Protocol of the Session on June 16, 2009

Herr Minister, ich möchte Sie einmal unterbrechen. - Verehrte Abgeordnete, etwas mehr Aufmerksamkeit bitte!

Es ist selbstverständlich, bei dem Herrn Bundesverkehrsminister - dem Herrn Noch-Verkehrsminister - immer nachzufragen, wie der Stand der Dinge ist. Übrigens - ohne hier Parteipolitik betreiben zu wollen - ist er nun doch Ihr Parteifreund! Man hätte aus Interesse für die Region vor Ort durchaus einmal Einfluss nehmen können.

Ich darf hier aus einem Schriftwechsel meines Hauses mit Herrn Tiefensee aus dem August 2006 zitieren:

„Der Ausbau dieser Schienenzulaufstrecke ist Gegenstand der laufenden Abstimmungen zwischen Bund und DB AG“

- jetzt kommt’s -

„zur Mittelfristplanung 2006 bis 2010. Gleichzeitig werden die notwendigen Schritte zur Vorbereitung des durchgehenden zweigleisigen Ausbaus und der Elektrifizierung zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven eingeleitet.“

So der Bundesverkehrsminister an unser Landeswirtschaftsministerium.

Im jüngsten Schreiben vom 5. Mai 2009 führt Herr Bundesminister Tiefensee aus,

„dass sich das BMVBS in der Vergangenheit insbesondere auch gegenüber der DB AG für einen rechtzeitigen und auch vollumfänglichen Ausbau der Eisenbahnstrecke eingesetzt hat.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier weiß der Bundesverkehrsminister offensichtlich nicht, was die ihm unterstellte Behörde - noch ist sie aus meiner Sicht eine Behörde - DB Netz AG hier den Menschen verheimlicht, nämlich dass sie erst 2015 mit der Strecke fertig werden will. Das ist schlichtweg ein Versagen des Bundesverkehrsministers.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Unruhe bei der SPD)

- Nicht nervös werden, Herr Lies! Auch die DB AG kommt aus der Verantwortung nicht vollkommen heraus. Da haben Sie vollkommen recht. Denn sie hat noch am 11. Februar 2009 eine schriftliche Sprachregelung mit uns vereinbart. Zitat:

„Die Wiederherstellung der Zweigleisigkeit könnte damit zum Fahrplanwechsel im Dezember 2012/2013 umgesetzt werden. Die Elektrifizierung etwa ein Jahr später. Die Abführbarkeit der Verkehre ist jederzeit sichergestellt.“

Angesichts solcher Schriftstücke des BMVBS und der DB Netz AG ist es vollkommen richtig, dass diese Landesregierung über den Umgang der Bundesregierung und der DB Netz AG mit den Menschen vor Ort in Niedersachsen empört ist.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Es ist richtig, dass sich der Ministerpräsident für eine schnellstmögliche Änderung dieser Position der DB AG und auch des Bundesverkehrsministe

riums einsetzt. Die DB Netz AG und auch die DB AG mit Herrn Grube haben vereinbart, in den nächsten zwei Wochen zu einem schnelleren Fortgang im Interesse der Menschen vor Ort zu kommen.

Insofern sollten Sie schon einmal gucken, wo die Verantwortlichkeiten liegen, und, anstatt hier Parteipolemik zu betreiben, etwas für die Bahnanbindung des JadeWeserPorts tun, indem Sie einfach einmal Ihren Bundesverkehrsminister ansprechen. Er soll endlich einmal Wort halten und das, was er uns schriftlich gegeben hat, auch einhalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich stelle fest, dass der Tagesordnungspunkt 2 c damit erledigt ist, weil keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.

Ich eröffne die Diskussion zu Tagesordnungspunkt 2 d:

Bildungsstreik in Niedersachsen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1368

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Perli von der Fraktion DIE LINKE. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Woche findet der bundesweite Bildungsstreik statt. In mehr als 90 Städten demonstrieren Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sowie Studierende für bessere Lernbedingungen. Es werden mehr als 150 000 Teilnehmer erwartet.

(Beifall bei der LINKEN)

Aufgerufen wird dazu bundesweit. Aber die beklagten Missstände sind vorwiegend landespolitischer Natur. Deshalb sind morgen auch in etwa 15 Städten in Niedersachsen Bildungsdemonstrationen zu erwarten. Wir erinnern uns, dass bereits im November 2008 mehr als 30 000 Schülerinnen und Schüler in zehn Städten demonstriert haben. In keinem Bundesland gab es damals so viele und so große Demonstrationen wie in Niedersachsen.

