wie sie den negativen Trend der zurückgehenden Einbürgerungszahlen umkehren könnte. Entsorgen Sie lieber das Optionsmodell auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte, wo es dringend hingehört!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die ersten Optionskinder haben kurz vor Jahresende Post vom Staat bekommen: Sie sollen sich ein Heimatland aussuchen, und das fällt naturgemäß vielen schwer. Wer sich nicht entscheiden kann oder mag, dem droht automatisch der Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft.
Das Dilemma veranschaulicht der Leserbrief einer 16-jährigen Realschülerin, den ich, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere:
„Mein Leben ist so: Pakistan ist sozusagen meine Mutter, die mich zwar zur Welt gebracht hat und zwei Jahre behalten hat, und Deutschland ist die Mutter, die mich adoptierte, die mich aufgezogen hat, mich mit jeder Situation bekannt gemacht hat. Beide Mütter haben mich lieb und ich sie. Wo soll ich bleiben? - Es ist schwer, sehr schwer, in zwei verschiedenen, auseinandergetriebenen Welten zu leben.“
Diese Beschreibung erinnert an den kaukasischen Kreidekreis. Doch hier gibt es eine Lösung: nämlich die doppelte Staatsbürgerschaft, für die wir uns starkmachen.
Seit Januar 2008 sind die ersten jungen Erwachsenen vom sogenannten Optionszwang betroffen. Von Jahr zu Jahr werden es mehr werden. Die Folgen: Viel Arbeit für die Behörden und die Ver
waltungsgerichte, große Verunsicherung der jungen Erwachsenen, die hier als Deutsche aufgewachsen sind. Man muss sich das einmal vorstellen: Da werden junge Menschen, die hier gerade Abitur machen, eine Lehre begonnen haben, in ihrer Freizeit vielleicht im Sportverein als Schiedsrichter tätig sind, aufgefordert, sich zwischen dem Herkunftsland ihrer Eltern und dem Land zu entscheiden, in dem sie geboren sind und seit mehr als 18 Jahren leben.
Oftmals ist es doch so, dass sie das Herkunftsland ihrer Eltern bestenfalls als gelegentlichen Urlaubsort kennen. Dennoch besteht eine über die Familie vermittelte kulturelle und emotionale Bindung an dieses Land, die eine endgültige Entscheidung verkompliziert, Frau Lorberg.
Wie konnte es zu dieser lebensfremden Regelung kommen? - 1999 hat Rot-Grün eine Gesetzesreform vorgelegt, die mit dem seit 1913 bis dato geltenden Abstammungsprinzip - das Jus Sanguinis, das Blutrecht - Schluss machen wollte, das die Nationalität des Kindes an die Abstammung der Eltern band.
Rot-Grün führte das Geburtsrecht ein - das Jus Soli - und erleichterte die Einbürgerung der in Deutschland geborenen Kinder. Damit wurde Mehrstaatigkeit als Faktum einer Integrationsgesellschaft akzeptiert. Was darauf folgte - daran kann man sich dieser Tage wieder durch die Berichte in Funk und Fernsehen erinnern -, war eine beispiellose Kampagne im hessischen Landtagswahlkampf, der an den Wahlständen in offene Ausländerfeindlichkeit mündete.
Es wurde nicht über das Staatsangehörigkeitsrecht diskutiert, sondern die dumpfe Frage gestellt: Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben? - Daraufhin setzte der schwarz-gelbe Bundesrat den nunmehr geltenden faulen Kompromiss durch: Wer volljährig ist, für den besteht der Zwang, zwischen deutscher Staatsangehörigkeit und Staatsangehörigkeit der Eltern zu wählen.
Die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen ist in Deutschland verwurzelt und wird unabhängig von der Staatsangehörigkeit auch künftig dauerhaft hier leben wollen. Die Beibehaltung des Optionsmodells ist mit sachlichen Argumenten ebenso wenig zu begründen wie seinerzeit seine Einführung. Das Argument, Mehrstaatigkeit fördere nicht die Integration, sondern behindere sie eher, ist nicht zu belegen. Es gibt eine große Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund, die allein die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und gleichwohl schlecht integriert sind.
Frau Dr. Lesemann, ich muss Sie kurz unterbrechen. - Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn ich die Glocke betätige, signalisiert das die Bitte, der Rednerin zuzuhören. Ich bitte Sie, die Gespräche nach draußen zu verlagern. Es ist nicht ganz fair, was Sie im Moment machen. - Bitte schön!
In der Fachliteratur wird vielmehr die Auffassung vertreten, dass eine großzügigere Hinnahme von Mehrstaatigkeit z. B. bei einer Einbürgerung von Menschen mit Migrationshintergrund die noch bestehenden emotionalen Vorbehalte gegenüber einer Einbürgerung abbauen und die Integration dieser Menschen verbessern würde. Meine Damen und Herren, Integration bedeutet Teilhabe durch gleiche Rechte und Pflichten.
Um dies zu erreichen, müsste der Erwerb der Staatsbürgerschaft gefördert werden und nicht ihr Verlust.
