: Eltern und Schüler machten sich Sorgen, ob die Abiturienten im Zuge der Globalisierung nicht Chancen für ihre Zukunft verspielen, weil sie im internationalen Vergleich deutlich später ins Berufsleben einsteigen würden als ihre Mitbewerber aus dem Ausland. Auch der damalige Bundespräsident Roman Herzog fragte in seinen Bildungsreden immer wieder, woran es liege, dass die leistungsfähigsten Nationen in der Welt es im Gegensatz zu uns schaffen würden, ihre Kinder die Schule mit 17 und die Hochschule mit 24 abschließen zu lassen.