Protocol of the Session on January 16, 2009

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie daran denken würden, in diesem Bereich die Maßstäbe anzulegen, die in anderen

Bereichen angelegt werden, dann müssten wir über die Art und Zusammensetzung der Gefängnisse sicherlich noch einmal neu nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Professor Dr. Zielke von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Kollege Limburg, was den Umgangston im Parlament oder mit der Regierung anbetrifft, so können wir natürlich auffordern, wir können zähnefletschend auffordern, oder wir können bitten. Unserem Umgangston entspricht es normalerweise eher, dass wir bitten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Björn Thümler [CDU]: Das führt übri- gens zum gleichen Erfolg! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das entspricht aber nicht dem Selbstverständnis des Parlaments!)

Lassen Sie mich eines vorab ganz deutlich feststellen: Wir haben in Niedersachsen einen hervorragenden Strafvollzug. - Herr Brunotte, wenn Sie in dem Zusammenhang von Chaostagen sprechen, dann entbehrt das der Realität.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Brunotte?

Nein.

(Marco Brunotte [SPD]: Schade!)

Herr Brunotte, Sie haben den offenen Vollzug als Regelvollzug gefordert. Damit würden Sie tatsächlich unter Umständen ein Chaos erzeugen, das Sie vielleicht gar nicht wollen; denn bei der Entscheidung, ob ein Strafgefangener in den offenen Vollzug kommt oder nicht, entscheidet eine Kommission von Fachleuten in jedem einzelnen Fall. Und die entscheiden sehr sorgfältig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Von einem können Sie mit Sicherheit ausgehen: Ein Weniger an Sicherheit wird diese Koalition ihren Bürgern niemals zumuten!

(Beifall bei der CDU)

Wie es unser Antrag schon sagt, gibt es in unserem Justizvollzug eigentlich wenig zu verbessern. In mancher Hinsicht ist er nahezu perfekt, z. B. was die Ausbruchsicherheit betrifft. Trotzdem ist klar, dass der Justizvollzug in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Umfeld immer wieder vor neuen Aufgaben und Herausforderungen steht, genauso wie andere, auf den ersten Blick vielleicht publikumsnähere Bereiche der Justiz.

Wer sich ein bisschen an die Geschichte des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes zurückerinnert, dem wird bekannt sein, dass wir von der FDP nun wirklich nicht zu den Fans von Mehrfachunterbringungen in Hafträumen zählen. Für uns war immer das Ziel und der anzustrebende Regelfall, dass alle Gefangenen einzeln untergebracht werden können. Da gab es gar kein Vertun. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Umwandlung von Hafträumen für Mehrfachbelegung in solche für Einzelbelegung. In der Hinsicht ist mittlerweile sehr viel erreicht worden, und wir sind weiter auf gutem Weg. Dass wir dafür jetzt bauliche Standards festschreiben wollen, heißt in keiner Weise, dass wir nicht schon längst solche Standards de facto einhalten würden.

Es ist richtig: Nicht ausreichend abgetrennte Toilettenräume bei mehrfach belegten Zellen über Wochen und Monate - ja, das hat es in Einzelfällen gegeben, und das ist seinerzeit zu Recht moniert worden. Aber das ist zum Glück schon lange, lange her. Wir stehen für einen Justizvollzug, der die Menschenwürde der Gefangenen achtet, ohne Wenn und Aber!

Etwas ausführlicher möchte ich auf die Nr. 4 eingehen. Wir haben in Niedersachsen derzeit genug Haftplätze. Es ist nicht anzunehmen, dass die Zahl der unterzubringenden Straftäter plötzlich dramatisch steigen würde. Aber das ist eben nicht alles. Wer Haftanstalten kennt, der weiß, dass sich die einzelnen niedersächsischen Lokationen in ihrer Eignung für einen zukunftsorientierten Strafvollzug trotz aller bisherigen Modernisierungen erheblich unterscheiden. Neue Sicherheitserkenntnisse hinsichtlich der baulichen Standards lassen sich in alten Gebäuden oft nur mit unvertretbarem Aufwand realisieren. Aber auch für Maßnahmen der schulischen Bildung - viele Täter haben ja keinen Schulabschluss - oder beruflichen Fortbildung fehlen oft die geeigneten Räumlichkeiten.