Die Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und die Studierenden haben viele gute Gründe. In keinem anderen Politikbereich stehen das Reden und das Handeln der Regierenden in einem so eklatan

ten Widerspruch wie bei der Bildung. In Sonntagsreden und auf Bildungsgipfeln wird betont, dass Investitionen in Bildung von herausragender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft seien. Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahrzehnten jedoch kontinuierlich gesunken. Die Wahrheit ist, dass man schon vor Jahrzehnten die Ausgaben für Bildung von der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgekoppelt hat.

Die Unterfinanzierung des Bildungswesens hat ihre Wurzeln genau in der Zeit, als die heutigen niedersächsischen Bildungszerstörer Wulff und Möllring, Heister-Neumann und Stratmann

(Lachen von Karl-Heinz Klare [CDU])

noch wesentlich bessere, erträglichere Lernbedingungen hatten und ein kostenloses Studium in Anspruch nehmen durften. Genau das verwehren sie der heutigen Jugend.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Wenn der Staat pro 1 Million Schüler und pro 1 Million Studierende denselben Anteil am Bruttoinlandsprodukt für Bildung ausgeben würde wie noch 1975, dann hätten bundesweit allein im Jahr 2004 gut 56 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestanden,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Guck mal an!)

davon knapp 20 Milliarden Euro für die allgemein- und berufsbildenden Schulen und mehr als 36 Milliarden Euro für die Hochschulen - und das alles Jahr für Jahr. Wir bräuchten hier gar nicht über Lehrerüberstunden, über Hochschulpakte, über Studiengebühren und Exzellenzinitiativen zu diskutieren, weil die Lernbedingungen für alle erstklassig wären, weil es genügend Lehrer, kleinere Klassen und Gebührenfreiheit gäbe.

Selbst wenn die Zahlen von 1995 in unseren Fokus rücken, stellen wir beim Vergleich mit heute fest: Der Anteil der Bildungsausgaben ist gesunken. Wären sie konstant geblieben, stünden bundesweit immer noch 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung.

Was sind die Folgen dieser Bildungsmisere? - Die Hochschulen werden zunehmend zu Lernfabriken degradiert, in denen die Masse der Studierenden durch ein Kurzstudium geschleust wird. Der Bachelorabschluss ist in seiner bisherigen Ausgestaltung letztlich nur ein zertifizierter erzwungener

Studienabbruch, weil nur ein kleiner Teil der Studierenden die wissenschaftliche Ausbildung in einem Masterstudiengang fortsetzen darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau deshalb haben die Studierenden recht, wenn sie fordern, Bachelor und Master in dieser Form abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

An den Schulen stehen ab der 1. Klasse nicht Bildungsziele im Vordergrund, sondern Selektionsmechanismen. Anstatt den Kindern Entwicklungspotenziale zuzubilligen, werden sie unter Leistungsdruck und in Angst versetzt. Das Turboabitur ist keine Hilfe zu schnellen und guten Abschlüssen, sondern ein Angriff auf die Freizeit und die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn es dann bei der Pop-Rock-Gruppe „Wir sind Helden“ heißt: „Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück“, und weiter: „Euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht, wenn man sich bückt“, dann ist das wie die Forderung einer ganzen Generation.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für diese Bildungspolitik gibt es keine Mehrheiten mehr in diesem Land. Das wüssten auch Sie, wenn Sie die Zeitungen Ihrer ureigensten Milieus lesen und nicht immer nach dem Wirtschaftsteil zuschlagen würden, sondern auch immer einmal in das Feuilleton schauen würden, wie z. B. am 8. Juni in der FAZ. Ich zitiere:

„Die Tatsache, dass wir, bei einer Lebenserwartung von bald fast 90 Jahren, immer noch ganze Bildungskarrieren und Lebensläufe beim zwölften Lebensjahr zementieren, wird späteren Generationen nur noch als objektiver Wahnsinn vorkommen.“

Diese Worte stammen von Frank Schirrmacher, einem der FAZ-Herausgeber, der im selben Artikel nicht mehr und nicht weniger fordert als eine Bildungsrevolution. Genau dafür gehen die jungen Leute morgen auf die Straße. Sie haben die Zeichen der Zeit erkannt. Nicht so der Bundesvorsitzende der CDU-nahen Schülerunion, der streberhaft die Störung der öffentlichen Ruhe beklagt und skandalöserweise und grundgesetzwidrig ein - Zitat - „hartes Einschreiten der Polizei“ fordert.

(Zurufe von der LINKEN: Pfui!)