Zweitens. Der Entscheidungszwang wird der Lebenssituation der mit mehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungen Erwachsenen nicht gerecht und kann zu enormen familiären Konflikten führen. Oftmals stehen sie in diesem Alter wirtschaftlich noch nicht auf eigenen Beinen. Gleich
wohl wird ihnen abverlangt, eine für ihr ganzes Leben wesentliche Entscheidung zu treffen. Sie müssen sich nämlich entscheiden, welchem Staat sie künftig angehören wollen. Diese Entscheidung ist unumkehrbar. Entscheiden sie sich ihrer Eltern und Verwandten zuliebe für die ausländische Staatsangehörigkeit, schafft der daraus folgende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für sie erhebliche Probleme für ihr weiteres Leben hier - im Übrigen auch für sie ganz persönlich. Denn Deutschland ist schließlich das Land, in dem sie geboren und aufgewachsen sind und zu dem sie eine intensive Bindung haben. Entscheiden sie sich für die deutsche und damit gegen eine ausländische Staatsangehörigkeit, kann diese Entscheidung zu erheblichen Spannungen innerhalb der Familie führen.
Drittens bestehen verfassungsrechtliche und verwaltungstechnische Vorbehalte gegen das Optionsmodell. Es handelt sich um ein umfangreiches bürokratisches Verfahren zur Durchsetzung eines Grundsatzes, der ohnehin häufig ausgehöhlt wird, wie meine Vorrednerin schon angemerkt hat. Es handelt sich im Übrigen um ein Verfahren, das mit Blick auf die in § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes angelegte Ausnahmeregelung in der Praxis häufig mit dem Ergebnis enden wird, dass es bei der Mehrstaatigkeit, also der Doppelstaatigkeit, bleibt. Bei diesem Ergebnis stellt sich auch die Frage, ob sich der bürokratische Aufwand überhaupt lohnt.
Der Antrag meiner Fraktion geht über den der Grünen hinaus; denn er verlangt nicht allein die Tilgung der Option, sondern sieht die generelle Erleichterung des Erwerbs einer doppelten Staatsbürgerschaft vor. Der Optionszwang wird der Lebenswirklichkeit der Migrantinnen und Migranten und ihrer Kinder nämlich nicht gerecht.
Wir fordern Sie auf: Leisten Sie mit dem Einsetzen für die Abschaffung des Optionszwangs einen Beitrag zur Integration der betroffenen jungen Menschen und zum Bürokratieabbau! Wer als Kind hier die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat, sollte sie mit 18 nicht wegen eines anderen Passes aufgeben müssen.
Gleichzeitig fordern wir eine generelle Erleichterung von doppelten Staatsbürgerschaften. Dies ist schon in vielen europäischen Staaten der Fall, in Frankreich, Großbritannien, Finnland und auch Portugal.
Die Erfahrung zeigt, dass Probleme aus einer doppelten Staatsangehörigkeit im täglichen Leben selten vorhanden sind. In Deutschland hat jemand, der neben der deutschen noch eine oder mehrere ausländische Staatsangehörigkeiten besitzt - sogenannte Mehrstaatler - nicht mehr und auch nicht weniger Rechte als alle anderen deutschen Staatsangehörigen. Darauf weist im Übrigen auch der aktuelle Internetauftritt des Bundesinnenministeriums hin.
Der jahrelange Rückgang der Einbürgerungszahlen - das hat Frau Polat vorhin erwähnt - zeigt: Noch immer ist es in Deutschland zu schwierig, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, und zu einfach, sie zu verlieren.
Wir sagen an dieser Stelle ganz klar: Das muss anders werden! Im Interesse der Betroffenen ist es, Doppelstaatigkeit zu erleichtern. Integration heißt nämlich Brücken bauen. Man sollte hier aufgewachsene junge Deutsche nicht zwingen, Brücken der Herkunft zu ihrer Familie einzureißen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beide hier vorliegenden Anträge verfolgen das gleiche Ziel. Es geht um eine Bundesratsinitiative zur Streichung der in § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes enthaltenen Optionsregelung, wonach sich Inhaberinnen und Inhaber der doppelten Staatsbürgerschaft bei Erreichen der Volljährigkeit für eine von beiden entscheiden müssen. Diese Regelung war und ist Bestandteil des damals getroffenen, aber aus unserer Sicht faulen Kompromisses zur Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Schon damals war doch klar, dass das keine Regelung ist, welche im realen Leben durchgeführt werden kann und umzusetzen ist. Seit Beginn dieses Jahres tritt die sogenannte Optionsregelung in Kraft, weil die ersten Kinder volljährig werden. Das haben wir jetzt mehrfach gehört.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus der Sicht meiner Fraktion liegt mit dieser Regelung ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Artikel 3 des Grundgesetzes mit Blick auf die Kinder aus binationalen Familien vor.
Sowohl aus verwaltungstechnischen, aber vor allem aus inhaltlichen Gründen sollte diese Regelung ersatzlos gestrichen und eine Mehrstaatigkeit auch dieser Personengruppe zugelassen werden.
Dass es zu keinen Schwierigkeiten führt, zeigt sich doch auch in diesem Hause, z. B. bei einigen Personen, die die doppelte Staatsangehörigkeit besitzen.
Meine Damen und Herren, eines will ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen, und zwar mit Nachdruck: Aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion ist es völlig egal, ob Personen zusätzlich die irische, britische, polnische, türkische oder irgendeine andere Staatsangehörigkeit besitzen.