(Zuruf von der SPD: Und geeignete Maßnahmen!)

Und nicht zu vergessen: In unseren Justizvollzugsanstalten gehen mittlerweile drei Viertel aller Gefangenen einer Erwerbstätigkeit nach. In den Betrieben hinter den Mauern werden wirklich nicht nur Tüten geklebt. Die Produktion in den Betrieben unserer Justizvollzugsanstalten fließt ein in die Wertschöpfungsketten vieler regionaler kleiner und mittlerer Unternehmen. Diese Unternehmen müssen sich am Markt behaupten. Deshalb sind auch die zuliefernden Betriebe aus den Haftanstalten letztlich Teil des Wettbewerbs und können auf die Dauer nicht mit veralteten Maschinen oder Produktionsmethoden am Markt bestehen.

Im Sinne einer gelingenden Resozialisierung der Gefangenen ist jede geregelte Tätigkeit und vor allem Arbeit von eminenter Bedeutung. Noch besser ist es offensichtlich, wenn diese Arbeit so qualifiziert ist und die Gefangenen so weit zusätzlich qualifiziert, dass sie auf eine geregelte Tätigkeit nach der Strafverbüßung hingeführt werden. Das bedeutet, dass Haftanstalten auch hinsichtlich ihres betrieblichen Modernisierungspotenzials betrachtet werden müssen.

(Glocke des Präsidenten)

Insgesamt - ich komme zum Schluss - ist der Ersatz veralteter Justizvollzugsanstalten ein Aspekt, den vorausschauende Justizpolitik immer im Blick haben muss. Wir glauben, dass sich durch die Errichtung und den Betrieb einer neuen Vollzugsanstalt in Bremervörde in öffentlich-privater Partnerschaft neue Chancen im Justizvollzug eröffnen

(Glocke des Präsidenten)

- ich bin sofort am Ende meiner Ausführungen - und dass wir diesen Weg beschreiten sollten. Klar ist dabei, dass alle sicherheitsrelevanten und alle grundrechtsrelevanten Aufgaben allein und ausschließlich, Herr Limburg, in staatlicher Hand liegen müssen. Das Urteil des Staatsgerichtshofs, Herr Limburg, haben Sie falsch gelesen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Brunotte von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Dr. Zielke, Chaostage im Vollzug hätten Sie erleben können, wenn Sie sich in den letzten Wochen einmal in die Anstalten in Niedersachsen bemüht hätten. Wir waren in vielen

Justizvollzugsanstalten und haben dort mit Anstaltsleitungen und vor allem mit den Bediensteten gesprochen. Fragen Sie die, die auf der Streichliste stehen, mal, was bei ihnen los ist! Sie überlegen, wie es in ihrer Anstalt weitergeht und wie sie in ihrer Arbeit akzeptiert und angenommen sind. Sie fühlen sich bei Weitem nicht genug angenommen. Das ist Ihr Verdienst zusammen mit der CDU.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie brauchen in dem Zusammenhang auch nicht von „Wertschätzung der Arbeit der Justizbediensteten“ zu sprechen. Denen haben Sie mit Ihrem Antrag genau gezeigt, was Sie von Vollzug in den Anstalten halten.

Zum Thema Sicherheit: Ja, es stimmt, die Zahl der Ausbrüche ist in den letzten Jahren gesunken. Wir streiten auch gar nicht darüber, dass das etwas Sinnvolles ist.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt aber eine zweite Sicherheit, nämlich die soziale Sicherheit. Herr Professor Dr. Zielke, soziale Sicherheit heißt auch, dass wir Straftäter entlassen, die resozialisiert sind und die sich in Entlassungsvorbereitungen und in einem vernünftigen Übergangsmanagement in der Freiheit erproben konnten und die nicht wieder rückfällig werden. In der Hinsicht befinden wir uns mittlerweile in der eklatanten Situation, dass der Sicherheitsaspekt oftmals alles überwiegt. An der Stelle lässt sich ganz deutlich sagen: Nehmen Sie die 270 Millionen Euro und geben Sie genug Geld aus, um die Anstalten ordentlich zu sanieren und ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wie ich sehe, wird keine Entgegnung gewünscht. Dann hat jetzt Herr Minister Busemann das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin den Mehrheitsfraktionen dankbar dafür, dass sie diesen Antrag heute eingebracht haben, weil er uns Gelegenheit gibt, die Situation und die Vorhaben im Vollzug gemeinsam zu beleuchten. Bei der

Gelegenheit ist für die SPD vielleicht auch noch ein bisschen Geschichtsunterricht angesagt,

(Ah! bei der SPD)

aber dazu gleich mehr, meine Damen und Herren.

Wir könnten natürlich sagen - die einen mit Leidenschaft, die anderen verkrampft -, wir haben eine ganz ordentliche Situation: Wir haben keine Überbelegung im Vollzug. Wir haben eine günstige Ausbruchs- und Entweichungssituation. Wir haben eine hohe Beschäftigungsquote; sie sucht mit fast 78 % ihresgleichen. Wir haben auch bereits jetzt ein hohes Maß an Einzelunterbringung und arbeiten daran bekanntlich.

Nun könnte jemand auf die Idee kommen zu sagen: Dann lehnen wir uns entspannt zurück! Wir finden das alles ganz toll und warten die Entwicklung in den nächsten Jahren ab! - Das aber ist nicht unser Ding. Wir haben hier immer noch Handlungsbedarf. Wir haben Ziele. Jeder ist sich selbst der Maßstab. Wir wollen die Dinge im Vollzug gemeinsam nach vorn entwickeln, weil wir bestimmte Vorstellungen haben.

Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung. Ich war kurz vor Weihnachten in Polen. Wir haben in Posen eine Justizvollzugsanstalt besichtigt. Dort wurden uns Reformfortschritte vorgeführt. Die sahen im offenen Vollzug so aus, dass in einer Zelle jetzt nur noch knapp 20 Leute sind. Das ist kein Grund zur Häme und zur Überheblichkeit. Jeder ist sich selbst der Maßstab.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Wie sieht es denn mit dem deutschen Standard aus, Herr Busemann?)

- Ich bitte Sie! - Wir diskutieren dieses Thema von daher schon auf hohem Niveau, wir können aber gerne noch überlegen, wie wir es weiterentwickeln.

Ich will Ihnen vier Beispiele nennen, von denen ich meine, dass wir gut daran tun, daran zu arbeiten und etwas zu entwickeln.

Zunächst das Thema der Mehrfachunterbringung. Kollege Limburg, man würde das neue Vollzugsgesetz aus dem letzten Jahr und den dortigen § 20 unterschätzen, wenn man behauptet, wir wollten nicht zu mehr Einzelunterbringung gelangen. Die Zahlen bestätigen das. Nun könnte man misstrauisch sein und sagen: Das Gesetz lässt eine Hintertür offen, und die wollen das gar nicht. Aber die praktizierte Arbeit im Vollzug geht dahin, dass wir von der Mehrfachunterbringung abgehen und heute schon hohe Werte haben, die sich auch im Bun

desvergleich sehr gut sehen lassen können. Meine Ansage ist insbesondere: Wir wollen noch mehr hin zur Einzelunterbringung, mit den bekannten Ausnahmen bei suizidgefährdeten, gebrechlichen und hochbetagten Leuten oder wenn manche einen ganz extremen Kommunikationsbedarf haben.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Das ist nicht streitig!)